Urteil des BGH vom 14.07.2014
BGH: gespräch, transparenz, ausnahmefall, schweigerecht, könig, intervention, vertreter, verfall, rüge, mitteilungspflicht
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5   S t R   2 1 7 / 1 4
vom
14. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2014 beschlossen:
Auf  die  Revision  des  Angeklagten  wird  das  Urteil  des  Landge-
richts  Flensburg  vom  4.  Dezember  2013  gemäß  §  349  Abs.  4
StPO aufgehoben.
Die  Sache  wird  zu  neuer  Verhandlung  und  Entscheidung,  auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln  in  nicht  geringer Menge in  acht Fällen sowie  wegen Beihilfe zum
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamt-
freiheitsstrafe  von  acht  Jahren  und  neun  Monaten  verurteilt  und  angeordnet,
dass  von  dieser  Strafe  sechs  Monate  Freiheitsstrafe  als  verbüßt  gelten.  Dar-
über  hinaus  hat  es  eine  Einziehungsentscheidung  getroffen  und  Verfall  von
Wertersatz angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrens-
rüge Erfolg.
Die  Rüge  der  Revision,  der  Vorsitzende  der  Strafkammer  habe  seiner
Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht im gebotenen Maße ent-
sprochen, greift durch.
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
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Am ersten  Hauptverhandlungstag fand während einer Sitzungsunterbre-
chung  ein  Gespräch  zwischen  dem  Vorsitzenden  der  Strafkammer,  dem  Be-
richterstatter,  dem  Vertreter  der  Staatsanwaltschaft  und  dem  Verteidiger  statt,
bei  dem  Möglich
keiten  besprochen  wurden,  „den  Prozessstoff  zu  begrenzen
und die Verhandlung durch ein Geständnis zu verkürzen“. Dabei wurden auch
Auffassungen  über  die  mögliche  Strafhöhe  bei  geständiger  Einlassung  ausge-
tauscht. Danach wurde die Hauptverhandlung fortgesetzt. Der Vorsitzende teilte
lediglich mit
, „dass ein Rechtsgespräch geführt wurde, das zu keinem Ergebnis
geführt habe“.
Am fünften Hauptverhandlungstag fand
– wiederum in Abwesenheit des
Angeklagten
–  ein  weiteres  Verständigungsgespräch  statt,  bei  dem  zwischen
den  Berufsrichtern,  der  Verteidigung  und  der  Staatsanwaltschaft  für  den  Fall
eines  glaubhaften  Geständnisses  jeweils  konkretisierte  Straferwartungen  und
Vorstellungen  hinsichtlich  einer  Begrenzung  des  Verfahrensgegenstands  ge-
mäß § 154 Abs. 2 StPO ausgetauscht wurden. Das Gespräch führte zu keinem
Ergebnis. In der danach wieder fortgesetzten Hauptverhandlung berichtete der
Vorsitzende, „dass ein Rechtsgespräch mit einem offenen Ergebnis stattgefun-
den hat“.
2.  Diese  Mitteilungen  des  Vorsitzenden  entsprachen  nicht  den  Anforde-
rungen des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Der  Generalbundesanwalt hat insoweit
ausgeführt:
„Nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist jedes Bemühen um eine
Verständigung  ungeachtet  des  Ergebnisses  der  Intervention
mitteilungsbedürftig  (vgl.  BGH,  Beschluss  vom  29. Novem-
ber 2013
1 StR  200/13
in  NStZ  2014,  221,  222;  weiter-
führend KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 243 Rdnr. 39). Es ist
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zumindest  bekanntzugeben,  welchen  Standpunkt  die  Ge-
sprächsteilnehmer vertreten und wie sie sich zu den Ansich-
ten der übrigen  verhalten haben  (vgl.  statt  aller:  BGH,  Urteil
vom  10. Juli 2013
2 StR  195/12
in  NStZ  2013,  667,  668
m. w. N.). Daran fehlt es hier. Die Mitteilung allein  eines ne-
gativen Ergebnisses  verständigungsbezogener Erörterungen
genügt  den  Anforderungen  des  § 243  Abs. 4  Satz 2  StPO
nicht.
…
Ein  Beruhen  des  Urteils  auf  diesem  Verfahrensfehler  kann
nicht  ausgeschlossen  werden  (siehe  dazu  auch  BVerfG,
NJW 2013, 1058, 1067).
Dem Verfahren mangelt es an der durch das Bundesverfas-
sungsgericht geforderten Transparenz.
Der Angeklagte war an den verständigungsbezogenen Erör-
terungen außerhalb  der  Hauptverhandlung  nicht  beteiligt.  Er
hatte  daher  aus  eigener  Anschauung  keine  Kenntnis  vom
wesentlichen  Inhalt der  Gespräche.  In einem  derartigen  Fall
lässt sich nicht gemeinhin ausschließen, dass sich der Ange-
klagte  in  der  Hauptverhandlung  anders  als  geschehen  ver-
teidigt  hätte,  wenn  er  vom  Vorsitzenden  über  die  in  seiner
Abwesenheit  abgehandelten  Umstände  einer  Verständigung
unterrichtet  worden  wäre  (vgl.  BVerfG,  NJW  2013,  1058,
1067; BGH NStZ 2013, 667, 668; Mosbacher, NZWiSt 2013,
201, 205 f.).
Ein  anerkannter  Ausnahmefall,  der  der  Annahme  des  Beru-
hens entgegenstehen könnte, liegt nicht vor. Der Angeklagte
hat insbesondere nicht von seinem Schweigerecht Gebrauch
gemacht. Deshalb kann auch hier nicht ausgeschlossen wer-
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den,  dass  das  Verteidigungsverhalten  des  Angeklagten,  der
sich  teilweise  geständig  zur  Sache  eingelassen  hatte,  durch
das Informationsdefizit beeinflusst war (vgl. BVerfG, a. a. O.;
BGH NStZ 2014, 221, 222 f.).
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Dem folgt der Senat.
Basdorf
Sander
Schneider
Dölp
König
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