Urteil des BGH vom 27.04.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 16/08
vom
27. April 2009
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 3, 522 Abs. 1; GenG § 68
a) Ein Rechtsstreit um die Wirksamkeit des Ausschlusses eines Mitglieds aus
einer Genossenschaft ist in der Regel vermögensrechtlicher Natur.
b) Die Rechtsmittelbeschwer der Genossenschaft in Bezug auf ein die Un-
wirksamkeit des Ausschlusses eines Mitglieds feststellendes Urteil bemisst
sich - spiegelbildlich zu dem Interesse des Genossen am Fortbestehen
seiner Mitgliedschaft - nach dem (wirtschaftlichen) Wert des von dem Aus-
schluss betroffenen Geschäftsanteils.
BGH, Beschluss v. 27. April 2009 - II ZB 16/08 - LG Duisburg
AG Duisburg
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. April 2009 durch
die Richter Dr. Kurzwelly, Dr. Strohn, Caliebe, Dr. Reichart und Dr. Drescher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der
13. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 29. August 2008
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Gegenstandswert: 3.500,44 €
Gründe:
I.
Die Beklagte, eine eingetragene Baugenossenschaft, hat den Kläger, der
im Rahmen seiner Mitgliedschaft eine im Eigentum der Beklagten stehende
Immobilie bewohnt, mit Beschluss ihres Vorstands vom 28. Februar 2007 aus-
geschlossen. Der Aufsichtsrat der Beklagten hat den Ausschluss des Klägers
bestätigt. Das Amtsgericht hat auf Antrag des Klägers festgestellt, dass seine
Mitgliedschaft bei der Beklagten durch die Beschlüsse des Vorstands und des
Aufsichtsrats nicht beendet wurde. Das Landgericht hat die gegen dieses Urteil
gerichtete Berufung der Beklagten durch Beschluss vom 29. August 2008 als
unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 €
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nicht übersteige. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der
Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdege-
richts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet, weil das Berufungsgericht
in einer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise angenommen hat, dass
die Berufungssumme nicht erreicht ist, und die Berufung der Beklagten deshalb
rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen hat.
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a) Die gegen den Ausschluss des Klägers aus der beklagten Genossen-
schaft gerichtete Klage ist - wie das Berufungsgericht noch zutreffend ange-
nommen hat - als vermögensrechtliche Streitigkeit anzusehen. Der Zweck der
Beklagten als eingetragener Genossenschaft ist - wie sich auch aus § 2 ihrer
Satzung ergibt - wirtschaftlicher Natur. Dies hat zur Folge, dass ein Mitglied der
Genossenschaft durch seinen Ausschluss regelmäßig in seinen vermögens-
rechtlichen Belangen betroffen ist (RGZ 89, 336, 337; Beuthien, GenG 14. Aufl.
§ 68 Rdn. 21; Schulte in Lang/Weidmüller, GenG 35. Aufl. § 68 Rdn. 40).
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So liegt der Fall hier. Der Kläger macht mit seiner Klage keinen - den
Rechtsstreit prägenden - personenrechtlichen Anspruch geltend (vgl. dazu: Se-
nat, BGHZ 13, 5, 8; RGZ 163, 200, 202 f.), sondern verfolgt nach den - von der
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Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts
lediglich das Ziel, sich die wirtschaftlichen Vorteile seiner Mitgliedschaft zu er-
halten.
b) Das Berufungsgericht hat auch - entgegen der Ansicht der Beklagten -
nicht verkannt, dass es für die Festsetzung des Wertes der Beschwer auf das
Interesse des Rechtsmittelklägers am Erfolg des Rechtsmittels ankommt. Es
hat nämlich, wie sich bereits aus dem Hinweisbeschluss vom 1. Juli 2008 un-
zweifelhaft ergibt, als Maßstab für die Bewertung des Interesses der Beklagten
an der Aufrechterhaltung des Ausschlusses des Klägers - spiegelbildlich zu
dem mit der Feststellungsklage des Klägers verfolgten Interesse am Fortbeste-
hen seiner Mitgliedschaft - im Grundsatz zutreffend den Wert des von der Aus-
schließung betroffenen Geschäftsanteils des Klägers herangezogen (vgl.
Sen.Urt. v. 30. April 2001 - II ZR 328/00, ZIP 2001, 1734, 1735 - zur GmbH).
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c) Entgegen der verfehlten Annahme des Berufungsgerichts übersteigt
jedoch der Wert des Beschwerdegegenstandes im vorliegenden Fall die sog.
Erwachsenheitssumme von 600,00 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), so dass die Be-
rufung der Beklagten zulässig ist.
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aa) Das Berufungsgericht hat bei seiner unzutreffenden Festsetzung des
Beschwerdewerts auf lediglich 600,00 € von dem ihm durch § 3 ZPO einge-
räumten Ermessen rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht, weil es hierbei von der
Beklagten glaubhaft gemachte, bewertungsrelevante Tatsachen außer Acht
gelassen hat (Sen.Beschl. v. 28. April 2008 - II ZB 27/07, WM 2009, 329 Tz. 4
m.w.Nachw.).
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Mit seiner ausschließlich am Nennwert des Geschäftsanteils orientierten
Bewertung des Genossenschaftsanteils des Klägers hat das Berufungsgericht
den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der Beklagten auf Gewährung
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rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise
verletzt. Dem angefochtenen Beschluss ist nicht zu entnehmen, dass das Beru-
fungsgericht den auf seinen Hinweisbeschluss vom 1. Juli 2008 von der Beklag-
ten in ihrer Berufungsbegründung gehaltenen und durch Vorlage der Bilanz für
das Jahr 2007 und anderer Geschäftsunterlagen glaubhaft gemachten Vortrag,
der tatsächliche Wert des Geschäftsanteils des Klägers liege erheblich über
seinem Nennwert und belaufe sich unter Berücksichtigung der in der Bilanz
ausgewiesenen Ergebnisrücklagen zuzüglich des zur Ausschüttung im Jahre
2008 vorgesehenen Bilanzgewinns des Jahres 2007 einschließlich seines Ge-
schäftsguthabens auf 3.500,44 €, in der gebotenen Weise zur Kenntnis ge-
nommen und bei der Festsetzung des Wertes der Beschwer in Erwägung ge-
zogen hat.
bb) Unter Berücksichtigung dieses Vortrags überstieg der Wert der Be-
schwer die Erwachsenheitssumme von 600,00 €. Zwar bemisst sich die Be-
schwer - ebenso wie der Streitwert - bei einem Streit um den Ausschluss eines
Mitglieds aus der Genossenschaft, sofern dieser - wie hier - vermögensrechtli-
cher Natur ist, in der Regel nach der Höhe des Geschäftsguthabens des aus-
geschlossenen Mitglieds (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG 3.
Aufl. §
68
Rdn. 39; Schulte in Lang/Weidmüller aaO Rdn. 40), weil dieses zumeist den
tatsächlichen Wert des Anteils des Ausgeschiedenen widerspiegelt. Hier war
jedoch eine andere Bewertung deshalb geboten, weil sich aus dem glaubhaft
gemachten Vortrag der Beklagten als Berufungsführerin ein höherer wirtschaft-
licher Wert des Geschäftsanteils des Klägers ergibt. Denn schon allein im Hin-
blick auf die in der - von der Beklagten vorgelegten - Bilanz für das Jahr 2007
ausgewiesenen Ergebnisrücklagen von mehr als 8 Millionen € übersteigt der
wirtschaftliche Wert des Anteils des Klägers sowohl den Nennwert seines An-
teils als auch den Betrag seines Geschäftsguthabens (594,00 €) deutlich. Auch
wenn das ausgeschiedene Genossenschaftsmitglied nach § 73 Abs. 2 Satz 3
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GenG grundsätzlich keinen Anspruch auf Beteiligung an den Rücklagen hat - es
sei denn, dass die Satzung einen solchen Anspruch ausdrücklich vorsieht (§ 73
Abs. 3 GenG) -, ändert dies nichts daran, dass ein Genosse jedenfalls während
seiner Mitgliedschaft, um deren Fortbestehen die Parteien streiten, an diesem
Wert beteiligt ist.
Zudem ist die Berufungssumme aber auch wegen des zur Ausschüttung
im Jahr 2008 vorgesehenen Bilanzgewinns des Jahres 2007 erreicht.
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3. Die Sache ist demnach an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
damit es sich nunmehr im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels mit der
Frage der Wirksamkeit des Ausschlusses des Klägers befassen kann.
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Kurzwelly Strohn Caliebe
Reichart
Drescher
Vorinstanzen:
AG Duisburg, Entscheidung vom 30.04.2008 - 53 C 2974/07 -
LG Duisburg, Entscheidung vom 29.08.2008 - 13 S 129/08 -