Urteil des BGH vom 04.12.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 41/08
vom
4. Dezember 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 130
Ein elektronisches Dokument (E-Mail) wahrt nicht die für bestimmende
Schriftsätze vorgeschriebene Schriftform.
BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - IX ZB 41/08 - OLG Celle
LG Verden
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Pape
am 4. Dezember 2008
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Celle vom 30. Januar 2008 wird auf Kos-
ten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 7.466,80 €
festgesetzt.
Gründe:
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die
Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2
ZPO).
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1. Die Berufungsbegründung ist nach Ablauf der Frist der bis zum 16. Ja-
nuar 2008 verlängerten Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO beim
Berufungsgericht eingegangen.
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a) Die per Telefax übermittelte unterschriebene Berufungsbegründung ist
erst am 17. Januar 2008 um 00.02 Uhr beim Berufungsgericht eingegangen.
Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax über-
sandten Schriftsatzes kommt es darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor
Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig
empfangen (gespeichert) worden sind (BGHZ 167, 214, 219 ff Rn. 16 ff). Das
war hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat ausgeschlossen, dass die un-
terschriebene letzte Seite der Berufungsbegründung vor Mitternacht in den
Speicher des Empfangsgeräts des Oberlandesgerichts gelangt ist. Gegen diese
Feststellung wendet sich die Rechtsbeschwerde nicht.
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b) Die am 16. Januar 2008 um 23.55 Uhr beim Berufungsgericht einge-
gangene E-Mail stellte keinen "Schriftsatz" dar, der in § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO
für die Berufungsbegründung zwingend vorgeschrieben ist.
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aa) Gemäß § 520 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist die Berufungsbegründung in
einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die allgemeinen Vor-
schriften über die vorbereitenden Schriftsätze (§§ 129 ff ZPO) sind auch auf die
Berufungsbegründung anzuwenden (§ 520 Abs. 5 ZPO). Das gilt insbesondere
für die §§ 130, 130a ZPO.
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bb) Eine E-Mail fällt nicht unter § 130 ZPO, sondern unter § 130a ZPO.
Die E-Mail ist ein elektronisches Dokument, das aus der in einer elektronischen
Datei enthaltenen Datenfolge besteht (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Juli 2008 - X ZB
8/08, NJW 2008, 2649, 2650 Rn. 10). Dass ein elektronisches Dokument die in
§ 130 ZPO vorausgesetzte Schriftform für vorbereitende und bestimmende
Schriftsätze nicht wahrt, folgt bereits aus der Systematik des Gesetzes. Die
Vorschrift des § 130a ZPO wäre nicht erforderlich, wenn das elektronische Do-
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kument bereits von § 130 ZPO erfasst würde. Die elektronische Form ist durch
das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer
Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13. Juli 2001
(BGBl. I S. 1542) ausdrücklich "als Option zur Schriftform" eingeführt worden
(so die amtliche Begründung BT-Drucks. 14/4987, S. 12). § 130a Abs. 1 Satz 1
ZPO "versteht das elektronische Dokument als modifizierte Schriftform" und
sollte den Parteien erst die Möglichkeit eröffnen, Schriftsätze und Erklärungen
"als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen" (BT-Drucks. 14/4987,
aaO).
Das elektronische Dokument ist eingereicht, sobald die für den Empfang
bestimmte Einrichtung des Gerichts es aufgezeichnet hat (§ 130a Abs. 3 ZPO).
Es wahrt jedoch nur dann die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform, wenn es
für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist (§ 130a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Landesregierungen bestimmen für ihren Bereich durch Rechtsverordnung
den Zeitpunkt, von dem an elektronische Dokumente bei den Gerichten einge-
reicht werden können, sowie die für die Bearbeitung der Dokumente geeignete
Form (§ 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die niedersächsische Verordnung über den
elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz (ERVVOJust) vom 8. Juli 2006 (Nds.
GVBl. 2006, 247) betrifft nicht das Berufungsgericht. Als elektronisches Doku-
ment war die E-Mail folglich nicht geeignet, die für eine Berufungsbegründung
vorgeschriebene Schriftform zu wahren.
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cc) Der Kläger hat sich stattdessen auf Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts (NJW 2002, 3534) und des Bundesgerichtshofs (Urt. v.
10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086) dazu berufen, unter welchen
Voraussetzungen die eigenhändige Unterschrift unter einem bestimmenden
Schriftsatz fehlen darf. Die genannten Entscheidungen haben jedoch jeweils
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Fälle zum Gegenstand, in denen ein Rechtsmittel oder eine Rechtsmittelbe-
gründung durch einen Telefaxdienst übermittelt worden war. Telekopien werden
von der Zivilprozessordnung als schriftliche Dokumente eingeordnet. Das folgt
einerseits aus der Vorschrift des § 130 Nr. 6 ZPO, der für Telekopien die Wie-
dergabe der Unterschrift in der Kopie vorschreibt, andererseits aus § 174 Abs. 2
bis 4 ZPO, wo zwischen der Zustellung eines Schriftstücks durch Telekopie ei-
nerseits, eines elektronischen Dokuments andererseits unterschieden wird.
Fernkopie und E-Mail unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, dass die
Fernkopie allein der Übermittlung eines vorhandenen Dokuments dient, welches
beim Empfänger erneut in schriftlicher Form vorliegen soll. Die elek-tronische
Speicherung tritt für sich genommen nicht an die Stelle der Schriftform, sondern
ist nur ein Durchgangsstadium; das Gericht kann erst dann von einem gefaxten
Schriftsatz Kenntnis nehmen, wenn er ausgedruckt vorliegt (BGHZ 167, 214,
222 Rn. 21; BGH, Beschl. v. 15. Juli 2008 - X ZB 8/08, NJW 2008, 2649, 2650
Rn. 11). Dass eine einzuhaltende Frist bereits durch den vollständigen Empfang
der gesendeten Signale vom Telefax des Gerichts gewahrt ist, hängt wesentlich
damit zusammen, dass der Empfänger keinen Einfluss darauf hat, wann der
Ausdruck erfolgt (BGHZ 167, 214, 219 ff Rn. 15 ff; BGH, Beschl. v. 15. Juli
2008, aaO).
Die E-Mail besteht demgegenüber allein aus der in einer elektronischen
Datei enthaltenen Datenfolge (vgl. BGH, Beschl. v. 15. Juli 2008, aaO Rn. 10).
Sie kann ausgedruckt, aber auch am Bildschirm gelesen, gespeichert, verän-
dert oder gelöscht werden, dient folglich nicht nur der Übermittlung eines bereits
vorhandenen schriftlichen Dokuments und ist nicht notwendig dazu bestimmt, in
ein solches "zurückverwandelt" zu werden. Wegen der "Flüchtigkeit" und spu-
renlos möglichen Manipulierbarkeit eines elektronischen Dokuments hat der
Gesetzgeber die qualifizierte elektronische Signatur des Absenders vorge-
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schrieben (§ 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO), um so dem Dokument eine dem Papier-
dokument vergleichbare dauerhafte Fassung zu verleihen ("Perpetuierungs-
funktion", vgl. BT-Drucks. 14/4987, S. 24). Eine E-Mail, welche diesen Anforde-
rungen nicht genügt, ist nicht geeignet, die gesetzliche Frist für einen bestim-
menden Schriftsatz zu wahren.
dd) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. Juli 2008 (aaO) ent-
hält nur scheinbar eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass elektronische Do-
kumente die Schriftform nicht wahren. In dem Fall, welcher der Entscheidung
zugrunde lag, war als Anhang zu einer elektronischen Nachricht eine Bilddatei
übermittelt worden, welche die vollständige Berufungsbegründung einschließ-
lich der eigenhändigen Unterschrift des beim Berufungsgericht zugelassenen
Rechtsanwalts enthielt; die Bilddatei war noch vor Fristablauf ausgedruckt wor-
den. Der Ausdruck - nicht die Bilddatei - stellte ein schriftliches Dokument dar,
das nur elektronisch übermittelt worden war. Das Unterschriftserfordernis des
§ 130 Nr. 6 ZPO war gewahrt, weil das ausgedruckte Dokument mit der in Ko-
pie wiedergegebenen Unterschrift des Prozessbevollmächtigten abschloss (vgl.
BGH, Beschl. v. 15. Juli 2008, aaO Rn. 8, 13). Im vorliegenden Fall geht es je-
doch nicht um die elektronische Übermittlung des Abbildes eines eigenhändig
unterschriebenen Schriftsatzes, sondern schlicht um ein elektronisches Doku-
ment. Eine schriftliche Berufungsbegründung lag bei Ablauf der Berufungsbe-
gründungsfrist damit nicht vor.
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2. Den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
hat das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend zurückgewiesen. Nach § 233
ZPO kommt eine Wiedereinsetzung nur dann in Betracht, wenn die Partei kein
Verschulden an der Versäumung der Frist trifft. Dass der vom Kläger gewählte
Faxanschluss der Senatsgeschäftsstelle des Berufungsgerichts besetzt war,
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gereicht jenem nicht zum Verschulden. Der Kläger hätte jedoch - statt eine E-
Mail zu versenden - den Faxanschluss der allgemeinen Poststelle (Wachtmeis-
terei) des Berufungsgerichts anwählen können, dessen Nummer ihm bekannt
war und über den er die Berufungsbegründung schließlich - allerdings zu spät -
auch übermittelt hat.
Ganter Raebel Kayser
Lohmann
Pape
Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 24.10.2007 - 7 O 54/07 -
OLG Celle, Entscheidung vom 30.01.2008 - 3 U 264/07 -