Urteil des BPatG vom 19.02.2009

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BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
23 W (pat) 338/05
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
19. Februar 2009
B E S C H L U S S
In dem Einspruchsverfahren
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betreffend das Patent 100 22 341
hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2009 unter Mitwirkung des Vorsit-
zenden Richters Dr. Tauchert, der Richterin Dr. Hock sowie der Richter Brandt
und Maile
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Das Patent 100 22 341 (Streitpatent) wurde am 8. Mai 2000 beim Deutschen Pa-
tent- und Markenamt mit der Bezeichnung „Elektronisches Leistungsmodul“ an-
gemeldet und mit Beschluss vom 29. Juni 2004 durch die Prüfungsstelle für
Klasse H01L erteilt. Die Patenterteilung wurde am 31. März 2005 veröffentlicht.
Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 20. Juni 2005, ein-
gegangen am 21. Juni 2005, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vol-
lem Umfang zu widerrufen.
Zur Begründung hat die Einsprechende ausgeführt, der Gegenstand des Patents
sei nach den §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig. Dabei hat sie u. a. auf die Druck-
schrift
D1 US 4 965 658
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hingewiesen und geltend gemacht, gegenüber diesem Stand der Technik sei das
elektronische Leistungsmodul nach dem erteilten Anspruch 1 nicht neu.
In der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2009 beantragt die Einspre-
chende,
das Patent zu widerrufen.
Die ordnungsgemäß geladenen Patentinhaberinnen sind zur mündlichen Ver-
handlung nicht erschienen. In ihrem Schriftsatz vom 27. Februar 2006 haben sie
Entscheidung nach Aktenlage beantragt.
Der somit unverändert geltende erteilte Anspruch 1 lautet:
„Elektronisches Leistungsmodul, insbesondere für ein elektronisches
Motor-Steuergerät zum Sanftanlauf von Motoren, mit zwei elektrisch
antiparallel geschalteten Halbleiterelementen (3), und mit mindestens
einem Kühlkörper (6) zur Abführung der Verlustwärme der Halbleiter-
elemente (3), mit mindestens zwei elektrisch und wärmeleitenden
Schienen (1, 2), zwischen die die beiden Halbleiterelemente (3) über
eine Druckvorrichtung eingespannt sind.“
Hinsichtlich der Unteransprüche 2 bis 12 und hinsichtlich weiterer Einzelheiten
wird auf die Streitpatentschrift sowie den Akteninhalt verwiesen.
II.
1.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den
Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich
30. Juni 2006 maßgeblichen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern
das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist
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nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem
1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist zwar zum
1. Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die
Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder an das
Patentamt zurückverlagert wurde. Dennoch bleibt das Bundespatentgericht für die
durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren auch
nach dem 30. Juni 2006 zuständig, weil der Gesetzgeber eine anderweitige Zu-
ständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt hat und deshalb der in
allen gerichtlichen Verfahren geltende Rechtsgrundsatz der „perpetuatio fori“
(analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum Tragen
kommt, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit bestehen bleibt.
Diese Rechtsauffassung zur fortdauernden Zuständigkeit des Bundespatentge-
richts wurde durch den Bundesgerichtshof bestätigt, vgl. BGH GRUR 2009, 184,
Leitsatz - „Ventilsteuerung“ m. w. N.
2.
Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist
diese vom Patentamt und Patentgericht in jedem Verfahrensstadium von Amts
wegen zu prüfen, vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 56 und 160.
Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn die Einspre-
chende hat die Tatsachen, die den von ihr behaupteten Widerrufsgrund der man-
gelnden Patentfähigkeit belegen sollen, entsprechend § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG im
Einzelnen angegeben, indem sie die im erteilten Patentanspruch 1 gegebene
Lehre in einen konkreten Bezug zu dem Stand der Technik beispielsweise gemäß
den von ihr genannten Druckschrift D1 gesetzt hat.
3.
Gegenstand des Streitpatents ist ein elektronisches Leistungsmodul,
insbesondere für ein Motorsteuergerät, das den Sanftanlauf von Motoren steuert.
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Derartige elektronische Leistungsmodule weisen paarweise antiparallel geschal-
tete Leistungshalbleiterbauelemente auf, die den Motorstrom in der Anlaufphase
eines Motors so steuern, dass dessen Drehzahl definiert und allmählich erhöht
wird. Da Elektromotoren in der Anlaufphase einen sehr hohen Strom aufnehmen,
entstehen in den Halbleiterbauelementen kurzzeitig sehr hohe Verlustleistungen,
die zu einem raschen Temperaturanstieg der Halbleiterbauelemente führen. We-
gen der thermischen Trägheit herkömmlicher Wärmeabführ- und Kühlsysteme
wird diese Wärme erst zeitverzögert abgeführt.
Dem Gegenstand des Streitpatents liegt dementsprechend die Aufgabe zugrunde,
ein elektronisches Leistungsmodul der oben genannten Art mit guter Wärmeabfüh-
rung, hoher Speicherfähigkeit für die von den Halbleiterelementen im Sanftanlauf
abgegebene Wärme bei einfachem Aufbau und geringem Raumbedarf zu schaf-
fen, vgl. Abschnitt [0009] des Streitpatents.
Gemäß dem erteilten Anspruch 1 wird diese Aufgabe durch ein elektronisches
Leistungsmodul, insbesondere für ein elektronisches Motor-Steuergerät zum
Sanftanlauf von Motoren, mit zwei elektrisch antiparallel geschalteten Halbleiter-
elementen und mit mindestens einem Kühlkörper zur Abführung der Verlustwärme
der Halbleiterelemente gelöst, bei dem die beiden Halbleiterelemente über eine
Druckkontaktierung zwischen mindestens zwei elektrisch und wärmeleitende
Schienen eingespannt sind.
4.
Der Einspruch führt zum Widerruf des Patents. Nach dem Ergebnis der
mündlichen Verhandlung erweist sich das elektronische Leistungsmodul nach dem
erteilten Anspruch 1 mangels Neuheit als nicht patentfähig.
Bei dieser Sachlage kann die Zulässigkeit der erteilten Ansprüche unerörtert blei-
ben, vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121, Abschnitt II.1 - „Elastische Bandage“.
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5.
Die Druckschrift D1 offenbart ein elektronisches Leistungsmodul für ein Motor-
Steuergerät zum Sanftanlauf von Motoren
.
Dieses Leistungsmodul
weist in Übereinstimmung
mit der Lehre des Anspruchs 1 zwei antiparallel geschaltete Halbleiterelemente
auf (d.h. silicon controlled retifiers),
.
Bei den in der Druckschrift D1 offenbarten Ausführungsbeispielen einschließlich
des dort genannten Standes der Technik weist das Modul
in
weiterer Übereinstimmung mit der im erteilten Anspruch 1 gegebenen Lehre einen
Kühlkörper
zur Abführung der Verlustwärme der Halbleite-
relemente auf
.
Ferner weist das Modul zwei sowohl elektrisch leitende als auch wärmeleitende
Schienen
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auf, zwischen die die
beiden Halbleiterelemente über eine Druckkontaktierung eingespannt sind
.
Damit offenbart die Druckschrift D1 ein elektronisches Leistungsmodul mit allen
Merkmalen des Leistungsmoduls nach dem erteilten Anspruch 1; dieses Leis-
tungsmodul ist damit nicht neu.
Dass mit dem Leistungsmodul nach der Druckschrift D1 ebenfalls bereits die dem
Patentgegenstand zugrunde liegende Aufgabe gelöst und eine thermische Über-
lastung der Halbleiterbauelemente beim Anlaufen des Motors mit einer einfachen
Anordnung mit niedrigem Platzbedarf verhindert wird - vgl. hierzu die Fig. 4 und 5
sowie Sp. 3, Zeile 12 bis Sp. 4, Zeile 15 und Sp. 7, Zeilen 4 bis 25 -, sei lediglich
am Rande angemerkt.
Mit dem erteilten Anspruch 1 hat das Patent somit keinen Bestand.
6.
Die Unteransprüche 2 bis 12 fallen wegen der Antragsbindung mit dem
Patentanspruch 1, vgl. BGH GRUR 2007, 862, Leitsatz, 863, Tz. 18 - „Informati-
onsübermittlungsverfahren II“.
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7.
Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.
Dr. Tauchert
Dr. Hock
Brandt
Maile
Pr