Urteil des BPatG vom 22.02.2007

BPatG: probe, konzentration, stand der technik, patentanspruch, test, schwangerschaft, diagnose, schwellenwert, erfindung, patentfähigkeit

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
(Aktenzeichen)
3 Ni 44/05 (EU)
URTEIL
Verkündet am
22. Februar 2007
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 0 565 541
(DE 691 28 428)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2007 unter Mitwirkung …
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent 0 565 541 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 30. Dezember 1991 unter Inanspruchnahme der
Priorität der finnischen Patentanmeldung FI 906469 vom 31. Dezember 1990 an-
gemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 565 541 B1 (Streitpatent), das
vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 691 28 428 geführt
wird. Das Streitpatent betrifft nach der deutschen Übersetzung der europäischen
Patentschrift (DE 691 28 428 T2) ein „Diagnostisches Verfahren zum Nachweis
des Zerreißens von fötalen Membranen und Testsatz zur Ausführung des Verfah-
rens“ und umfasst in der erteilten Fassung 13 Patentansprüche. Die nebengeord-
neten Patentansprüche 1 und 8 lauten wie folgt:
- 3 -
„1. Diagnostisches Nachweisverfahren für die Ruptur von fötalen
Membranen, wobei das Verfahren auf der Bestimmung eines
Proteins basiert, das in einer Vaginalsekretprobe vorhanden ist,
dadurch gekennzeichnet, dass das nachzuweisende Protein das
den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor bindende Protein
1
(IGFBP-1) ist, wobei das Vorhandensein von IGFBP-1 aus der
Ruptur von fötalen Membranen resultiert, die in der Probe mit Hilfe
von mindestens einer spezifisch IGFBP-1 bindenden Substanz
nachgewiesen wird, indem man die Testbedingungen so einstellt,
dass ein positives Ergebnis nur dann erzielt wird, wenn die
IGFBP-1 Konzentration in der Probe über dem Schwellenwert von
IGFBP-1 liegt, das aus anderen Quellen als der Amnionflüssigkeit
stammt.
8. Diagnostischer Testkit für die Ruptur von fötalen Membranen
gemäß dem Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
dass der Kit mindestens ein Reagenz mit einer spezifisch binden-
den Substanz für das den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor bin-
dende Protein 1 (IGFBP-1) enthält, zum Nachweis der Anwesen-
heit von IGFBP-1, wobei dieser Kit angepasst wurde, um nur dann
ein positives Signal zu erzeugen, wenn die IGFBP-1 - Konzentra-
tion in einer Vaginalsekretprobe über einem Schwellenwert von
IGFBP-1 liegt, das aus anderen Quellen als aus der Amnionflüs-
sigkeit stammt.“
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar rückbe-
zogenen Patentansprüche 2 bis 7 und der auf Patentanspruch 8 mittelbar oder
unmittelbar rückbezogenen Patentansprüche 9 bis 13 wird auf die Streitpatent-
schrift Bezug genommen.
- 4 -
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil das Patent
die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie
ausführen kann, weiterhin, weil der Gegenstand des Patents über den Inhalt der
Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, und schließlich
deshalb, weil dessen Gegenstand nicht neu sei und nicht auf erfinderischer Tätig-
keit beruhe. Zur Begründung bezieht sie sich u. a. auf folgende Dokumente:
E1
Am. J. Obstet. Gynecol. 144 (1982) 460-463
E2
J. Immunoassay 10 (1989) 325-337
E3
Exp. Clin. Endocrinol. 95 (1990) 105-109 (Februar)
E7 Obstetrics
&
Gynecology 69 (1987) 163-165
E10 Obstetrics & Gynecology, 62 (1983) 414-418
E12 Human Reproduction, 1 (1986) 129-143.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 0 565 541 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent
für patentfähig.
- 5 -
Zur Begründung ihres Vorbringens stützt sie sich auf folgende Dokumente:
E4
Frauenarzt 41 (2000) 271-272
E5 Clinica
Chimica
Acta 214 (1993) 73-81
E11 DE 38 53 940 T4, berichtigte Übersetzung der EP 0 316 919 B1.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit führt zur
Nichtigerklärung des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138
Abs. 1 lit a EPÜ).
I.
1.
europäischen Patentschrift (DE 691 28 428 T2; S. 1, Abs. 1 bis S. 2, Abs. 4) ein
diagnostisches Nachweisverfahren für die Ruptur von fötalen Membranen, wobei
das Verfahren auf der Bestimmung eines Proteins basiert, das in einer Vaginal-
sekretprobe vorhanden ist, und einen Testkit zur Diagnose der Ruptur von fötalen
Membranen. Danach bezeichnet der Ausdruck „vorzeitige Ruptur von fötalen
Membranen“ (PROM) die spontane Ruptur der Membranen mindestens
24 Stunden vor dem Einsetzen von Wehen zum errechneten Termin oder bei einer
Fehlgeburt. Sie tritt in etwa 5 bis 10 % der Geburten auf und ist die Ursache von
etwa 10 % perinataler Todesfälle. Etwa 30 bis 50 % der vorzeitigen Rupturen der
Membranen treten ein, wenn die Schwangerschaftsdauer weniger als 37 Wochen
beträgt und somit noch nicht termingerecht ist. Hier ist die Diagnose extrem wich-
tig, weil die Ruptur von Membranen mit einem signifikant erhöhten Risiko einer in-
- 6 -
trauterinen Infektion verbunden ist. Das Risiko einer Infektion ist um so größer, je
mehr Zeit zwischen der Ruptur der Membranen und der Geburt verstrichen ist.
In Ermangelung eines definitiven Verfahrens seien mehrere nicht zufriedenstel-
lende Verfahren, die Anwesenheit von Amnionflüssigkeit in der Vagina nachzu-
weisen, entwickelt und angewendet worden, darunter auch Tests auf Verbindun-
gen, deren Konzentration in der Amnionflüssigkeit hoch ist verglichen mit der Kon-
zentration dieser Verbindungen in anderen Sekreten, die möglicherweise in der
Vagina vorhanden sein könnten. Als derartige Verbindungen seien alpha-Fe-
toprotein (AFP) und Prolactin beschrieben worden. Obwohl deren Konzentration in
der Amnionflüssigkeit eindeutig höher sei als im Blut einer schwangeren Frau, sei
es schwierig, die Anwesenheit einer kleinen Menge Amnionflüssigkeit anhand der
Bestimmung dieser Verbindungen dann nachzuweisen, wenn die Vaginalflüssig-
keitsprobe Blut enthalte.
Folglich sei es offensichtlich, dass eine Notwendigkeit zur Entwicklung eines ein-
fachen und zuverlässigen diagnostischen Verfahrens zum Nachweis der Ruptur
von fötalen Membranen bestehe. In der Situation, in der der Test durchgeführt
werde, sei es extrem wichtig, das Testergebnis rasch zu erhalten.
2.
(DE 691 28 418 T2; S. 2 vorle. Abs. bis S. 3, Abs. 1), ein neues und verbessertes
Verfahren zum Nachweis der Ruptur von fötalen Membranen bereitzustellen, wo-
bei das Verfahren für die zu messende Substanz unabhängig von individuellen
Variationen bei den Patientinnen spezifisch ist. Aufgabe der Erfindung ist auch die
Bereitstellung eines Verfahrens, das rasch und einfach durchgeführt werden kann,
während die Patientin wartet. Eine Aufgabe der Erfindung ist weiterhin die Ent-
wicklung eines Testkits, der sich für eine solche Diagnose eignet, wobei der Kit die
Mittel zur Durchführung eines einfachen und raschen Diagnoseverfahrens enthält.
3.
1)
Diagnostisches Verfahren zum Nachweis der Ruptur fötaler Membra-
nen
- 7 -
2)
durch Bestimmung eines Proteins
2.1) das in einer Probe von Vaginalsekret vorhanden ist
3)
das zu bestimmende Protein ist IGFBP-1
3.1) dessen Anwesenheit aus der Ruptur fötaler Membranen herrührt
4)
Bestimmung in der Probe mittels einer für IGFBP-1 spezifischen Bin-
dungssubstanz
5) Einstellung der Testbedingungen derart, dass sich ein positives
Ergebnis nur dann ergibt, wenn die Konzentration von IGFBP-1 in der
Probe über einem Schwellenwert von IGFBP-1 in anderen Quellen als
Amnion ist.
Weiterhin wird die Aufgabe gemäß Patentanspruch 8 gelöst durch einen
A)
Diagnostischen
Testkit
A.1) zur Diagnose der Ruptur fötaler Membranen gemäß Anspruch 1
enthaltend
B) wenigstens ein Reagenz enthaltend eine für IGFBP-1 spezifische
Bindungssubstanz
C) Testkit ist adaptiert auf die Bedingungen des Merkmals 5 des An-
spruchs 1.
II.
Der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 13 erweist sich als nicht patentfähig,
da er gegenüber dem Inhalt der Druckschrift E7 in Verbindung mit dem Inhalt der
Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
- 8 -
1.
der unzulässigen Erweiterung in dem Merkmal 5 des Patentanspruchs 1 sowie in
dem Merkmal C des Patentanspruchs 8 (vgl. Schrifts. v. 21. Juli 2005 S. 2 bis 7
Punkte III und IV) ist Folgendes festzustellen.
Zwar findet sich das sowohl in der deutschen Fassung wie auch der maßgeblichen
englischen Fassung des erteilten Patentanspruchs 1 enthalte Merkmal 5 „by ad-
justing the test conditions so that a positive result appears only…“ in einem Wort-
laut über die Fassung der ursprünglichen Patentansprüche 1 und 8 noch in der
konkret offenbarten Ausführungsform des Einstellens des Verhältnisses der
Menge an spezifischer Bindungssubstanz zur Menge des zu bestimmenden Pro-
teins (vgl. WO 92/12426 A1 S. 21 Anspr. 1 und 2 sowie S. 3 le. Abs. „In the me-
thod according to the invention, the ratio of the amount of the specific binding sub-
stance to the amount of the protein to be determined is so adjusted that…“). Der
Beklagten ist aber insofern beizutreten, als eine demgegenüber etwas breitere
Offenbarung aus der Textstelle der Beschreibung „..Therefore, the test can be so
designed that other sources of IGFBP-1 than amniotic fluid cannot cause false po-
sitive results in the test conditions used.“ (vgl. WO 92/12426 A1 S. 10 Z. 5 bis 7)
zu entnehmen und daraus die erteilte Fassung ohne weiteres herzuleiten ist.
Im Übrigen sind für den diagnostisch und damit biochemisch analytisch tätigen
Fachmann, der hier ein mit der Entwicklung von diagnostischen Tests befasster
und vertrauter Biochemiker, Chemiker oder Mediziner mit einem Ausbildungs-
schwerpunkt in klinischer Chemie ist, sowohl die angegriffenen merkmalsgemä-
ßen Maßgaben als auch die zu deren Offenbarungsnachweis herangezogenen
Stellen der Beschreibung ohnehin selbstverständlich. Denn es handelt sich dabei
um übliche Arbeitsweisen zur Durchführung eines Immuntests, z. B. um die Ab-
stimmung bzw. Anpassung der Konzentrationen von Reagenz und Probe sowie
um die Berücksichtigung von Schwellenwerten und von Nebenreaktionen, und
damit um routinemäßig wiederkehrende Tätigkeiten, die zum Basiswissen eines
Fachmanns gehören, sodass diesbezügliche Ausführungen in der Beschreibung
entbehrlich sind, ohne dadurch die Offenbarung der eigentlichen Lehre der Erfin-
dung in Frage zu stellen.
- 9 -
Entsprechendes gilt für das Merkmal C eines Testkits gemäß Patentanspruch 8.
2.
chen formulierten Lehre anbelangt (vgl. Schrifts v. 21. Juli 2005 S. 8 bis 10
Punkte VI und VII), so vermag das diesbezügliche Vorbringen nicht zu überzeu-
gen. Denn die Beispiele 1 bis 3 des Streitpatents belegen die Ausführbarkeit des
beanspruchten diagnostischen Verfahrens mittels Anti-IGFBP-1-Antikörpern als
IGFBP-1 bindendem spezifischen Reagenz, einem Markerenzym sowie einer ge-
gebenenfalls zu verdünnenden und damit an geeignete Testbedingungen anzu-
passenden Probe aus Amnionflüssigkeit, wobei die Testbedingungen derart ein-
zustellen sind, dass keine Sättigung eintritt und dass solche Messergebnisse dis-
kriminiert werden, die sich bei IGFBP-1-Konzentrationen einstellen, wie sie in an-
deren Körperflüssigkeiten als Amnionflüssigkeit, beispielsweise im Serum, vor-
kommen und die weit unter denjenigen bei hoher Verdünnung in Amnionflüssigkeit
gemessenen Werten liegen (vgl. DE 691 28 428 T2 S. 15 Tabelle). Damit sind je-
denfalls die Erfordernisse gemäß der „Taxol“-Entscheidung (BGH
GRUR 2001, 813) erfüllt, wonach für die Ausführbarkeit bereits ein (einziger) zum
Ziel führender offenbarter Weg genügt. Die Ausführbarkeit über den gesamten
durch den Anspruchswortlaut definierten Bereich, wie von der Klägerin bemängelt,
ist deshalb ebenso wenig zu fordern wie die Aufnahme von Merkmalen betreffend
übliche Arbeitsweisen zum Nachweis der Bindungsreaktion zwischen Reagenz
und Probe.
3.
über der Lehre der Druckschrift E1 in Abrede gestellt hat (vgl. Schrifts. v.
21. Juli 2005 S. 13 Abs. 5 bis S. 17 Abs. 1), kann eine Entscheidung darüber da-
hinstehen, da es für den Fachmann unter Berücksichtigung der Aufgabe und in
Kenntnis des Inhalts der Druckschriften E7 und E1 jedenfalls keines erfinderischen
Zutuns bedarf, um zu einem diagnostischen Verfahren oder zu einem Testkit mit
den Merkmalen gemäß Patentansprüchen 1 bis 13 des Streitpatents zu gelangen.
- 10 -
a)
patents auszugehen, die darin bestehen soll, ein neues und verbessertes Verfah-
ren zum Nachweis der Ruptur von fötalen Membranen bereitzustellen, wobei das
Verfahren für die zu messende Substanz unabhängig von individuellen Variatio-
nen bei den Patientinnen spezifisch ist, weiterhin die Bereitstellung eines Verfah-
rens, das rasch und einfach durchgeführt werden kann, während die Patientin
wartet, und schließlich die Entwicklung eines Testkits, der sich für eine solche Di-
agnose eignet, wobei der Kit die Mittel zur Durchführung eines einfachen und ra-
schen Diagnoseverfahrens enthält (vgl. DE 691 28 428 T2 S. 2 vorle. Abs. bis S. 3
Abs. 1).
Die Lösung dieser Aufgabe mit einem diagnostischen Verfahren gemäß Patentan-
spruch 1 mit den Merkmalen 1 bis 5 gemäß vorstehender Merkmalsanalyse, wobei
es sich bei dem zu bestimmenden Protein um das „Insulin-like Growth Factor Bin-
ding Protein“ (IGFBP-1) handelt, war für den Fachmann ausgehend von der
Druckschrift E7 naheliegend.
Unter dem Gesichtspunkt der zugrunde liegenden Aufgabe ist die gegenüber dem
Streitpatent vorveröffentlichte Druckschrift
E7 (die im Verletzungsverfahren
4a O 331/03 (vgl. E6) noch nicht berücksichtigt worden war) schon deshalb als
Ausgangspunkt zu erachten, weil darin eine zeitsparende Möglichkeit zur Diag-
nose des vorzeitigen Blasensprungs mittels monoklonaler Antikörper und damit
ebenso wie gemäß der bevorzugten Ausführungsform des Streitpatents mittels ei-
nes Immuntests beschrieben ist.
b)
lung eines vorzeitigen Blasensprungs mittels monoklonaler, für alpha-Fetoprotein
(AFP) spezifischer Antikörper, wobei als Probe Vaginalsekret bzw. die im Vaginal-
sekret gegebenenfalls vorhandene Amnionflüssigkeit untersucht wurde (vgl. E7
Titel i. V. m. S. 163 li. Sp. Abs. 2 bis re. Sp. Abs. 1; S. 164 li. Sp. Abs. 4 und 5),
und damit ein diagnostisches Verfahren mit den Merkmalen 1, 2 und 2.1 gemäß
vorstehender Merkmalsanalyse. Dabei wird die Konzentration der beteiligten Rea-
genzien so gewählt, dass eine Farbreaktion erst dann eintreten und damit ein vor-
- 11 -
zeitiger Blasensprung nur dann diagnostiziert werden kann, wenn die Konzentra-
tion von AFP einen gewissen Schwellenwert übersteigt, sodass eine positive Re-
aktion aufgrund anderer Bestandteile des zu untersuchenden biologischen Materi-
als, z. B. durch vorhandenes Blut oder anderer Körperflüssigkeiten, diskriminiert
wird (vgl. E7 S. 164 li. Sp. vollst. Abs. 3 sowie S. 165 li. Sp. vollst. Abs. 4). Aus der
E7 ist somit auch eine Vorgehensweise entsprechend dem Merkmal 5 zu entneh-
men.
Dem Einfluss solcher Störfaktoren Rechnung tragend und zur Vermeidung des
Messens sogenannter „Hausnummern“ wird ein analytisch erfahrener Fachmann
eine derartige Vorgehensweise ohnehin routinemäßig zu berücksichtigen haben,
sodass sich deren druckschriftliche Abhandlung, wie in der E7 geschehen, eigent-
lich erübrigt.
Die streitpatentgemäße Lehre unterscheidet sich demnach von der Lehre der E7
bezüglich der Merkmale 3, 3.1 sowie 4 lediglich in der Wahl von IGFBP-1 als dem
in einer Probe von Vaginalsekret anstelle von AFP zu bestimmenden Protein, wo-
bei gemäß dem Streitpatent - in Analogie zu der in E7 mit AFP als Zielprotein be-
schriebenen Arbeitsweise - das „Insulin-like Growth Factor Binding Protein“
(IGFBP-1) anhand der Reaktion mit einer IGFBP-1 spezifischen Bindungssub-
stanz bestimmt wird.
In einer solchen gegenüber der Druckschrift E7 lediglich durch die Wahl von
IGFBP-1 anstelle von AFP geänderten Arbeitsweise ist indessen kein erfinderi-
sches Zutun zu erkennen, weil dem Fachmann bereits vor dem Prioritätstag be-
kannt gewesen war, dass IGFBP-1 in sehr viel höheren Konzentrationen in Amni-
onflüssigkeit als in anderen Körperflüssigkeiten vorkommt (vgl. E1). Denn in der
Druckschrift E1, die einen Radioimmuntest zur Bestimmung von Plazentapro-
tein 12 (PP12) in verschiedenen Körperflüssigkeiten von gesunden Erwachsenen
während der Schwangerschaft sowie bei Patienten mit Trophoblasten-Krankheit
beschreibt, wird insbesondere herausgestellt, dass die Konzentration des mit
IGFBP-1 identischen Plazentaproteins PP12 in Amnionflüssigkeit um den Fak-
tor 100 bis 1000 höher ist als im Serum während der Schwangerschaft sowie un-
- 12 -
mittelbar vor der Geburt oder auch im Nabelschnurblut (vgl. E1 Tab. I i. V. m.
Fig. 2 sowie S. 462 re. Sp. Abs. 2 und 3).
Unter Berücksichtigung der Aufgabenstellung wird der Fachmann ausgehend von
der Lehre der Druckschrift E7 bei seiner Suche nach einer anderen Substanz, de-
ren Bestimmung in Amnionflüssigkeit eine rasche und sichere Diagnose eines
vorzeitigen Blasensprungs zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Schwangerschaft
ermöglichen könnte, zwangsläufig auf die Druckschrift E1 stoßen. Eine besondere
Anregung zur Verwendung von IGFBP-1 als diagnostischem Marker zur Feststel-
lung eines vorzeitigen Blasensprungs ergibt sich für den Fachmann aus der E1
bereits unmittelbar wegen der gegenüber Serum drastisch erhöhten Konzentration
von IGFBP-1 in Amnionflüssigkeit, und weiterhin auch dadurch, dass in dieser
Druckschrift auf die besondere Eignung der Messwerte von PP12 bzw. IGFBP-1
bei einem anormalem Verlauf der Schwangerschaft, der, wie ihm bekannt ist, in
den meisten Fällen mit einer vorzeitigen Ruptur fötaler Membranen einhergeht,
ausdrücklich hingewiesen wird (vgl. E1 S. 460 Zusammenfassung, le. Satz). Sei-
nen Blick wird der Fachmann aber auch schon deshalb nicht von PP12 bzw.
IGFBP-1 als Markersubstanz abwenden können, weil die Empfindlichkeit und da-
mit die Störanfälligkeit eines entsprechenden Tests, beispielsweise durch die An-
wesenheit von Blut in Vaginalproben, gerade wegen der gegenüber anderen Kör-
perflüssigkeiten wie Blut etwa 100 bis 1000-fach höheren Konzentration in Amni-
onflüssigkeit und der damit einhergehenden hohen Verdünnbarkeit deutlich gerin-
ger ist.
Patentspruch 1 hat somit wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit keinen Be-
stand. Gleiches gilt für einen diagnostischen Testkit gemäß Patentanspruch 8, der
gegenüber dem diagnostischen Verfahren gemäß Patentanspruch 1 keine zusätz-
lichen Merkmale aufweist.
c)
deshalb nicht in Betracht gezogen, weil diese ausweislich ihres Titels auf die Be-
stimmung von Plazentaprotein PP12 bei „trophoblastic disease“ und damit zur
- 13 -
Feststellung einer gegenüber der vorzeitigen Ruptur fötaler Membranen gänzlich
anderen Schwangerschaftskomplikation abstelle, kann der Senat schon deshalb
nicht beitreten, weil bereits aus der Zusammenfassung hervorgeht, dass PP12 ge-
rade kein geeigneter Marker für „trophoblastic disease“ sei (vgl. E1 S. 460 Zu-
sammenfassung, vorle. Satz). Darüber hinaus wird er gleich im daran anschlie-
ßenden Satz und damit bereits in der Zusammenfassung auf die Bedeutung der
Bestimmung von PP12 Werten bei anormaler Schwangerschaft gegenüber den
PP12 Werten bei normaler Schwangerschaft hingewiesen, was ihn im Hinblick auf
die im Fokus dieser Arbeit stehende Erkenntnis einer gegenüber Serum drastisch
erhöhten PP12-Konzentration in Amnionflüssigkeit unmittelbar auf die diagnosti-
sche Relevanz bei Ruptur fötaler Membranen bzw. bei vorzeitigem Blasensprung
aufmerksam macht.
Der weitere Einwand, dass die Druckschrift E1 mangels eines spezifischen Hin-
weises nicht die Untersuchung einer Probe von Vaginalsekret beschreibe, führt zu
keiner anderen Bewertung. Denn wo sonst lässt sich das Austreten von Amni-
onflüssigkeit und damit ein vorzeitiger Blasensprung bzw. eine vorzeitige Ruptur
fötaler Membranen mittelbar und am schnellsten feststellen, wenn nicht in einer
Probe von Vaginalsekret. Im Übrigen ist eine solche Vorgehensweise bereits aus
der E7 zu entnehmen (vgl. E7 z. B. S. 164 li. Sp. vollst. Abs. 3 Satz 1).
Auch das Vorbringen der Beklagten, von dem Auffinden des Plazentaproteins
PP12 bzw. von IGFBP-1 im Jahr 1980 bis zum Prioritätstag des Streitpatents sei
eine beträchtliche Zeit vergangen, und insbesondere das Problem mangelnder
Stabilität, hierzu verweist die Beklagte auf E2 S. 333 le. Abs bis S 334 Abs. 1, so-
wie die unbekannte Selektivität habe den Fachmann davon abgehalten, PP12
bzw. IGFBP-1 als Markerprotein in Erwägung zu ziehen, greift nicht.
Die Stabilität von PP12 bzw. von IGFBP-1 ist jedenfalls derart ausreichend, dass
dessen Konzentration in Amnionflüssigkeit von Patientinnen gemäß E1 offenbar
problemlos bestimmt werden kann. Zudem ist dieses Protein im Handel erhältlich,
wobei es ohne weiteres aus einem löslichen Plazentaextrakt gereinigt werden
kann (vgl. E1 S. 461 re. Sp. Abs. 2 Z. 1; E2 S. 326 Abs. 2 Z. 1 bis 3). Schließlich
- 14 -
bezieht sich die Textstelle der E2 (vgl. E2 S. 333 le. Abs bis S. 334 Abs. 1), auf die
die Beklagte ihre Ausführungen zur mangelnden Stabilität des weiteren gestützt
hat, auf gereinigtes IGFBP-1 bzw. PP12 im konventionellen Radioimmunassay in
iodierter Form bei längerer Lagerung und damit auf Bedingungen, die bei der Be-
stimmung aus Amnionflüssigkeit mittels monoklonaler Antikörper jedenfalls nicht
auftreten.
Aus dem vorgebrachten Stand der Technik geht nach Ansicht des Senats auch
nichts hervor, was gegen eine für einen diagnostischen Test ausreichende Selek-
tivität von PP12 bzw. von IGFBP-1 spricht. Aber selbst wenn, wie die Beklagte in
der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, mögliche Störfaktoren bei der
Durchführung eines solchen Tests mit Vaginalsekret und damit in einer Körper-
flüssigkeit unterschiedlichster Zusammensetzung als Probe noch nicht bekannt
sind, weil die Bestimmungen gemäß E1 nur an Amnionflüssigkeit selbst, aber nicht
an Vaginalsekret vorgenommen wurden, wird ein Fachmann seinen Blick nicht von
der E1 und damit von PP12 bzw. von IGFBP-1 als geeigneter Markersubstanz
abwenden können, und zwar einzig und allein schon wegen der augenfälligen
Konzentrationsunterschiede zwischen Amnionflüssigkeit und Serum. Diese Kon-
zentrationsunterschiede sind, für einen Fachmann ohne weiteres erkennbar, in
erster Linie ausschlaggebend für die Eignung als diagnostischer Marker. Poten-
tielle Schwierigkeiten wie unerwünschte Kreuzreaktionen werden den Fachmann
nicht davon abhalten können, den ansonsten bereits in der E1 vorbeschriebenen
Test auch auf Vaginalsekret anzuwenden.
Desweiteren ist in den etwa zehn Jahren, die zwischen der erstmaligen Beschrei-
bung von PP12 bzw. IGFBP-1 und der Priorität des Streitpatents vergehen muss-
ten (vgl. E1 S. 460 li. Sp. Abs. 1 i. V. m. Literaturstelle 1), nicht eine derart lange
Zeitspanne und damit auch kein Zeitfaktor als Anzeichen für erfinderische Tätig-
keit zu erkennen, der ein Außerachtlassen rein sachlicher Erwägungen bei der
Bewertung der erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen könnte. Gerade die E1 selbst
ist Beleg dafür, dass bereits innerhalb von etwa zwei Jahren nach Entdeckung von
PP12 bzw. IGFBP-1 ein ausreichend spezifischer Test zur Verfügung gestanden
hat, der nicht nur dessen Bestimmung in verschiedenen Körperflüssigkeiten unter
rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten ermöglicht hat, sondern der ausweislich
- 15 -
der Ausführungen in der Zusammenfassung bereits auch als Basis für eine Be-
stimmung bei anormaler Schwangerschaft und damit in der Praxis in Erwägung
gezogen wurde. Dass nach der E1 weitere acht Jahre bis zur prioritätsbegründen-
den Anmeldung des Streitpatents vergangen sind, mag auf andere Ursachen zu-
rückzuführen sein und vermag jedenfalls die Patentfähigkeit nicht zu begründen.
d)
scher Testkit, das bzw. der durch Merkmale der Unteransprüche 2 bis 7 bzw. 9
bis 13 gekennzeichnet ist.
So ergeben sich die Möglichkeit einer Bestimmung mittels insbesondere monoklo-
naler Antikörper einschließlich bei diagnostischen Tests auf immunologischer Ba-
sis üblicher Markierungssubstanzen, z. B. Farb- oder Radioaktivmarker, und damit
die Merkmale der Unteransprüche 2 bis 4 sowohl bereits aus der E7 (vgl. Titel
i. V. m. S. 164 li. Sp. insbes. Abs. 2 le. Satz und Abs. 4 drittle. Satz) als auch aus
der E1 (vgl. Titel i. V. m. S. 461 re. Sp. Abs. 2 bis S. 462 li. Sp. Abs. 2). Verdün-
nungsmaßnahmen und Überlegungen zur Testempfindlichkeit gemäß den Unter-
ansprüche 5 bis 7 sind für einen Fachmann ohnehin selbstverständlich. Sie erge-
ben sich darüber hinaus auch unmittelbar aus der E7 bzw. der E1 (vgl. E7 S. 165
li. Sp. Abs. 5; vgl. E1 S. 462 li. Sp. Abs. 1). Gleiches gilt für die entsprechenden
Merkmale der Unteransprüche 9 bis 12.
Was den Einsatz trägergebundener Reagenzien anbelangt, so erschließt sich dem
Fachmann eine solche Möglichkeit ebenfalls bereits unmittelbar aus der E7 (vgl.
E7 S. 164 li. Sp. vollst. Abs. 1 „… a polystyrene dipstick coated with purified AFP-
specific monoclonal antibody…“).
4.
schriften nicht eingegangen zu werden.
Den von der Beklagten herangezogenen Druckschriften ist nichts zu entnehmen,
was den Senat hätte zu einer anderen Entscheidung gelangen lassen können.
Dahinstehen konnte auch die in der mündlichen Verhandlung erörterte Frage, ob
und gegebenenfalls inwieweit nicht auch der Inhalt der von der Beklagten einge-
führten Druckschrift E11, die bereits im Prüfungsverfahren vor dem Europäischen
- 16 -
Patentamt berücksichtigt und in dem Urteil 4a O 331/03 des Landgerichts Düssel-
dorf abgehandelt worden ist (vgl. E6 S. 25 Abs. 2 ff.), der Patentfähigkeit des
Gegenstands des Streitpatents wegen der Ausführungen zu PAMG-1 (vgl. E11
S. 2 le. Abs. i. V. m. S. 4 Abs. 2, S. 9 Abs. 2 bis S. 10 Abs. 2, insbes. S. 10 Abs. 2
Z. 7 bis 9, sowie Anspr. 6 i. V. m. Anspr. 9 und 14) in Verbindung mit E12 (vgl.
insbes. S. 130 Table I unten rechts) entgegensteht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
84 Abs. 2 PatG i. V. m. §
91 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §
99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§
709 Satz
1 und Satz
2 ZPO.
gez.
Unterschriften