Urteil des BGH vom 30.04.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 241/04
Verkündet
am:
30. April 2008
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB f. Feuervers. (AFB 87) § 11 Nr. 1
Die Bestimmung "Behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bleiben unbe-
rücksichtigt" in § 11 Nr. 1 AFB 87 benachteiligt den Versicherungsnehmer wegen
Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 9 AGBG, jetzt § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB)
unangemessen und ist deshalb unwirksam.
BGH, Urteil vom 30. April 2008 - IV ZR 241/04 - OLG Köln
LG Köln
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Seiffert,
Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter
Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2008
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivil-
senats des Oberlandesgerichts Köln vom 28. September
2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an
das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Feuerversicherung we-
gen zweier Brandschäden im Juni und Oktober 1998 auf ihrem Fabrikge-
lände in Anspruch, auf dem sie ein Edelstahlhammerwerk und ein Ring-
walzwerk betreibt. Über den bereits regulierten Neuwertschaden von
ca. 755.000 DM hinaus macht sie Ersatz von Mehrkosten in Höhe von
ca. 130.000 € wegen behördlich vorgegebener Baumaßnahmen zum
Schutz der Umwelt und der Mitarbeiter geltend. Es geht um Schall-
schutzmaßnahmen für das Dach der Hammerhalle, eine doppelwandige
Ausführung der Ölhärteanlage mit Leckageanzeige und eine Anlage zur
Absaugung des Ölnebels. Die Durchführung der beiden zuerst genannten
1
- 3 -
Maßnahmen hatte das Staatliche Umweltamt im Zuge des die Änderung
genehmigungsbedürftiger Anlagen nach § 15 des Bundesimmissions-
schutzgesetzes (BImSchG) betreffenden Anzeigeverfahrens mit Schrei-
ben vom 17./18. August 1998 verlangt. Die von der Klägerin nach dieser
Vorschrift angezeigte Erneuerung des Dachs und der Ölhärteanlage er-
füllte die geforderten Voraussetzungen. Demgemäß entschied das Um-
weltamt durch Freistellungsbescheide vom 8. September und 13. Okto-
ber 1998, dass für die angezeigten Vorhaben kein Genehmigungsverfah-
ren nach § 16 Abs. 1 BImSchG erforderlich sei. Den Einbau der Anlage
zur Absaugung der Ölnebel verlangte das Umweltamt aus Gründen des
Arbeitsschutzes nach Behauptung der Klägerin bei einer Besprechung
vom 6. November 1998.
Dem
Versicherungsvertrag vom März 1994 mit Nachtrag vom De-
zember 1997 liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Feuerversiche-
rung (AFB 87) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
2
"§ 5 Versicherungswert
1. Versicherungswert von Gebäuden ist
a) der Neuwert;
Neuwert ist der ortsübliche Neubauwert einschließlich
Architektengebühren sowie sonstiger Konstruktions- und
Planungskosten; …
§ 11 Entschädigungsberechnung; Unterversicherung
1. Ersetzt werden
a) bei zerstörten oder infolge eines Versicherungsfalles ab-
handen gekommenen Sachen der Versicherungswert
(§ 5) unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles;
- 4 -
b) bei beschädigten Sachen die notwendigen Reparaturkos-
ten zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles zuzüg-
lich einer durch den Versicherungsfall etwa entstandenen
und durch die Reparatur nicht auszugleichenden Wert-
minderung, höchstens jedoch der Versicherungswert
unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles; die Re-
paraturkosten werden gekürzt, soweit durch die Repara-
tur der Versicherungswert der Sache gegenüber dem
Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versiche-
rungsfalles erhöht wird.
Restwerte werden angerechnet.
Behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen bleiben
unberücksichtigt. …"
Mehrkosten
infolge
behördlicher Wiederherstellungsbeschränkun-
gen sind durch die Klauseln 2302 und 2303 mitversichert, die auszugs-
weise wie folgt lauten:
3
"Mehrkosten durch behördliche Wiederherstellungsbe-
schränkungen (ohne Restwerte) (2302)
1. Abweichend von den dem Vertrag zugrunde liegenden
Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind Erhöhun-
gen des Schadenaufwandes durch Mehrkosten infolge
behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen mitver-
sichert.
2. Ersetzt werden bis zu der hierfür vereinbarten Versiche-
rungssumme die tatsächlich entstandenen Mehrkosten
für die Wiederherstellung der versicherten und vom
Schaden betroffenen Sache durch behördliche Auflagen
auf der Grundlage bereits vor Eintritt des Versicherungs-
falles erlassener Gesetze und Verordnungen. Soweit be-
hördliche Auflagen mit Fristsetzung vor Eintritt des Ver-
sicherungsfalles erteilt wurden, sind die dadurch entste-
henden Mehrkosten nicht versichert.
3. Aufwendungen, die dadurch entstehen, dass infolge be-
hördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen Reste der
- 5 -
versicherten und vom Schaden betroffenen Sache nicht
wieder verwertet werden können, sind nicht versichert. …
Berücksichtigung von behördlichen Wiederherstellungsbe-
schränkungen für Restwerte (Klausel 2303)
1. Abweichend von den dem Vertrag zugrunde liegenden
Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind bei der An-
rechnung des Restwertes für die versicherte und vom
Schaden betroffene Sache behördliche Wiederherstel-
lungsbeschränkungen zu berücksichtigen. …"
Die Beklagte verweigert die Erstattung der geltend gemachten
Mehrkosten, weil das Umweltamt die Maßnahmen nicht durch förmliche
Auflagen nach § 36 Abs. 2 Nr. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes
(VwVfG) angeordnet habe. Nur durch solche Auflagen verursachte Mehr-
kosten seien nach der Klausel 2302 mitversichert.
4
Demgegenüber meint die Klägerin, es komme nicht auf die Form
der behördlichen Vorgaben an, sondern darauf, ob sie zur Wiederherstel-
lung einer dem Versicherungswert entsprechenden Sache objektiv erfor-
derlich seien und zu Recht verlangt würden. Der Anspruch ergebe sich
im Übrigen nicht erst aus der Klausel 2302, sondern bereits aus §§ 5, 11
Nr. 1 AFB 87 und könne durch die die Erweiterung des Versicherungs-
schutzes bezweckenden Klauseln 2302 und 2303 nicht eingeschränkt
werden.
5
Die gegen die Beklagte als führenden Versicherer gerichtete Klage
auf Zahlung ihres Anteils in Höhe von 39.241,93 € hatte in den Vorin-
stanzen keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren An-
spruch weiter.
6
- 6 -
Entscheidungsgründe:
7
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I. Das Berufungsgericht (VersR 2005, 265) hat offen gelassen, ob
sich der Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Mehrkosten auf-
grund behördlicher Wiederherstellungsbeschränkungen in der Neuwert-
versicherung aus §§ 5, 11 Nr. 1 AFB 87 ergebe und sich die Regelung in
§ 11 Nr. 1 Abs. 3 AFB 87, wonach behördliche Wiederherstellungsbe-
schränkungen unberücksichtigt bleiben, nur auf die Anrechnung von
Restwerten in Absatz 2 der Klausel beziehe. Bei den vereinbarten Klau-
seln 2302 und 2303 handele es sich um Besondere Bedingungen des
Versicherungsvertrages. Diese Spezialregelungen zu Mehrkosten durch
behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen verdrängten die allge-
meine Regelung in den AFB 87. In Nr. 1 der Klausel 2302 werde zudem
ausdrücklich klargestellt, dass nach den Allgemeinen Versicherungsbe-
dingungen Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungsbe-
schränkungen nicht mitversichert seien. Ein Anspruch aus Nr. 1 und 2
der Klausel 2302 scheitere bereits daran, dass eine behördliche Auflage
i.S. der Klausel nicht vorliege. Zwar möge zweifelhaft sein, ob der Begriff
"behördliche Auflage" allein auf die Definition und rechtliche Einordnung
in § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG zurückzuführen sei, weil der Begriff "Auflage"
nicht nur im Verwaltungsrecht, sondern auch im Strafrecht und Zivilrecht
verwendet werde. Es sei auch nicht zu verkennen, dass durch die Ein-
führung des Anzeigeverfahrens in § 15 BImSchG ein gesetzliches Ver-
fahren geschaffen worden sei, wonach die Abstimmung einer geplanten
Änderung der Anlage mit der Behörde im Vorfeld den Erlass von sonst
8
- 7 -
gebotenen rechtlichen Auflagen im Genehmigungsverfahren überflüssig
machen und Zeit und Kosten - bei einer Betriebsunterbrechungsversiche-
rung auch zum Vorteil des Versicherers - sparen könne. Trotz dieser In-
teressenlage sei bei der Auslegung des Begriffs "behördliche Auflage"
aus Gründen der Rechtsklarheit an dem Erlass einer einzelfallbezogenen
rechtsverbindlichen Regelung der Behörde festzuhalten. Den im Schrei-
ben des Umweltamtes vom 17./18. August 1998 und in der Besprechung
vom 6. November 1998 geforderten Maßnahmen habe keine für die Klä-
gerin rechtsverbindliche, einzelfallbezogene Regelung der Behörde
zugrunde gelegen. Ob die Klägerin nach der Gesetzeslage verpflichtet
gewesen sei, die Maßnahmen durchzuführen, sei unerheblich.
II. Mit dieser Begründung lässt sich die Abweisung der Klage nicht
rechtfertigen.
9
1. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Ver-
tragswerks ist schon vom Ansatz her verfehlt. Es durfte nicht offen las-
sen, ob sich der geltend gemachte Anspruch bereits aus §§ 5, 11 Nr. 1
AFB 87 ergibt. Die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingun-
gen (hier der AFB 87) hängt nicht davon ab, ob Klauseln, die zusätzlich
vereinbart werden können, vereinbart worden sind oder nicht (vgl. Se-
natsurteile vom 17. März 1999 - IV ZR 89/98 - VersR 1999, 748 unter 2
und vom 15. November 1989 - IVa ZR 212/88 - VersR 1990, 200 f.; Mar-
tin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. Q IV Rdn. 64). § 11 AFB 87 ist viel-
mehr aus sich heraus auszulegen unabhängig davon, ob der sich aus
den Allgemeinen Bedingungen ergebende Versicherungsschutz durch die
Vereinbarung Besonderer Bedingungen oder von Zusatzklauseln einge-
schränkt oder erweitert wird. Soll der Leistungsumfang abweichend von
10
- 8 -
den AVB - wie hier durch die Klauseln 2302 und 2303 - erklärtermaßen
und nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsneh-
mers unzweifelhaft erweitert werden (vgl. Boldt, Die Feuerversicherung
7. Aufl. S. 29 f.; Johannsen/Johannsen in Bruck/Möller, VVG 8. Aufl.
Bd. III Anm. H 167 S. 702), ist es rechtlich fehlerhaft, daraus eine Ein-
schränkung des nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ver-
sprochenen Versicherungsschutzes abzuleiten (Senatsurteil vom
17. März 1999 aaO; Schnitzler, Der Schaden als Leistungsgrenze in der
Sachversicherung [§ 55 VVG] S. 209).
2. Die Grundlage für den geltend gemachten Anspruch ergibt sich
demgemäß aus §§ 5, 11 Nr. 1 AFB 87. Als Versicherungswert ist - soweit
hier von Bedeutung - der Neuwert vereinbart.
11
a) Nach § 11 Nr. 1a AFB 87 wird bei zerstörten Sachen der Versi-
cherungswert (§ 5) unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles er-
setzt. Versicherungswert von Gebäuden ist nach § 5 Nr. 1a AFB 87 der
Neuwert, definiert als der ortsübliche Neubauwert einschließlich Archi-
tektengebühren sowie sonstiger Konstruktions- und Planungskosten. Der
ortsübliche Neubauwert umfasst die Kosten, die erforderlich sind, um ein
Gebäude gleicher Art, Güte und Zweckbestimmung im neuwertigen Zu-
stand wieder herzustellen (vgl. § 11 Nr. 5a AFB 87; Martin aaO Q IV
Rdn. 11). Ist eine Wiederherstellung aus tatsächlichen, rechtlichen oder
wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in gleicher, sondern nur noch in
besserer Art und Güte möglich, so ist die nächst bessere und realisierba-
re Art und Güte zugrunde zu legen (Senatsurteil vom 21. Februar 1990
- IV ZR 298/88 - VersR 1990, 488 unter 2; Kollhosser in Prölss/Martin,
VVG 27. Aufl. § 5 AFB 87 Rdn. 3; Martin aaO Q IV Rdn. 14, 17; Engels,
VP 1989, 88 f.). Der zu ersetzende ortsübliche Neubauwert umfasst da-
12
- 9 -
mit insbesondere unvermeidliche Mehrkosten infolge behördlicher Wie-
derherstellungsbeschränkungen (Kollhosser aaO und § 55 VVG Rdn. 43,
§ 83 VVG Rdn. 2 a.E. sowie § 15 VGB 88 Rdn. 3; Martin aaO Q IV
Rdn. 23-25 und 29-32; BK/Dörner/Staudinger, § 83 VVG Rdn. 6; Schnitz-
ler aaO S. 199). Das folgt aus dem Zweck der Neuwertversicherung, den
Versicherungsnehmer vor den ungeplanten, ihm durch den Versiche-
rungsfall aufgezwungenen, mit der Wiederherstellung verbundenen Kos-
ten zu schützen, auch soweit sie den Zeitwert übersteigen (vgl. Senats-
urteil vom 21. Februar 1990 aaO und BGHZ 137, 318, 326 f.; Martin aaO
R III Rdn. 20). Ob Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstellungs-
beschränkungen zu ersetzen sind, hängt nicht von der Form der behörd-
lichen Vorgaben ab, sondern davon, ob es rechtmäßig ist, die Wieder-
herstellung davon abhängig zu machen (vgl. Martin aaO Q IV Rdn. 44).
b) Die gleichen Grundsätze gelten für den Ersatz der notwendigen
Reparaturkosten bei beschädigten Sachen, weil § 11 Nr. 1b AFB 87
ebenfalls auf den Versicherungswert abstellt, also den Neuwert unmittel-
bar vor Eintritt des Versicherungsfalles als Obergrenze (vgl. Senatsurteil
vom 24. Januar 2007 - IV ZR 84/05 - VersR 2007, 489 unter 3; Martin
aaO R III Rdn. 13, 16, 28).
13
3. Der sich aus § 5 Nr. 1a i.V. mit dem ersten Satz/Absatz in § 11
Nr. 1 AFB 87 ergebende Anspruch wird durch den (üblicherweise und
auch im Folgenden als Absatz 3 bezeichneten) Satz "Behördliche Wie-
derherstellungsbeschränkungen bleiben unberücksichtigt" nicht wirksam
eingeschränkt. Diese Bestimmung benachteiligt den Versicherungsneh-
mer wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 9 AGBG, jetzt
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) unangemessen und ist deshalb unwirksam.
14
- 10 -
15
a) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner
Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und
Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners mög-
lichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur
darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittli-
chen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und
Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belas-
tungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert
werden kann (BGHZ 147, 354, 361 f.)
b) Diesen Anforderungen genügt § 11 Nr. 1 Abs. 3 AFB 87 nicht.
16
aa) Schon die Formulierung "Behördliche Wiederherstellungsbe-
schränkungen bleiben unberücksichtigt" weist den durchschnittlichen
Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnismöglichkeiten es ankommt
(BGHZ 123, 83, 85), nicht mit der gebotenen und möglichen Klarheit dar-
auf hin, dass es um Mehrkosten infolge behördlicher Wiederherstel-
lungsbeschränkungen geht und diese nicht ersetzt werden. Der Satz wird
vom Schriftbild her auch nicht ohne weiteres als selbständiger Absatz
erkannt. Deshalb können Zweifel aufkommen, ob er sich nur auf die im
Satz/Absatz davor erwähnten Restwerte oder auch auf die unter a) und
b) geregelten Wiederherstellungs- und Reparaturkosten bezieht.
17
bb)
Demgemäß
verwundert es nicht, dass die Auslegung von § 11
Nr. 1 Abs. 3 AFB 87 in der Literatur umstritten ist (vgl. Schnitzler aaO
S. 206 ff.).
18
Einige Autoren meinen, die Nichtberücksichtigung behördlicher
Wiederherstellungsbeschränkungen beziehe sich allein auf die Anrech-
19
- 11 -
nung von Restwerten (Kollhosser aaO § 5 AFB 87 Rdn. 3; Martin aaO
Q IV Rdn. 33-36; Engels aaO; Josten/Horn, Die Feuer-Industrie-
Versicherung S. 34).
Nach anderer Auffassung enthält die Klausel einen vollständigen
Ausschluss der durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkungen
verursachten Mehrkosten, und zwar für den Fall von Nr. 1a und Nr. 1b
(Boldt aaO; Johannsen/Johannsen aaO Anm. H 167 S. 701 f.; ebenso
wohl auch Dietz, Wohngebäudeversicherung 2. Aufl. R 2.2; Schnitzler
aaO S. 208 ff.).
20
cc) Die Auslegung, die Klausel beziehe sich nur auf die Anrech-
nung von Restwerten, lässt sich zwar für denjenigen hören, der über ver-
tiefte rechtliche Kenntnisse in der Neuwertversicherung von Gebäuden
verfügt. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der § 11 Nr. 1
AFB 87 verständig würdigend aufmerksam durchsieht und einen Sinnzu-
sammenhang mit der Bestimmung des Versicherungswerts in § 5 AFB 87
erkennt, wird sich dies nicht als ernsthaft in Betracht kommende Ausle-
gungsmöglichkeit erschließen. Selbst Martin (aaO Q IV 33, 63, R II 25)
kommt zu dem Ergebnis, dass der allein in Betracht kommende Ver-
kaufswert der Reste durch behördliche Wiederherstellungsbeschränkun-
gen nicht beeinflusst werde und die Klausel deshalb kein Anwendungs-
gebiet habe.
21
Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer wird der Klau-
sel aber nicht jede Bedeutung absprechen. Er kann ihr immerhin noch
entnehmen, dass sie wie die Anrechnung der Restwerte auf eine Kür-
zung der Ersatzleistung abzielt. Ob die Nichtberücksichtigung von be-
hördlichen Wiederherstellungsbeschränkungen nur die Wiederherstellung
22
- 12 -
zerstörter Sachen oder auch die notwendigen Reparaturkosten bei be-
schädigten Sachen betrifft, bleibt allerdings im Dunkeln. Zudem werden
die mit dem völligen Ausschluss solcher Mehrkosten verbundenen wirt-
schaftlichen Nachteile dem Versicherungsnehmer auch nicht annähernd
vor Augen geführt. Insbesondere bei älteren Industrieanlagen kann dies
wegen neuer Gesetze zum Schutz der Umwelt und über die Anlagensi-
cherheit zu Mehrkosten in einer Größenordnung führen, die eine Wieder-
herstellung für den Versicherungsnehmer wirtschaftlich unmöglich ma-
chen.
III. Nach der Zurückverweisung und eventuell ergänzendem Par-
teivortrag wird das Berufungsgericht die Sache in tatsächlicher Hinsicht
aufzuklären und die Rechtmäßigkeit der behördlichen Vorgaben zu prü-
fen haben. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass sich die in den
vorinstanzlichen Schriftsätzen erwähnte Baugenehmigung für das Hal-
23
- 13 -
lendach und das im Schriftsatz der Beklagten vom 24. Juni 2004 erwähn-
te Sachverständigengutachten F. (GA II 378) nicht bei den Akten
befinden.
Seiffert Dr. Schlichting Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 11.12.2003 - 24 O 336/02 -
OLG Köln, Entscheidung vom 28.09.2004 - 9 U 9/04 -