Urteil des BGH vom 26.05.2010
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
Beschluss
V ZB 93/10
vom
26. Mai 2010
in der Abschiebungshaftsache
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Mai 2010 durch die Rich-
ter Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Czub, Dr. Roth und Leupertz
beschlossen:
Die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Kassel vom
26. Februar 2010 (700 XIV 7 B/2010) wird bis zur Entscheidung
über die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Be-
schluss des Landgerichts Kassel vom 2. März 2010 ausgesetzt.
Gründe:
I.
Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach
mehrmaliger Abschiebung im Januar 2006 erneut unerlaubt in die Bundesrepu-
blik Deutschland ein und wurde am 19. März 2006 festgenommen. Bis zum
4. März 2010 verbüßte er eine Freiheitsstrafe. Derzeit befindet er sich in Unter-
suchungshaft. Die Abschiebung des Betroffenen nach Marokko aus der Straf-
haft heraus scheiterte an dem fehlenden Einvernehmen der Staatsanwaltschaft
(§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Diese teilte mit Schreiben vom 19. Februar 2010
mit, bei einer Aufhebung des Untersuchungshaftbefehls zu erwägen, von der
Erhebung der öffentlichen Klage abzusehen (§ 154 b Abs. 3 StPO).
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Das Amtsgericht hat auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegen den Betroffe-
nen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von einem Monat im
Anschluss an das Ende der Strafhaft und der Untersuchungshaft, längstens
jedoch bis zum 25. August 2010, und die sofortige Wirksamkeit der Entschei-
dung angeordnet. Die sofortige Beschwerde hat das Landgericht u. a. mit der
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Begründung zurückgewiesen, das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG notwendi-
ge Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liege vor, weil ihre Mitteilung vom
19. Februar 2010 nur so verstanden werden könne, dass sie eine weitere Straf-
verfolgung ohne Sicherung des Verfahrens durch Untersuchungshaft als nicht
aussichtsreich beurteile. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Auf-
hebung der Haftanordnung und der Beschwerdeentscheidung erreichen.
II.
Die Anordnung beruht auf § 64 Abs. 3 FamFG; diese Vorschrift ist im
Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbar (Senat, Beschl. v.
21. Januar 2010, V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97). Die Anordnung ist geboten,
weil das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtslage jedenfalls zweifel-
haft ist (zu diesen Anforderungen: Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB
14/10, aaO).
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Die Beteiligte zu 2 hat die Anordnung der Haft beantragt, obwohl die zu-
ständige Staatsanwaltschaft ihr nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderli-
ches Einvernehmen mit der Abschiebung nicht erteilt hat. Ob ein solcher Antrag
eine taugliche Grundlage für eine Haftanordnung ist, erscheint fraglich. Jeden-
falls darf die Abschiebungshaft dann nicht angeordnet werden, wenn der Ab-
schiebung - wie hier - keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen und
nicht festgestellt ist, dass die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen trotz zuvor
erfolgter Verweigerung innerhalb der in § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG genannten
Frist doch noch erteilt. Ob dies eintreten wird, kann der Senat nicht abschlie-
ßend entscheiden, ohne der Beteiligten zu 2 Gelegenheit zur Stellungnahme zu
geben. Denn die Feststellung des Beschwerdegerichts, das Einvernehmen sei
in dem Schreiben vom 19. Februar 2010 erteilt worden, könnte sich nach bishe-
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rigem Sachstand als rechtsfehlerhaft erweisen. Dies erfordert die vorläufige
Aussetzung des Vollzugs der Haftanordnung.
Lemke Schmidt-Räntsch
Czub
Roth
Leupertz
Vorinstanzen:
AG Kassel, Entscheidung vom 26.02.2010 - 700 XIV 7 B/2010 -
LG Kassel, Entscheidung vom 02.03.2010 - 3 T 160/10 -