Urteil des BGH vom 16.10.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 253/07
Verkündet
am:
16. Oktober 2008
K i e f e r
Justizangestellter
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 33, § 139, § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Eine Wider-Widerklage kann in einem Rechtsstreit, in dem über eine Wi-
derklage bereits rechtskräftig entschieden worden ist, nicht mehr erhoben
werden. Auch zum Zwecke der Korrektur eines Verfahrensfehlers kann
durch eine Verfahrensweise nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO eine Ver-
fahrenssituation, die bestanden hat, solange über die Widerklage noch nicht
rechtskräftig entschieden worden war, nicht wiederhergestellt werden.
BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008 - III ZR 253/07 - OLG Koblenz
LG Mainz
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Schlick sowie die
Richter Dr. Wurm, Dr. Herrmann, Wöstmann und Hucke
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. Oktober 2007 aufgeho-
ben.
Die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage als unzulässig
abweisende Urteil des Landgerichts Mainz vom 22. Februar 2006
wird unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Oberlandesge-
richts vom 15. Juni 2007 zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben
(§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die in der Touristikbranche tätigen Parteien schlossen im März 1997 eine
Vereinbarung, wonach die Klägerin mit der offiziellen Vertretung der in Großbri-
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tannien ansässigen Beklagten auf dem deutschen, österreichischen und
schweizerischen Markt beauftragt wurde. Als Vergütung war zunächst
ein Betrag von 5.500 US $ monatlich vereinbart, der nach kurzer Zeit auf
3.750 US $ herabgesetzt wurde; der Klägerin sollten daneben laufende Kosten
für Telefon, Fax, Parkgebühren und Reisekosten auf entsprechenden Nachweis
hin erstattet werden. Seit November 1997 leistete die Beklagte keine Zahlungen
mehr.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Begleichung rückständiger
Vergütung von November 1997 bis Juni 1998. Nach vorausgegangenem Mahn-
bescheid und Widerspruch der Beklagten hiergegen ist der Rechtsstreit an
das Landgericht Mainz abgegeben worden, bei dem die Klägerin ihre Klage-
forderung begründet und noch einen Betrag in Höhe von 40.119,15 DM
(= 20.512,60 €) gefordert hat. Die Beklagte hat die Unzuständigkeit des Land-
gerichts gerügt und die Auffassung vertreten, sie könne nur vor einem Gericht
in London verklagt werden; zugleich hat sie Widerklage auf Rückzahlung von
aus ihrer Sicht zu viel an die Klägerin gezahlter 27.178,20 DM (= 13.895,99 €)
nebst Zinsen erhoben.
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Nachdem das Landgericht in einem Hinweis- und Beweisbeschluss vom
16. November 2005 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hatte, nach
nochmaliger Überprüfung sei nunmehr von einem einheitlichen Gerichtsstand
für Klage und Widerklage gemäß Art. 5 EuGVÜ auszugehen, hat es die Klage
mit Urteil vom 22. Februar 2006 gleichwohl mangels internationaler Zuständig-
keit deutscher Gerichte ohne nochmaligen Hinweis auf seine insoweit inzwi-
schen abermals geänderte Meinung als unzulässig, die Widerklage als unbe-
gründet abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat lediglich die Klägerin Beru-
fung eingelegt, während die Beklagte die Abweisung ihrer Widerklage hinge-
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nommen hat. Im Verhandlungstermin vom 15. Juni 2007 vor dem Berufungsge-
richt, in dem es unter anderem auch die Ansicht geäußert hat, bei einem - hier
fehlerhaft unterbliebenen - Hinweis auf die Unzulässigkeit der Klage habe die
Klägerin ihre Forderung in Form einer Eventual-Wider-Widerklage erheben
können, um die Zuständigkeit des Landgerichts zu begründen, war die Beklagte
nicht vertreten. Daraufhin ist an diesem Tag im Wege eines Versäumnisurteils
die erstinstanzliche Entscheidung, soweit darin über die Klage entschieden
worden war, einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und
der Rechtsstreit in diesem Umfang zur erneuten Entscheidung an das Landge-
richt zurückverwiesen worden. Nach fristgerechtem Einspruch der Beklagten
hat das Berufungsgericht dieses Versäumnisurteil aufrechterhalten. Hiergegen
richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur
Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung unter
Aufhebung des Versäumnisurteils.
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I.
Das Berufungsgericht hat die vorgenommene Aufhebung des landge-
richtlichen Urteils einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens und die
Zurückverweisung in die erste Instanz damit begründet, dass die Klageabwei-
sung als unzulässig auf einem Verfahrensfehler beruhe. Die Zuständigkeit des
angerufenen Landgerichts für die erhobene Klage sei zwar mit zutreffender Be-
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gründung verneint worden. Denn die Klägerin könne sich nicht auf Art. 5 Nr. 1
EuGVVO berufen, weil ihre Klage noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung er-
hoben worden sei und ihre Bestimmungen deshalb nach Art. 66 Abs. 1 EuGV-
VO nicht anwendbar seien. Eine Zuständigkeit des Landgerichts ergebe sich
auch nicht aus den Vorschriften des EuGVÜ, wobei mit Recht von zwei unter-
schiedlichen Erfüllungsorten für die wechselseitigen vertraglichen Verpflichtun-
gen der Parteien ausgegangen worden sei.
Allerdings liege eine verfahrensfehlerhafte Überraschungsentscheidung
vor, weil das erstinstanzliche Gericht noch mit Hinweisbeschluss vom 16. No-
vember 2005 ausdrücklich ausgeführt habe, es gehe von einem einheitlichen
Gerichtsstand für Klage und Widerklage aus, dann aber dennoch ohne weiteren
Hinweis ein Prozessurteil bezüglich der Klage erlassen habe. Wäre der Klägerin
die letztlich angenommene Unzulässigkeit deutlich gemacht worden, hätte sie
eine Zuständigkeit für die Klageforderung nach Art. 6 Nr. 3 EuGVVO durch Er-
hebung einer Wider-Widerklage begründen können und nach ihrem nicht zu
widerlegenden Vortrag auch begründet. Bei ordnungsgemäßer Verfahrensweise
hätte für sie die Möglichkeit bestanden, ihre Klage zuvor zurücknehmen. Dabei
könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die erforderliche
Einwilligung dazu verweigert hätte. Dies vor allem dann nicht, wenn die Klägerin
ihre Absicht, eine Wider-Widerklage zu erheben, zunächst nicht offenbart hätte.
Der Verfahrensfehler führe zur Zurückverweisung unter Aufhebung des zugrun-
de liegenden Verfahrens, der Klägerin sei Gelegenheit zu geben, entsprechend
zu verfahren. Doppelte Rechtshängigkeit stehe dem nicht von vornherein ent-
gegen. Durch die Verfahrensaufhebung werde der Rechtsstreit hinsichtlich der
Klage in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor der ersten mündlichen Ver-
handlung in erster Instanz befunden habe. Somit bestehe für die Klägerin die
Möglichkeit, die Klage auch ohne Einwilligung der Beklagten zurückzunehmen,
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um anschließend ihre Klageforderung im Wege der Wider-Widerklage geltend
zu machen. Da auf die Verfahrenssituation im Zeitpunkt eines rechtzeitigen
Hinweises des Landgerichts abzustellen sei, stehe dem die bereits rechtskräfti-
ge Entscheidung über die Widerklage nicht entgegen, weil nach dem nicht wi-
derlegbaren Vortrag der Klägerin dann über die Widerklage noch nicht rechts-
kräftig entschieden wäre.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der nach Zurückverweisung
und Aufhebung auch des zugrunde liegenden Verfahrens für die Klägerin noch
bestehenden Möglichkeit der Klagerücknahme und der Erhebung einer Wider-
Widerklage, um damit die Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts nach
Art. 6 Nr. 3 EuGVVO zu begründen, halten der rechtlichen Überprüfung nicht
stand. Dieser mit der Erhebung einer Wider-Widerklage angestrebte Erfolg
kann in dem Verfahrensstadium, in dem sich der Rechtsstreit nach rechtskräfti-
ger Entscheidung über die Widerklage befindet, nicht mehr erreicht werden.
Einer reformierenden Entscheidung nach Erteilung eines Hinweises auf die feh-
lende internationale Zuständigkeit und der dem Berufungsgericht im Anschluss
an die Zurückverweisung der Sache vorschwebenden prozessualen Vorge-
hensweise ist bei dieser Sachlage der Boden entzogen.
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1.
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht die internationale
Zuständigkeit deutscher Gerichte, die auch in der Revisionsinstanz von Amts
wegen zu prüfen ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 153, 82, 84 ff; vgl. auch BGHZ 132,
105, 107; 134, 127, 129 f; 157, 224, 227; BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004
- XI ZR 366/03 - NJW-RR 2005, 581), verneint. Denn die Klägerin kann sich
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nicht auf Vorschriften der EuGVVO berufen, weil diese nach Art. 66 Abs. 1 nur
auf solche Klagen Anwendung findet, die erst nach ihrem Inkrafttreten erhoben
worden sind. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, so dass noch die Be-
stimmungen des zuvor geltenden EuGVÜ heranzuziehen sind. Auch wenn zum
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die EuGV-
VO bereits in Kraft getreten war, konnte die fehlende internationale Zuständig-
keit nicht rückwirkend dadurch entstehen, dass diese nunmehr, hier nach Art. 5
Nr. 1 lit. b EuGVVO, begründet wäre (vgl. BGHZ 132, aaO; BGH, Urteil vom
14. November 1991 - IX ZR 250/90 - NJW 1993, 1070, 1071; Hk-ZPO/Dörner,
2. Aufl.2007, Art. 66 EuGVVO, Rn. 2 m.w.N.).
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist vorliegend nicht
gegeben, weil im EuGVÜ für eine auf vertragliche Ansprüche gestützte Klage,
wie sie hier geltend gemacht wird, keine Ausnahmevorschrift im Sinne des
Art. 3 Abs. 1 EuGVÜ enthalten war, die es ermöglicht hätte, die Beklagte, die
ihren Geschäftssitz in Großbritannien hat, abweichend von der Regelvorschrift
des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ in einem anderen Vertragsstaat zu verklagen (vgl.
BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004, aaO). Eine solche Möglichkeit ergibt sich
insbesondere nicht aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Nach dieser Vorschrift kann eine
Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, wegen
vertraglicher Ansprüche zwar auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden,
an dem die Verpflichtung zu erfüllen wäre. Rechtsfehlerfrei haben beide Vorin-
stanzen jedoch angenommen, dass der Erfüllungsort für die vertraglichen Ver-
pflichtungen der Beklagten im Sinne der genannten Vorschrift nicht in der Bun-
desrepublik Deutschland liegt. Der nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ maßgebliche Erfül-
lungsort richtet sich nach dem internationalen Privatrecht des Gerichtsstaates
und dem danach berufenen Sachrecht, nicht dagegen autonom nach der ver-
tragscharakteristischen Leistung (EuGH NJW 1977, 491 f m. Anm. Geimer;
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NJW 2000, 721, 722 f, Rn. 33; BGHZ 157, aaO, S. 231; BGH, Urteile vom
25. Februar 1999 - VII ZR 408/97 - NJW 1999, 2442 f, und vom 7. Dezember
2004, aaO, S. 582 m.w.N.; vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl. 2007, Art. 5
EuGVVO, Rn. 1a f). Die nunmehr in Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO enthaltene Aus-
nahme für Dienstverträge (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2006 - IX ZR 15/05 -
NJW 2006, 1806, 1807) bestand seinerzeit noch nicht. Danach gilt aber gemäß
Art. 28 EGBGB für den zwischen den Parteien geschlossenen Dienstvertrag
deutsches Recht, weil die Klägerin, die als Dienstverpflichtete die charakteristi-
sche Leistung zu erbringen hatte (vgl. Senatsurteil BGHZ 128, 41, 48; Palandt/
Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, EGBGB Art. 28, Rn. 14), ihren Geschäftssitz in
Deutschland hat. Der Erfüllungsort für die hier eingeklagte Zahlungsverpflich-
tung bestimmt sich daher nach den §§ 269, 270 BGB. Bei Dienstverträgen be-
steht aber nach herrschender Auffassung grundsätzlich kein einheitlicher Erfül-
lungsort etwa am Ort der charakteristischen Leistung, sondern Zahlungsan-
sprüche sind in der Regel am Wohn-(Geschäfts-)Sitz des Zahlungspflichtigen
zu erfüllen (so für Rechtsanwaltshonorare BGHZ 157, 20, 23 ff; BGH, Urteil
vom 4. März 2004 - IX ZR 101/03 - NJW-RR 2004, 932; Palandt/Heinrichs,
aaO, § 269, Rn. 13 f). Gesichtspunkte, die im Streitfall eine davon abweichende
Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich; vor allem ist die interna-
tionale Zuständigkeit des Landgerichts nicht durch rügelose Einlassung der Be-
klagten nach Art. 18 EuGVÜ (jetzt Art. 24 EuGVVO) begründet worden. Sie hat
bereits mit ihrer Klageerwiderung die Zuständigkeitsrüge erhoben und ist davon
im Laufe des weiteren Verfahrens nicht abgerückt. Dass sie sich hilfsweise
(auch) zur Sache eingelassen hat, ließ nicht ihre Befugnis entfallen, sich auf die
Unzuständigkeit zu berufen (vgl. EuGH, Slg. 1981, 1671, 1686, Rn. 17 = IPRax
1982, 234, 238; NJW 1984, 2760, 2761; BGH, Urteil vom 25. Februar 1999,
aaO; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 1997, Art. 18 EuGVÜ
Rn. 46 f; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 1998, Art. 18 EuG-
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VÜ, Rn. 10 bis 12 sowie 8. Aufl. 2005, Rn. 10 f zu Art. 24 EuGVVO m.w.N.).
Entgegen der Auffassung der Klägerin widerspricht ein derartiges Verhalten
auch nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben, denn die Beklagte hat das
Recht, sich unabhängig von der Erhebung ihrer Widerklage mit allen prozes-
sualen Möglichkeiten gegen die Klage zu verteidigen.
2.
Das Berufungsgericht geht zwar weiter mit Recht davon aus, dass es
sich bei dem erstinstanzlichen Urteil aus Sicht der Klägerin um eine Überra-
schungsentscheidung gehandelt hat. Denn nach dem Hinweis- und Beweisbe-
schluss vom 16. November 2005, wonach ein einheitlicher Gerichtsstand für
Klage und Widerklage angenommen wurde, hätte die Klage nicht ohne einen
weiteren Hinweis und Gelegenheit zur Stellungnahme als unzulässig abgewie-
sen werden dürfen. Darin liegt jedoch nicht zugleich auch eine Verletzung des
Art. 103 Abs. 1 GG. Abgesehen davon, dass nicht jede Verletzung einer pro-
zessualen Hinweispflicht gleichbedeutend ist mit einer Versagung rechtlichen
Gehörs (vgl. BVerfGE 66, 116, 146 f; 67, 90, 95 f; BayVerfGH NJW 1992, 1094;
BGH, Beschluss vom 24. April 2008 - I ZB 72/07 - juris, Rn. 12), kann nicht da-
von ausgegangen werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Ge-
hörsverstoß beruht. Ist eine Hinweispflicht unbeachtet geblieben, hat die darauf
gerichtete Rüge auszuführen, wie die Partei auf einen entsprechenden Hinweis
reagiert hätte, insbesondere, was sie im Einzelnen vorgetragen hätte und wie
sie weiter vorgegangen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003
- XI ZR 153/02 - NJW-RR 2003, 1003, 1004; Beschluss vom 24. April 2008 a-
aO; Musielak/Ball, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 543 Rn. 9 f).
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Diesen Anforderungen ist die Klägerin jedoch nicht gerecht geworden. Im
Berufungsverfahren hat sie keinen prozessual zulässigen Weg aufgezeigt, den
sie bei Erteilung des erforderlichen Hinweises auf die Unzulässigkeit ihrer Klage
beschritten hätte. Die von ihr für diesen Fall beabsichtigte Erhebung einer E-
ventual-Wider-Widerklage stellte kein taugliches prozessuales Mittel dar, um die
Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts zu begründen. Die Erhebung einer
Wider-Widerklage unter der vorgesehenen Bedingung, dass die (Haupt-)Klage
mangels internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte unzulässig sei, wäre
nicht möglich gewesen. Denn eine solche hilfsweise und (auflösend) bedingt
erhobene Wider-Widerklage hätte lediglich zur nochmaligen Rechtshängigkeit
desselben Streitgegenstandes geführt. Dem hätte jedoch, wie die Beklagte zu
Recht geltend macht, das Verbot doppelter Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3
Nr. 1 ZPO) entgegengestanden. Erhebt eine Prozesspartei hilfsweise eine Wi-
der-Widerklage für den Fall, dass die von ihr erhobene Klage unzulässig ist, hat
dies zur Folge, dass über denselben Streitgegenstand einerseits die Klage, an-
dererseits aber auch die Wider-Widerklage anhängig ist. Die Bedingung der
Unzulässigkeit der Klage kann daran nichts ändern, weil diese Klage bis zu ih-
rer rechtskräftigen Abweisung oder wirksamen Rücknahme rechtshängig bleibt.
In der Rechtsprechung wird deshalb nur eine solche hilfsweise erhobene Wider-
Widerklage als zulässig angesehen, die von einer mit der Verteidigung gegen
die Widerklage zusammenhängenden Bedingung abhängig gemacht wird (vgl.
BGH, Urteil vom 10. März 1959 - VIII ZR 44/58 - LM § 164 BGB Nr. 15;
Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22.
Aufl., 2003, §
33 Rn.
35, 37, 39; Tho-
mas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., § 33, Rn. 14). So liegt der Streitfall
aber ersichtlich nicht. Die hier vom Berufungsgericht zunächst als möglich an-
gesehene Bedingung betraf nicht den möglichen Erfolg der Widerklage, son-
dern die Abweisung ihrer eigenen Klage und damit einen identischen Streitge-
genstand, so dass es sich letztlich um eine Eventualklage gehandelt hätte. Die
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Zulassung einer derartigen Vorgehensweise widerspräche Sinn und Zweck ei-
ner Wider-Widerklage. Eine Widerklage ist eine Reaktion auf die Klage (vgl.
etwa BGHZ 43, 28, 30; 132, 390, 397 f), die Wider-Widerklage somit eine sol-
che auf eine Widerklage (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 1995
- XII ARZ 14/95 - NJW-RR 1996, 65). Eine nur die eigene Klage betreffende
Bedingung ist danach nicht möglich, zumal damit darüber hinaus eine unzuläs-
sige Umgehung der Regelung in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ einhergehen würde.
Abgesehen davon lässt sich dieser Verfahrensfehler jedoch wegen der
weiteren Entwicklung des Rechtsstreits, nämlich dessen endgültiger Beendi-
gung bezüglich der Widerklage durch Eintritt der Rechtskraft des Urteils des
Landgerichts insoweit, ohnehin nicht mehr korrigieren; insbesondere geht die
Ansicht des Berufungsgerichts fehl, durch eine Verfahrensweise nach § 538
Abs. 2 Satz 3 ZPO könne die Verfahrenssituation (wieder) hergestellt werden,
die bestanden hat, solange über die Widerklage noch nicht rechtskräftig ent-
schieden worden war.
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3.
Soweit das Berufungsgericht die Zurückverweisung in die erste Instanz
zum Zwecke der Rücknahme der Klage und Erhebung einer unbedingten
Wider-Widerklage trotz rechtskräftiger Abweisung der Widerklage gleichwohl als
möglich ansieht, erweist sich dieser der Klägerin gewiesene Weg ebenfalls als
nicht gangbar. Die vorgenommene Zurückverweisung mit der Aufhebung des
Verfahrens geht vielmehr ersichtlich ins Leere.
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a) Bereits der in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils
zunächst enthaltene Ansatz, wonach die Klägerin entsprechend ihrem Vorbrin-
gen bei Erteilung des erforderlichen Hinweises ihre Klage zurückgenommen
und Wider-Widerklage erhoben hätte, wobei davon auszugehen sei, dass die
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Beklagte die erforderliche Einwilligung hierzu erteilt hätte, ist nicht tragfähig.
Nichts spricht für eine derartige Erwartung; eine solche Annahme ist lediglich
spekulativ. Daran ändert auch nichts die in diesem Zusammenhang weiter an-
gestellte - für sich genommen äußerst fragwürdige - Überlegung des Beru-
fungsgerichts, die erforderliche Einwilligung der Beklagten habe jedenfalls da-
durch erlangt werden können, dass die Klägerin ihre Absicht, nach Klagerück-
nahme eine Wider-Widerklage zu erheben, zunächst geheim gehalten hätte.
b) Auch die Vorgabe des Berufungsgerichts, das Landgericht müsse der
Klägerin nach Zurückverweisung nun ermöglichen, die Klage zurückzunehmen,
wobei durch die mit der Aufhebung auch des Verfahrens verbundene Zurück-
versetzung des Prozesses in die Lage noch vor der ersten mündlichen Ver-
handlung eine Einwilligung der Beklagten hierzu nicht erforderlich sei, stellt sich
als rechtsfehlerhaft dar.
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Mit der Erklärung der Klagerücknahme wäre bei der vorliegenden Sach-
lage der Prozess vollständig abgeschlossen, für die Erhebung einer Wider-
Widerklage anstelle der Klage bestünde schon deshalb kein Raum mehr.
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c) Die weitere Annahme, es könne nicht auf die bereits eingetretene
Rechtskraft bezüglich der Widerklage ankommen, weil nach dem nicht zu wi-
derlegenden Vortrag der Klägerin bei der beschriebenen Vorgehensweise die
Abweisung der Widerklage noch keine Rechtskraft erlangt hätte, ist ebenso ver-
fehlt. Die eingetretene Rechtskraft hinsichtlich dieses Teils des Rechtsstreits
kann für die Beurteilung etwaiger noch bestehender prozessualer Möglichkei-
ten für die Klägerin nicht hinweggedacht werden. Denn die Widerklage setzt
nach allgemeiner Meinung begrifflich und denknotwendig voraus, dass die Kla-
ge in der Hauptsache im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage noch anhängig
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ist (vgl. nur BGHZ 40, 185, 187; BGH, Urteile vom 8. März 1972 - VIII ZR
34/71 - JR 1973, 18, und vom 18. April 2000 - VI ZR 359/98 - NJW-RR 2001,
60; Stein/Jonas/Roth, aaO, § 33, Rn. 16 ff; Zöller/Vollkommer, aaO, § 33,
Rn. 17), die Wider-Widerklage erfordert somit zwingend eine noch anhängige
Widerklage. Durch die rechtskräftige Entscheidung über der Widerklage ist de-
ren Rechtshängigkeit aber unabänderlich beseitigt worden. Auch zum Zwecke
der Korrektur eines Verfahrensfehlers kann sie nicht wieder aufleben oder fiktiv
als noch bestehend angesehen werden.
4.
Danach konnten das Berufungsurteil und das zuvor ergangene Ver-
säumnisurteil keinen Bestand haben. Das Versäumnisurteil ist dabei nicht in
gesetzlicher Weise ergangen, denn die Rechtskraft der Entscheidung über die
Widerklage war bereits zum Zeitpunkt der (Versäumnis-)Entscheidung des Be-
rufungsgerichts am 15. Juni 2007 eingetreten, so dass diese auf den fristge-
rechten Einspruch der Beklagten hin hätte aufgehoben und die Berufung hätte
zurückgewiesen werden müssen.
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5.
Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat gemäß
§ 563 Abs. 3 ZPO selbst abschließend entscheiden.
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Schlick
Wurm
Herrmann
Wöstmann
Hucke
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 22.02.2006 - 3 O 10/02 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 12.10.2007 - 8 U 430/06 -