Urteil des BGH vom 18.06.2008
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 87/07
Verkündet
am:
18.
Juni
2008
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VHB 92 Klausel 7110
Eine Klausel in der Hausratversicherung, wonach sich der Versicherungsschutz für
Fahrräder auch auf Schäden durch Diebstahl erstreckt, wenn der Diebstahl nach-
weislich zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr verübt wurde oder sich das Fahrrad zur
Zeit des Diebstahls in Gebrauch oder in einem gemeinsamen Fahrradabstellraum
befand, beschreibt eine Risikobegrenzung.
BGH, Urteil vom 18. Juni 2008 - IV ZR 87/07 - LG Bielefeld
AG Minden
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhand-
lung vom 18. Juni 2008
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des
Landgerichts Bielefeld vom 28. Februar 2007 wird auf
Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Hausratversicherung
sowie - aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes - aus einer von ihm
genommenen, weiteren Hausratversicherung auf Versicherungsleistun-
gen wegen eines Fahrraddiebstahls in Anspruch.
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Beiden Versicherungsverträgen liegen Hausratversicherungsbedin-
gungen der Beklagten (VHB 92 einerseits und HRB 01/03 andererseits)
zugrunde, die sich - soweit hier relevant - im Wesentlichen entsprechen.
Nach Maßgabe beider Verträge sind Fahrräder gegen Diebstahl mitversi-
chert. Insoweit haben die Vertragsparteien die Geltung der Klausel 7110
zu den VHB 92 bzw. der Klausel E zu den HRB 01/03 vereinbart, die
wortgleich bestimmen (hier und im Folgenden nach der Untergliederung
in Klausel 7110):
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"1. Für Fahrräder erstreckt sich der Versicherungsschutz
auch auf Schäden durch Diebstahl, wenn nachweislich
a) das Fahrrad zur Zeit des Diebstahls in verkehrsüblicher
Weise durch ein Schloss gesichert war und außerdem
b) der Diebstahl zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr verübt
wurde oder sich das Fahrrad zur Zeit des Diebstahls in
Gebrauch oder in einem gemeinsamen Fahrradabstell-
raum befand."
In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 2005 war das Fahrrad des
Ehemannes der Klägerin hinter dem Wohnhaus abgestellt und mit einem
Fahrradschloss am Kellereingangsgitter des Anwesens angekettet. Zu
einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt wurde das Fahrrad dort
entwendet, der Diebstahl am Morgen des 15. Mai 2005 um 8.30 Uhr be-
merkt und daraufhin der Polizei sowie der Beklagten gemeldet. Die Be-
klagte hat nach Rechtshängigkeit 200 € als Versicherungsleistung an die
Klägerin und ihren Ehemann gezahlt.
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Das Amtsgericht hat die Klage auf Zahlung weiterer 650 € abge-
wiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Re-
vision verfolgt sie ihr Zahlungsbegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Das
Rechtsmittel
hat keinen Erfolg.
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I. Die Parteien streiten sich im Wesentlichen um die rechtliche Ein-
ordnung der oben genannten Klausel, soweit in ihr Versicherungsschutz
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für Fahrräder auch bei Schäden durch Diebstahl versprochen wird, wenn
- unter anderem - der Diebstahl nachweislich zwischen 6.00 Uhr und
22.00 Uhr verübt wurde. Das Berufungsgericht meint, mit diesem Teil der
Klausel werde eine objektive Risikobegrenzung beschrieben. Es gehe
um eine Festlegung der objektiven Voraussetzungen des Versicherungs-
schutzes, nicht aber darum, dass - wie bei einer Obliegenheit - ein nach-
lässiges Verhalten sanktioniert, also ein bereits bestehender Versiche-
rungsschutz wieder entzogen wird. Handele es sich um eine Risikobe-
grenzung, sei es Sache des Versicherungsnehmers zu beweisen, dass
sich der Diebstahl in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr ereignet habe.
In dieser Auslegung und der daran anknüpfenden Beweislastverteilung
benachteilige die Klausel den Versicherungsnehmer auch nicht unange-
messen im Sinne von § 307 BGB. Da die Klägerin nicht bewiesen habe,
dass sich der Diebstahl in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr er-
eignet habe, stehe ihr ein Anspruch auf Versicherungsleistungen nicht
zu.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
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1. Nr. 1. b) der Klausel 7110 VHB 92 enthält eine objektive Risiko-
beschränkung. Das ergibt die Auslegung der Klausel.
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a) Für die Abgrenzung einer (verhüllten) Obliegenheit von einer
Risikobegrenzung sind nicht allein Wortlaut und Stellung einer Klausel
innerhalb eines Bedingungswerkes maßgeblich. Entscheidend ist der
materielle Gehalt der Klausel. Es kommt darauf an, ob sie die individuali-
sierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der
Versicherer keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in
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erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert,
von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz be-
hält oder ob er ihn verliert. Wird von vornherein nur ausschnittsweise
Deckung gewährt, handelt es sich um eine Risikobeschränkung; wird da-
gegen ein gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhal-
tens des Versicherungsnehmers wieder entzogen, liegt eine Obliegenheit
vor (st.Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 16. November 2005 - IV ZR
120/04 - VersR 2006, 215 unter II 1 a m.w.N.). Für die danach vorzu-
nehmende Abgrenzung kommt es, wie stets für die Auslegung von All-
gemeinen Versicherungsbedingungen, auf die Verständnismöglichkeiten
des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrecht-
liche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an, die sich
am Wortlaut der Klausel und deren Sinn und Zweck orientieren (BGHZ
123, 83, 85; Senatsurteil vom 24. Mai 2000 - IV ZR 186/99 - VersR 2000,
969 unter 1 a).
b) Der Versicherungsnehmer, der sich vergewissern will, ob und
unter welchen Voraussetzungen sein Fahrrad in der Hausratversicherung
gegen das Risiko der Entwendung versichert ist, wird bei Durchsicht von
Ziff. 1.1 HRB 01/03 bzw. § 1 (1) VHB 92 erkennen, dass sein Fahrrad
zum versicherten Hausrat gehört. Denn es dient dem Versicherungsneh-
mer in seinem Haushalt zur privaten Nutzung (Ziff. 1.1 Satz 2 HRB
01/03), bzw. in seinem Haushalt zum Gebrauch (§ 1 (1) Satz 2 VHB 92).
Aus Ziff. 3 HRB 01/03 bzw. § 3 VHB 92 ergibt sich für den Versiche-
rungsnehmer jedoch, dass die Hausratversicherung keine Allgefahren-
deckung bietet, allerdings auch Entschädigung für versicherte Sachen
verspricht, die u.a. durch Einbruchsdiebstahl im Sinne der in Ziff. 5 HRB
01/03 bzw. § 5 VHB 92 näher beschriebenen Umstände abhanden ge-
kommen sind. Für Entwendungshandlungen außerhalb des so beschrie-
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benen Rahmens besteht danach grundsätzlich kein Versicherungsschutz.
Da "Fahrraddiebstahl" aber nach Maßgabe der hier geschlossenen Ver-
träge mitversichert ist, wird sich der Versicherungsnehmer der in den je-
weiligen Vertrag eingeschlossenen, dieses Risiko bezeichnenden Klau-
sel zuwenden. Aus ihr ergibt sich zunächst, dass hier unter bestimmten
Voraussetzungen für ein entwendetes Fahrrad, das wegen seiner Zweck-
bestimmung nicht oder nicht immer im Raum eines Gebäudes aufbewahrt
wird und daher auch nicht der Gefahr eines Einbruchdiebstahls im Sinne
von § 5 (1) a VHB 92 bzw. Nr. 5.1.1 HRB 01/03 ausgesetzt ist, Versiche-
rungsschutz gewährt wird. Ob mit der Klausel 7110 im Weiteren Oblie-
genheiten begründet oder aber Risikobegrenzungen umschrieben wer-
den sollen, ergibt sich aus dieser Einordnung indessen nicht. Denn es
bleibt auch bei einer Erweiterung des Versicherungsschutzes Sache des
Versicherers, ob er eine solche Erweiterung ihrerseits nur ausschnitts-
weise vornimmt oder sich bei voller Erweiterung auf den Fall des Fahr-
raddiebstahls durch die Regelung von Obliegenheiten zu schützen sucht
oder gar von beiden Möglichkeiten Gebrauch macht.
c) Die in der Klausel geregelten Voraussetzungen des Versiche-
rungsschutzes unterscheiden sich - auch für den Versicherungsnehmer
erkennbar - deutlich. Nr. 1. a) der Regelung verlangt, dass das Fahrrad
zur Zeit des Diebstahls durch ein Schloss gesichert war. Damit wird eine
Verhaltensanforderung beschrieben, denn es hängt allein vom Versiche-
rungsnehmer ab, ob das Fahrrad auf diese Weise gegen Diebstahl gesi-
chert wird oder nicht. Es geht damit nicht um eine von vornherein be-
stimmte Ausnahme vom Versicherungsschutz, sondern darum, dass an
die Nachlässigkeit des Versicherungsnehmers der Verlust des Versiche-
rungsschutzes geknüpft sein kann.
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Die Regelung unter Nr. 1. b) ist dagegen erkennbar anders ange-
legt; sie regelt Risikobegrenzungen. Soweit sie voraussetzt, dass der
Diebstahl zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr verübt wurde, wird ein objek-
tiver Zeitrahmen beschrieben, innerhalb dessen Versicherungsschutz
gegeben ist oder - negativ gewendet - in welchem Zeitrahmen Versiche-
rungsschutz nicht besteht. Eine Anknüpfung an ein Verhalten des Versi-
cherungsnehmers findet dabei gerade nicht statt. Die Klausel weist in
keiner Weise darauf hin, dass der Versicherungsschutz insoweit verhal-
tensabhängig entzogen, d.h. von einem Verschulden des Versicherungs-
nehmers abhängig sein könnte. Vielmehr besteht für den Zeitraum au-
ßerhalb der genannten Zeitspanne von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr von vorn-
herein kein Versicherungsschutz; es wird insoweit also nur ausschnitts-
weise Deckung gewährt. Für die weiteren unter Nr. 1. b) der Klausel be-
schriebenen Voraussetzungen gilt im Ergebnis nichts anderes. Wird zu-
nächst ein objektiver Zeitrahmen festgelegt, innerhalb dessen Versiche-
rungsschutz besteht, so werden im Folgenden weitere Umstände konkre-
tisiert, bei deren Vorliegen ebenfalls Versicherungsschutz gewährt wird.
Dabei liegt es für den Versicherungsnehmer auf der Hand, dass mit der
Anknüpfung an den Gebrauch des Fahrrades keine Verhaltensanforde-
rung begründet, sondern objektiv auf den Gebrauch an sich abgestellt
wird. Der Gedanke, dem Versicherungsnehmer solle insoweit aufgege-
ben werden, das Fahrrad zu gebrauchen, um den Versicherungsschutz
zu erhalten, liegt vollständig fern. Ein Versprechen ausschnittsweiser
Deckung liegt schließlich auch insoweit vor, als sich der Versicherungs-
schutz auf ein Fahrrad erstreckt, das sich zur Zeit des Diebstahls in ei-
nem gemeinsamen Fahrradabstellraum befand. Es liegt zwar insoweit ei-
ne besondere räumliche Anknüpfung vor, die den Erhalt des Versiche-
rungsschutzes allerdings wiederum nicht an ein Verhalten des Versiche-
rungsnehmers bindet; auf Verschuldenselemente kommt es auch inso-
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weit ersichtlich nicht an. Nr. 1. b) beschreibt damit insgesamt objektive
Risikobegrenzungen (so auch Knappmann in Prölss/Martin, VVG
27. Aufl. § 5 VHB 84 Rdn. 10; S. Schneider in Terbille [Hrsg.], Handbuch
Versicherungsrecht § 6 Rdn. 83; teilw. a.A. Martin, Sachversicherungs-
recht 3. Aufl. D XV 22 ff.).
2. Das Berufungsgericht hat ferner angenommen, dass die betref-
fende Klausel in dieser Auslegung nicht gegen § 307 BGB verstößt. Das
trifft zu. Dabei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang die streit-
gegenständliche Klausel überhaupt der Inhaltskontrolle unterliegt. Sie
benachteiligt den Versicherungsnehmer jedenfalls nicht unangemessen.
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a) Zwar begrenzt die Klausel den Versicherungsschutz; für den
Fall der Entwendung des Fahrrades außerhalb der vom Versicherungs-
nehmer genutzten Wohnung besteht Versicherungsschutz nur für die Zeit
zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr. Indessen führt nicht jede Einschrän-
kung des Versicherungsschutzes zu einer unangemessenen Benachteili-
gung des Versicherungsnehmers (Senatsurteil vom 28. November 1990
- IV ZR 184/89 - VersR 1991, 175 unter 3 b). Erforderlich ist, dass in die
rechtlich geschützten Interessen des Vertragspartners in erheblichem
Maße eingegriffen wird (Palandt/Grüneberg, BGB 67.
Aufl. §
307
Rdn. 28). So liegt der Fall hier nicht. Zum einen besteht Versicherungs-
schutz für den überwiegenden Teil eines Tages und insbesondere für
den Zeitraum, in dem eine Beobachtung des Entwendungsvorgangs
durch den Versicherungsnehmer selbst oder durch Zeugen eher möglich
ist. Dass die Beklagte für den Zeitraum zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr
morgens, in dem die Entwendung von Fahrrädern wegen des besonders
geringen Entdeckungsrisikos eher wahrscheinlich ist, keinen Versiche-
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rungsschutz verspricht, liegt im Rahmen des dem Klauselverwender kraft
Privatautonomie zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums.
b)
Eine
unangemessene Benachteiligung ergibt sich schließlich
auch nicht daraus, dass dem Versicherungsnehmer die Darlegungs- und
Beweislast dafür obliegt, dass sich der Diebstahl zwischen 6.00 Uhr und
22.00 Uhr, also in versicherter Zeit ereignet hat. Diese an allgemeine
Beweisgrundsätze anknüpfende Verteilung der Beweislast bewirkt jeden-
falls keine unzumutbare Benachteiligung des Versicherungsnehmers.
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3. Das Berufungsgericht hat daher in Nr. 1. b) der Klausel 7110
sowie in der entsprechenden Regelung in der Klausel E zu den HRB
01/03 zu Recht eine objektive Risikobeschränkung gesehen und den
Versicherungsschutz allein von den dort näher bestimmten objektiven
Voraussetzungen abhängig gemacht. Danach musste die Klägerin darle-
gen und beweisen, dass sich die Entwendung ihres Fahrrades zwischen
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6.00 Uhr und 22.00 Uhr ereignet hatte. Nach den insoweit unangegriffe-
nen Feststellungen des Berufungsgerichts ist ihr dieser Beweis nicht ge-
lungen.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
AG Minden, Entscheidung vom 04.07.2006 - 28 C 116/06 -
LG Bielefeld, Entscheidung vom 28.02.2007 - 22 S 252/06 -