Urteil des BGH vom 28.05.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 199/01
Verkündet am:
28. Mai 2002
Weber,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
BGB §§ 765, 138 Aa
Die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit
von Mithaftung und Bürgschaft finanziell überforderter Angehöriger gelten
grundsätzlich nicht für Kommanditisten einer KG, die für Verbindlichkeiten
der KG die Mithaftung oder Bürgschaft übernehmen. Etwas anderes gilt,
wenn der Kommanditist ausschließlich Strohmannfunktion hat, die Mithaf-
tung oder Bürgschaft nur aus emotionaler Verbundenheit mit der hinter ihm
stehenden Person übernimmt und beides für die kreditgebende Bank evi-
dent ist.
BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 - XI ZR 199/01 - OLG Naumburg
LG Magdeburg
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 28. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die
Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Joeres und die Richterin Mayen
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom
26. April 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die klagende Bank nimmt die Beklagte im Wege der Teilklage aus
einer Bürgschaft für Verbindlichkeiten einer Kommanditgesellschaft in
Anspruch.
Die Mutter der Beklagten entschloß sich im Jahr 1996 zur Fortfüh-
rung eines in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft betriebenen
Unternehmens, dessen Betriebsleiterin sie früher gewesen war. Zu die-
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sem Zweck trat sie als Komplementärin in die KG ein. Die Beklagte
übernahm eine Kommanditeinlage von 810.000 DM.
Mit Kontokorrentkredit- bzw. Darlehensverträgen vom 16. März und
30. Oktober 1996 gewährte die Klägerin der KG Kredite in Höhe von ins-
gesamt 2.506.000 DM zu einem jährlichen Zinssatz von 8,25%. Für diese
übernahm die Beklagte im Januar 1997 eine selbstschuldnerische Bürg-
schaft bis zu einem Höchstbetrag von 1 Million DM.
Die Beklagte, eine damals 30 Jahre alte Diplomjuristin, verheiratet
und kinderlos, war seit 1992 als selbständige Finanz- und Versorgungs-
beraterin tätig. Ausweislich des Einkommenssteuerbescheides für 1996
betrugen ihre jährlichen Einnahmen 18.241 DM. In einer Selbstauskunft
vom 18. Juli 1996 hatte sie ihr Jahreseinkommen hingegen auf
64.000 DM und das ihres Ehemannes auf 34.000 DM, zusammen
98.000 DM, beziffert. Ihr Bankguthaben hatte sie dort mit 20.000 DM und
den Wert von Grundeigentum, das mit Grundpfandrechten in Höhe von
145.000 DM belastet war, mit 145.000 DM angegeben. In einem Sachbe-
richt der M. Beteiligungsgesellschaft mbH und der B.bank GmbH vom
19. August 1996 an die Klägerin wurde der Verkehrswert des belasteten,
der Beklagten nur zu ein halb zustehenden Grundstücks hingegen auf
300.000 DM und das Bankguthaben der Beklagten auf 21.000 DM bezif-
fert.
Nachdem die KG im November 1999 die Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens beantragt hatte, kündigte die Klägerin am 3. Dezember 1999
die in Höhe von 1.768.886,41 DM valutierenden Kredite und nahm die
Beklagte aus der Bürgschaft in Anspruch.
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Die Beklagte macht die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft wegen
krasser finanzieller Überforderung geltend. Sie sei nicht in der Lage ge-
wesen, die laufenden Zinsen zu tilgen. Die Gesellschafterstellung habe
sie nur als Strohfrau und die Bürgschaft nur aufgrund familiären Drucks
übernommen. Sie sei geschäftsunerfahren gewesen. Überdies habe der
Mitarbeiter der Klägerin die Übernahme der Bürgschaft als bloße Form-
sache verharmlost.
Das Landgericht hat der Teilklage auf Zahlung von 100.000 DM
nebst Zinsen stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie auf die Beru-
fung der Beklagten abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Beru-
fungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Bürgschaft sei wegen krasser finanzieller Überforderung der
Bürgin sittenwidrig. Die Beklagte sei allerdings weder geschäftlich uner-
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fahren gewesen noch seien der von ihr behauptete familiäre Druck oder
die angebliche Verharmlosung der Bürgschaftsübernahme durch einen
Mitarbeiter der Klägerin geeignet, die Sittenwidrigkeit zu begründen. Daß
die Kreditgewährung von der Gestellung einer Bürgschaft abhängig ge-
macht worden sei, entspreche der banküblichen Praxis und rechtfertige
die Annahme der Sittenwidrigkeit auch dann nicht, wenn die Beklagte
- wie sie behaupte - nur als Strohfrau Gesellschafterin geworden sei.
Bürgschaften von Angehörigen des Hauptschuldners oder eines persön-
lich haftenden Gesellschafters seien jedoch auch bei Fehlen weiterer
Umstände als sittenwidrig anzusehen, wenn ein krasses Mißverhältnis
zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähig-
keit des Bürgen bestehe. So sei es hier. Die Beklagte sei bei Berück-
sichtigung ihres pfändbaren Einkommens und Vermögens nicht in der
Lage, auch nur die laufende Zinslast zu tragen. Dies gelte auch dann,
wenn man zugunsten der Klägerin von dem in der Selbstauskunft vom
18. Juli 1996 angegebenen Jahreseinkommen von 98.000 DM ausgehe
sowie die Vermögensverhältnisse aus dem Sachbericht der M. Beteili-
gungsgesellschaft mbH und der B.bank GmbH vom 19. August 1996 zu-
grunde lege. Die Klägerin habe auch berücksichtigen müssen, daß die
Beklagte für die Übernahme des Kommanditanteils von 810.000 DM noch
den Kaufpreis in einer Rate zu 110.000 DM und sieben jährlichen Folge-
raten von 100.000 DM habe zahlen müssen. Auf den mit dem Erwerb des
Kommanditanteils verbundenen Vermögenszuwachs komme es nicht an,
da der Kommanditanteil im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners kei-
nen Wert mehr habe. Das Interesse der Klägerin, sich vor Vermögens-
verschiebungen zu schützen, rechtfertige die Hereinnahme der die Be-
klagte finanziell kraß überfordernden Bürgschaft hier nicht.
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II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht in allen
Punkten stand.
1. Im Ergebnis zutreffend ist allerdings die Ansicht des Berufungs-
gerichts, die Beklagte werde durch die Übernahme der Höchstbetrags-
bürgschaft von 1 Million DM finanziell kraß überfordert.
a) Nach der inzwischen übereinstimmenden Rechtsprechung des
IX. und des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes liegt eine solche
Überforderung des Bürgen oder Mitverpflichteten bei nicht ganz geringen
Bankschulden grundsätzlich vor, wenn er innerhalb der vertraglich fest-
gelegten Kreditlaufzeit voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen
aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens dauerhaft
aufbringen kann (BGHZ 136, 347, 351; 146, 37, 42; BGH, Urteile vom
27. Januar 2000 - IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 411; vom 13. November
2001 - XI ZR 82/01, WM 2002, 125, 126; vom 4. Dezember 2001 - XI ZR
56/01, WM 2002, 223, 224 und vom 14. Mai 2002 - XI ZR 50/01 und
81/01, beide zur Veröffentlichung vorgesehen). Bei der Beurteilung der
krassen finanziellen Überforderung von Bürgen und Mithaftenden ist
pfändbares Vermögen in der Weise zu berücksichtigen, daß der ermit-
telte Wert von der Bürgschafts- oder mitübernommenen Schuld abgezo-
gen wird. Nur wenn der pfändbare Teil des Einkommens des Bürgen
oder Mithaftenden die auf den so ermittelten Schuldbetrag entfallenden
laufenden Zinsen voraussichtlich nicht abdeckt, liegt eine krasse finan-
zielle Überforderung vor (Nobbe/Kirchhof BKR 2001, 5, 10).
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b) So ist es hier, ohne daß es auf die vom Berufungsgericht be-
rücksichtigten Ratenzahlungsverpflichtungen der Beklagten aus dem Er-
werb des Kommanditanteils ankommt.
aa) Selbst wenn man zugunsten der Klägerin von den bestrittenen
Vermögensverhältnissen der Beklagten ausgeht, wie sie sich aus dem
Sachbericht der M. Beteiligungsgesellschaft mbH und der B.bank GmbH
vom 19. August 1996 ergeben, betrug das pfändbare Vermögen der Be-
klagten, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bei Ab-
schluß des Bürgschaftsvertrages nur 98.500 DM. Die Beklagte verfügte
danach über ein Bankguthaben von 21.000 DM und war zu ein halb mit-
beteiligt an einem Grundstück mit einem Verkehrswert von 300.000 DM,
das mit valutierenden Grundpfandrechten von 145.000 DM belastet war.
Diese Belastung ist der banküblichen Praxis entsprechend bei der Beur-
teilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten vermögensmindernd zu be-
rücksichtigen; denn im Falle der Veräußerung des Grundstücksanteils
der Beklagten stünde nur der um die Belastung geminderte Erlös zur
Erfüllung ihrer Bürgschaftsschuld zur Verfügung (vgl. Senatsurteil vom
14. Mai 2002 - XI ZR 50/01, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
Dies wären hier 77.500 DM. Diese sowie das Bankguthaben von
21.000 DM sind danach von der Bürgschaftsschuld von 1 Million DM ab-
zuziehen, so daß sich bei dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten
Vertragszinssatz von 8,25% eine monatliche Zinsbelastung in Höhe von
6.197,81 DM ergibt.
bb) Diese laufende Zinslast konnte die Beklagte nicht aus dem
pfändbaren Teil ihres Einkommens tragen. Nach der vom Berufungsge-
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richt zugrundegelegten Selbstauskunft vom 18. Juli 1996 verfügte die
Beklagte selbst über jährliche Einnahmen von 64.000 DM. Das angege-
bene Jahreseinkommen ihres Ehemannes von 34.000 DM ist, da es auf
die Leistungsfähigkeit nur des Bürgen persönlich ankommt, insoweit
nicht unmittelbar zu berücksichtigen, sondern führt nur dazu, daß sich
der pfändungsfreie Betrag nicht durch Unterhaltspflichten erhöht. Auszu-
gehen ist somit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht von
einem Jahreseinkommen der Beklagten von 98.000 DM, sondern nur von
64.000 DM, d.h. monatlichen Einkünften von 5.333,33 DM. Der 1997
nach § 850 c ZPO monatlich pfändbare Betrag beläuft sich danach auf
3.337,03 DM und bleibt damit weit hinter der monatlichen Zinsbelastung
zurück.
2. Nicht rechtsfehlerfrei ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts,
die krasse finanzielle Überforderung habe ohne weiteres die Sittenwid-
rigkeit der Bürgschaft der Beklagten zur Folge.
a) Die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Sitten-
widrigkeit von Mithaftung und Bürgschaft finanziell überforderter Famili-
enangehöriger entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar
2000 - IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 411; Senat BGHZ 146, 37 ff.; Se-
natsurteil vom 15. Januar 2002 - XI ZR 98/01, WM 2002, 436 f., jeweils
m.w.Nachw.) gelten, was das Berufungsgericht verkannt hat, für die
Bürgschaft der Beklagten als einziger Kommanditistin der Hauptschuld-
nerin grundsätzlich nicht.
aa) Ein Kreditinstitut, das einer GmbH ein Darlehen gewährt, hat
nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein berech-
tigtes Interesse an der persönlichen Haftung der maßgeblich beteiligten
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Gesellschafter. Die gängige Bankpraxis, bei der Gewährung von Ge-
schäftskrediten für eine GmbH Bürgschaften der Gesellschafter zu ver-
langen, ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden (BGHZ 137, 329, 336;
BGH, Urteile vom 11. Dezember 1997 - IX ZR 274/96, WM 1998, 235,
236, insoweit in BGHZ 137, 292 ff. nicht abgedruckt; vom 16. Dezember
1999 - IX ZR 36/98, WM 2000, 514, 516; vom 18. September 2001
- IX ZR 183/00, WM 2001, 2156, 2157 und Senatsurteil vom 15. Januar
2002 - XI ZR 98/01, WM 2002, 436). Das gilt in gleicher Weise, wenn der
Kredit - wie hier - einer Kommanditgesellschaft gewährt und vom Kom-
manditisten eine entsprechende Sicherheit verlangt wird (Nobbe/Kirchhof
BKR 2001, 5, 14). Auch in diesem Fall kann die kreditgebende Bank im
allgemeinen davon ausgehen, daß bei einem Gesellschafterbürgen, der
einen bedeutsamen Gesellschaftsanteil hält, das eigene wirtschaftliche
Interesse im Vordergrund steht und er schon deshalb durch die Haftung
kein unzumutbares Risiko auf sich nimmt. Auch hier begründen daher
weder die krasse finanzielle Überforderung eines bürgenden Gesell-
schafters noch seine emotionale Verbundenheit mit einem die Gesell-
schaft beherrschenden Dritten die Vermutung der Sittenwidrigkeit (vgl.
Senatsurteil vom 15. Januar 2002 aaO S. 436 f. m.w.Nachw.).
bb) Dies gilt in der Regel selbst dann, wenn der Gesellschafter
- wie die Beklagte dies behauptet - lediglich die Funktion eines Stroh-
mannes hat. Nur wenn für das Kreditinstitut klar ersichtlich ist, daß der-
jenige, der bürgen soll, finanziell nicht beteiligt ist und die Stellung eines
Gesellschafters ohne eigenes wirtschaftliches Interesse nur aus persön-
licher Verbundenheit mit einer die Gesellschaft wirtschaftlich beherr-
schenden Person übernommen hat, gelten die Grundsätze zur Sittenwid-
rigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger entsprechend (Senatsurteil
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vom 15. Januar 2002 aaO S. 437 m.w.Nachw.). Wird die Bank in die
wirtschaftlichen Hintergründe der Gesellschaftsgründung so einbezogen,
daß für sie die wirklichen Motive des Bürgen klar hervortreten, so darf
sie davor nicht die Augen verschließen. Erkennt das Kreditinstitut infolge
der ihm offenbarten Tatsachen, daß derjenige, der die Haftung überneh-
men soll, finanziell nicht beteiligt ist und die Stellung eines Gesellschaf-
ters nur aus emotionaler Abhängigkeit übernommen hat, er also keine
eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt, ist der überforderte Bürge in
gleicher Weise schutzwürdig wie in den typischen Fällen von Haftungs-
erklärungen für die Verbindlichkeiten von Personen, denen er emotional
eng verbunden ist (BGHZ 137, 329, 337; BGH, Urteil vom 18. September
2001 - IX ZR 183/00, WM 2001, 2156, 2157).
b) Das Berufungsgericht hat, wie die Revisionserwiderung zu
Recht rügt, bislang weder zu der zwischen den Parteien streitigen Frage,
ob die Beklagte lediglich als Strohfrau ohne eigene wirtschaftliche Inter-
essen Gesellschafterin geworden war, Feststellungen getroffen noch zu
der Frage, ob das der Klägerin bekannt war oder sie davor die Augen
verschlossen hat.
3. Eine finanziell belastende Bürgschaftsübernahme kann nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch aufgrund be-
sonderer erschwerender, dem Kreditinstitut zurechenbarer Umstände
sittenwidrig sein. Das ist etwa der Fall, wenn das Kreditinstitut die ge-
schäftliche Unerfahrenheit des Bürgen ausnutzt oder die Willensbildung
und Entschließungsfreiheit durch Irreführung, Schaffung einer seelischen
Zwangslage oder die Ausübung unzulässigen Drucks beeinträchtigt hat
(vgl. BGHZ 125, 206, 210; 128, 230, 232; 132, 328, 329 f.; 137, 329,
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333; BGH, Urteile vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, WM 1996, 588,
592; vom 16. Januar 1997 - IX ZR 250/95, WM 1997, 511, 512 und Se-
natsurteil vom 15. Januar 2002 - XI ZR 98/01, WM 2002, 436, 437). Der-
artige Umstände hat das Berufungsgericht bislang ebenfalls nicht festge-
stellt.
a) Dies läßt keinen Rechtsfehler erkennen, soweit das Berufungs-
gericht zu dem Ergebnis gelangt ist, die Klägerin habe nicht eine beste-
hende geschäftliche Unerfahrenheit der Beklagten ausgenutzt. Dieser
Umstand, der in der Praxis bei einem Kommanditisten ohnedies so gut
wie nie zu bejahen sein wird (Nobbe/Kirchhof aaO S. 15), scheidet hier
angesichts der Berufsausbildung der Beklagten als Diplomjuristin und
ihrer seit 1992 ausgeübten Tätigkeit als Finanz- und Versorgungsberate-
rin aus.
b) Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Berufungs-
gericht auch eine zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaft führende seelische
Zwangslage der Beklagten verneint. Die Beklagte hat sich zwar darauf
berufen, sie sei von ihrem Vater am Hochzeitstag ihrer Eltern massiv
unter Druck gesetzt worden. Das Berufungsgericht weist aber zutreffend
darauf hin, es sei nicht dargetan, daß diese Umstände der Klägerin be-
kannt geworden sind.
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c) Dem Berufungsgericht kann hingegen nicht gefolgt werden, so-
weit es den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten als unerheb-
lich ansieht, der Mitarbeiter J. der Klägerin habe auf Nachfrage die Bürg-
schaft als bloße Formsache bezeichnet und die Rechtsfolgen verharm-
lost. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann
in einer Verharmlosung der Rechtsfolgen einer Bürgschaft eine Irrefüh-
rung des Bürgen liegen und damit zugleich ein besonderer Umstand, der
die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft (mit)begründen kann (vgl. BGH, Urteil
vom 18. Dezember 1997 - IX ZR 271/96, WM 1998, 239, 240, insoweit in
BGHZ 137, 329 ff. nicht abgedruckt; Urteil vom 8. November 2001
- IX ZR 46/99, WM 2002, 919, 922; Nobbe/Kirchhof aaO S. 15).
4. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist schließlich die Ansicht des
Berufungsgerichts, ein Interesse der Klägerin, sich vor Vermögensver-
schiebungen unter Verwandten zu schützen, rechtfertige die kraß über-
fordernde Bürgschaft nicht. Wie der erkennende Senat bereits in seinem
Vorlagebeschluß vom 29. Juni 1999 an den Großen Senat für Zivilsa-
chen (XI ZR 10/98, WM 1999, 1556, 1558) ausgeführt hat, rechtfertigt
allein das Ziel, etwaigen Vermögensverschiebungen vorzubeugen, ein
unbeschränktes Mithaftungsbegehren nicht. Gleiches gilt für eine kraß
überfordernde Bürgschaft. Ohne besondere, vom Kreditgeber darzule-
gende und notfalls zu beweisende Anhaltspunkte kann grundsätzlich
nicht davon ausgegangen werden, daß eine kraß überfordernde Bür g-
schaft inhaltlich von vornherein nur eine erhebliche Vermögensverlage-
rung zwischen Hauptschuldner und Sicherungsgeber verhindern soll.
Nimmt der Kreditgeber den Bürgen - wie hier - in Anspruch, ohne auch
nur ansatzweise zu behaupten, daß und in welchem Umfang eine im
Verhältnis zur Kreditsumme erhebliche Vermögensverschiebung statt-
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gefunden hat, so zeigt dieses im Rahmen der Vertragsauslegung zu be-
rücksichtigende nachvertragliche Verhalten, daß die Annahme einer still-
schweigend getroffenen Haftungsbeschränkung nicht gerechtfertigt ist.
Das gilt, wie der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 14. Mai 2002
(XI ZR 50/01 und 81/01, beide zur Veröffentlichung vorgesehen) unter
Änderung der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats (vgl. Urteil vom
8. Oktober 1998 - IX ZR 257/97, WM 1998, 2327, 2329 f.) näher ausge-
führt hat, auch für Bürgschaftsverträge aus der Zeit vor dem 1. Januar
1999.
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III.
Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO
a.F.). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie zur weite-
ren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565
Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.).
Nobbe Siol Bungeroth
Richter am Bundesge- Mayen
richtshof Dr. Joeres ist
wegen Urlaubs gehin-
dert, seine Unterschrift
beizufügen.
Nobbe