Urteil des BGH vom 11.12.2003
Treue-Punkte Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 74/01
Verkündet am:
11. Dezember 2003
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ
: nein
BGHR : ja
Treue-Punkte
UWG § 1
Die Werbung eines Einzelhandelsunternehmens, für jeden Einkauf in einem
Warenwert von 10 DM Marken auszugeben, die zum Erwerb bestimmter Waren
zu besonders günstig erscheinenden Preisen berechtigen, ist als solche nicht
wettbewerbswidrig.
BGH, Urt. v. 11. Dezember 2003 - I ZR 74/01 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 11. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und
Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. Februar 2001 aufge-
hoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer
des Landgerichts Düsseldorf vom 17. Mai 2000 abgeändert.
Die Klage wird hinsichtlich des Unterlassungsantrags als unzulässig
und hinsichtlich des Zahlungsantrags als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Beklagte vertreibt als Einzelhandelsunternehmen u.a. Lebensmittel
und Drogerieartikel. Sie verteilte im Frühjahr 1999 in ihren D. Filialen
Hefte, in die - als "Gold-Marken" oder "Treue-Punkte" bezeichnete - Marken
eingeklebt werden konnten. Der Kunde erhielt bei jedem Einkauf für einen Wa-
renwert von 10 DM eine Marke. Eine jeweils festgelegte Anzahl von Marken
berechtigte den Kunden, Goldschmuck oder "P. "-Marken-Geschirr, die in
den Heften abgebildet waren, zu einem "Treue-Preis" zu erwerben. Diese Arti-
kel wurden zum größten Teil eigens für die Aktion hergestellt und auch nur in
ihrem Rahmen angeboten.
Der klagende Verein zur Förderung gewerblicher Interessen hat die Akti-
on als Verstoß gegen die Zugabeverordnung beanstandet. Er hat beantragt, die
Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des
Wettbewerbs auf Werbeträgern wie Broschüren anzukündigen, daß
beim Einkauf von Waren pro Warenwert von 10 DM eine soge-
nannte "Gold-Marke" oder ein sogenannter "Treue-Punkt" vergeben
werden, die in Sammel-Karten gesammelt zeitlich befristet und/oder
unter dem Vorbehalt "solange der Vorrat reicht" zum Erwerb von
konkret bezeichneten Waren wie Goldschmuck und/oder Geschirr
zu einem sogenannten "Treue-Preis" berechtigen, deren regulärer
Preis, zu dem diese Waren ohne Anrechnung der "Gold-Marken"
und/oder "Treue-Punkte" verkauft werden, in der Werbung nicht ge-
nannt wird.
Der Kläger hat weiter Ersatz seiner Abmahnkosten von 290 DM nebst
Zinsen verlangt.
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Die Beklagte hat ihr Vorgehen als zulässiges Mittel der Kundenbindung
verteidigt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen
(OLG Düsseldorf WRP 2001, 711).
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt
die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
A. Das Berufungsgericht hat den Unterlassungsantrag und den Anspruch
auf Ersatz der Abmahnkosten als begründet angesehen. Die Beklagte habe
durch die beanstandete Treue-Aktion eine nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ZugabeVO
unzulässige Zugabe angekündigt. Zudem sei die Treue-Aktion als übertriebe-
nes Anlocken wettbewerbswidrig. Sie könne die Kunden veranlassen, Waren
der Beklagten vor allem zu dem Zweck zu kaufen, Treue-Marken zu erhalten,
die zum Bezug der als hochwertig und attraktiv angepriesenen Sonderbezugs-
waren berechtigten. Die Anreizwirkung der Aktion werde durch deren Befristung
noch verstärkt. Kurz vor dem Ende der Aktion könne bei interessierten Kunden
die Befürchtung aufkommen, sie würden leer ausgehen, wenn sie nicht recht-
zeitig die erforderliche Anzahl von Marken gesammelt hätten. Der wirkliche
Wert der Sonderbezugswaren werde verschleiert.
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B. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
I. Der Unterlassungsantrag ist - wie die Revision zu Recht rügt - nicht
hinreichend bestimmt und daher unzulässig (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Nach
dem Klageantrag soll die Unterlassungspflicht nur eingreifen, wenn in der Wer-
bung nicht der "reguläre Preis" angegeben wird, zu dem die Sonderbezugswa-
ren "ohne Anrechnung der 'Gold-Marken' und/oder 'Treue-Punkte'" verkauft
werden. Welcher Preis bei einem entsprechenden Verbot als "regulärer Preis"
anzugeben wäre, ist unbestimmt. Auch dem Vorbringen des Klägers in den
Vorinstanzen lassen sich keine Anhaltspunkte zur Inhaltsbestimmung dieses
Begriffs entnehmen.
II. Die Unbestimmtheit des Unterlassungsantrags hat nicht zur Folge,
daß die Sache insoweit - unter teilweiser Aufhebung des Berufungsurteils - an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, um dem Kläger Gelegenheit zu
geben, das mit der Klage verfolgte Begehren in Anträge zu fassen, die dem Be-
stimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechen (vgl. dazu auch
BGHZ 135, 1, 8 - Betreibervergütung). Denn dem Kläger stehen keine seinem
Begehren entsprechenden materiell-rechtlichen Unterlassungsansprüche zu.
1. Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsantrag kann nicht mehr auf
einen etwaigen Verstoß gegen die Zugabeverordnung (§ 2 Abs. 1 i.V. mit § 1
Abs. 1 ZugabeVO) gestützt werden, weil diese nach Erlaß des Berufungsurteils
durch Art. 1 des Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur An-
passung weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1661) mit
Wirkung vom 25. Juli 2001 aufgehoben worden ist. Diese Rechtsänderung ist
auch im Revisionsverfahren zu beachten.
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2. Das beanstandete Wettbewerbsverhalten könnte entgegen der Ansicht
des Berufungsgerichts auch nicht gemäß § 1 UWG untersagt werden.
a) Die Beklagte hat durch ihre Werbung in Aussicht gestellt, für jeden
Einkauf in einem Warenwert von 10 DM Marken auszugeben, die zum Erwerb
bestimmter Waren zu besonders günstig erscheinenden Preisen berechtigen.
Eine Werbung damit, daß beim Kauf von Waren besondere Vergünsti-
gungen gewährt werden, ist als solche nicht wettbewerbswidrig. Sie kann nur
bei Vorliegen besonderer Umstände als wettbewerbswidrig zu beurteilen sein.
Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände des jewei-
ligen Einzelfalls, bei der insbesondere Anlaß und Wert der Zuwendung, die Art
des Vertriebs sowie die begleitende Werbung zu berücksichtigen sind.
b) Die angegriffene Werbemaßnahme ist nach den gesamten Umstän-
den nicht unlauter im Sinne des § 1 UWG.
aa) Eine mit den guten Sitten im Wettbewerb nicht zu vereinbarende
Werbung mit besonderen Vergünstigungen kann anzunehmen sein, wenn diese
geeignet ist, den umworbenen Verbraucher dazu zu verleiten, seine Kaufent-
scheidung statt nach Preiswürdigkeit und Qualität des angebotenen Produkts
allein danach zu treffen, ob ihm die zusätzlichen Vergünstigungen gewährt wer-
den (vgl. BGH, Urt. v. 22.5.2003 - I ZR 185/00, GRUR 2003, 804 f. = WRP
2003, 1101 - Foto-Aktion, m.w.N.). Ein solches Anlocken von Kunden ist aber
nur dann wettbewerbswidrig, wenn es geeignet ist, auch bei einem verständi-
gen Verbraucher ausnahmsweise die Rationalität der Nachfrageentscheidung
vollständig in den Hintergrund treten zu lassen (vgl. BGHZ 151, 84, 89 - Kopp-
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lungsangebot I; BGH, Urt. v. 22.5.2003 - I ZR 8/01, GRUR 2003, 1057 = WRP
2003, 1428 - Einkaufsgutschein). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
bb) Die Werbung der Beklagten mit "Treue-Punkten" und "Gold-Marken",
die zum Erwerb von Sonderbezugswaren berechtigen, ist nicht geeignet, auch
einen verständigen Verbraucher derart bei seinen Kaufentscheidungen unsach-
lich zu beeinflussen, daß sie als wettbewerbswidrig beurteilt werden müßte.
Es ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, wenn die Ein-
räumung des Rechts, näher bestimmte Waren zu erwerben, daran geknüpft
wird, daß zuvor andere Waren mit einem bestimmten Wert gekauft worden sind.
Dies ist grundsätzlich ebenso zulässig wie Angebote, bei denen mehrere Waren
und/oder Dienstleistungen zu einem Gesamtpreis abgegeben werden (vgl.
BGH, Urt. v. 27.2.2003 - I ZR 253/00, GRUR 2003, 538, 539 = WRP 2003, 743
- Gesamtpreisangebot, m.w.N., für BGHZ vorgesehen). Noch weniger Beden-
ken begegnen Kopplungen, bei denen der Erwerb des Rechts zum Kauf einzel-
ner bestimmter Waren - wie hier - nicht an den Kauf bestimmter anderer Waren
gebunden ist. Die Beklagte gibt Wertmarken ab, wenn der Kunde nach einer
unter ihrem gesamten Sortiment getroffenen Auswahl Waren mit einem ent-
sprechenden Kaufpreis erworben hat. Es ist Sache des Kunden, vor dem Kauf
dieser Waren Preisvergleiche anzustellen, sich Gedanken über die Preiswür-
digkeit der Angebote zu machen und dabei mit abzuwägen, ob es ihm - auch
wegen der Möglichkeit des Erwerbs von Sonderbezugswaren - günstiger er-
scheint, bei der Beklagten zu kaufen statt bei deren Wettbewerbern (vgl. dazu
auch BGH GRUR 2003, 538, 539 - Gesamtpreisangebot).
Eine nach § 1 oder § 3 UWG unlautere Preisverschleierung bei der Aus-
gestaltung der "Treue-Aktion" ist der Beklagten nicht vorzuwerfen. Diese gibt
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die Preise der Waren, für deren Kauf Wertmarken ausgegeben werden, ebenso
an wie die "Treue-Preise" der Sonderbezugswaren. Eine Verpflichtung zu weite-
ren aufklärenden Angaben könnte nach den §§ 1 und 3 UWG nur dann beste-
hen, wenn andernfalls die Gefahr einer unlauteren Beeinflussung der Verbrau-
cher durch Täuschung über den tatsächlichen Wert des Angebots, insbesonde-
re über den Wert der angebotenen Sonderbezugswaren, gegeben wäre (vgl.
BGHZ 151, 84, 89 - Kopplungsangebot I). Die Vorschrift des § 1 UWG hat nicht
den Zweck, über die für Preisangaben geltenden Vorschriften hinaus und unab-
hängig vom Schutz der Verbraucher vor unlauterer Beeinflussung die Gewer-
betreibenden anzuhalten, in der Werbung die Elemente ihrer Preisbemessung
nachvollziehbar darzustellen, um Preisvergleiche zu erleichtern (vgl. BGH
GRUR 2003, 538, 539 - Gesamtpreisangebot). Eine Irreführung des Kunden
über den Wert der Sonderbezugswaren ist nicht vorgetragen und wäre auch
nicht Gegenstand des Unterlassungsantrags.
Die beanstandete Aktion ist - entgegen der Ansicht des Berufungsge-
richts - auch nicht deshalb wettbewerbswidrig, weil die Wertmarken nur befristet
eingelöst werden konnten und das Recht zum Erwerb von Sonderbezugswaren
nur unter dem Vorbehalt "solange der Vorrat reicht" eingeräumt wurde. Die
"Treue-Punkte" wurden, wie sich aus dem betreffenden Sammelheft ergibt, in
der Zeit vom 1. März bis zum 17. Juli 1999 ausgegeben und konnten bis zum
31. Juli 1999 eingelöst werden. In welcher Zeit die "Gold-Marken" ausgegeben
wurden und eingelöst werden mußten, ist nicht vorgetragen. Bei dieser Sachla-
ge kann nicht davon gesprochen werden, daß die Verbraucher durch die
"Treue-Aktion" bei ihren Entscheidungen zum Kauf der Waren, für die Wertmar-
ken abgegeben wurden, und zum späteren Kauf der Sonderbezugswaren in
wettbewerbswidriger Weise unter Zeitdruck gesetzt wurden.
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In derartigen Fällen könnten allerdings Kunden befürchten, daß der Vor-
rat an einer bestimmten Ware, die sie mit Hilfe der Wertmarken erwerben wol-
len, zu Ende geht, bevor sie die erforderliche Zahl von Wertmarken gesammelt
haben, und sich deshalb verstärkt zu Einkäufen veranlaßt sehen. Eine solche
Wirkung kann auch vom bevorstehenden Ablauf des Zeitraums ausgehen, in
dem Wertmarken ausgegeben werden. Bei einem verständigen Verbraucher
hat dies jedoch nicht zur Folge, daß die Rationalität der Nachfrageentscheidung
vollständig in den Hintergrund tritt. Der Kunde ist auch unter solchen Umstän-
den nicht gehindert, seine Kaufentscheidungen in Ruhe und in Abwägung der
Vor- und Nachteile zu treffen.
3. Die Unterlassungsklage kann nicht auf den nunmehr im Revisions-
verfahren erhobenen Vorwurf gestützt werden, die beanstandete Werbemaß-
nahme sei als Werbung für eine unzulässige Sonderveranstaltung (§ 7 Abs. 1
UWG) wettbewerbswidrig. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kann
die Klage ebensowenig erstmals im Revisionsverfahren damit begründet wer-
den, die Beklagte habe die Preise für die Sonderbezugswaren nicht entspre-
chend den Vorschriften der Preisangabenverordnung angegeben.
III. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Erstattung
der Abmahnkosten zu (§§ 677, 683, 670 BGB; vgl. dazu BGHZ 149, 371, 374 f.
- Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung).
Ein solcher Anspruch ist nur gegeben, wenn die Abmahnung im Zeit-
punkt ihrer Vornahme eine auftragslose Geschäftsführung im Interesse des Ab-
gemahnten war (vgl. BGH, Urt. v. 22.9.1983 - I ZR 166/81, GRUR 1984, 129,
131 = WRP 1984, 124 - shop-in-the-shop; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche
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Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 41 Rdn. 85). Dies war hier nicht der
Fall.
Mit seiner Abmahnung vom 24. März 1999 hat der Kläger die Beklagte
aufgefordert, sich strafbewehrt zu verpflichten, es zu unterlassen, in Zeitungs-
anzeigen und/oder auf sonstigen Werbeträgern zu Zwecken des Wettbewerbs
beim Einkauf in ihren Geschäften Goldmarken anzubieten, die gegen hochwer-
tige Schmuckstücke eingetauscht werden können, und/oder eine so beschrie-
bene Treue-Aktion durchzuführen. Ein entsprechender Unterlassungsanspruch
stand dem Kläger schon deshalb nicht zu, weil in der geforderten Unterlas-
sungserklärung eine Wettbewerbshandlung anderer Art, als sie die Beklagte
begangen hatte, umschrieben war. Bei der tatsächlich von der Beklagten durch-
geführten Aktion konnten Kunden lediglich das Recht erwerben, gegen "Gold-
Marken" Schmuckstücke zu günstigen Preisen einzukaufen. Ein ohne Zuzah-
lung möglicher Eintausch der "Gold-Marken" gegen Schmuckstücke wurde nicht
beworben. Für eine derartige Wettbewerbshandlung bestand keine Wiederho-
lungsgefahr.
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C. Auf die Rechtsmittel der Beklagten war danach das Berufungsurteil
aufzuheben, das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage hinsichtlich
des Unterlassungsantrags als unzulässig und hinsichtlich des Antrags auf Er-
satz der Abmahnkosten als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Ullmann
v. Ungern-Sternberg
Bornkamm
Pokrant
Bergmann