Urteil des BGH vom 15.02.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 118/04 Verkündet
am:
15. Februar 2007
Führinger
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ
: nein
BGHR
:
ja
ADSp (Fassung 1999) Nr. 19
Einer zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung steht ein Einwand i.S. von
Nr. 19 ADSp nicht entgegen, wenn die geltend gemachten Einwendungen ohne
weiteres unbegründet sind und daher eine sofortige Entscheidung über den
Aufrechnungseinwand zulassen.
ADSp (Fassung 1999) Nr. 27
Die Klausel in Nr. 27.2 ADSp ist im Verhältnis zu der Klausel in Nr. 27.1 ADSp
die speziellere Regelung. Sie gilt nicht nur, wenn sich der Anspruch aus
§§ 425 ff., 461 Abs. 1 HGB ergibt, sondern auch dann, wenn der Anspruch
zumindest durch diese Vorschriften näher ausgestaltet ist, etwa durch § 433
HGB.
BGB § 242 Cb
Die Berufung auf ein wirksam vereinbartes Aufrechnungsverbot (hier: Nr. 19
ADSp 1999) ist nicht schlechthin als nach § 242 BGB treuwidrig anzusehen,
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wenn die zur Aufrechnung gestellte Forderung verjährt und eine Befriedigung
des Schuldners daher nur noch durch Aufrechnung möglich ist. Maßgeblich
sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.
BGH, Urt. v. 15. Februar 2007 - I ZR 118/04 - OLG Düsseldorf
LG
Düsseldorf
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Der I.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 15. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und
Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandes-
gerichts Düsseldorf vom 7. Juli 2004 wird auf Kosten der Beklag-
ten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen und steht mit der
Beklagten in laufender Geschäftsbeziehung. Sie macht mit ihrer Klage restliche
Vergütungsansprüche für in den Monaten September und Oktober 2001
erbrachte Transportleistungen in Höhe von insgesamt 18.872,40 € geltend. Die
Parteien streiten allein darüber, ob die Klageforderung durch Aufrechnung mit
einer Gegenforderung der Beklagten in gleicher Höhe erloschen ist. Die
Klägerin ist der Aufrechnung unter Berufung auf das Aufrechnungsverbot
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gemäß Nr. 19 ADSp (im Weiteren: ADSp) entgegengetreten. Der zur Aufrech-
nung gestellten Forderung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Die Beklagte beauftragte die Klägerin am 4. Januar 2001 zu festen
Kosten mit der Beförderung einer Warensendung zur Dr. S. AG (im Weite-
ren: Dr. S.-AG) in Ulm. Die Dr. S.-AG hatte die Ware von der S. P. P.
(im Weiteren: SPP) gekauft, die die Ware ihrerseits von der Beklagten erworben
hatte. Die Beklagte erteilte der Klägerin die Weisung, die Ablieferung der Ware
bei der Dr. S.-AG nur gegen Einziehung eines Verrechnungsschecks über
18.872,40 € vorzunehmen. Der Scheck sollte anschließend von der Klägerin an
die Beklagte weitergeleitet werden. Obwohl die Klägerin das von ihr mit dem
Transport beauftragte Unternehmen N. entsprechend angewiesen hatte,
leitete deren Fahrer den bei Ablieferung der Ware erhaltenen Scheck nicht an
die Klägerin, sondern an die SPP weiter, die in dem Scheck als Zahlungs-
empfängerin angegeben war. Der Scheck wurde nicht eingelöst. Er ging entwe-
der auf dem Postweg oder bei der SPP verloren. Etwa vier Monate nach
Ablieferung der Ware ließ die Dr. S.-AG den Scheck sperren. Über das Vermö-
gen der Dr. S.-AG wurde am 30. Mai 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Beklagte hat behauptet, sie hätte den Scheck, der gedeckt gewesen
sei, bei einer vertragsgemäßen Weiterleitung an sie sofort eingelöst. Dadurch
wäre ihr Kaufpreisanspruch gegen die SPP erfüllt worden, weil sie sich in
Absprache mit der SPP aus dem Scheck habe befriedigen dürfen. Eine Reali-
sierung ihrer Forderung gegen die mittlerweile aufgelöste SPP sei jetzt nicht
mehr möglich. Es sei ihr daher durch die Vertragsverletzung der Klägerin ein
Schaden in Höhe der Klageforderung entstanden. Das Aufrechnungsverbot
gemäß Nr. 19 ADSp greife nicht ein, da ihre zur Aufrechnung gestellte Scha-
densersatzforderung entscheidungsreif sei. Zudem habe die Klägerin sie wider
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Treu und Glauben daran gehindert, ihren Schadensersatzanspruch innerhalb
der Verjährungsfrist geltend zu machen.
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Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 18.872,40 € nebst
Zinsen verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Er-
folg geblieben.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurück-
weisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageab-
weisung weiter.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten erklärte Aufrechnung
nicht durchgreifen lassen. Dazu hat es ausgeführt:
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Die Beklagte habe zwar einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen
die Klägerin aus positiver Verletzung des Speditionsvertrags schlüssig darge-
legt. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung scheitere aber an dem
wirksam in den Speditionsvertrag einbezogenen Aufrechnungsverbot gemäß
Nr. 19 ADSp. Dessen Voraussetzungen seien erfüllt, insbesondere sei die zur
Aufrechnung gestellte Schadensersatzforderung nicht entscheidungsreif. Das
Aufrechnungsverbot sei auch nicht einschränkend dahingehend auszulegen,
dass es nicht eingreife, wenn der Spediteur den Schaden vorsätzlich oder
zumindest leichtfertig herbeigeführt habe. Die gegenteilige Rechtsauffassung
des Bundesgerichtshofs zu § 32 ADSp a.F. i.V. mit § 51 lit. b Satz 2 ADSp a.F.
sei auf Nr. 19 ADSp nicht übertragbar. Zwar habe der von der Klägerin
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eingesetzte Unterfrachtführer zumindest leichtfertig gehandelt. Die Regelung in
Nr. 27 ADSp, wonach die Haftungsbefreiungen und -begrenzungen in den
ADSp nicht bei einem qualifizierten Verschulden des Spediteurs oder seiner
leitenden Angestellten bzw. der in §§ 428, 462 HGB genannten Personen zum
Tragen kämen, greife aber nicht ein, weil das Aufrechnungsverbot gemäß
Nr. 19 ADSp keine haftungsbeschränkende Regelung darstelle. Ein Aufrech-
nungsverbot, das nach seinem Wortlaut auch vorsätzliche oder leichtfertig
verursachte Schadensersatzansprüche umfasse, verstoße nicht gegen § 9
AGBG. Der Klägerin sei es auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich
auf das Aufrechnungsverbot zu berufen. Das bloße Schweigen der Klägerin auf
die außergerichtlich erklärte Aufrechnung der Beklagten habe keinen Ver-
trauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass die Klägerin die Gegen-
forderung der Beklagten akzeptiere.
II. Die Revision hat keinen Erfolg. Die unstreitige Klageforderung ist nicht
durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen. Das Berufungs-
gericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass einer wirksamen
Aufrechnung das Aufrechnungsverbot in Nr. 19 ADSp entgegensteht.
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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die
ADSp in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung vom
1. Januar 1999 durch den ausdrücklichen Hinweis auf dem Briefkopf der
Klägerin, dass sie ausschließlich auf der Grundlage der ADSp n.F. arbeite,
wirksam vereinbart worden sind. Die Revision erhebt dagegen auch keine
Einwendungen.
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2. Die Voraussetzungen des Aufrechnungsverbots gemäß Nr. 19 ADSp,
gegen dessen Wirksamkeit keine Bedenken bestehen (vgl. BGH, Urt. v.
16.3.2006 - I ZR 65/03, TranspR 2006, 359, 361 = NJW-RR 2006, 1350 unter
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Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 6.5.1999 - I ZR 84/97, TranspR 1999, 347, 348 =
NJW 1999, 3629 m.w.N. zu § 32 ADSp i.d.F. v. 1.3.1989), liegen vor. Danach
ist eine Aufrechnung nur mit fälligen Gegenansprüchen zulässig, denen ein
Einwand nicht entgegensteht. Die Regelung soll ebenso wie die inhaltlich im
Wesentlichen gleichlautende Bestimmung des § 32 ADSp a.F. verhindern, dass
die Durchsetzung der Ansprüche des Spediteurs oder des Auftraggebers durch
Aufrechnung mit Gegenforderungen verzögert wird, die nach Grund und Höhe
streitig sind und der Aufklärung bedürfen (BGH, Urt. v. 26.2.1987 - I ZR 110/85,
TranspR 1987, 287, 288 = NJW-RR 1987, 883; BGH TranspR 1999, 347, 348
zu § 32 ADSp a.F.; Gass in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, Nr. 19 ADSp
Rdn. 1; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Nr. 19 ADSp Rdn. 3).
Ein Einwand steht der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung nicht
entgegen, wenn die geltend gemachten Einwendungen - im weitesten Sinne -
ohne weiteres unbegründet sind und daher eine sofortige Entscheidung über
den Aufrechnungseinwand zulassen (BGHZ 12, 136, 143; BGH TranspR 1999,
347, 348). Dies ist entgegen der Ansicht der Revision hier aber nicht der Fall.
Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die zur Aufrechnung
gestellte Schadensersatzforderung der Beklagten streitig ist und über ihr
Bestehen nicht ohne Beweisaufnahme entschieden werden kann (vgl. auch
BGH, Urt. v. 7.3.1991 - I ZR 157/89, TranspR 1991, 308, 310 = VersR 1991,
1080).
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Zwischen den Parteien ist allerdings unstreitig, dass der Unterfracht-
führer der Klägerin - was ihr über § 278 BGB zuzurechnen ist (vgl. dazu Koller
aaO § 428 HGB Rdn. 2 m.w.N.) - die im Speditionsvertrag vereinbarte
Nebenpflicht, den Verrechnungsscheck über die Klägerin an die Beklagte
weiterzuleiten, schuldhaft verletzt hat. Entgegen der Ansicht der Revisionser-
widerung ist diese Pflichtverletzung für den behaupteten Schaden auch kausal
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geworden. Der Umstand, dass der Scheck entweder bei der SPP oder auf dem
Postweg verlorengegangen ist, hat zu keiner Unterbrechung des Zurechnungs-
zusammenhangs geführt. Bei einem vertragsgemäßen Verhalten der Klägerin
wäre der Scheck nicht zur SPP gelangt, so dass sich die Frage nach einer
hypothetischen Schadensursache insoweit nicht stellt. Die bloße Möglichkeit,
dass der Scheck auch auf dem Postweg zur Klägerin oder zur Beklagten hätte
verlorengehen können, reicht für eine Unterbrechung des Zurechnungszu-
sammenhangs nicht aus (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., Vorbem.
vor § 249 Rdn. 101, 107 m.w.N.).
Die Beantwortung der Frage, ob der Beklagten durch die von der
Klägerin zu vertretende Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist, hängt
jedoch von dem umstrittenen und unter Zeugenbeweis gestellten Sachvortrag
der Beklagten ab, dass der Scheck von der bezogenen Bank tatsächlich
eingelöst worden wäre. Desweiteren ist zwischen den Parteien streitig, ob die
Beklagte dadurch gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen hat, dass
sie ihren weiterhin bestehenden Kaufpreisanspruch gegen die SPP nicht
geltend gemacht hat. Zwar stand der Geltendmachung dieses Anspruchs
zunächst die Einrede der Scheckhingabe entgegen (vgl. dazu BGH, Beschl. v.
16.4.1996 - XI ZR 222/95, NJW 1996, 1961; Urt. v. 12.7.2000 - VIII ZR 99/99,
NJW 2000, 3344, 3345). Da die Dr. S.-AG den Scheck jedoch etwa vier Monate
nach Ablieferung der Ware hat sperren lassen, ist die Gefahr einer doppelten
Inanspruchnahme der SPP jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Widerrufs des
Schecks weggefallen. Auch insoweit bedarf der Sachverhalt daher noch der
Klärung. Eine sofortige Entscheidung über die Aufrechnungsforderung ist
deshalb nicht möglich.
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3. Die vom Berufungsgericht im Anschluss an das Senatsurteil vom
12. Dezember 1996 (I ZR 172/94, TranspR 1998, 75, 76 = NJW-RR 1997, 926)
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aufgeworfene Rechtsfrage, ob das Aufrechnungsverbot gemäß Nr. 19 ADSp
auch dann gilt, wenn der Gegenanspruch auf einer vorsätzlichen oder grob
fahrlässigen bzw. leichtfertigen Vertragsverletzung des Spediteurs beruht, stellt
sich im vorliegenden Fall nicht.
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a) Es kann offenbleiben, ob das Aufrechnungsverbot in Nr. 19 ADSp als
Haftungsbegrenzung im Sinne der Nr. 27 ADSp anzusehen ist, weil der Scha-
den der Beklagten nicht durch ein qualifiziertes Verschulden verursacht worden
ist.
aa) Im Streitfall ist auf die im Verhältnis zu Nr. 27.1 ADSp speziellere
Regelung in Nr. 27.2 ADSp abzustellen (vgl. Koller aaO Nr. 27 ADSp Rdn. 8).
Diese ist nicht nur dort heranzuziehen, wo sich der Anspruch aus den
§§ 425 ff., 461 Abs. 1 HGB ergibt, sondern auch dann, wenn er zumindest
durch diese Vorschriften näher ausgestaltet ist, etwa durch § 433 HGB (Koller
aaO Nr. 27 ADSp Rdn. 8; Temme in: Knorre/Temme/Müller/Schmid/Demuth,
Praxishandbuch Transportrecht, G. II Rdn. 192).
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Der Verstoß gegen die einer Nachnahmeabrede ähnliche Weisung, den
Scheck einzuziehen und über die Klägerin an die Beklagte weiterzuleiten, stellt
sich als Verletzung einer zumindest beförderungsnahen Nebenpflicht dar, die
unter § 433 HGB fällt (vgl. Gass in: Ebenroth/Boujong/Joost aaO § 433 Rdn. 7;
MünchKomm.HGB-Aktualisierungsbd. TranspR/Dubischar, § 433 Rdn.4).
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bb) Die Revisionserwiderung macht mit Recht geltend, dass die vom
Berufungsgericht getroffenen Feststellungen seine Beurteilung nicht tragen, der
Unterfrachtführer habe "zumindest leichtfertig" gegen die vertragliche Neben-
pflicht verstoßen, den von der Dr. S.-AG erhaltenen Scheck über die Klägerin
an die Beklagte weiterzuleiten. Das Berufungsgericht hat den Rechtsbegriff der
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Leichtfertigkeit verkannt, was der Nachprüfung durch das Revisionsgericht
unterliegt (BGHZ 149, 337, 345; 158, 322, 327 m.w.N.). Der Senat kann auf der
Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des
unstreitigen Sachverhalts selbst entscheiden, dass dem Unterfrachtführer
lediglich eine leicht fahrlässige Nebenpflichtverletzung anzulasten ist. Weitere
Feststellungen des Berufungsgerichts sind nicht zu erwarten.
(1) Das Berufungsgericht hat seine Annahme, der Unterfrachtführer habe
"zumindest leichtfertig" gehandelt, allein darauf gestützt, dass dieser den
Scheck entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht über die Klägerin an die
Beklagte, sondern an die SPP geschickt hat. Die Tatsache einer Vertragsver-
letzung begründet für sich genommen noch nicht einmal den Vorwurf eines
schuldhaften Handelns. Noch weniger besagt dieser Umstand etwas über den
Grad eines Verschuldens. Die Frage, ob ein Verhalten den Vorwurf eines
qualifizierten Verschuldens rechtfertigt, kann nur unter Berücksichtigung der
Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden (BGH TranspR
1998, 75, 77).
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(2) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Verrech-
nungsscheck auf die SPP ausgestellt. Diese war auch in der Versandliste als
Versenderin aufgeführt. Der Fahrer des Unterfrachtführers hat einen Teil der
vertraglichen Vereinbarung, nämlich die Auslieferung der Ware gegen Erhalt
eines Verrechnungsschecks über eine bestimmte Summe, ordnungsgemäß
erfüllt. Lediglich die Weiterleitung des Schecks erfolgte nicht pflichtgemäß.
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(3) Eine bewusst leichtfertige Vertragsverletzung des Unterfrachtführers
kann den vom Berufungsgericht festgestellten tatsächlichen Umständen nicht
entnommen werden.
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Leichtfertigkeit erfordert einen besonders schweren Pflichtenverstoß, bei
dem sich der Spediteur oder seine Leute (§ 428 HGB) in krasser Weise über
die Interessen der Vertragspartner hinwegsetzen (BGHZ 158, 322, 328; BGH,
Urt. v. 17.6.2004 - I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 401 = VersR 2004, 570).
Hinzukommen muss das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.
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Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen liegt schon objektiv
keine Leichtfertigkeit des von der Klägerin beauftragten Unterfrachtführers vor.
Insbesondere der Umstand, dass der Unterfrachtführer den Scheck demjenigen
zugeleitet hat, der im Scheck als Zahlungsempfänger genannt ist, spricht
deutlich gegen einen besonders schweren Pflichtenverstoß. Es kann daher nur
von einer der Klägerin zurechenbaren leichten Fahrlässigkeit des Unterfracht-
führers ausgegangen werden.
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b) Ein Zurücktreten des Aufrechnungsverbots gemäß § 242 BGB kommt
nur bei vorsätzlichen Vertragsverletzungen in Betracht (vgl. BGH, Urt. v.
9.5.1966 - VIII ZR 8/64, NJW 1966, 1452; Urt. v. 12.1.1977 - VIII ZR 252/75,
WM 1977, 311, 312; Urt. v. 7.3.1985 - III ZR 90/83, WM 1985, 866, 868;
Palandt/Grüneberg aaO § 387 Rdn. 17; Staudinger/Gursky, BGB [2000], § 387
Rdn. 248). Dafür bestehen - wie dargelegt - jedoch keine Anhaltspunkte.
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4. Die Berufung der Klägerin auf das Aufrechnungsverbot stellt sich
entgegen der Auffassung der Revision auch dann nicht als treuwidrig dar, wenn
die Schadensersatzforderung der Beklagten inzwischen verjährt sein sollte.
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a) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob und
wann der zur Aufrechnung gestellte Schadensersatzanspruch der Beklagten
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verjährt ist. Für die Revisionsinstanz ist daher zugunsten der Beklagten vom
Eintritt der Verjährung auszugehen.
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b) Gemäß Nr. 19 ADSp wird die Aufrechnung nur allgemein für ein-
wendungsbehaftete Gegenansprüche ausgeschlossen, ohne den Fall der
Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung besonders in den Blick zu
nehmen. Solche Klauseln sind grundsätzlich als wirksam anzusehen. Die
Berufung auf das Aufrechnungsverbot im Falle des Vorliegens einer verjährten
Forderung kann aber nach § 242 BGB unzulässig sein (vgl. Wolf in Wolf/
Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 4. Aufl., § 11 Nr. 3 Rdn. 14; Staudinger/Coester-
Waltjen, BGB [2006], § 309 Nr. 3 Rdn. 2).
Die Frage, ob ein wirksames Aufrechnungsverbot nach Treu und
Glauben zurücktreten muss, wenn die zur Aufrechnung gestellte Forderung
verjährt und eine Befriedigung des Schuldners daher nur noch durch
Aufrechnung möglich ist, ist umstritten (bejahend: OLG Hamm NJW-RR 1993,
1082 f.; Staudinger/Peters, BGB [2004], § 215 Rdn. 4; Staudinger/Coester-
Waltjen aaO § 309 Nr. 3 Rdn. 2; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher aaO § 11 Nr. 3
Rdn. 14; Hensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 309 Nr. 3
BGB Rdn. 7; verneinend: OLG Karlsruhe OLG-Rep 2001, 125; jurisPK-BGB/
Lapp, 2. Aufl., § 309 Rdn. 30; Becker in Bamberger/Roth, BGB, § 309 Nr. 3
Rdn. 13). Die Berufung auf ein Aufrechnungsverbot trotz Verjährung der zur
Aufrechnung gestellten Forderung kann nicht schlechthin als treuwidrig
angesehen werden. Jedenfalls unter den im Streitfall gegebenen Umständen
verstößt die Berufung der Klägerin auf das Aufrechnungsverbot nicht gegen
§ 242 BGB.
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aa) Die Beklagte könnte ohne das Bestehen des Aufrechnungsverbots
nach § 390 Satz 2 BGB a.F. i.V. mit Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB zwar mit ihrer
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verjährten Forderung aufrechnen, weil sich die Klageforderung und die von der
Beklagten geltend gemachte Gegenforderung im Oktober 2001 - und damit in
unverjährter Zeit - erstmals aufrechenbar gegenübergestanden haben. Jedoch
besteht kein schützenswertes Interesse der Beklagten am Erhalt der einmal
entstandenen Aufrechnungsbefugnis und kein berechtigtes Vertrauen auf deren
Fortbestand, wie es der Vorschrift des § 390 Satz 2 BGB a.F. zugrunde liegt.
Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts standen beide
Parteien, bei denen es sich um Kaufleute handelt, in laufender Geschäfts-
beziehung auf der Grundlage der ADSp. Der Beklagten war daher schon bei
Entstehung der Aufrechnungslage bekannt, dass sie sich nicht durch Aufrech-
nung mit einer von der Klägerin bestrittenen Forderung würde befriedigen
können.
bb) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe den
unstreitigen Vortrag der Beklagten nicht beachtet, dass die Klägerin im Rahmen
der laufenden Geschäftsverbindung Abzugspositionen der Beklagten akzeptiert
habe, woraus sich eine Pflicht der Klägerin ergeben habe, der erklärten
Aufrechnung zeitnah zu widersprechen. Dem Vortrag der Beklagten, auf den
sich die Revision in diesem Zusammenhang stützt, kann nicht entnommen
werden, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung zur Beklagten
die außergerichtliche Aufrechnung gerade mit streitigen Gegenforderungen der
Beklagten geduldet hat. Die Beklagte hat lediglich vorgetragen, dass die
Klägerin auf die außergerichtliche Aufrechnung der Beklagten vom 19. Oktober
2001 nicht reagiert habe. Dadurch wurde, wie das Berufungsgericht zutreffend
ausgeführt hat, unter den gegebenen Umständen kein Vertrauenstatbestand
geschaffen. Die Klägerin ist dem Sachvortrag der Beklagten zudem unter
Berufung auf ihr Schreiben vom 25. September 2001 entgegengetreten. Darin
hat sie die Beklagte wegen der Scheckforderung auf den Klageweg gegen ihren
Vertragspartner verwiesen. Aus diesem Schreiben hat sich für die Beklagte
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schon in unverjährter Zeit mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, dass sie nicht
damit rechnen konnte, die Klägerin würde eine gegen sie wegen des abhanden
gekommenen Schecks erhobene Schadensersatzforderung nicht bestreiten und
erfüllen. Die Verjährung der Schadensersatzforderung der Beklagten beruht
daher auf ihrer eigenen Untätigkeit. Unter diesen Umständen ist es nicht
treuwidrig, dass sich die Klägerin auf das Aufrechnungsverbot gemäß Nr. 19
ADSp beruft.
III. Die Revision der Beklagten ist danach mit der Kostenfolge aus § 97
Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Bornkamm
Pokrant Büscher
Schaffert
Bergmann
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.09.2003 - 37 O 187/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.07.2004 - I-18 U 225/03 -