Urteil des BGH vom 24.08.2007
BGH (stpo, beweismittel, begründung, strafkammer, antrag, behauptung, beweiswert, annahme, lebenserfahrung, opfer)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 322/07
vom
24. August 2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. August 2007 ge-
mäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bonn vom 19. April 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-
richt zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revisi-
on des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
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1. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer den Hilfsbeweisantrag
des Angeklagten, ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum
Beweis der Tatsache einzuholen, dass er den gegen den Geschädigten D. ge-
führten Messerstich in sitzender Position gegen den sich über ihn beugenden
bzw. über ihm knienden D. ausgeführt habe, zurückgewiesen hat, halten der
Nachprüfung nicht stand. Als völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz
2 StPO ist ein Beweismittel nur dann einzustufen, wenn das Gericht ohne jede
Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis sagen kann, dass sich mit
diesem Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach
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sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt. Die absolute Untauglichkeit muss
sich aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung
selbst ergeben. Bei der Annahme, die Erhebung eines Beweises erscheine von
vornherein gänzlich nutzlos, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ein geminder-
ter, geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit
gleichgesetzt werden. Ein Sachverständiger ist nur dann ein ungeeignetes Be-
weismittel, wenn auszuschließen ist, dass er sich zur vorgelegten Beweisfrage
sachlich überhaupt äußern kann. Geeignetes Beweismittel ist er auch dann,
wenn die vorhandenen Anknüpfungstatsachen ihm die Darlegung solcher Erfah-
rungssätze oder Schlussfolgerungen erlauben, die für sich allein die unter Be-
weis gestellte Behauptung lediglich wahrscheinlicher machen (vgl. BGH NStZ
1985, 562; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 2, 6, 14 und 16).
Angesichts der von der Kammer getroffenen Feststellungen zum Verletzungs-
bild des Geschädigten erscheint es entgegen der Auffassung des Landgerichts
nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein rechtsmedizinischer Sachver-
ständiger zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Position von Täter und
Opfer machen kann.
2. Ein sonstiger gesetzlicher Ablehnungsgrund wird vom Landgericht
nicht angeführt. Der Senat kann das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler
nicht ausschließen. Zwar kann, wenn ein Hilfsbeweisantrag in zulässiger Weise
erst in den Urteilsgründen beschieden worden ist, das Revisionsgericht die Ur-
sächlichkeit eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 StPO mit der Begründung
verneinen, der Antrag habe mit anderer Begründung rechtsfehlerfrei abgelehnt
werden können (BGH NStZ 1998, 98; vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 244
Rdn. 86). Hierfür reicht aber nicht die bloß abstrakte Möglichkeit eines tragfähi-
gen anderen Ablehnungsgrunds. Ein solcher muss sich vielmehr, wenn er nicht
offenkundig ist, aus den Urteilsgründen selbst ergeben (vgl. auch BGHR StPO
§ 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 5). Daran fehlt es hier.
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Zwar liegt nahe, dass die Frage, aus welcher Position heraus der Ange-
klagte den Messerstich geführt hat, für die Entscheidung ohne Bedeutung ge-
wesen sein könnte. Nach den Urteilsfeststellungen - auch nach der eigenen
Einlassung des Angeklagten - drängte sich die Prüfung auf, ob der Angeklagte
und der Geschädigte eine einverständliche Rauferei gesucht hatten. Unter sol-
chen Umständen wäre dem Angeklagten, auch wenn er dabei den Kürzeren
gezogen hätte, der Einsatz des Messers verwehrt gewesen (vgl. Senatsbe-
schluss vom 15. September 2006 - 2 StR 280/06; BGH NJW 1990, 2263, 2264;
OLG Stuttgart NJW 1992, 850, 851). Das Landgericht hat hierzu jedoch keine
ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Daher ist es dem Senat nicht möglich,
ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler auszuschließen.
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Rissing-van Saan Bode Otten
Rothfuß Roggenbuck