Urteil des BGH vom 17.04.2001
BGH (stgb, unterbringung, freiheitsstrafe, einfuhr, strafkammer, stpo, entlassung, anordnung, menge, strafvollzug)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 355/01
vom
25. September 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Weiden vom 17. April 2001
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß die tateinheitlich er-
folgte Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäu-
bungsmitteln entfällt,
b) im Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge aufgeho-
ben, soweit der Vorwegvollzug von drei Jahren Freiheits-
strafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-
ziehungsanstalt angeordnet worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tra-
gen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Die not-
wendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Revisionsver-
fahren hat zu einem Drittel die Staatskasse zu tragen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln und anderer Straftaten zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von sieben Jahren verurteilt. Außerdem hat es angeordnet, den Ange-
klagten in einer Entziehungsanstalt unterzubringen und drei Jahre der Frei-
heitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg. Im
übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
a) Das Landgericht hat den Angeklagten in sechs Fällen (B. I. 1. der
Urteilsgründe) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und unerlaubter Einfuhr von Betäubungs-
mitteln verurteilt.
Da der Angeklagte in diesen Fällen jeweils Betäubungsmittel in einer
Menge eingeführt und damit Handel getrieben hat, die nicht die Größenord-
nung einer nicht geringen Menge im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG erreicht,
geht die Einfuhr als unselbständiges Teilstück des Handeltreibens in dieser
Tatform des § 29 Abs. 1 BtMG als Teil des Gesamtgeschehens auf (vgl. BGHSt
30, 28, 30; BGH NStZ 1998, 628; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen
2; BGH, Beschl. vom 08. Oktober 1999 - 4 StR 364/99), so daß der Angeklagte
sich in diesen Fällen jeweils lediglich des unerlaubten Handeltreibens mit Be-
täubungsmitteln in Tateinheit mit deren unerlaubtem Erwerb schuldig gemacht
hat. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
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Der Strafausspruch wird hierdurch nicht berührt, da auf der Grundlage
der Strafzumessungserwägungen auszuschließen ist, daß die Strafkammer bei
zutreffender Bewertung der Konkurrenzen in den Fällen B. I. 1. der Urteils-
gründe geringere Einzelstrafen verhängt hätte.
b) Nach den Urteilsfeststellungen leidet der Angeklagte unter einer Dro-
gensucht. Bei Begehung aller Taten war er infolge seiner Drogenabhängigkeit
nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Er
hat sich bereits vor seiner Inhaftierung zur Therapie im Bezirksklinikum Re-
gensburg angemeldet und ist nach wie vor krankheitseinsichtig und therapie-
motiviert, so daß eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Ein-
schätzung des Landgerichts sinnvoll ist.
Die Anordnung des Vorwegvollzuges von Freiheitsstrafe vor der Unter-
bringung des Angeklagten im Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB hält recht-
licher Nachprüfung nicht stand. Tragfähige Gründe dafür, von der gesetzlich
vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge im Falle des Angeklagten abzuwei-
chen, führt die Strafkammer nicht an; solche liegen auch nicht auf der Hand.
Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe ist nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes das Rehabilitationsinter-
esse des Verurteilten. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67
Abs. 1 StGB soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder
kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauer-
haften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muß es darum gehen,
den Angeklagten frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvoll-
zug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann. Eine Abweichung
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von der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung. Steht zu
besorgen, daß der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßreg e-
lerfolg wieder zunichte machen könnte, so müssen dafür überzeugende Grün-
de vorliegen (vgl. Senat, Beschl. vom 30. Januar 2001 - 1 StR 481/00 -
m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme
nicht gerecht. Es fehlt eine auf die Person des Angeklagten bezogene Würdi-
gung der Umstände des Einzelfalles. Die Strafkammer begründet die nach ihrer
Ansicht hier leichtere Erreichbarkeit des Zwecks der Maßregel nach § 64 StGB
mit der allgemeinen Erwägung, daß es bei einer möglichen Therapiemaßnah-
me wichtig sei, den Angeklagten in die Freiheit entlassen zu können. Es sollte
eine “abgefederte Entlassung” stattfinden können, d.h. im letzten halben Jahr
vor der Entlassung sollten Resozialisierungsmaßnahmen greifen können (UA
S. 73).
Diese allgemeinen Erwägungen stehen im Widerspruch zu der gesetzli-
chen Wertung in § 67 Abs. 1 StGB, wonach im Regelfall zunächst die Maßre-
gel zu vollziehen ist. Will der Tatrichter von der der gesetzlichen Wertung ent-
sprechenden Reihenfolge aufgrund des § 67 Abs. 2 StGB abweichen, so muß
er dies mit auf den Einzelfall bezogenen, tragfähigen Erwägungen begründen.
Aufgrund der bisher verbüßten Haft des Angeklagten sieht der Senat
von einer Zurückverweisung der Sache ab und läßt statt dessen die Anordnung
des Vorwegvollzuges entfallen (§ 354 Abs. 1 StPO).
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c) Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt dem Umstand Rech-
nung, daß der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg erzielt hat.
Schäfer Nack Boetticher
Hebenstreit Schaal