Urteil des BGH vom 29.06.2006
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 76/04
Verkündet
am:
29. Juni 2006
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 326 G a.F.
Hat ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten einen Verzugsschadensersatzanspruch
geltend zu machen, stellt es eine Pflichtverletzung dar, wenn er es unterlässt, in dem
Mahnschreiben eine Ablehnungsandrohung auszusprechen. Er darf sich regelmäßig
nicht darauf verlassen, dass die Ablehnungsandrohung wegen Interessenwegfalls
entbehrlich ist.
BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - IX ZR 76/04 - OLG München
LG München I
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Juni 2006 durch die Richter Dr. Ganter, Vill, Cierniak, die Richterin
Lohmann und den Richter Dr. Fischer
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 2. März 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin schloss mit der S. GmbH
(i.F.: S.) einen "Kaufvertrag mit Bauverpflichtung" über eine Eigentumswoh-
nung. Da die S. den vereinbarten Fertigstellungstermin nicht einhielt, beauf-
tragte die Klägerin die erstverklagte Partnerschaft mit ihrer anwaltlichen Vertre-
tung; der Auftrag wurde von den zu 2 und 3 verklagten Partnern bearbeitet.
Diese wiesen die S. mit Schreiben vom 2. Dezember 1999 darauf hin, dass
der Klägerin die gesamten Steuervorteile verloren gingen, wenn das Objekt
nicht bis Ende 1999 fertig gestellt werde. Vorsorglich setzten sie Frist zur Fer-
tigstellung bis zum 31. Dezember 1999; nach Ablauf dieser Frist behalte man
sich wegen des Verzugs alle Rechte vor.
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Nachdem auch dieser Termin verstrichen war, erhob die Klägerin, vertre-
ten durch die Beklagte zu 1, eine Schadensersatzklage und eine gesonderte
Klage auf Zahlungen aus einer Mietgarantie. Mit Vergleich vom 1. März 2001
wurden beide Verfahren erledigt.
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Die Klägerin macht den Beklagten zum Vorwurf, sie hätten es unterlas-
sen, die Voraussetzungen für die erfolgreiche Geltendmachung von Schadens-
ersatzansprüchen gegen die S. zu schaffen. In dem Schreiben vom
2. Dezember 1999 habe die Ablehnungsandrohung gemäß § 326 Abs. 1 BGB
a.F. gefehlt. Die Klage auf Schadensersatz für alle durch den Verzug der S.
entstandenen Vermögensnachteile, soweit diese nach dem Vergleichsschluss
noch verblieben, hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer - vom Senat
zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat gemeint, die von der Klägerin behauptete
Pflichtverletzung der Beklagten liege nicht vor. Eine Ablehnungsandrohung sei
nicht erforderlich gewesen, weil die Erfüllung des mit der S. geschlossenen
Vertrages für die Klägerin nach dem 31. Dezember 1999 kein Interesse mehr
gehabt habe (§ 326 Abs. 2 BGB a.F.). Nicht zu prüfen sei in diesem Verfahren,
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ob sich die Beklagten durch pflichtwidriges Verhalten nach dem 31. Dezember
1999 schadensersatzpflichtig gemacht hätten.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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Nach dem Vortrag der Klägerin, der für die revisionsrechtliche Prüfung
zugrunde zu legen ist, liegt eine Pflichtverletzung der Beklagten vor.
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1. Zutreffend und unbeanstandet ist das Berufungsgericht davon ausge-
gangen, dass für eine Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages neben der be-
klagten Partnerschaft als Vertragspartnerin der Klägerin die Beklagten zu 2
und 3 als Gesamtschuldner haften (§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 PartGG).
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2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein
Rechtsanwalt kraft des Anwaltsvertrags verpflichtet, die Interessen seines Auf-
traggebers in den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung und um-
fassend wahrzunehmen. Er muss sein Verhalten so einrichten, dass er Schädi-
gungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem
Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet. Er hat, wenn meh-
rere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste
und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstreb-
ten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreich-
bar ist (BGH, Urt. v. 5. November 1992 - IX ZR 200/91, NJW 1993, 1320, 1322;
v. 13. März 1997 - IX ZR 81/96, WM 1997, 1392, 1393 f; v. 29. April
2003 - IX ZR 54/02, WM 2003, 1628, 1630; v. 23. September 2004 - IX ZR
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137/03, NJW-RR 2005, 494, 495). Gibt die rechtliche Beurteilung zu begründe-
ten Zweifeln Anlass, so muss er auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass
sich die zur Entscheidung berufene Stelle der seinem Auftraggeber ungünstige-
ren Beurteilung der Rechtslage anschließt. Im Prozess ist er verpflichtet, den
Versuch zu unternehmen, das Gericht davon zu überzeugen, dass und warum
seine Auffassung richtig ist (vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 1987 - IX ZR 41/86,
NJW 1988, 1079, 1080 f; v. 13. Februar 1992 - IX ZR 105/91, WM 1992, 701,
703; v. 21. September 1995 - IX ZR 228/94, WM 1996, 35, 40; v. 23. Septem-
ber 2004 aaO; zust. Henssler/Müller EWiR 2003, 165, 166; Jungk AnwBl. 2003,
104; kritisch BVerfG NJW 2002, 2937, 2938; Jaeger AnwBl. 2002, 655, 657).
Gemäß § 1 Abs. 3 BORA hat der Rechtsanwalt seinen Mandanten vor voraus-
sehbaren Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren.
Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen Grundsätzen abzuleiten
sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Falles.
a) Danach haben die Beklagten mit Recht bei der Abfassung ihres
Schreibens vom 2. Dezember 1999 ein Schadensersatzbegehren der Klägerin
ins Auge gefasst. Mit einem solchen konnten sämtliche in Betracht kommenden
Vermögensverluste gegen die S. verfolgt werden (vgl. BGH, Urt. v. 20. Okto-
ber 1994 - IX ZR 116/93, NJW 1995, 449, 450). Den Interessen der Klägerin,
die sich - wie zwischen den Parteien im Ergebnis unstreitig ist - von dem Ver-
trag lösen wollte, war daher mit einem Anspruch auf Schadensersatz wegen
Nichterfüllung gemäß § 326 BGB a.F. zweifelsfrei gedient. Hierauf haben die
Beklagten ihre zum Landgericht München I erhobene Schadensersatzklage je-
denfalls auch gestützt.
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b) Ihre danach bestehende Pflicht, den sichersten Weg nicht nur zu emp-
fehlen, sondern auch zu gehen, falls der Mandant keine andere Weisung erteilt
(Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 620), haben die Beklagten jedoch
verletzt. Sie hätten in das Schreiben vom 2. Dezember 1999 die Erklärung auf-
nehmen müssen, dass die Klägerin die Annahme der Leistung nach dem Ablauf
der bis zum 31. Dezember 1999 gesetzten Frist ablehne (§ 326 Abs. 1 Satz 1
BGB a.F.). Einem solchen Vorgehen standen keine Interessen der Klägerin
entgegen. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist konnte sie Schadensersatz wegen
Nichterfüllung verlangen; der Wegfall des Anspruchs auf Erfüllung beeinträch-
tigte ihre Interessen nicht (§ 326 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). Durch die unzutref-
fende Bemerkung der Beklagten im Schreiben vom 26. Januar 2000 an die S.
und in der Klageschrift vom 12. September 2000, eine Ablehnungsandrohung
erklärt zu haben, wurden die Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 BGB a.F. nicht
nachträglich herbeigeführt. Nachfristsetzung und Ablehnungsandrohung müs-
sen in derselben Erklärung des Gläubigers enthalten sein (RGZ 120, 193, 195;
BGHZ 74, 193, 203).
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Der von den Beklagten - ausdrücklich erstmals im Regressprozess - er-
hobene Einwand, eine Ablehnungsandrohung sei gemäß § 326 Abs. 2 BGB a.F.
wegen des Wegfalls des Interesses der Klägerin an der Erfüllung des Vertrages
entbehrlich gewesen, vermag diese Pflichtverletzung nicht auszuräumen. Denn
ein Vorgehen nach dieser Bestimmung vermochte hier nicht zu gewährleisten,
dass der anzustrebende Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in
der Person der Klägerin auch durchsetzbar war. Für die Anwendung des § 326
Abs. 2 BGB a.F. kam es allein darauf an, ob die Vertragserfüllung für die Kläge-
rin infolge des Verzuges der S. mit der Baufertigstellung kein Interesse mehr
hatte (vgl. BGH, Urt. v. 7. November 1979 - VIII ZR 223/78, NJW 1980, 449; v.
10. März 1998 - X ZR 7/96, NJW-RR 1998, 1489, 1491; v. 25. Januar 2001
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- I ZR 287/98, NJW 2001, 2878, 2879). Die Voraussetzungen dieses eng aus-
zulegenden Ausnahmetatbestandes (so BGH, Urt. v. 17. Dezember 1996
- X ZR 74/95, NJW-RR 1997, 622, 623 f) hatte die Klägerin darzulegen und zu
beweisen. Ob ihr dies gelingen würde, war zweifelhaft. Denn die Argumentati-
on, das Interesse der Klägerin sei mit dem Ablauf des 31. Dezember 1999
weggefallen, baute darauf auf, dass bei einer nicht rechtzeitigen Bezugsfertig-
stellung die besonderen steuerlichen Vorteile, die mit dem Erwerb der Immobilie
verbunden sein sollten, entfielen und dass die Klägerin sich zu dem Erwerb
ausschließlich oder doch hauptsächlich wegen dieser steuerlichen Vorteile ent-
schlossen hatte. Aber schon die Frage, welche steuerlichen Vergünstigungen
die Klägerin würde beanspruchen können, war nicht klar zu beantworten; der
Umfang der Baumaßnahme hielt sich nach dem übereinstimmenden Vortrag
der Parteien jedenfalls nicht eindeutig im Rahmen der besonders geförderten
Altbausanierung. Außerdem haben die Parteien bereits in erster Instanz im
Kern übereinstimmend vorgetragen, dass die Klägerin sich durch die am Ver-
tragsschluss beteiligten Personen getäuscht - oder doch zumindest nicht zutref-
fend informiert - fühlte und "daher" die Rückgängigmachung des Kaufvertrages
wünschte. Jedenfalls war die erforderliche gerichtliche Wertung, ob die Voraus-
setzungen des § 326 Abs. 2 BGB a.F. vorlagen, nicht sicher vorhersehbar.
Demgegenüber wäre die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung problemlos zu
bewerkstelligen gewesen. Das Vorgehen der Beklagten entsprach daher nicht
dem Gebot des sichersten Weges.
Eine Pflichtverletzung entfällt auch nicht deswegen, weil die Beklagte
sich darauf hätte verlassen dürfen, das Klagebegehren werde jedenfalls auf der
Grundlage eines Verschuldens bei Vertragsschluss erfolgreich sein. Zwar be-
auftragte die S. einen Makler mit der Vermittlung der Immobilie; die Klägerin
wirft deren Mitarbeitern Pflichtwidrigkeiten vor. Diese sind jedoch im Wesentli-
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chen bestritten. Die Beklagten haben demgemäß entgegen der Darstellung der
Revisionserwiderung die erhobene Schadensersatzklage, soweit sie die S.
betraf, keineswegs - schon gar nicht in erster Linie - auf eine Haftung aus Ver-
schulden bei Vertragschluss gestützt.
c) Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Beklagten die Vor-
schrift des § 326 Abs. 2 BGB a.F. in dem Vorprozess ohnehin nicht in ihre
Überlegungen mit aufgenommen und in das Verfahren eingeführt hatten, belegt
eine weitere Pflichtverletzung der Beklagten. Sie haben nicht, wie es geboten
war, den Versuch unternommen, das Gericht davon zu überzeugen, dass und
warum ihre jetzige Auffassung richtig war.
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III.
Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die
Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird
nunmehr die weiteren Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs der
Klägerin gegen die Beklagten wegen schuldhafter Verletzung des zwischen ih-
nen geschlossenen Anwaltsvertrages zu prüfen haben. Der Senat weist inso-
weit auf Folgendes hin:
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Die Beklagten haben geltend gemacht, ein Schadensersatzanspruch
nach § 326 BGB a.F. wäre wegen fehlender Solvenz der S. nicht durchsetz-
bar gewesen. Insbesondere deshalb habe sich die Klägerin auf den Vergleich
eingelassen. Damit haben die Beklagten die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung
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für den Schaden bestritten. Dies steht zur Darlegungs- und Beweislast der Klä-
gerin.
Die Beklagten sind ferner davon ausgegangen, die Frage, ob und welche
steuerlichen Vorteile sich der Geschädigte anrechnen lassen müsse, gehöre
zur schlüssigen - und damit hier der Klägerin obliegenden - Anspruchsbegrün-
dung. Dies trifft im Ausgangspunkt nicht zu, weil es sich um eine Frage des Vor-
teilsausgleichs handelt. Der Senat weist insoweit auf die Urteile des Bundesge-
richtshofs vom 17. Oktober 2003 (V ZR 84/02, NJW-RR 2004, 79, 81) und vom
17. November 2005 (III ZR 350/04, NJW 2006, 499, 501) hin.
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Zu der Frage, ob der Abschluss eines Vergleichs die Zurechnung eines
Schadens zu einer anwaltlichen Pflichtverletzung unterbricht, wird auf die Urtei-
le des Senats vom 17. Juni 1993 (IX ZR 206/92, WM 1993, 1798, 1800 f), vom
11. Februar 1999 (IX ZR 14/98, NJW 1999, 1391, 1392) undvom 13. März
2003 (IX ZR 181/99, NJW-RR 2003, 850, 855 f) verwiesen.
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Die neu eröffnete Berufungsinstanz gibt dem Oberlandesgericht schließ-
lich Gelegenheit, in dem durch § 139 Abs. 1 und 3 ZPO gebotenen Umfang auf
die Bedenken gegen die Zulässigkeit der von der Klägerin in der Berufungsin-
stanz gestellten Anträge zu Nr. II., III., V., VI. und IX. hinzuweisen (vgl. insbe-
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sondere BGH, Urt. v. 23. September 2004 - IX ZR 137/03, NJW-RR 2005, 494,
497 f).
Ganter Vill
Cierniak
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 08.05.2003 - 3 O 19339/02 -
OLG München, Entscheidung vom 02.03.2004 - 18 U 3452/03 -