Urteil des BGH vom 09.02.2010
BGH (unterschrift, zpo, berufungsschrift, linie, hamburg, umstand, schneider, sache, buchstabe, wiedergabe)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 71/09
vom
9. Februar 2010
In dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Milger, den Richter Dr. Schneider,
die Richterin Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der
Zivilkammer 11 des Landgerichts Hamburg vom 11. August 2009
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: bis 1.500 €
Gründe:
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten Zahlungsansprüche aus einem
zwischenzeitlich beendeten Wohnraummietverhältnis geltend gemacht. Mit Ur-
teil vom 3. März 2009 hat das Amtsgericht die Beklagten als Gesamtschuldner
zur Zahlung von 1.453,16 € nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten
verurteilt. Gegen das am 9. März 2009 zugestellte Urteil haben die Beklagten
durch ihre Prozessbevollmächtigte mit am 9. April 2009 beim Landgericht ein-
gegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit
Schriftsatz vom 8. Mai 2009 begründet.
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Mit Verfügung vom 26. Juni 2009 hat das Landgericht beanstandet, die
Berufungsschrift genüge nicht dem Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift
durch die den Schriftsatz verantwortende Person (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4
ZPO). Es sei daher beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Zur
weiteren Begründung seines Rechtsstandpunkts hat das Landgericht ausge-
führt, die Unterzeichnung der Berufungsschrift genüge nicht den von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen. Dem Schriftzug
sei allein der Anfangsgroßbuchstabe "R" zu entnehmen. Hieran schließe sich
ein dem kleinen "z" ähnelnder Krakel an, der in eine langgezogene, marginal
wellige Linie übergehe, die nicht einmal im Ansatz irgendeine Ähnlichkeit mit
einem Buchstaben aufweise. Das Erscheinungsbild dieses Gebildes ähnele
- wenn überhaupt - dem einer Paraphe/eines Handzeichens, es lasse aber nicht
erkennen, dass es den Namen "R. " wiedergeben solle.
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Die Beklagten haben daraufhin durch ihre Prozessbevollmächtigte vor-
tragen lassen, die handschriftliche Unterschrift sei über den maschinenschriftli-
chen Namenszusatz und die darunter aufgeführte Berufsbezeichnung gesetzt
worden. Zudem entspreche der Schriftzug - wie auch der Akte zu entnehmen
sei - den Namenszügen auf den bisher von der Beklagtenvertreterin gefertigten
und unterzeichneten Schriftsätzen. Letztlich seien nur die ersten drei Buchsta-
ben ihres Namens ausgeschrieben, während die Bögen bei den restlichen
Buchstaben aufgrund der schnellen Schreibweise sehr abgeflacht seien. Die
Rechtsgültigkeit dieser von ihr seit Jahren angewandten Art der Unterzeichnung
sei bislang von keinem Gericht in Zweifel gezogen worden.
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Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11. August 2009 die Berufung
der Beklagten unter Wiederholung der im Hinweisbeschluss ausgeführten Er-
wägungen als unzulässig verworfen. Ergänzend hat es angeführt, seine Ein-
schätzung, wonach die Beklagtenvertreterin bislang nur mit einer Paraphe un-
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terzeichnet habe, werde durch den Umstand verstärkt, dass sie die Stellung-
nahme zur Hinweisverfügung vom 26. Juni 2009 mit einem Namenszug unter-
zeichnet habe, der die einzelnen Buchstaben des Namens "R. " er-
kennen lasse.
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Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beklagten mit ihrer Rechtsbe-
schwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beru-
fungsgericht.
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1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaf-
te Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert
ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt das Ver-
fahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschut-
zes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses ver-
bietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrens-
ordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr
zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 27. September
2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGH, Beschluss vom
14. Februar 2006 - VI ZB 44/05, NJW 2006, 1521, unter II 2 a; jeweils m.w.N.).
Das Berufungsgericht hat bei seinen Anforderungen an die nach § 519 Abs. 4,
§ 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift eines Rechtsanwalts eine mit den
von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht
mehr vereinbare Strenge an den Tag gelegt und dadurch den Beklagten den
Zugang zur Rechtsmittelinstanz unzulässig verwehrt.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei
bestimmenden Schriftsätzen die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers er-
forderlich, um diesen unzweifelhaft identifizieren zu können (BGH, Urteil vom
10. Juli 1997 - IX ZR 24/97, NJW 1997, 3380, unter II 1; Beschluss vom
21. Februar 2008 - V ZB 96/07, GE 2008, 539, Tz. 8; jeweils m.w.N.). Was un-
ter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch und
dem Zweck der Formvorschrift (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO).
Erforderlich, aber auch genügend ist danach das Vorliegen eines die
Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzugs, der
individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die
Nachahmung erschweren, sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die
Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur
flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekenn-
zeichnet ist (Senatsbeschluss vom 27. September 2005, aaO, unter II 2 a;
BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997 - XII ZB 17/97, FamRZ 1997, 737; vgl.
auch BGH, Urteil vom 22. Oktober 1993 - V ZR 112/92, NJW 1994, 55 m.w.N.).
Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer
Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Be-
deutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise
unterschreibt (Senatsbeschluss vom 27. September 2005, aaO; BGH, Be-
schluss vom 26. Februar 1997, aaO). Ein Schriftzug, der nach seinem äußeren
Erscheinungsbild eine bewusste und gewollte Namensabkürzung (Handzei-
chen, Paraphe) darstellt, genügt dagegen den an eine eigenhändige Unter-
schrift zu stellenden Anforderungen nicht (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1993,
aaO, m.w.N.; BGH, Urteil vom 10. Juli 1997, aaO; BGH, Beschluss vom
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28. September 1998 - II ZB 19/98, NJW 1999, 60, unter II 1; BGH, Beschluss
vom 21. Februar 2008, aaO).
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b) Der Senat kann die Prüfung der für das Vorliegen einer ausreichenden
Unterschrift erforderlichen Merkmale selbständig und ohne Bindung an die Aus-
führungen des Berufungsgerichts vornehmen (vgl. Senatsbeschluss vom
27. September 2005, aaO, unter II 2 b m.w.N.). Gemessen an den vorstehend
aufgezeigten Maßstäben handelt es sich bei dem von der Beklagtenvertreterin
bei Unterzeichung der Berufungsschrift verwendeten Schriftzug nicht um ein
Handzeichen oder ein sonstiges Namenskürzel, sondern um eine formgültige,
wenn auch einem starken Abschleifungsprozess unterliegende, einfach struktu-
rierte, gleichwohl aber vollständige Namensunterschrift. Das Berufungsgericht
hat bei seiner abweichenden Beurteilung nicht hinreichend beachtet, dass für
die Frage, ob eine formgültige Unterschrift oder lediglich ein bloßes Handzei-
chen vorliegt, nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen
Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend ist, sondern es darauf an-
kommt, ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiederge-
geben wird (vgl. hierzu auch BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2008, aaO,
Tz. 10, und vom 28. September 1998, aaO).
Es hat rechtsfehlerhaft aus dem Umstand, dass der lesbare Großbuch-
staben "R" in einen dem kleinen "z" ähnelnden Krakel und dann in eine langge-
zogene, marginal wellige Linie übergeht, den Schluss gezogen, bei dem Na-
menszug handele es sich um eine bloße Paraphe oder um ein Handzeichen.
Hierbei hat es außer Acht gelassen, dass sich die Beklagtenvertreterin gerade
nicht mit der Niederschrift der Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens begnügt
hat, sondern sich an den Großbuchstaben "R" und an das einem kleinen "z"
oder einem kleinen, nicht vollständig geschlossenen "a" ähnelnde Schriftzei-
chen eine immerhin fast vier Zentimeter lange geschwungene Linie anschließt.
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Bei einem solchen Schriftzug kann nicht davon ausgegangen werden, dass le-
diglich mit einer Namensabkürzung unterzeichnet werden und keine vollständi-
ge Unterschrift geleistet werden sollte (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 10. Juli
1997, aaO, unter II 2 a). Der von der Beklagtenvertreterin verwendete Schrift-
zug ist auch trotz seiner einfachen Struktur so ausgeführt, dass er sich als indi-
viduell ausgestaltete Wiedergabe des Namens "R. " darstellt (vgl. hier-
zu auch BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997, aaO). Der Anfangsbuchstabe
des Namens ist vollständig ausgeschrieben, auch der anschließende Buchsta-
be "a" ist noch ansatzweise lesbar. Der Rest des Namens "R. " ist
zwar nicht in Form von identifizierbaren Buchstaben wiedergegeben. Zu beach-
ten ist aber, dass die Buchstaben "s", "m", "u", "e" und "n" auf der gleichen
Schreibebene liegen und keine Ausschläge nach oben oder unten erfordern, so
dass sie bei flüchtiger Schreibweise durchaus zu einer längeren, wellenförmi-
gen Linie verkümmern können.
c) Vorliegend kommt hinzu, dass auch vom Berufungsgericht an der Au-
torenschaft der Beklagtenvertreterin keine Zweifel angemeldet worden sind, so
dass ohnehin eine großzügige Betrachtungsweise geboten ist (vgl. hierzu Se-
natsbeschluss vom 27. September 2005, aaO; BGH, Beschluss vom 26. Febru-
ar 1997, aaO). Die Urheberschaft der Beklagtenvertreterin wird bestätigt durch
die maschinenschriftliche Namenswiedergabe nebst Berufungsbezeichnung
und durch den Umstand, dass im vorliegenden Verfahren sämtliche von der
Beklagtenvertreterin bis zur erstmaligen Beanstandung durch das Berufungsge-
richt geleisteten Unterschriften dem Namenszug auf der Berufungsschrift äh-
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neln (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 1997, aaO, vom 27. September
2005, aaO, und vom 26. Februar 1997, aaO).
Ball
Dr. Milger
Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Hamburg-St. Georg, Entscheidung vom 03.03.2009 - 923 C 54/07 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 11.08.2009 - 311 S 50/09 -