Urteil des BGH vom 17.07.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 29/99
Verkündet am:
17. Juli 2001
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGB § 324 Abs. 1 Satz 2
Die Darlegungslast für ersparte Aufwendungen des Schuldners bei vom Gläu-
biger zu vertretender Unmöglichkeit trifft grundsätzlich den Gläubiger. Diesem
können jedoch bei der Darlegung im Einzelfall Erleichterungen zugute kom-
men.
BGH, Urteil vom 17. Juli 2001 - X ZR 29/99 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 17. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter
Prof. Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das am 12. Januar 1999 ver-
kündete Schlußurteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die 1986 von vier zuvor langjährig bei der Beklagten, einer im Zeitungs-
und Zeitschriftendruck tätigen Großdruckerei, beschäftigten älteren Verladear-
beitern als ausgelagerter Betriebsteil gegründete Klägerin sortierte und verlud
die von der Beklagten gedruckten Periodika, darunter die ...
Zeitung, im F. Hauptbahnhof für den Bahnversand. Zwischen den
Parteien bestand ein Zehnjahresvertrag bis zum 31. August 1996. Die Grün-
dung der Klägerin war auf Veranlassung der Beklagten erfolgt. Diese hatte er-
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kennen lassen, daß sie für die Dauer ihres Druckauftrags für die ...
Zeitung von der Notwendigkeit einer Bahnversendung ausging. Für
die Leistungen der Klägerin war eine monatliche Nettopauschalvergütung von
58.333,-- DM (für September 58.337,-- DM; jährlich insgesamt 700.000,-- DM)
vereinbart. Nach § 5 des Vertrags lagen diesem die in einer Anlage genannten
Erzeugnisse und Auflagen zugrunde; bei wesentlicher und dauerhafter Beein-
flussung der Verladetätigkeit sollte über die Vertragsbedingungen neu verhan-
delt werden. Nach § 6 bestand Einigkeit, daß zur Zeit des Vertragsabschlusses
12 Mitarbeiter erforderlich waren.
Im Lauf der Zeit kam es zum Wegfall einzelner Zeitschriften. Für weitere
Periodika, darunter die ... Zeitung, die ab 1. Juli 1993 über
den EMS-Dienst der Post versendet wurde, sowie Zeitschriften des Deutschen
Fachverlags ab 1. September 1994, veränderten die Verlage die Versendungs-
art, so daß die Klägerin in den Monaten September bis Dezember 1994 nur
noch 3,68 % der ursprünglichen Stückzahlen verlud. Nachdem sich die Kläge-
rin einer von der Beklagten geforderten Anpassung der Vergütung widersetzte,
kündigte die Beklagte den Vertrag zum 31. Dezember 1994. Auf die Vergütung
für die Monate September bis Dezember 1994 hat die Beklagte 10.120,-- DM
gezahlt.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zur Zahlung von
268.350,20 DM (Restvergütung für 1994) abzüglich gezahlter 10.120,-- DM zu
verurteilen sowie festzustellen, daß das Vertragsverhältnis bis 31. August 1996
weiterbestehe. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 268.336,40 DM
stattgegeben. Durch infolge Rücknahme der Revision rechtskräftig gewordenes
Teil- und Grundurteil hat das Berufungsgericht das Fortbestehen des Vertrags-
verhältnisses bis 31. August 1996 festgestellt und die Beklagte dem Grunde
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nach - vorbehaltlich der Anrechnung von Ersparnissen und anderer Verdienst-
möglichkeiten - zur Zahlung der Vergütung für die streitgegenständlichen Mo-
nate verurteilt. Im Betragsverfahren hat das Berufungsgericht die Beklagte un-
ter Klageabweisung im übrigen zur Zahlung von 22.620,75 DM abzüglich ge-
zahlter 10.120,-- DM verurteilt. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren
weitergehenden Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel
entgegen.
Entscheidungsgründe:
Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch
die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
I. 1. Durch das rechtskräftig gewordene Teil- und Grundurteil des Beru-
fungsgerichts vom 21. Januar 1997 ist für das weitere Verfahren bindend ent-
schieden, daß das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien bis zum
31. August 1996 fortbestand.
2. Das Berufungsgericht hat den der Klägerin demnach für die Monate
September bis Dezember 1994 dem Grunde nach zustehenden Vergütungsan-
spruch nach § 324 Abs. 1 Satz 2 BGB gekürzt. Es hat dazu ausgeführt, die
Klägerin sei wegen unzureichenden Vortrags so zu stellen, als hätte sie im
Umfang der eingetretenen Teilunmöglichkeit Aufwendungen erspart. Zwar
müsse grundsätzlich die Beklagte die Voraussetzungen ihrer Einwendung be-
weisen. Da die Ersparnis im Bereich der Klägerin eingetreten sei, in den die
Beklagte regelmäßig keinen Einblick habe, habe sie einer Unterstützung durch
die Klägerin bedurft. Zur Ausfüllung der Vertragsobliegenheit aus § 324 Abs. 1
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Satz 2 BGB seien die zu § 649 Satz 2 BGB entwickelten Grundsätze heranzu-
ziehen. Diese bürdeten es dem ordentlich gekündigten Werkunternehmer auf,
vorzutragen und zu beziffern, was er sich anrechnen lassen wolle. Der sich
danach ergebenden Darlegungslast habe die Klägerin nicht genügt, denn sie
habe weder die Ersparnisse angegeben, die sie sich infolge der Teilunmöglich-
keit anrechnen lassen wolle, noch ihre Kalkulation ausreichend dargestellt.
3. Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis mit Erfolg.
a) Allerdings hat Teilunmöglichkeit im Sinne des § 324 BGB vorgelegen.
Die Beklagte hat als Gläubigerin eine ihr obliegende Mitwirkungsobliegenheit
(Anlieferung der zu expedierenden Zeitungen) nicht erfüllt, so daß das "Lei-
stungssubstrat" entfallen ist. Jedenfalls angesichts des hier dem Vertrag inne-
wohnenden Zeitmoments konnte sie die Erfüllung der sie jeweils zu einem be-
stimmten Termin treffenden Obliegenheit auch später nicht mehr nachholen
(vgl. BGH, Urt. v. 14.11.1990 - VIII ZR 13/90, NJW-RR 1991, 267 f. = MDR
1991, 524 f.).
b) Der Revision kann auch nicht darin beigetreten werden, daß die Par-
teien in dem zwischen ihnen geschlossenen Vertrag eine Sonderregelung ge-
troffen hätten, die die Anwendung der Regelung des § 324 BGB ausschließe.
Insoweit setzt sich die Revision in unzulässiger Weise entgegen § 322 ZPO in
Widerspruch mit dem rechtskräftig gewordenen Grundurteil. In diesem hat das
Berufungsgericht eine Anrechnung ersparter Aufwendungen bejaht. Es hat da-
zu ausgeführt: "Eine Entscheidung zur Höhe ist dem Senat ... hinsichtlich des
Leistungsantrags noch nicht möglich, weil die Beklagte ersparte Aufwendungen
der Klägerin geltend gemacht und die Klägerin die Übernahme der Verladung
anderer Publikationen eingeräumt hat. Die Anrechnungsumstände i.S.d. § 324
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Abs. 1 Satz 2 BGB bedürfen noch der Aufklärung." Damit ist über die Anwend-
barkeit der Regelung in § 324 Abs. 1 Satz 2 BGB für das weitere Verfahren
bindend entschieden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
ist für den Umfang der Bindung eines Grundurteils das wirklich Erkannte maß-
gebend (BGHZ 35, 248, 252 f.; BGH, Urt. v. 2.5.1961 - VI ZR 153/60, NJW
1961, 1465, 1466; Urt. v. 26.9.1996 - VII ZR 142/95, NJW-RR 1997, 188 f.).
Was erkannt worden ist, wird durch die Urteilsformel in Verbindung mit den
Urteilsgründen festgelegt. Die Auslegung hat das Revisionsgericht selbständig
vorzunehmen (BGH, Urt. v. 26.9.1996, aaO.). Das erste Berufungsurteil ist in-
soweit eindeutig.
4. Mit Erfolg rügt die Revision jedoch, daß das Berufungsgericht die Be-
weislastverteilung hinsichtlich der ersparten Aufwendungen verkannt habe.
Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Verteilung
der Darlegungslast bei § 324 Abs. 1 Satz 2 BGB den zu § 649 Satz 2 BGB
entwickelten Grundsätzen (vgl. hierzu BGHZ 131, 362, 365; BGHZ 140, 263,
266; BGH, Urt. v. 7.11.1996 - VII ZR 82/95, MDR 1997, 236) folge. Wie der
Senat bereits bei anderer Gelegenheit entschieden hat, trifft die Beweislast für
die Ersparnis von Aufwendungen als Voraussetzung der Anrechnungspflicht
gemäß § 324 Abs. 1 Satz 2 BGB den Gläubiger, d.h. im Sinn der Formulierung
des Gesetzes den "anderen Teil", hier mithin die Beklagte (Sen.Urt. v.
26.6.1990 - X ZR 19/89, NJW 1991, 166, 167 unter Hinweis auf RG SeuffA 61
Nr. 79; RG Gruchot 51, 945, 947; 53, 916, 917; RG JW 1909, 455; weiter
Baumgärtel/
Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl. Rdn. 3 und Fußn. 8
zu § 324 BGB m.w.N.; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., § 324 BGB Rdn. 10).
Dies entspricht den allgemeinen Grundsätzen der Verteilung der Darlegungs-
last, nach denen jede Partei die ihr günstigen Tatsachen darzulegen hat, sowie
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der Systematik der gesetzlichen Regelung, nach der die Anrechnung als Ein-
rede ausgestaltet ist (vgl. BGHZ 107, 67, 69 m.w.N.). Auch angesichts des
weitgehend übereinstimmenden Wortlauts der Regelungen in den §§ 324 und
649 BGB, auf den sich das Berufungsgericht im wesentlichen stützt, und des
Umstands, daß die Anrechnungsfaktoren im Rahmen des § 324 BGB in der
Sphäre der nach dieser Systematik nicht darlegungsbelasteten Partei entste-
hen, besteht im Fall des § 324 BGB kein überzeugender Anlaß, von diesen
allgemeinen Grundsätzen abzugehen. Schwierigkeiten bei der Darlegung und
der Beweisführung kann nämlich im Rahmen von Beweiserleichterungen und
durch die Zubilligung von Auskunftsansprüchen Rechnung getragen werden
(vgl. hierzu Baumgärtel/Strieder, aaO und Fußn. 9, 10; vgl. weiter BGHZ 140,
153, 158 f. m.w.N.). Auch der vom Berufungsgericht angezogene Fall der un-
wirksamen Kündigung und anschließenden anderweitigen Auftragsvergabe
durch den Besteller erfordert keine andere Bewertung, da auch hier von einem
dem "anderen Teil" im Sinn des § 276 BGB zuzurechnenden Verhalten auszu-
gehen ist.
Es kommt hinzu, daß in den Fällen des § 324 Abs. 1 BGB die Verant-
wortung für das Scheitern des Vertrags im Sinn eines nach § 276 Abs. 1 Satz 1
BGB vorwerfbaren Verhaltens bei dem "anderen Teil" liegt. Demgegenüber
macht im Fall des § 649 BGB der kündigende Besteller nur von einer ihm ge-
setzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, ohne daß darin ein vorwerfbares
Verhalten läge. Mit einer Kündigung nach § 649 BGB muß der Unternehmer
zudem jederzeit rechnen und er kann sich daher eher auf sie einstellen als auf
eine erst die Rechtsfolgen des § 324 Abs. 1 BGB begründende Vertragsverlet-
zung.
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II. Wegen der unzutreffenden Beurteilung der Verteilung der Darle-
gungs- und Beweislast kann das angefochtene Urteil mit der ihm zugrunde lie-
genden Begründung keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird die
Frage der ersparten Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt neu zu prüfen
haben, daß die Darlegungslast hierfür grundsätzlich bei der Beklagten liegt,
wenngleich dieser Beweiserleichterungen zugute kommen können. Es wird da-
bei aber nicht unberücksichtigt lassen dürfen, daß bei aller Unklarheit des Vor-
trags der Klägerin als der jedenfalls zunächst nicht darlegungspflichtigen Partei
diesem als Kern zu entnehmen ist, daß sie von 9 oder 11 Beschäftigten in der
maßgeblichen Zeit zwei entlassen hatte und daß einem von ihnen eine Abfi n-
dung in Höhe von (zumindest) 8.000,-- DM gezahlt worden war. Hinzu kam ei-
ne Reduzierung des Aufwands für Aushilfen im Dezember 1994 gegenüber
Dezember 1993 um 936,-- DM. Sollte das Berufungsgericht unter Berücksichti-
gung der Verteilung der Darlegungslast Feststellungen treffen können, ob die-
ser Vortrag zutrifft, könnte sich daraus bereits eine Grundlage für die Schät-
zung der der Klägerin zustehenden Vergütung ergeben. Dafür, daß weitere
böswillig unterlassene Ersparnis in Betracht kam, fehlt es an näheren Anhalts-
punkten; es erscheint auch plausibel, daß es aufwendig war, zahlenmäßig we-
nige Zeitschriften auf viele Züge zu verladen. Auch wenn sich das Versandvo-
lumen drastisch verringert hatte, ist das Vorbringen der Klägerin, mit Rücksicht
auf die Arbeitsabläufe habe das Personal im wesentlichen vorgehalten werden
müssen, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Rogge
Jestaedt
Melullis
Scharen
Keukenschrijver