Urteil des BPatG vom 16.09.2003

BPatG: schutzwürdiges interesse, recht auf akteneinsicht, stand der technik, rücknahme der klage, geheimhaltung, beendigung, nichtigkeitsklage, rechtsbeständigkeit, einsichtnahme, vertreter

BUNDESPATENTGERICHT
3 ZA (pat) 25/03
zu 3 Ni 43/97 (EU)
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Akteneinsichtssache
BPatG 152
10.99
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betreffend das Nichtigkeitsverfahren 3 Ni 43/97
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom
16. September 2003
unter
Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dipl.-Ing. Hellebrand sowie der Richter Dipl.-Chem. Dr. Niklas und Brandt
beschlossen:
Den Antragstellern wird Einsicht in die Akten des
Nichtigkeitsverfahrens 3 Ni 43/97 (EU) gewährt; hiervon aus-
genommen ist der Schriftsatz der Beklagten vom
9. April 1998, Seite 2 bis Seite 4 erster Absatz (Bl 60 bis 62
erster Absatz dA) einschließlich der Anlagen B1, B2 und B3.
G r ü n d e :
I.
Die Antragsteller begehren durch Übersendung entsprechender Ablichtungen Ein-
sicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens 3 Ni 43/97, hilfsweise beantragen sie,
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Aktenteile, die sich auf Betriebsgeheimnisse od. dgl. beziehen, auszunehmen und
weiterhin hilfsweise, lediglich den Stand der Technik mitzuteilen, der dem Streit-
patent entgegengehalten wurde. Die Nichtigkeitsklägerin und die Nichtigkeitsbe-
klagte haben dem Antrag innerhalb der vorgegebenen Frist von zwei Wochen wi-
dersprochen.
Die Nichtigkeitsbeklagte trägt vor, ihr der Akteneinsicht entgegenstehendes
schutzwürdiges Interesse ergebe sich aus den angegebenen Betriebsinterna.
Hilfsweise beantragt sie, die Angaben zu II. des Schriftsatzes vom 9. April 1998
(Seite 2 bis Seite 4 erster Absatz) einschließlich der Anlagen B1, B2 und B3 von
der Akteneinsicht auszunehmen sowie weiterhin hilfsweise, den Antragstellern die
Nennung ihres Auftraggebers aufzugeben.
Die Nichtigkeitsklägerin trägt zur Begründung vor, ihr Interesse an der Geheim-
haltung der Umstände, die zur Beendigung des Nichtigkeitsverfahrens in einem
Stadium führten, in dem die Öffentlichkeit noch völlig ausgeschlossen gewesen
sei, Dritte von der Existenz der Klage somit nichts wissen konnten, sowie ihre
Ausführungen zur unzulässigen Erweiterung der Anmeldung (Seiten 5 bis 9 der
Klageschrift) und damit zum Schutzbereich des Streitpatents ständen dem Akten-
einsichtsantrag entgegen. Es sei offensichtlich, dass der Antrag der Anwälte im
Interesse nicht genannter Dritter gestellt worden sei.
II.
Der Antrag auf Akteneinsicht hat Erfolg, soweit er sich auf andere Aktenteile als
die im Tenor genannten Teile des Schriftsatzes des Beklagten vom 9. April 1998
sowie der Anlagen B1, B2 und B3 bezieht, weil die Parteien des Ausgangsverfah-
rens für diese anderen Aktenbestandteile ein hinreichend schutzwürdiges Inte-
resse an der Geheimhaltung nicht dargelegt haben, § 99 Abs 3 Satz 3 PatG.
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1. Die Einsicht in die Akten von Nichtigkeitsverfahren ist grundsätzlich frei, es sei
denn, der Patentinhaber beruft sich auf ein entgegenstehendes schutzwürdiges
Interesse, § 99 Abs 3 Satz 3 PatG (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl., § 99, Rdnr. 26 ff).
Soweit die Nichtigkeitsbeklagte allgemein vorträgt, das der Akteneinsicht entge-
genstehende schutzwürdige Interesse der Patentinhaberin ergebe sich aus den
angegebenen Betriebsinterna, genügt ein solches nicht näher konkretisiertes,
pauschales Vorbringen nicht der erforderlichen substantiierten Darlegung eines
schutzwürdigen Interesses des Patentinhabers an der Geheimhaltung des Akten-
inhalts. Es ist insbesondere nicht Aufgabe des Senats, die Verfahrensakten, ein-
zelne Schriftsätze oder Anlagen daraufhin zu überprüfen, ob Teile von der Akten-
einsicht betroffen sind, die die Interessen der Verfahrensbeteiligten objektiv berüh-
ren könnten (BGH BlPMZ 1971, 371; BPatGE 34, 9; Busse, PatG, 5. Aufl., § 99,
Rdn 39; Schulte, PatG, 9. Aufl, § 99, Rdn 10).
Keinen Erfolg konnte der Antrag auf Akteneinsicht dagegen haben, soweit er sich
nach den sich insoweit entsprechenden Hilfsanträgen der Antragsteller und der
Antragsgegnerin 2 auch auf die im Tenor genannten Bestandteile des Schriftsat-
zes der Antragsgegnerin 2 vom 9. April 1998 nebst Anlagen bezieht. Diese Be-
standteile enthalten Angaben über geschäftliche Beziehungen, (Lizenz-)Vereinba-
rungen sowie eine Nichtangriffsabrede zwischen den Parteien des Nichtigkeits-
verfahrens. Zwar begründet eine Nichtangriffsvereinbarung zwischen den Parteien
des früheren Nichtigkeitsverfahrens kein schutzwürdiges Interesse dieser Par-
teien, das dem Recht auf Akteneinsicht eines Dritten, hier der Antragsteller,
grundsätzlich und insgesamt entgegensteht (vgl BPatGE 22, 66, 67). Diese Be-
standteile enthalten jedoch ausschließlich für Außenstehende nicht bestimmte An-
gaben zu geschäftlichen Beziehungen und Vereinbarungen zwischen den Parteien
des Nichtigkeitsverfahrens, an deren Kenntnis für die durch die beantragte Akten-
einsicht verfolgten Ziele ein schutzwürdiges Interesse der Antragsteller anderer-
seits nicht zu erkennen ist. Den Antragstellern im Wege der Akteneinsicht auch
hierüber Informationen zu verschaffen, ginge über das hinaus, was sinnvoll und
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erforderlich ist, um etwa die Erfolgsaussichten einer eventuellen eigenen Nichtig-
keitsklage zu beurteilen (vgl Benkard, PatG, 9. Aufl, § 99, Rdnr. 18; BGH GRUR
1972, 195 – Akteneinsicht VIII). Es handelt sich bei diesen Aktenbestandteilen
schließlich auch nicht um nicht näher bezeichnete Aktenteile, die dem später er-
zielten Vergleich zwischen den Parteien des Nichtigkeitsverfahrens vorausgegan-
gen sind und für die ein der Akteneinsicht entgegenstehendes schutzwürdiges In-
teresse zu verneinen wäre (vgl BGH BlPMZ 1971, 371). Die genannten Aktenbe-
standteile sind daher von der Akteneinsicht auszunehmen.
2. Auch der Nichtigkeitsklägerin steht nach der Rechtsprechung das Recht zu, ei-
gene schutzwürdige Interessen gegenüber dem Akteneinsichtsbegehren selb-
ständig geltend zu machen (vgl BGH GRUR 1972, 441 – Akteneinsicht IX;
BPatGE 25, 34, 35). Soweit sie sich auf ein Interesse an einer Geheimhaltung der
Umstände beruft, die zur Beendigung des Nichtigkeitsverfahrens in einem Stadium
führten, in dem die Öffentlichkeit von der Existenz der Klage nichts wissen konnte,
steht dies dem Recht der Antragsteller auf Akteneinsicht nicht entgegen. Weder
den hier maßgeblichen Vorschriften des § 99 Abs 3 Satz 3 PatG und § 99 Abs 3
Satz 1 PatG iVm § 31 PatG noch der dazu ergangenen Rechtsprechung lassen
sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es für die Beurteilung des schutzwür-
digen Interesses im Rahmen eines Antrags auf Einsicht in Akten, die – wie die
Akten von Nichtigkeitsverfahren - nach § 31 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 PatG der
freien Einsicht unterliegen, auf den Zeitpunkt der Antragstellung bzw den Stand
des Nichtigkeitsverfahrens ankommen soll. Es sind insbesondere auch sonst
keine Gründe dafür ersichtlich, dass das Recht auf Akteneinsicht von der Kenntnis
oder Möglichkeit der Kenntnisnahme der Öffentlichkeit von der Anhängigkeit des
Nichtigkeitsverfahren abhängen soll. Vielmehr steht es Dritten frei, jederzeit selbst
das dem Nichtigkeitsverfahren zugrundeliegende Patent mit der Nichtigkeitsklage
anzugreifen und sich zur Vorbereitung eines solchen Verfahrens im Wege der
Einsicht in die Akten des Ausgangsverfahrens Kenntnisse über den Patentge-
genstand zu verschaffen. Das Begehren Dritter auf Einsichtnahme in die Akte
steht gerade im Einklang mit dem allgemeinen Anliegen der Öffentlichkeit, beste-
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hende Patente auf ihre Rechtsbeständigkeit überprüfen zu lassen (vgl BPatGE 22,
66).
Der Umstand, dass das Nichtigkeitsverfahren – hier noch vor Anberaumung einer
mündlichen Verhandlung – aufgrund eines Vergleichs durch Rücknahme der
Klage beendet wurde, rechtfertigt ebenfalls keine andere Bewertung des Akten-
einsichtsbegehrens. Die Vorschrift des § 99 Abs 3 Satz 3 PatG regelt den An-
spruch auf Akteneinsicht für alle Akten eines Nichtigkeitsverfahrens beim Bundes-
patentgericht auch insoweit gleichermaßen, dass es danach nicht auf die Art und
Weise der Verfahrensbeendigung ankommt (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl, § 99 Rdn
25 mit Hinweis auf BPatGE 26, 165, wonach sogar der Fall einer als nicht erhoben
geltenden Klage umfasst ist).
Soweit die Nichtigkeitsklägerin auf Ausführungen zur unzulässigen Erweiterung
der Anmeldung (Seiten 5 bis 9 der Klageschrift) und damit zum Schutzbereich des
Streitpatents hinweist, vermag dies allein ebenfalls kein der Akteneinsicht entge-
genstehendes schutzwürdiges Interesse zu begründen. Abgesehen davon, dass
die relevanten Ausführungen zu einer behaupteten unzulässigen Erweiterung der
Anmeldung nur die Seiten 6 bis 9 der Klageschrift betreffen, handelt es sich hier-
bei auch in Bezug auf Rückschlüsse auf den möglichen Schutzbereich des Klage-
patents ausschließlich um rechtliche Bewertungen und Rechtsansichten der Nich-
tigkeitsklägerin. Solche bloßen Rechtsausführungen gehören jedoch zweifelsfrei
nicht zu den Gründen und Angaben, die nach der § 99 Abs 3 Satz 3 PatG zugrun-
deliegenden gesetzlichen Wertung oder der dazu ergangenen Rechtsprechung
zur Bejahung eines die Akteneinsicht ausschließenden überwiegenden Interesses
führen. Soweit in einer Entscheidung des Bundespatentgerichts (BPatGE 25, 34,
36) auch Ausführungen zum Schutzumfang des dortigen Klagepatents von der
Akteneinsicht ausgenommen worden sind, lag der Grund allein darin, dass diese
Ausführungen untrennbar mit ein schutzwürdiges Interesse begründenden Ausfüh-
rungen zu Verletzungsformen verbunden waren. Solche besonderen Umstände
liegen hier jedoch offensichtlich nicht vor.
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3. Entgegen der Ansicht sowohl der Nichtigkeitsbeklagten als auch der Nichtig-
keitsklägerin hängt die Gewährung der Akteneinsicht nicht von der Benennung
des Auftraggebers der Antragsteller ab und kommt es - soweit die Akteneinsicht
jedermann freisteht - auch nicht darauf an, ob die von einem anwaltlichen Vertre-
ter begehrte Akteneinsicht im eigenen oder im fremden Namen beantragt wird und
in wessen Interesse sie erfolgen soll (BGH GRUR 1999, 226 – Akteneinsicht XIV,
BGH GRUR 2001, 143 – Akteneinsicht XV). Soweit Aktenteile betroffen sind, die
die Interessen der Parteien des Nichtigkeitsverfahrens berühren könnten, sind sie
gehalten, dieses der freien Akteneinsicht entgegenstehende Interesse substanti-
iert geltend zu machen. Schon nach dem klaren Wortlaut des § 99 Abs 3 Satz 3
PatG und dem Zweck dieser Vorschrift ist es nicht Sache des Akteneinsicht Be-
gehrenden, seinerseits von vornherein ein schutzwürdiges Interesse an der Ein-
sicht darzulegen und glaubhaft zu machen. Dazu ist der Antragsteller allenfalls
erst dann gehalten, wenn der Antragsgegner ein schutzwürdiges Gegeninteresse
darlegt und gegebenenfalls glaubhaft macht (BGH GRUR 2001, 143, 144 –
Akteneinsicht XV). Solche besonderen Umstände, die es geboten erscheinen lie-
ßen, die Gewährung der Akteneinsicht von der Nennung des Auftraggebers des
Antragstellers oder der Darlegung eines schutzwürdigen Interesses des die Ak-
teneinsicht Begehrenden abhängig zu machen, hat weder die Nichtigkeitsbeklagte
noch die Nichtigkeitsklägerin vorgetragen.
Hellebrand Dr.
Niklas
Brandt
Pr