Urteil des BPatG vom 06.08.2008

BPatG: stand der technik, patentanspruch, breite, bedingung, fig, versetzung, lokal, grenzwert, erfahrung, japan

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
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(Aktenzeichen)
6. August 2008
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 100 11 366.4-27
9 W (pat) 37/05
Verkündet am
Dipl.-Ing. Bülskämper, der Richte-
rin Friehe sowie des Richters Dr.-Ing. Höchst
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 6. August 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Dipl.-Ing. Pontzen, des Richters
- 2 -
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die Patentanmeldung ist unter Inanspruchnahme der Priorität der japanischen
Voranmeldung 11-201640 vom 15. Juli 1999 beim Deutschen Patent- und Mar-
kenamt am 14. März 2000 in englischer Sprache und die deutsche Übersetzung
hierzu mit der Bezeichnung
"Tintenstrahlkopf und Tintenstrahldrucker"
am 24. April 2000 eingegangen. Mit Beschluss vom 3. März 2005 hat die Prü-
fungsstelle für Klasse B 41 J des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmel-
dung auf Grund § 48 PatG zurückgewiesen. Sie hat begründet, dass die bean-
spruchten Gegenstände sich für einen Fachmann in naheliegender Weise aus
dem Stand der Technik ergeben und daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit
beruhen. Die Prüfungsstelle hat ihre Auffassung u. a. auf die Druckschriften
US 5,265,315 A,
JP 5-147213 A (Patent Abstracts of Japan) und
EP 0 884 184 A1
gestützt.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie
führt aus, es gebe das allgemeine Problem, dass ein Tintenstrahlkopf mit durch
- 3 -
Dünnfilmtechnik hergestellten piezoelektrischen Elementen für die Massenproduk-
tion ungeeignet sei. In der vorliegenden Anmeldung werde ein Tintenstrahlkopf
geschaffen, der die Beziehung EV0/ (L2²·b) ≥ 74,4 x 10
6
erfülle, so dass die rela-
tive Kapazität der Düse nicht kleiner als 1 sei. Solch ein Tintenstrahlkopf sei erfin-
derisch gegenüber dem Stand der Technik. Die Druckschrift EP 0 884 184 A1
lehre nicht, wie die verbesserte tolerierbare Spannung des piezoelektrischen Ele-
ments auf das Verbessern der Leistung des Tintenstrahlkopfes angewendet wer-
den kann.
Die Patentanmelderin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben
und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
- Patentansprüche 1 bis 3 vom 30. Juni 2008 eingegangen am
1. Juli 2008;
- Beschreibung Seiten 1 bis 27 vom 24. April 2000;
- Zeichnungen Figuren 1 bis 9 vom 24. April 2000;
hilfsweise:
- Patentansprüche 1 bis 3, als Hilfsantrag überreicht in der
mündlichen Verhandlung;
- Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
Ein Tintenstrahlkopf, umfassend:
eine Druckkammer;
eine Vibrationsplatte; und
ein piezoelektrisches Element, das auf der Vibrationsplatte vorge-
sehen ist und eine Volumenversetzung der Druckkammer verur-
sacht,
wobei das piezoelektrische Element eine Dicke von 20 μm oder
weniger hat, durch eine Dünnfilmtechnik,
- 4 -
wobei die Druckkammer und das piezoelektrische Element die
Beziehungen
EV0/ (L2²·b) ≥ 74,4 x 10
6
V/h2
≥ 3,3 x 10
6
L2
≤ 300 x 10
-6
L1
≤ 330 x 10
-6
erfüllen, wobei E [Pa] einen Youngschen Elastizitätsmodul des
piezoelektrischen Elementes bezeichnet, V0 [m
3
] eine Volumen-
versetzung der Druckkammer bezeichnet, wenn das piezoelektri-
sche Element angetrieben wird, L2 [m] eine Breite des piezo-
elektrischen Elementes bezeichnet, b [m] eine Tiefe der Druck-
kammer bezeichnet, V [V] eine an das piezoelektrische Element
angelegte Spannung bezeichnet, h2 [m] eine Dicke des piezo-
elektrischen Elements bezeichnet, und L1 [m] eine Breite der
Druckkammer bezeichnet.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag lautet:
Ein Tintenstrahlkopf, umfassend:
eine Druckkammer;
eine Vibrationsplatte; und
ein piezoelektrisches Element, das auf der Vibrationsplatte vorge-
sehen ist und eine Volumenversetzung der Druckkammer verur-
sacht,
wobei das piezoelektrische Element eine Dicke von 20 μm oder
weniger hat, durch eine Dünnfilmtechnik,
wobei die Druckkammer und das piezoelektrische Element die
Beziehungen
- 5 -
EV0/ (L2²·b) ≥ 100,5 x 10
6
V/h2
≥ 15,2 x 10
6
L1
≤ 330 x 10
-6
L2
≤ 300 x 10
-6
erfüllen, wobei E [Pa] einen Youngschen Elastizitätsmodul des
piezoelektrischen Elementes bezeichnet, V0 [m
3
] eine Volumen-
versetzung der Druckkammer bezeichnet, wenn das piezoelektri-
sche Element angetrieben wird, L2 [m] eine Breite des piezo-
elektrischen Elementes bezeichnet, b [m] eine Tiefe der Druck-
kammer bezeichnet, V [V] eine an das piezoelektrische Element
angelegte Spannung bezeichnet, h2 [m] eine Dicke des piezo-
elektrischen Elements bezeichnet, und L1 [m] eine Breite der
Druckkammer bezeichnet.
An den jeweiligen Patentanspruch 1 schließen sich die Patentansprüche 2 und 3
mit Rückbezug auf Patentanspruch 1 an.
II.
1. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im Übri-
gen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
2. Es kann dahinstehen, ob die beanspruchten Gegenstände der deutschen
Übersetzung zu den ursprünglich eingereichten Unterlagen, insbesondere den
Patentansprüchen 4 bis 7, der Tabelle nach Figur 9 und der Beschreibung eines
Ausführungsbeispiels auf Seite 23, ab Zeile 18 zu entnehmen sind. Die mit dem
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jeweiligen Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag beanspruchten Ge-
genstände sind nicht patentfähig. Die zweifellos gewerblich anwendbaren Ge-
genstände sind nicht neu bzw. ergeben sich in naheliegender Weise aus dem
Stand der Technik.
3. Fachmann ist hier ein Ingenieur mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung
und Produktion von Tintenstrahlköpfen.
4. Zum
Hauptantrag:
Aus der EP 0 884 184 A1 ist ein Tintenstrahlkopf (ink jet recording head) bekannt,
bei dem in einem Substrat 10 Tintendruckkammern 12 eingearbeitet sind (vgl. Fig.
2a und 2b). Eine über eine Reihe von Tintendruckkammern durchgehende Mem-
bran 50, auf der eine durchgehende Elektrode 60 angebracht ist, wird lokal durch
ein piezoelektrisches Element 70 (PZT) versetzt, wenn das piezoelektrische Ele-
ment mit einer elektrischen Spannung beaufschlagt wird (vgl. S. 4, Z. 17 bis 20
i. V. m. S. 4, Z. 56 bis S. 5, Z. 2). Die Membran 50 und die untere Elektrode 60
bilden eine Vibrationsplatte im Sinne der vorliegenden Anmeldung. Beim Ver-
setzen der Membran tritt zwangsläufig eine Volumenversetzung der Tintendruck-
kammer ein. Zur Herstellung des Tintenstrahlkopfes wird eine Dünnfilmtechnik
eingesetzt (vgl. Zusammenfassung). Dabei wird für das piezoelektrische Element
eine Dicke von ca. 1 μm vorgesehen (vgl. S. 4, Z. 45). Die Breite des piezoelektri-
schen Elements wird mit 60 μm angegeben, Breite und Tiefe der Tintendruck-
kammer mit 75 μm bzw. 2 mm. Die Breite des piezoelektrischen Elements und die
der Tintenkammer liegen somit im beanspruchten Bereich für L2 und L1 (3. und 4.
Bedingung). Auf Seite 7, Zeile 45 ist angegeben, dass die Versetzung durch Anle-
gen einer Spannung von 10 V erfolgen kann. Für das Verhältnis dieser Spannung
zur Dicke des piezoelektrischen Elements (1 μm) ergibt sich somit ein Wert von
10 x 10
6
V/m. Dieser Wert liegt in dem Bereich, der für die 2. Bedingung V/h2 ge-
fordert wird. In der Tabelle 1 auf Seite 7 ist für den Youngschen Elastizitätsmodul
des piezoelektrischen Elements ein Wert von 5 x 10
10
Pa angegeben. Die Volu-
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menversetzung in der Tintendruckkammer ist in der EP 0 884 184 A1 nicht explizit
angeben. Der Fachmann schließt jedoch aus der Angabe für den Bereich des Dü-
sendurchmessers (S. 4, Z. 42) unmittelbar auf ein Tropfenvolumen in der Größen-
ordnung von ca. 100 pl (vgl. ergänzend JP 5-147213 A; US 5,265,315 A, Sp. 1,
Z. 38, aus denen entnehmbar ist, dass derartige Werte bei in Dünnfilmtechnik
hergestellten Tintenstrahlköpfen fachüblich sind). Die Volumenversetzung der Tin-
tendruckkammer muss in derselben Größenordnung liegen, um das entspre-
chende Tintenvolumen aus der Kammer zu verdrängen. Die Tintendruckkammer
ist vollständig gefüllt, die Tinte annähernd inkompressibel und eine Ausweichmög-
lichkeit für die Tinte besteht nur durch die Düse. Mit diesen Werten ergibt sich für
den Spannungsindex EV0/ (L2²·b) (1. Bedingung) ein Wert von ca. 700 x 10
6
Pa.
Somit umfasst der beanspruchte Tintenstrahlkopf auch einen bekannten Tinten-
strahlkopf, der jede der beanspruchten Bedingungen gleichzeitig zumindest
punktuell erfüllt. Patentanspruch 1 ist einseitig auf offene Bereiche gerichtet und
die in Fig. 9 angegebenen Werte für einzelne Ausführungsbeispiele weichen von
dem jeweils einseitig angegebenen Grenzwert erheblich ab. So kann der Span-
nungsindex auch 340 oder 793 x 10
6
Pa, die elektrische Feldstärke 8,3 oder
12,3 x 10
6
V/m, die Breite des piezoelektrischen Elements 80 oder 45 μm und die
Breite der Tintendruckkammer 100 oder 56 μm betragen (vgl. Fig. 9, EMB1 bis
EMB6). Der bekannte Tintenstrahlkopf liegt mit seinen Einzelwerten innerhalb die-
ser beanspruchten Bereiche, so dass der beanspruchte Gegenstand zumindest für
diese Werte nicht mehr neu ist.
Die Anmelderin macht geltend, dass aus dem Tropfenvolumen nicht unmittelbar
auf die Volumenversetzung geschlossen werden könne. Dazu ist anzumerken,
dass für alle Volumenversetzungen der Kammer, die größer als die Tropfengröße
sind, die Beziehung erfüllt ist. Der Spannungsindex wird noch größer. Das System
bestehend aus Tintenkammer, Tintenkanal mit Düse und Versorgungskanal unter-
liegt im Betrieb einem gedämpften Schwingvorgang. Im Verhältnis zum Tropfen-
volumen kleine Volumenversetzungen dürfen nicht zum Ablösen von Tropfen füh-
ren, da nur die erste Schwingung größter Amplitude den gewünschten Tropfen
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liefern soll, um zum Erstellen des Druckbildes beizutragen. Das Ablösen von
Tropfen bei den Nachschwingungen muss durch die Oberflächenspannung der
Tinte verhindert werden. Daher muss die Volumenversetzung auch ein Mindest-
maß aufweisen, das sich nahe an der Tropfengröße orientiert. Im Übrigen wird auf
Seite 7, Zeilen 44, 45 der EP 0 884 184 A1 eine Versetzung des piezoelektrischen
Elementes mit 110 nm quantifiziert. Multipliziert mit den Tintendruckkammernab-
messungen resultiert ein Versetzungsvolumen von 16,6 pl und entsprechend ein
Spannungsindex von ca. 115 x 10
6
Pa. Auch dieser Wert liegt in dem bean-
spruchten Bereich.
5. Zum
Hilfsantrag:
Der Tintenstrahlkopf nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich
von dem nach Patentanspruch 1 des Hautantrags dadurch, dass für den Span-
nungsindex (1. Bedingung) und die elektrische Feldstärke (2. Bedingung) andere,
die Bereiche einengende Grenzwerte angeben werden.
Zu den weiteren Merkmalen des Tintenstrahlkopfes und bzgl. der 1. Bedingung
wird auf die Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen, aus denen sich ergibt,
dass ein Tintenstrahlkopf mit diesen Merkmalen bereits aus der EP 0 884 184 A1
bekannt ist. Werte für die elektrische Feldstärke für das piezoelektrische Element,
die in dem geforderten Bereich des einzigen unterschiedlichen Merkmals liegen,
sind jedoch naheliegend. Aus der EP 0 884 184 A1 ist noch ein weiteres drittes
Ausführungsbeispiel für einen entsprechenden Tintenstrahlkopf bekannt (vgl. S. 8,
Tabelle 3), bei dem die Dicke des piezoelektrischen Elementes mit 0,6 μm ange-
geben wird. Nicht explizit angegeben wird die an das piezoelektrische Element
angelegte Spannung. Der Fachmann wird aber auch in diesem Fall zunächst das
Anlegen einer Spannung von 10 V - wie in den beiden Ausführungsbeispielen da-
vor - in Erwägung ziehen. Das führt zu einem Wert für die elektrische Feldstärke
von 16,6 x 10
6
V/m, der im beanspruchten Bereich liegt. Somit ist die Dimensionie-
rung und der Betrieb von Tintenstrahlköpfen derart, dass die geforderten Bedin-
- 9 -
gungen nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags gemeinsam erfüllt werden, nicht
das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.
Pontzen Bülskämper
Friehe Dr.
Höchst
Cl