Urteil des BPatG vom 06.12.2007

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BUNDESPATENTGERICHT
6 W (pat) 324/07
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
6. Dezember 2007
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 199 25 226
BPatG 154
08.05
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hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf-
grund der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2007 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Lischke und der Richter Guth, Dipl.-Ing. Hildebrandt
und Dipl.-Ing. Ganzenmüller
beschlossen:
Das Patent 199 25 226 wird aufrechterhalten.
G r ü n d e
I.
Gegen das Patent 199 25 226, dessen Erteilung am 10. Oktober 2002 veröffent-
licht wurde, ist am 8. Januar 2003 Einspruch erhoben worden.
Der Einspruch stützt sich auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit
des Patentgegenstandes, wobei sich die Einsprechende ausschließlich auf eine
angebliche offenkundige Vorbenutzung bezieht, nämlich ein Rollo für ein Glasdach
für den Fahrzeugtyp Mercedes SL, welches im Jahr 1996 in einer Stückzahl von
… unter der Artikel-Nummer A 1298100120 von der Einsprechenden an die da-
malige M… AG ausgeliefert worden sei.
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Hierzu werden in Kopie vorgelegt:
-
eine Zusammenbauzeichnung Nr. 13 60 015 00 00 für das
Glasdachrollo,
-
eine Konstruktionszeichnung Nr. 13 60 015 43 00 für einen
Folienstraffer des Glasdachrollos und
-
Rechnung und Lieferschein für die behauptete Auslieferung.
Für die behaupteten Umstände der Vorbenutzung, insbesondere die Überein-
stimmung der ausgelieferten Rollos mit der vorgelegten Zusammenbauzeichnung,
wird Zeugenbeweis angeboten.
Die Einsprechende stellt den Antrag,
das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
das angegriffene Patent aufrecht zu erhalten.
Sie führt aus, dass die behauptete Vorbenutzung nicht geeignet sei, die Patentfä-
higkeit des Gegenstands des geltenden Patentanspruchs 1 in Frage zu stellen.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Die im vorangegangenen Erteilungsverfahren in Betracht gezogenen Druckschrif-
ten
DE 196 03 534 A1,
DE 32 44 880 A1,
DE 297 16 955 U1,
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DE 94 00 757 U1 und
US 57 82 284 A
wurden im Einspruchsverfahren nicht aufgegriffen.
Das Patent betrifft nach dem Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 eine
Rollblendenvorrichtung für ein trapezförmiges Fenster, insbeson-
dere für ein Fahrzeugfenster, mit einer eine Rollblende (1) auf-
nehmenden Wickelwelle (10)
und einer den abgewickelten Teil der Rollblende (1) zur Fenster-
fläche hin umlenkenden und nahe zum Rand der Fensterfläche
angeordneten Umlenkeinrichtung (20),
dadurch gekennzeichnet,
dass die Umlenkeinrichtung (20) stabförmig ausgebildet ist
und dass die Achsen der Wickelwelle (10) und der Umlenkein-
richtung (20) relativ zueinander gekippt angeordnet sind
und somit die Wickelwelle (10) zur Verringerung des Bauraumes
gegenüber der Normalen zur Auszugsrichtung gekippt anordenbar
ist.
Hieran schließen sich rückbezogene Unteransprüche 2 bis 7 an, zu deren Wortlaut
auf die Patentschrift verwiesen wird.
Nach der in Abs. [0006] der Patentschrift angegebenen Aufgabe soll damit eine
einfache und kostengünstige Rollblendenvorrichtung mit verringerten Bauraum-
anforderungen bereitgestellt werden.
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II.
1. Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Ein-
spruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung
zuständig geworden, weil der Einspruch im in dieser Vorschrift genannten Zeit-
raum beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen ist. Gegen die Zu-
ständigkeit des Bundespatentgerichts für das Einspruchsverfahren nach dieser
Vorschrift bestehen weder unter dem Aspekt der Rechtsweggarantie (Art. 19
Abs. 4 GG) noch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1
GG) verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. BGH GRUR
2007, 859, 861
f.
- Informationsübermittlungsverfahren I).
Das Bundespatentgericht ist auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen
Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori, der
u. a. in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO seine gesetzliche Ausprägung gefunden hat, zu-
ständig geblieben (vgl. hierzu auch BPatG GRUR 2007, 499 - Rundsteckverbin-
der; BPatG GRUR 2007, 907 - Gehäuse/perpetuatio fori; BGH GRUR 2007, 862 f.
- Informationsübermittlungsverfahren II).
2. Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist substantiiert auf einen
Widerrufsgrund gem. § 21 PatG gegründet und daher zulässig. Er ist jedoch nicht
erfolgreich, da der Patentgegenstand gegenüber dem angeführten Stand der
Technik patentfähig ist.
3.1 Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1
ist gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu.
Zwar zeigt die zu der behaupteten Vorbenutzung vorgelegte Zusammenbauzeich-
nung Nr. 13 60 015 00 00 eine Rollblendenvorrichtung im Wesentlichen gemäß
dem Oberbegriff des angegriffenen Patentanspruchs 1, bei welcher in Überein-
stimmung mit dem ersten kennzeichnenden Merkmal des Patentanspruchs 1 die
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Umlenkeinrichtung ebenfalls stabförmig ausgebildet ist. Das für die Lösung der
zugrundeliegenden Aufgabe entscheidende Merkmal, nämlich dass die Achsen
der Wickelwelle und der Umlenkeinrichtung relativ zueinander gekippt angeordnet
sind (mit der im darauffolgenden Merkmal beschriebenen Wirkung), ist nach Über-
zeugung des Senats der Zeichnung jedoch nicht entnehmbar.
Die Einsprechende gründet die behauptete Merkmalsübereinstimmung nämlich
lediglich darauf, in der im Maßstab 1 : 1 vorliegenden, im Übrigen unbemaßten
Zeichnung ließe sich „mit Hilfe eines Lineals nachmessen, dass der Abstand zwi-
schen dem (der Umlenkeinrichtung entsprechenden) Folienstraffer 8 am außenlie-
genden Ende der Wickelwelle gegenüber der Achse der Wickelwelle um ca. 1 mm
größer ist als am innenliegenden Ende“. Daher seien auch dort die Achsen der
Wickelwelle und der Umlenkeinrichtung relativ zueinander gekippt angeordnet.
Dies hält der Senat, der sich in der mündlichen Verhandlung durch wiederholtes
Nachmessen an der besagten Zeichnung von dem Sachverhalt überzeugen
konnte, schon deswegen für nicht relevant, weil eine Maßabweichung in dieser
Größenordnung (ca. 1 mm) relativ zur Längenabmessung der betreffenden Teile
(etwa 50 cm), also im Bereich von 2 Promille, weder in der Zeichnung noch bei
dem angeblich vorbenutzten Gegenstand mit aussagekräftiger Sicherheit nach-
messbar ist. Bei einer derartigen, mit bloßem Auge nicht wahrnehmbaren Maßab-
weichung hätte der interessierte Fachmann im Übrigen auch gar keine Veranlas-
sung, gerade an der bezeichneten Stelle zu messen, es sei denn in Kenntnis des
Patentgegenstandes, was eine unzulässige ex-post-Betrachtung darstellt. Auch
fehlt hierzu jeglicher anderweitige Hinweis auf der Zeichnung, wie eine schriftliche
Anweisung zu einer besonderen Ausrichtung der Komponenten beim Einbau
o. dgl.
Die Neuheit des Patentgegenstandes bezüglich der im Erteilungsverfahren in Be-
tracht gezogenen Druckschriften wurde von der Einsprechenden nicht angezwei-
felt.
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3.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
Bezüglich der behaupteten Vorbenutzung folgt dies schon daraus, dass das für die
patentierte Lehre entscheidende Merkmal der relativ zueinander gekippt angeord-
neten Achsen von Wickelwelle und Umlenkeinrichtung der vorgelegten Zeichnung
nicht entnehmbar ist (vgl. oben zur Neuheit). Somit konnte von dieser Zeichnung
bzw. dem darin dargestellten Gegenstand auch keine Anregung für eine erfinderi-
sche Weiterentwicklung in diese Richtung ausgehen.
Der Begriff „trapezförmig“ im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 umfasst in seiner
allgemeinen Auslegung auch eine rechteckige Fläche. Dass eine solche im Fall
des vorliegenden Streitpatents jedoch nicht gemeint sein kann, ist u. a. den Absät-
zen [0003] und [0004] des Streitpatents entnehmbar. Vielmehr soll mit der bean-
spruchten Verdunkelungseinrichtung Material im Wesentlichen planparallel zu der
abzudeckenden Fläche, die von einer Rechteckform abweicht, ausgegeben wer-
den.
Bereits durch diese Aufgabenstellung hätte ein hier tätiger Fachmann keinerlei
Veranlassung gesehen, im von der Einsprechenden vorgelegten Plan vorhandene
Achsabstände zu überprüfen. Wie von der Einsprechenden in der mündlichen
Verhandlung vorgetragen, dient beim angeblich vorbenutzten Gegenstand die
spezielle Anordnung der Walzen zueinander nämlich nicht zur Egalisierung einer
Trapezform sondern allein zum Ausgleich der vorhandenen Dachausbauchung.
Damit wird erkennbar ein Zweck verfolgt, der beim Streitpatent nicht angestrebt
ist.
Da auch im Weiteren, im Zuge des Erteilungsverfahrens berücksichtigten Stand
der Technik der Aspekt der gegenseitigen räumlichen Anordnung von Wickelwelle
und Umlenkeinrichtung keine Rolle spielt, konnte auch dieser - weder aus einer
Druckschrift für sich noch in Verbindung mit (einem der) anderen Dokumente(n) -
den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht nahelegen.
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4. Mit dem sie tragenden Hauptanspruch haben auch die Unteransprüche 2 bis 7
Bestand, da sie auf nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen der bean-
spruchten Vorrichtung gerichtet sind.
Dr. Lischke
Guth
Hildebrandt
Ganzenmüller
Cl