Urteil des BPatG vom 22.05.2000

BPatG: medizinische indikation, verwechslungsgefahr, kennzeichnungskraft, winter, umfrage, patent, behandlung, haus, durchschnitt, abrede

BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 207/99
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
22. Mai 2000
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 395 02 610
BPatG 154
6.70
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hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr. Buchetmann und der Richterinnen Winter und Schwarz-Angele
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Be-
schlüsse der Markenstelle für Klasse
5 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 29.
April
1999 und vom
8. Juni 1998 in der Hauptsache aufgehoben.
Wegen der Gefahr von Verwechslungen mit der Marke
676 042 wird die Löschung der Marke 395 02 610 angeord-
net.
G r ü n d e
I.
In das Markenregister eingetragen ist unter der Rollennummer 395 02 610 das am
23. Januar 1995 angemeldete Wort
ACALAS
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als Kennzeichnung für die Waren
"pharmazeutische Präparate für die Behandlung von Herzer-
krankungen".
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der rangälteren, seit 1955 für die Waren
"Arzneimittel"
eingetragenen Marke 676 042
Adalat.
Die Inhaberin der jüngeren Marke hat die Benutzung der Widerspruchsmarke für
andere als "rezeptpflichtige Herzmittel" bestritten; die Widersprechende hat keine
darüber hinausgehende Benutzung geltend gemacht.
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent(- und Marken)amts hat in
zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, die
Benutzung dahingestellt sein lassen und den Widerspruch mangels Verwechs-
lungsgefahr zurückgewiesen. Begründend ist ausgeführt, auch bei identischen
Waren reiche der schriftbildliche und klangliche Abstand der Marken aus, um
Verwechslungen hinreichend sicher zu verhindern. Ein erhöhter Schutzumfang der
Widerspruchsmarke könne nicht berücksichtigt werden, denn dieser sei bestritten
und nicht liquide.
Die Widersprechende hat Beschwerde erhoben. Sie behauptet, ihre Marke ver-
füge unter den Calciumantagonisten über eine bedeutende Bekanntheit. Sie legt
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hierfür eine demoskopische Umfrage vor. Wegen der Übereinstimmung in der
markanten Vokalfolge a-a-a würden die Abweichungen in den Konsonanten
zurücktreten, womit der Markenabstand angesichts der identischen Warenlage zu
gering sei.
Die Widersprechende beantragt,
die Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben und die
Löschung der jüngeren Marke anzuordnen.
Die Markeninhaberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint, die Widersprechende habe eine überragende Kennzeichnungskraft
nicht hinreichend glaubhaft gemacht; der Schluß von der Benutzung zu einer
überragenden Bekanntheit könne nicht nachvollzogen werden. Angesichts der
Rezeptpflicht auf seiten der Widerspruchsmarke käme es bei der Beurteilung der
Verwechslungsgefahr vorwiegend auf Fachleute an. Für diese aber seien die Ab-
weichungen in den Konsonanten, die zu einem sehr unterschiedlichen Gesamt-
klangbild führten, ausreichend, um die Vergleichszeichen zu unterscheiden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die
patentamtlichen Beschlüsse Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Es besteht Verwechs-
lungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.
Beide Marken können zur Kennzeichnung identischer Waren verwendet werden,
denn die von der jüngeren Marke beanspruchten pharmazeutischen Präparate für
die Behandlung von Herzerkrankungen umfassen als weiter Warenbegriff die von
der Benutzungseinrede ausgenommenen Herzmittel der Widersprechenden. Die
Inhaberin der jüngeren Marke hat die Benutzung zwar nur für rezeptpflichtige
Herzmittel zugestanden, die Widersprechende kann jedoch - selbst wenn sie sich
nicht ausdrücklich dagegen wendet - nicht auf diese Rezeptpflicht eingeschränkt
werden. Andernfalls wäre sie in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eingeengt
(BPatG GRUR 1980, 54 - MAST REDIPAC). Bei der Beurteilung der Ver-
wechslungsgefahr maßgebend ist somit der durchschnittlich informierte, aufmerk-
same und verständige Verbraucher (vgl
BGH MarkenR
2000,
140
-ATTACHÉ/TISSERAND), der allerdings beim Umgang mit Produkten, die die
Gesundheit betreffen, regelmäßig eine etwas gesteigerte Aufmerksamkeit auf-
wendet (BGH GRUR 1995, 50 - Indorektal/Indohexal).
Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist von Haus aus durchschnitt-
lich, denn es sind weder Hinweise auf eine medizinische Indikation, noch auf In-
haltsstoffe odgl erkennbar, so daß beschreibende Anklänge den Phantasiegehalt
der Marke nicht beeinträchtigen. Die Widerspruchsmarke hat aufgrund langjähri-
ger und intensiver Benutzung einen zumindest leicht erhöhten Schutzumfang.
Nach einer bei Allgemeinmedizinern und Internisten im Jahr 1999 durchgeführten
Umfrage wurde von 99 % der befragten Ärzte die gestützte Frage nach der Be-
kanntheit der Widerspruchsmarke als Calciumantagonisten bejaht. Diese hohe
Bekanntheit allein würde jedoch einen erhöhten Schutzumfang noch nicht recht-
fertigen, denn von über 90 % der befragten Ärzte wurden weitere 13
Calciumantagonisten als solche erkannt. Gerechtfertigt ist dies vielmehr zum
einen dadurch, daß noch 37 % der Mediziner ungestützt die Widerspruchsmarke
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als einen Calciumantagonisten benennen konnten ( womit Adalat zusammen mit
dem Präparat Nifedipin rat. an zweiter Stelle hinter Norvasc mit 53 % lag), sowie
durch die langjährigen, erheblichen Umsatzzahlen. Auch wenn diese seit Jahren
zurückgehen (was auch mit dem Auslaufen des Patentschutzes zu erklären ist), so
belegen doch Jahresumsätze im Bereich von … bis … in den
Jahren 1983 bis 1992, … in 1995 (Anmeldezeitpunkt) und etwa …
in 1999, daß es sich bei der Widerspruchsmarke um ein seit Jahren viel
gekauftes Herzmittel handelt. Auch wenn es sich bei den befragten Ärzten nur um
einen Teil der für die Feststellung der Kennzeichnungskraft maßgeblichen Ver-
kehrskreise handelt, so sind die Gesamtumstände doch ausreichend, um der
Widerspruchsmarke einen über den Durchschnitt hinausgehenden Schutzumfang
zuzubilligen. Demgegenüber reicht die bloße Behauptung der Inhaberin der an-
gegriffenen Marke, eine überragende Kennzeichnungskraft sei nicht hinreichend
glaubhaft gemacht bzw eine solche könne nicht nachvollzogen werden, nicht aus,
diesen Tatsachenvortrag zu erschüttern, denn dessen Richtigkeit wurde nicht in
Abrede gestellt, die rechtliche Wertung aber ist der Disposition der Parteien ent-
zogen.
Unter Würdigung dieser Gesamtumstände stehen sich die Marken klanglich zu
nahe, als daß Verwechslungen hinreichend sicher ausgeschlossen werden
könnten. Beide Marken haben die weder allgemein noch bei Marken - zumindest
in diesem Warenbereich - eher seltene und daher auffällige Vokalfolge a-a-a. Für
den klanglichen Gesamteindruck eines Wortes sind die Vokalfolge, die Silbenzahl
und auch die Buchstabenzahl von entscheidender Bedeutung; alle diese Faktoren
stimmen hier überein. Lediglich der zweite und der letzte Konsonant weichen
voneinander ab. Daß diese Abweichung zu einer unterschiedlichen Betonung
führen würde, konnte nicht festgestellt werden; im Gegenteil: es ist bei Phanta-
siewörtern und einer natürlichen Sprechweise mit einer Betonung jeweils der
ersten oder der dritten Silbe zu rechnen. Es mag sein, daß die jüngere Marke
durch die beiden unterschiedlichen Konsonanten insgesamt ein etwas härteres
Klanggepräge hat; bei einer Warenidentität und einem etwas erweiterten
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Schutzumfang der Widerspruchsmarke reicht diese Abweichung aber nicht aus,
um einen genügenden Markenabstand zu schaffen.
Die Beschwerde hat deshalb Erfolg.
Für die Kosten gilt § 71 Abs 1 MarkenG.
Dr. Buchetmann
Winter
Schwarz-Angele
Wf