Urteil des BPatG vom 01.07.2008

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BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
4 Ni 69/08 (EU)
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent EP 0 662 574
(DE 594 03 457)
hat
der
4. Senat
(Nichtigkeitssenat)
des
Bundespatentgerichts
am
28. Januar 2009 durch die Vorsitzende Richterin Winkler sowie die Richter Voit
und Dipl.-Ing. Rippel
beschlossen:
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e
I.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 1. Juli 2008 Klage auf Erklärung der
Nichtigkeit des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 662 574
(Streitpatent) eingereicht. Die Klage wurde am 6. August 2008 zugestellt. Mit
Schriftsatz vom 29. August 2008, bei Gericht eingegangen am 1. September 2008,
erklärte die Beklagte, sie erkenne den Antrag, den deutschen Teil des
Streitpatents in vollem Umfang für nichtig zu erklären, an, und verzichte auch für
die Vergangenheit auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus diesem Patent
gegenüber der Nichtigkeitsklägerin, deren deutscher Schwestergesellschaft und
anderer, mit der Nichtigkeitsklägerin verbundener Firmen. Gleichzeitig beantragte
sie unter Hinweis darauf, keine Veranlassung zur Klage gegeben zu haben, der
Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Dagegen wendet sich die
Klägerin, indem sie ihrerseits beantragt, der Beklagten die Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen. Insbesondere verweist sie darauf, dass der Beklagten das
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schließlich als neuheitsschädlich angesehene Material zusammen mit der
beabsichtigten Nichtigkeitsklage bereits mit Schriftsatz vom 1. Juli 2008 im
Verletzungsrechtsstreit zwischen denselben Parteien (2 O 292/07 des LG
Mannheim) bekannt geworden sei, in dem sie wegen der mangelnden
Patentfähigkeit
die
Aussetzung
des
Verletzungsrechtsstreits
beantragte.
Gleichwohl habe die Beklagte dieses Verfahren weiter betrieben.
Der Schriftsatz vom 1. Juli 2008 wurde der Beklagten am alsbald durch die
Geschäftsstelle des Landgerichts Mannheim übermittelt. Aufgrund mündlicher
Verhandlung
vom
29. Juli 2008
wies
das
Landgericht
Mannheim
die
Verletzungsklage mit rechtskräftigem Urteil vom 26. August 2008 ab.
II.
1.
Nachdem die Parteien nur noch widerstreitende Anträge zur Kostentragung
stellen, ist von einer übereinstimmenden Erledigterklärung gemäß § 99 Abs. 1
PatG i. V. m. § 91a ZPO auszugehen. Hierzu bedarf es keiner ausdrücklichen
Erklärung (BGH, NJW-R 1991, 1211 m. w. N.). Infolgedessen ist der Rechtsstreit
in der Hauptsache erledigt und es ist nur noch über die Kosten zu befinden (BGH
GRUR 1984, 339).
2.
Gemäß §§ 84 Abs. 2, 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91a ZPO ist diese
Entscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes
nach billigem Ermessen zu treffen, wobei der auch im Nichtigkeitsverfahren
anzuwendende Rechtsgedanke des § 93 ZPO zu berücksichtigen ist (vgl.
Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 91a Rdnr. 48; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl.,
§ 81 Rdnr. 37).
Die Beklagte hat den Klageanspruch anerkannt. Auch wenn ein Anerkenntnis im
Sinne von § 307 ZPO im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens unmittelbar nicht
möglich ist, entspricht doch der vollständige Verzicht auf ein Patent und auf die
daraus erwachsene Rechtsposition innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist
des § 82 Abs. 1 PatG einem sofortigen Anerkenntnis i: S: v: § 93 ZPO (vgl.
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Benkard/Rogge, a. a. O., § 81 Rdnr. 37 m. w. N.; BPatGE 22, 33, 34), wobei,
abweichend von § 20 Abs. 1 Nr. 1 PatG, die fristgemäße Erklärung gegenüber
dem Gericht ausreicht (BPatGE 22, 290, 293). So ist die Äußerung der Beklagten,
sie erkenne den Anspruch auf Nichtigerklärung des deutschen Teils des
Streitpatents in vollem Umfang an, der Auslegung zugänglich und als Verzicht auf
das Streitpatent anzusehen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits sind gemäß § 99 PatG i. V. m. §§ 91a, 91 Abs. 1
ZPO der Beklagten aufzuerlegen weil sie sich durch ihre Verzichtserklärung in die
Rolle des Unterlegenen begeben und gleichzeitig Anlass zur Erhebung der Klage
geboten hat.
Ein Patentinhaber gibt Anlass zur Klage, wenn der spätere Nichtigkeitskläger ihn
unter substantiierter Angabe der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe und mit
angemessener Fristsetzung erfolglos zum Verzicht auf das Schutzrecht
aufgefordert hat. Eine solche vorherige Abmahnung ist nur entbehrlich, wenn der
Patentinhaber durch sein Verhalten unmissverständlich zu erkennen gegeben hat,
dass eine Abmahnung nichts fruchten werde. (vgl. Benkard/Rogge a. a. O.
Rdnr. 38).
Es wird unter Berufung auf einen Beschluss des Bundespatentgerichts
(2 Ni 28/86) die Auffassung vertreten, eine Abmahnung sei immer schon dann
entbehrlich, wenn der Patentinhaber - wie hier - den (späteren) Nichtigkeitskläger
wegen Patentverletzung verklagt hat .(Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. § 84
Rdnr. 20; Schulte, PatG, 8. Aufl. § 84 Rdnr. 38).
Der 2. Senat geht in solchen Fällen grundsätzlich davon aus, dass der
Verletzungsbeklagte nicht mehr damit rechnen könne, dass der Patentinhaber
während des Verletzungsverfahrens auf eine Abmahnung hin auf sein Schutzrecht
für Vergangenheit und Zukunft verzichte und die Verletzungsklage zurücknehme.
Dieser Beurteilung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen (desgl.
Benkard/Rogge a. a. O.).
Dabei werden nämlich die Besonderheiten des Verletzungsverfahrens nicht
hinreichend berücksichtigt, und zudem wird dem Patentinhaber ohne Nachweis im
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Einzelfall unterstellt, ihm fehle der Wille oder die Kompetenz, auf eine spezifizierte
Abmahnung hin besonnen zu reagieren.
Es trifft zwar zu, dass ein Verletzungskläger damit rechnen muss, dass der
Verletzungsbeklagte mit einer Nichtigkeitsklage auf die Verletzungsklage reagiert,
denn dies ist regelmäßig der Fall.
Im Verletzungsverfahren wird von der Rechtsbeständigkeit des eingetragenen
Patents ausgegangen. Dieses Verfahren kennt keinen Einwand der Nichtigkeit des
Streitpatents. Gegenstand des Verletzungsverfahrens ist daher nur die Frage, ob
der Beklagte von der patentierten Erfindung rechtswidrig Gebrauch macht oder
nicht.
Der Patentinhaber ist daher nicht verpflichtet, vor Erhebung der Verletzungsklage
aus eigenem Antrieb sein Patent auf Patentfähigkeit zu überprüfen; vielmehr darf
er in diesem Verfahren auf die Rechtsbeständigkeit seines Schutzrechts
vertrauen.
Wird der Patentinhaber im Verletzungsprozess spezifiziert abgemahnt, so wird er
den Angriff prüfen müssen. Erscheint ihm dieser begründet, wird die Vernunft
schon
aus
Kostengründen
gebieten,
dass
er
sich
entschließt,
den
Verletzungsbeklagten von Ansprüchen aus dem Patent frei zustellen, die
Verletzungsklage zurückzunehmen oder auf eine Einigung hinwirken. Eine
Nichtigkeitsklage ohne Vorwarnung stellt daher in der Regel einen Klageüberfall
dar.
Ein solcher Überfall ist hier nicht erfolgt.
Die Nichtigkeitsklägerin hat die Patentinhaberin spezifiziert vor Erhebung der
Nichtigkeitsklage zum Verzicht auf das Streitpatent aufgefordert. Die Zusendung
der vorbereiteten Klageschrift am 3. Juli 2008 im Laufe des Verletzungsverfahrens
konnte die Patentinhaberin nur als Aufforderung verstehen, die mangelnde
Patentfähigkeit „anzuerkennen“ und die Verletzungsklage noch vor der
mündlichen Verhandlung am 29. Juli 2008 zurück zu nehmen.
Unter den gegeben Umständen war die Frist zur Prüfung der Klageschrift
angemessen.
Die
Nichtigkeitsklägerin
durfte
erwarten,
dass
sich
die
Patentinhaberin so rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung rühre, dass diese
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noch hätte abgesagt werden können. Das Schweigen der Patentinhaberin konnte
die Nichtigkeitsklägerin nur als Weigerung des Verzichts auf die Rechte aus dem
Patent verstehen. Tatsächlich hat die Patentinhabern auch noch in der mündlichen
Verhandlung auf einer Entscheidung bestanden und es damit abgelehnt, der
Aufforderung zum Verzicht Folge zu leisten. Dies geschah erst nach Zustellung
der Nichtigkeitsklage am 6. August 2008 und nach der Urteilsverkündung im
Verletzungsverfahren am 26. August 2008.
Dabei ist es ohne Belang, dass der Verletzungsrechtsstreit nur auf der Grundlage
des Anspruchs 1 des Streitpatents geführt wurde, weil es sich bei Anspruch 2
lediglich um einen abhängigen Unteranspruch handelt.
Winkler
Voit
Rippel
Pr