Urteil des BGH vom 17.02.2010

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 350/07
vom
17. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-
Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski
am 17. Februar 2010
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision ge-
gen das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Ober-
landesgerichts Hamburg vom 3. April 2007 zugelassen.
Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO auf-
gehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 34.731,58 €
Gründe:
I. Das Oberlandesgericht hat der Beklagten einen auf Rückzahlung
ihrer Versicherungsleistung in Höhe von 35.995,15 € gerichteten Berei-
cherungsanspruch versagt, mit dem die Beklagte gegen die im Übrigen
unstreitige Klagforderung von 34.731,58 € aufrechnen möchte. Es hat
dabei angenommen, die von verschiedenen Tankstellenpächtern, darun-
ter dem Zeugen L. , und der Firma O.
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(im Folgenden: Firma O. ) getroffe-
ne Vereinbarung zur Nutzung freier Warenkredit-Versicherungskontin-
gente der Tankstellenpächter habe mit Blick auf den Warenkreditversi-
cherungsvertrag der Klägerin betreffend Kraftstofflieferungen an den
Tankstellenpächter L. keine Gefahrerhöhung dargestellt und sei
auch nicht sittenwidrig gewesen. Dabei hat es entscheidend darauf ab-
gestellt, diesem Versicherungsvertrag sei keine Einschränkung dahinge-
hend zu entnehmen, dass die Verbindlichkeiten des Tankstellenpächters
nur bei Kauf von Treibstoff für den eigenen Bedarf seiner Tankstelle ver-
sichert gewesen seien. Vielmehr seien ihm auch so genannte Strecken-
geschäfte erlaubt gewesen.
II.
Das
Berufungsurteil
verletzt dabei in entscheidungserheblicher
Weise das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1
GG). Der Senat hat deshalb ihre Revision zugelassen und die Sache un-
ter Aufhebung des Berufungsurteils gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Be-
schlusswege zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
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1. Die Feststellung einer Gefahrerhöhung erfordert einen Vergleich
des versicherten Risikos mit der nach einer Änderung möglicherweise ri-
sikorelevanter Umstände neuen Gefahrenlage. Das kann immer nur an-
hand der Umstände des Einzelfalles geschehen, denn die Vorschriften
des Versicherungsvertragsgesetzes über Gefahrerhöhungen dienen dem
Zweck, die im Versicherungsvertrag ausgehandelte Balance zwischen
versichertem Risiko und Prämie zu wahren, oder den Vertrag anzupas-
sen - und notfalls auch zu beenden - wenn dieses Gleichgewicht gestört
ist.
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Ausgangspunkt ist - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt
hat - die Auslegung des Vertrages zur Ermittlung des versicherten Risi-
kos (vgl. dazu auch HK-VVG/Karczewski § 23 Rdn. 9, 10). Sodann muss
dieses versicherte Risiko mit der Risikolage verglichen werden, wie sie
sich nach Veränderung der Umstände darstellt. Dabei kommt es - wie in
der Senatsrechtsprechung geklärt ist - nicht auf einzelne Gefahrumstän-
de an; stattdessen ist zu fragen, wie sich die Gefahrenlage seit der Stel-
lung des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrages im Ganzen
entwickelt hat. Hierfür sind alle ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsa-
chen in Betracht zu ziehen. (Senatsurteil vom 23. Juni 2004 - IV ZR
219/03 - VersR 2005, 218 unter II 1 b (1); BGHZ 79, 156 [158] = VersR
1981, 245 [246]; Senatsurteil vom 5. Mai 2004 - IV ZR 183/03 - VersR
2004, 895 = juris unter II 2 a aa).
2. Dem hat das Berufungsgericht nicht genügt. Es hat die beson-
deren Umstände des Einzelfalles weitgehend unberücksichtigt gelassen
und insbesondere aus dem Blick verloren, dass die Beklagte vorgetragen
und unter Beweis gestellt hatte, die Klägerin habe sich an der so ge-
nannten Pool-Vereinbarung zwischen mehreren Tankstellenpächtern und
der Firma O. beteiligt. Diesem Vortrag wäre nachzugehen ge-
wesen.
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a) Schon die Auslegung des Warenkredit-Versicherungsvertrages
betreffend Kraftstofflieferungen an den Pächter L. bleibt zur Fra-
ge, welches Risiko die Beklagte übernommen hatte, insoweit unvollstän-
dig, als sich das Berufungsgericht mit der allgemeinen Feststellung be-
gnügt, der Versicherungsschutz habe sich auch auf so genannte "Stre-
ckengeschäfte" erstreckt. Es wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich das
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Leistungsversprechen auf jegliches Streckengeschäft bezog oder der
Einschränkung unterlag, dass bei Abschluss solcher Streckengeschäfte
keine besonderen Hinweise auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit des
Zweitabnehmers vorliegen durften, die ihrerseits die Bonität des Bestel-
lers gefährdete.
b) Im Weiteren wären die von der Beklagten vorgetragenen verän-
derten Umstände mit dem vertraglichen Soll-Zustand vergleichend zu
würdigen gewesen. Das hat das Berufungsgericht weitgehend versäumt.
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aa) Zwar mag sein Hinweis darauf, dass dem versicherten Bestel-
ler nach dem Warenkreditversicherungsvertrag auch Streckengeschäfte
erlaubt waren, noch denjenigen Bedenken begegnen, die die Beklagte
ganz allgemein gegen solche Streckengeschäfte erhebt. Das betrifft das
Argument, dass ein Tankstellenpächter beim Kraftstoffkauf für die von
ihm betriebene Tankstelle mit den nachfolgenden Barverkäufen an End-
abnehmer das Risiko ausbleibender Bezahlung breit streue und deshalb
größere Zahlungsausfälle in der Regel nicht zu besorgen seien, während
man sich mit einem Streckengeschäft für einen einzelnen Lieferungs-
empfänger allein von dessen Zahlungsfähigkeit und -willigkeit abhängig
mache und dadurch grundsätzlich das Risiko eines Totalausfalls erhöhe.
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bb) Im Weiteren hat sich das Berufungsgericht aber nicht ausrei-
chend mit der von der Beklagten vorgetragenen, teilweise auch unstreiti-
gen besonderen Vorgeschichte der so genannten Pool-Vereinbarung und
den konkreten Hinweisen auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der
Firma O. befasst.
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Danach waren zu Ende des Jahres 2000 weder die Klägerin als
Verkäuferin von Kraftstoffen noch die Beklagte als Warenkreditversiche-
rer mit Blick auf Zweifel an der Liquidität der Firma O. weiter-
hin bereit, das Zahlungsausfallrisiko künftiger Lieferungen an letztere zu
tragen. Die Beklagte hatte eine von der Klägerin beantragte Erhöhung
der Versicherungssumme in dem Kreditversicherungsvertrag betreffend
Lieferungen an die Firma O. ausdrücklich abgelehnt, und die
Klägerin hatte daraufhin der Firma O. mit einem Lieferstopp
gedroht, weil deren versichertes Lieferkontingent längst überschritten
war.
Die so genannte Pool-Vereinbarung mehrerer Tankstellenpächter
mit der Firma O. zielte vor diesem Hintergrund darauf ab, die
freien Versicherungskontingente dieser Pächter in der Weise für künftige
Kraftstofflieferungen der Klägerin an die Firma O. nutzbar zu
machen, dass fortan die Pächter in entsprechendem Umfang als Zwi-
schenhändler auftraten. Die Gestaltung der neuen Lieferverträge lief
darauf hinaus, dass in den - die Tankstellenpächter betreffenden - Versi-
cherungsverträgen das Risiko eines Forderungsausfalls nicht mehr in
erster Linie von der Zahlungsfähigkeit der Tankstellenpächter, sondern
letztlich vorwiegend von der Zahlungsfähigkeit der Firma O.
abhing, also einem Risiko, das die Beklagte ersichtlich nicht zu tragen
bereit war.
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Spricht damit bereits vieles dafür, dass die genannten Umstände
zumindest objektiv eine Gefahrerhöhung bedeuteten, so durfte das Beru-
fungsgericht den Beklagtenvortrag, die Klägerin habe sich an der so ge-
nannten Pool-Vereinbarung beteiligt, nicht übergehen. Vielmehr wäre es
erforderlich gewesen, den dazu angebotenen Beweis zu erheben. Denn
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hiervon hängt es ab, ob eine subjektive Gefahrerhöhung vorlag, auf die
die Beklagte ihre Leistungsfreiheit und mithin ihren zur Aufrechnung ge-
stellten Bereicherungsanspruch stützt.
Terno Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 05.10.2005 - 418 O 86/05 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 03.04.2007 - 9 U 204/05 -