Urteil des BGH vom 26.03.2013
BGH: rechtliches gehör, hauptsache, verdienstausfall, klagebegehren, nebentätigkeit, verkehrsunfall
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZR 329/12
vom
26. März 2013
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. März 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen,
den Richter Pauge und die Richterin von Pentz
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil
des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesge-
richts vom 6. Juni 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 20.983,39 €
Gründe:
I.
Der Kläger, ein (selbständiger) Arzt, macht gegen die Beklagten Scha-
densersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem er eine Ver-
letzung des Sternoclaviculargelenks (= Brustbein-Schlüsselbein-Gelenk) erlitten
hat, weshalb er dauerhaft seiner Nebentätigkeit als Notarzt nicht mehr nachge-
hen kann. Die Berechnung des dem Kläger hierdurch entstandenen Verdienst-
ausfallschadens (nebst sich hieraus errechnender vorgerichtlicher Anwaltskos-
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ten) steht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch im Streit, weil sich
nach der Beurteilung des Berufungsgerichts der unfallbedingte (Brutto-)
Verdienstausfallschaden des Klägers im Jahre 2006 nicht - wie vom Landge-
richt errechnet - auf rund 53.400
€, sondern auf lediglich 32.423,56 € beläuft.
Da das Berufungsgericht gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat,
möchte der Kläger mit seiner vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde eine
Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht erreichen, um sein Klage-
begehren insoweit weiterzuverfolgen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß
§ 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückver-
weisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat
den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in ent-
scheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Berufungs-
gericht im Rahmen der Berechnung des Verdienstausfallschadens im Jahr 2006
wesentliches Vorbringen übergangen hat. Denn das Berufungsgericht hat bei
der Berechnung der durchschnittlichen Bruttoeinnahmen aus der Notarzttätig-
keit die Bruttoeinnahmen des Jahres 2003 mit berücksichtigt, obwohl der Kläger
dargelegt hatte, dass das Jahr 2003 insoweit nicht repräsentativ gewesen sei
und sich in den Jahren 2004 und 2005, ebenso für das Rumpfjahr 2006 gegen-
über 2003 ein erheblicher Einnahmezuwachs ergeben habe. Dieses entschei-
dungserhebliche Vorbringen des Klägers hätte das Berufungsgericht berück-
sichtigen müssen.
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2. Soweit der Kläger erstinstanzlich hilfsweise Ersatz des Verdienstaus-
fallschadens für die Jahre 2007 und 2008 geltend gemacht hatte und zwar je-
weils in Höhe von brutto 55.000
€, ist er hierauf in der Berufungsinstanz nicht
mehr ausdrücklich zurückgekommen. Dies war auch nicht erforderlich, weil er in
erster Instanz hinsichtlich des in der Hauptsache geltend gemachten Verdienst-
ausfallschadens obsiegt hatte, so dass es auf die Hilfsbegründung nicht mehr
ankam. In der zweiten Instanz ist dieses Hilfsvorbringen jedoch wieder ent-
scheidungsrelevant geworden, weil das Berufungsgericht einen geringeren
Verdienstausfall für die Vorjahre errechnet hat als das Erstgericht. Unter diesen
Umständen durfte das Berufungsgericht ohne rechtlichen Hinweis im Sinne des
§ 139 ZPO nicht davon ausgehen, dass der Kläger sein erstinstanzliches Hilfs-
vorbringen fallenlassen wollte. Indem das Berufungsgericht hierauf nicht einge-
gangen ist, hat es auch insoweit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Ge-
hör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
3. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berück-
sichtigung des Vorbringens des Klägers einen höheren Betrag zuerkannt hätte.
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Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit ha-
ben, sich auch mit den weiteren Einwendungen des Klägers gegen seine Beur-
teilung auseinanderzusetzen.
Galke
Wellner
Diederichsen
Pauge
von Pentz
Vorinstanzen:
LG Itzehoe, Entscheidung vom 01.06.2011 - 7 O 245/07 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 06.06.2012 - 7 U 84/11 -
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