Urteil des BGH vom 25.06.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 161/08
vom
25. Juni 2009
in dem Insolvenzvefahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 7
Hat das Beschwerdegericht eine für den Beschwerdeführer unanfechtbare Entschei-
dung auf die sofortige Beschwerde hin geändert, ist die hiergegen eingelegte
Rechtsbeschwerde selbst dann unstatthaft, wenn das Beschwerdegericht sie zuge-
lassen hat. Hat das Beschwerdegericht über eine statthafte, aber aus anderen Grün-
den unzulässige sofortige Beschwerde sachlich entschieden, ist diese Entscheidung
auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuheben und die sofortige Beschwerde
als unzulässig zu verwerfen.
BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08 - LG Mönchengladbach
AG
Mönchengladbach
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Pape
am 25. Juni 2009
beschlossen:
Dem Schuldner wird wegen der Versäumung der Frist zur Einle-
gung und Begründung der Rechtsbeschwerde auf seine Kosten
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Mönchengladbach vom 19. März 2008 wird auf
Kosten des Schuldners verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 23.808,48 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
Über das Vermögen des Beschwerdeführers wurde am 10. September
2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zum Treuhän-
der bestellt. Während des Insolvenzverfahrens erkannte eine private Lebens-
versicherung des Schuldners an, ihm eine Berufsunfähigkeitsrente zu schulden.
Für die Zeit bis einschließlich Oktober 2005 überwies die Versicherungsgesell-
schaft eine Nachzahlung in Höhe von 23.143,80 € auf das Konto des Treuhän-
ders. Hierauf wurde auch die monatliche Berufsunfähigkeitsrente für November
2005 in Höhe von 664,68 € gezahlt. Der Treuhänder weigerte sich, diese Beträ-
ge an den Schuldner auszukehren. Ein Antrag des Schuldners auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe für eine Herausgabeklage gegen den Treuhänder blieb
erfolglos.
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Auf Antrag des Schuldners hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom
31. Juli 2007 festgestellt, dass die Rentennachzahlung gemäß § 36 Abs. 1
InsO in Verbindung mit § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht Teil der Insolvenzmasse
ist. Auf dessen weiteren Antrag, den Treuhänder anzuweisen, die Nachzahlung
und die Rente für November 2005 an ihn auszuzahlen, hat das Insolvenzgericht
am 11. Oktober 2007 eine entsprechende Anordnung erlassen. Gegen beide
Entscheidungen hat sich der Treuhänder mit der sofortigen Beschwerde ge-
wandt. Diese hatte in beiden Fällen Erfolg; das Beschwerdegericht hat sowohl
die Feststellung, dass die Nachzahlung nicht in die Insolvenzmasse falle, als
auch die Auszahlungsanordnung des Insolvenzgerichts aufgehoben. Mit seiner
vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Schuld-
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ner die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und die Zurück-
weisung der sofortigen Beschwerden des Treuhänders.
II.
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg; sie ist unstatthaft.
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1. Allerdings ist dem Schuldner auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren (§ 233 ZPO), weil er - nachdem der Senat
ihm auf seinen fristgemäß gestellten Antrag hin Prozesskostenhilfe gewährt
hat - rechtzeitig die Rechtsbeschwerde eingelegt und begründet hat.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nur eröffnet, wenn zuvor die soforti-
ge Beschwerde statthaft war (BGHZ 158, 212, 214; BGH, Beschl. v. 18. Sep-
tember 2003 - IX ZB 75/03, NZI 2004, 21; v. 16. Oktober 2003 - IX ZB 599/02,
NZI 2004, 40; v. 7. April 2005 - IX ZB 63/03, NZI 2005, 414, 415; v. 17. Oktober
2005 - II ZB 4/05, NJW-RR 2006, 113, 114; v. 14. Dezember 2005 - IX ZB
54/04, NZI 2006, 239; v. 20. Dezember 2005 - VII ZB 52/05, InVo 2006, 146,
147; v. 26. Oktober 2006 - IX ZB 163/05, NZI 2007, 99, 100; v. 8. März 2007
- IX ZB 163/06, NZI 2007, 349; v. 31. März 2009 - IX ZB 77/09, Rn. 8; v.
25. Juni 2009 - IX ZB 84/08; vgl. zur weiteren Beschwerde nach früherem Recht
BGHZ 144, 78, 82 einerseits und OLG Frankfurt am Main NZI 2000, 137, 138
andererseits). Hat das Beschwerdegericht fälschlich eine unanfechtbare Ent-
scheidung auf die sofortige Beschwerde hin geändert, ist die hiergegen einge-
legte Rechtsbeschwerde selbst dann unstatthaft, wenn das Beschwerdegericht
sie zugelassen hat.
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Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die sofortige Beschwerde statt-
haft, jedoch unzulässig war, etwa weil es an der erforderlichen Beschwer fehlte
(BGH, Beschl. v. 6. Mai 2004 - IX ZB 104/04, NZI 2004, 447), die Beschwerde
dem Begründungserfordernis (§ 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nicht genügte (BGH,
Beschl. v. 21. Dezember 2006 - IX ZB 81/06, NZI 2007, 166) oder verfristet war
(BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02, NZI 2004, 166). Hat das Be-
schwerdegericht über die unzulässige sofortige Beschwerde sachlich entschie-
den, ist diese Entscheidung auf eine zulässige Rechtsbeschwerde hin aufzuhe-
ben und die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
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Zwischen der Unstatthaftigkeit und der bloßen Unzulässigkeit der soforti-
gen Beschwerde ist zu unterscheiden. War die sofortige Beschwerde unstatt-
haft, weil die angefochtene Entscheidung unanfechtbar war, fehlt es für das
Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht an einer Grundlage. Ein für den
Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vorgesehener Rechtsmittelzug kann auch
durch eine Fehlentscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts nicht eröffnet
werden. Dies ist anders, wenn die Ausgangsentscheidung anfechtbar war, aber
- vom Beschwerdegericht übersehen - nicht in zulässiger Weise angefochten
worden ist.
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3. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde hat das Rechtsbe-
schwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003
- IX ZB 369/02, NZI 2004, 166; v. 6. Mai 2004 - IX ZB 104/04, aaO; v. 21. De-
zember 2006 - IX ZB 81/06, NZI 2007, 166). Im vorliegenden Fall ergibt diese
Prüfung die Unstatthaftigkeit der sofortigen Beschwerde.
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a) Soweit sich der Schuldner gegen die Feststellung des Insolvenzge-
richts gewandt hat, bei den Zahlungen aus der Berufsunfähigkeitsrente habe es
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sich um bedingt pfändbare Bezüge im Sinne des § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ge-
handelt, gab es dagegen keine sofortige Beschwerde.
Die Entscheidung war dem Insolvenzgericht nicht nach § 36 Abs. 4
Satz 1 InsO übertragen, weil § 850b InsO in den Vorschriften, die in § 36 Abs. 1
Satz 2 InsO in Bezug genommen sind, nicht aufgeführt ist.Bei der Feststellung,
dass die Rentennachzahlung und die monatliche Rentenzahlung kein Teil der
Insolvenzmasse sind, handelte es sich nicht um eine sonstige vollstreckungs-
rechtliche Entscheidung (Jaeger/Henckel, InsO § 35 Rn. 129). Die Entschei-
dung unterlag damit auch nicht dem Rechtsmittelzug nach dem allgemeinen
Vollstreckungsrecht, der gilt, wenn das Insolvenzgericht als besonderes Voll-
streckungsgericht entscheidet (BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 - IX ZB 97/03,
ZIP 2004, 732; v. 17. Februar 2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Eine so-
fortige Beschwerde nach § 793 ZPO, wie sie das Beschwerdegericht ange-
nommen hat, war deshalb ausgeschlossen. Gegen den Beschluss war nur die
befristete Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RpflG gegeben.
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b) Auch gegen die Anweisung des Insolvenzgerichts an den weiteren
Beteiligten, die vereinnahmten Beträge an den Schuldner auszukehren, war
eine sofortige Beschwerde nicht statthaft.
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Bei dieser Anweisung handelte es sich um eine aufsichtsrechtliche An-
ordnung im Rahmen des § 58 Abs. 1 InsO. § 58 Abs. 2 Satz 3 InsO sieht eine
sofortige Beschwerde nur gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts vor, mit
dem es ein Zwangsgeld gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt hat. Im Übri-
gen ist eine sofortige Beschwerde gegen aufsichtsrechtliche Anordnungen des
Insolvenzgerichts nicht statthaft (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 - IX ZB
53/02, ZIP 2002, 2223, 2224; v. 13. Juni 2006 - IX ZB 136/05, NZI 2006, 593; v.
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21. September 2006 - IX ZB 128/05, ZVI 2007, 80; v. 25. September 2008
- IX ZA 23/08, NZI 2008, 753). Auch hier kommt allenfalls eine befristete Erinne-
rung in Betracht.
Ganter Raebel Vill
Lohmann
Pape
Vorinstanzen:
AG Mönchengladbach, Entscheidung vom 31.07.2007 - 32 IK 143/03 -
LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 19.03.2008 - 5 T 425/07 +
4 T 474/07 -