Urteil des BGH vom 10.08.1999

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 275/99
Verkündet am:
17. September 2001
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
GmbH §§ 8 Abs. 2, 19 Abs. 5, 30, 31; BGB § 366
a) Die Hin- und Herüberweisung des Einlagebetrages binnen weniger Tage
tilgt die Einlageschuld nicht, weil in einem solchen Falle nicht davon ausge-
gangen werden kann, daß die Leistung zur endgültig freien Verfügung der
Geschäftsführung gestanden hat.
b) Die Anwendbarkeit der §§ 30, 31 GmbHG setzt einen ordnungsgemäß ab-
geschlossenen Kapitalaufbringungsvorgang voraus.
c) Kann der Gläubiger eine Leistung des Schuldners, etwa weil genau ein be-
stimmter offener Betrag gezahlt wird, einer von mehreren offenen Verbind-
lichkeiten zuordnen, steht es der Erfüllungswirkung der Zahlung nicht entge-
gen, daß der Schuldner sie nicht mit einer ausdrücklichen Tilgungsbestim-
mung versehen hat.
BGH, Urteil vom 17. September 2001 - II ZR 275/99 - OLG Naumburg
LG Halle
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly
und die Richterin Münke
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 7. Zivil-
senats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 10. August 1999
aufgehoben und das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Halle vom 2. April 1998 teilweise abgeändert:
Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Beklagte ver-
urteilt, an den Kläger 2.295,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
5. Juli 1993 zu zahlen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte, die früher als V. B.V. firmierte, ist Gesellschafterin der
am 24. August 1990 gegründeten, mit einem Stammkapital von 3 Mio. DM aus-
gestatteten und am 11. Januar 1991 in das Handelsregister eingetragenen
O. GmbH. Über das Vermögen dieser Gesellschaft ist am 7. Januar
1992 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und der Kläger zum Ver-
walter bestellt worden. Die Beklagte hatte eine Stammeinlage von
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1.530.000,00 DM übernommen und einen entsprechenden Betrag am 28.
September 1990 auf ein von der Gemeinschuldnerin bei der A. Bank eröffne-
tes Konto überwiesen. Wenige Tage später, am 9. Oktober 1990, ist ein Betrag
in entsprechender Höhe an die Beklagte zurückgeflossen. Später hat die Be-
klagte für Milchlieferungen der Gemeinschuldnerin mehrfach Zahlungen gelei-
stet und außerdem unter dem 27. Juni 1991 - ohne ausdrückliche Leistungsbe-
stimmung - 1.530.000,00 DM aus den Niederlanden auf ein bei einer am Fir-
mensitz ansässigen Bank eingerichtetes Konto der Gemeinschuldnerin über-
wiesen. Hiervon sind 2.295,00 DM als Gebühren abgezogen worden, so daß
dem Konto der Empfängerin nur 1.527.705,00 DM gutgeschrieben worden sind.
Bei der Gemeinschuldnerin ist dieser Vorgang entsprechend in den Buchungs-
unterlagen vermerkt und die Zahlung der V. B.V. zugeordnet worden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Einlagepflicht der Beklagten
sei nicht ordnungsgemäß erfüllt worden. Die Zahlung vom 27. Juni 1991 hat er
mit - angeblich - ausstehenden Forderungen der Gemeinschuldnerin für
Milchlieferungen verrechnet. Das Landgericht hat seiner entsprechenden Klage
stattgegeben. Die Berufung, mit der sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung
zur Zahlung eines 2.295,00 DM nebst Zinsen übersteigenden Betrages ge-
wandt hat, hatte keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklag-
ten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Abweisung der Klage, soweit
die Beklagte zu einem 2.295,00 DM nebst Zinsen übersteigenden Betrag ver-
urteilt worden ist. Die Beklagte hat durch die Überweisung vom 27. Juni 1991
ihre Einlagepflicht in Höhe des noch im Streit befindlichen Betrages von
1.527.705,00 DM erfüllt.
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Nur im Ergebnis ist dem Berufungsgericht zu folgen, daß die Beklagte
ihrer Pflicht zur Leistung der Stammeinlage durch die Überweisung des Einla-
gebetrages am 28. September 1990 nicht nachgekommen ist. Seine Annahme,
die Rücküberweisung vom 9. Oktober 1990 habe gegen § 30 GmbHG versto-
ßen, beruht auf einer mangelnden Differenzierung zwischen der Pflicht des
Gesellschafters zu ordnungsgemäßer Kapitalaufbringung und der darauf auf-
bauenden und durch § 31 GmbHG sanktionierten Pflicht zur Erhaltung des
ordnungsgemäß eingezahlten Stammkapitals. Die Zahlungsvorgänge von Ende
September/Anfang Oktober 1990 haben vielmehr deswegen die Einlageschuld
der Beklagten nicht tilgen können, weil angesichts der in geringem zeitlichen
Abstand erfolgten Hin- und Herüberweisung nicht davon ausgegangen werden
kann, daß der Einlagebetrag zur endgültig freien Verfügung der Geschäftsfüh-
rung gestanden hat (st. Rspr. BGHZ 113, 335, 348 f.; Urt. v. 16. März 1998
- II ZR 303/98, ZIP 1998, 780, 782 m.w.N.; ferner Urt. v. 27. November 2000
- II ZR 83/00, ZIP 2001, 157). Da es demnach schon an einer ordnungsgemä-
ßen Kapitalaufbringung in der Gründungsphase der Gemeinschuldnerin fehlt,
kann die Rücküberweisung vom 9. Oktober 1990 einen Erstattungsanspruch
nach § 31 GmbHG nicht ausgelöst haben, so daß es auch nicht darauf an-
kommt, ob - wie die Revision den Ansatz des angefochtenen Urteils aufneh-
mend meint - die Überweisung vom 27. Juni 1991 diese Erstattungsforderung
hat tilgen können.
Die Revision hat aber deswegen Erfolg, weil die offene Einlageschuld
der Beklagten - soweit im jetzigen Stadium des Rechtsstreits noch von Bedeu-
tung - durch die Überweisung vom 27. Juni 1991 erfüllt worden ist. Zu Unrecht
ist der Kläger der Auffassung, mangels einer Tilgungsbestimmung der Beklag-
ten, sei er in der Verrechnung der Zahlung auf andere Verbindlichkeiten der
Gesellschafterin frei. Zwar hat die Beklagte ihre Überweisung nicht mit einer
ausdrücklichen Tilgungsbestimmung versehen. Dies steht der Erfüllungswir-
kung aber nicht entgegen, weil es ausreicht, wenn im Falle mehrerer durch die
Zahlung nicht vollständig gedeckter Verbindlichkeiten für den Empfänger er-
sichtlich ist, daß eine bestimmte Forderung nach dem Willen des Leistenden
getilgt werden soll (vgl. Münch.Komm. z. BGB/Wenzel,
4. Aufl. § 366 Rdn. 10
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m.w.N.). Dies ist u.a. dann anzunehmen, wenn gerade der Betrag der Schuld-
summe gezahlt wird. So verhält es sich im vorliegenden Fall: Die Überweisung
vom 27. Juni 1991 deckte genau die offene Einlageschuld der Beklagten ab; es
bestand zu dieser Zeit keine andere, auch nur annähernd diesen Betrag errei-
chende anderweite Verbindlichkeit der Gesellschafterin, nachdem eine
Milchlieferungsrechnung über 1.535.653,00 DM unstreitig bereits Ende Februar
1991 ausgeglichen worden war. Die Überweisung konnte nach dem Willen der
Beklagten nur die ausstehende Einlageschuld betreffen. Auch die Gemein-
schuldnerin selbst hat, wie sich aus den Vermerken auf dem Bankbeleg und
den Buchungsunterlagen der Gesellschaft ersehen läßt, diese Zahlung richtig
eingeordnet, indem sie den von der Bank als Gebühren einbehaltenen Betrag
von 2.295,00 DM als fehlend vermerkt und zu Gunsten der V. B.V.
1.527.705,00 DM verbucht hat. Jedenfalls in Höhe des jetzt noch streitigen
Teils der Einlageschuld ist damit bereits Anfang Juli 1991 Erfüllung eingetre-
ten, so daß der Kläger gehindert war, nachträglich die Zahlung auf andere -
von der Beklagten im übrigen bestrittene - Forderungen zu verrechnen.
Die Gegenrüge des Klägers, das Berufungsgericht habe jedenfalls über
den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Bezahlung ausstehender
Milchlieferungen entscheiden müssen, ist nicht begründet und nötigt insbeson-
dere nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die ge-
nannten Kaufpreisansprüche, deren Höhe im einzelnen umstritten ist, sind
nämlich verjährt; die Einrede der Verjährung hat die Beklagte ausdrücklich er-
hoben. Entgegen dem Verständnis, das die Revisionserwiderung dem erstin-
stanzlichen Vortrag des Klägers beimessen möchte, sind die - angeblichen -
Forderungen der Gemeinschuldnerin auf Bezahlung von Milchlieferungen im
ersten Rechtszug nicht im Sinne einer Hilfsbegründung in den Rechtsstreit ein-
geführt worden. Der Kläger hat diese Forderungen vielmehr allein zum Beleg
dafür angeführt, daß die Gemeinschuldnerin angesichts einer Vielzahl offener
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Verbindlichkeiten der Beklagten nicht habe erkennen können, welchen der
mehreren Ansprüche die Beklagte habe tilgen wollen. Erstmals im Berufungs-
rechtszug, als bereits Verjährung eingetreten war, hat sich der Kläger auf diese
Ansprüche hilfsweise gestützt.
Röhricht Henze Goette
Richter am BGH
Dr. Kurzwelly ist wegen Urlaubs
an der Unterzeichnung gehindert
Röhricht Münke