Urteil des BGH vom 17.06.2003
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 157/03 Verkündet
am:
1. März 2006
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1361 Abs. 1; SGB IX § 13 Abs. 6, § 37 Abs. 1
a) Bei der Beantwortung der Frage, ob ein Ehegatte einer überobligationsmäßi-
gen Erwerbstätigkeit nachgeht, ist ein überdurchschnittlich hoher Betreu-
ungsaufwand eines behinderten Kindes in die Beurteilung einzubeziehen.
Inwieweit überobligationsmäßig erzieltes Einkommen sodann unterhalts-
rechtlich zu berücksichtigen ist, hängt auch davon ab, zu welchen Zeiten ein
Kind etwa infolge des Besuchs einer Behinderteneinrichtung der Betreuung
nicht bedarf.
b) Soweit einer der in § 13 Abs. 6 Satz 2 SGB IX geregelten Ausnahmefälle
nicht vorliegt, verbietet sich nach Abs. 6 Satz 1 der Bestimmung eine unter-
haltsrechtliche Berücksichtigung des an die Pflegeperson weitergeleiteten
Pflegegeldes gemäß § 37 Abs. 1 SGB IX, die zu einer Verkürzung des dieser
zustehenden Unterhaltsanspruchs führen würde.
c) Werden Fahrtkosten zur Arbeit mit der in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien
vorgesehenen Kilometerpauschale angesetzt, so sind hierin regelmäßig
sämtliche Pkw-Kosten einschließlich derjenigen für Abnutzung und Finanzie-
rungsaufwand enthalten.
BGH, Urteil vom 1. März 2006 - XII ZR 157/03 - OLG Karlsruhe
AG
Wiesloch
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. März 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats
- Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe
vom 17. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlan-
desgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien, die im Revisionsverfahren noch um Trennungsunterhalt
streiten, schlossen am 27. Mai 1995 die Ehe, aus der der am 28. Dezember
1995 geborene Sohn Max hervorgegangen ist. Seit dem 30. Oktober 2000 le-
ben sie voneinander getrennt. Das Kind lebt im Haushalt der Mutter. Es leidet
an einem unklaren Dysmorphie-Syndrom; aufgrund seiner Schwerbehinderung
ist eine Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe III anerkannt. Das Pflegegeld in
Höhe von monatlich 1.300 DM bzw. 665 € wird an die Klägerin gezahlt.
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Diese war bis zum 30. November 2002 bei der Stadt W. teilzeitbeschäf-
tigt; sie verrichtete ihre Tätigkeit von einem häuslichen Telearbeitsplatz aus.
Seit dem 1. Dezember 2002 ist sie nicht mehr erwerbstätig. Sie lebt seit April
2002 mit einem neuen Partner zusammen.
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Der Beklagte ist als Industriekaufmann beschäftigt. Auf einen zusammen
mit der Klägerin aufgenommenen Kredit entrichtete er - ebenso wie diese - bis
Mai 2002 monatliche Raten von 250 DM (128 €). Seit der Trennung zahlte er
Trennungsunterhalt in Höhe von 759,50 DM und Kindesunterhalt in Höhe von
345 DM (jeweils monatlich); seit Januar 2002 zahlt er insgesamt 507,20 € mo-
natlich.
Die Klägerin hat den Beklagten im Wege der Stufenklage auf Zahlung
von Trennungs- und Kindesunterhalt für die Zeit ab August 2001 in Anspruch
genommen. Bezüglich des begehrten Trennungsunterhalts (monatlich 925,03 €
ab Mai 2002 zuzüglich eines Rückstandes für die Zeit bis April 2002) hat sie die
Auffassung vertreten, ihr Erwerbseinkommen sei nicht zu berücksichtigen, da
sie aufgrund der Versorgung des schwer behinderten Kindes erheblich belastet
sei. Max fehle wegen zusätzlicher Erkrankungen häufig im Kindergarten; sie
werde von ihrem Arbeitgeber zwar während dieser Betreuungszeiten freige-
stellt, müsse die Zeiten jedoch nacharbeiten, weshalb sie teilweise noch bis
spät abends tätig sei.
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Der Beklagte ist dem Unterhaltsbegehren entgegengetreten. Er hat gel-
tend gemacht, die Erwerbstätigkeit der Klägerin sei zumutbar, denn sie könne
ihrer Arbeit in der Zeit nachgehen, in der Max den Kindergarten besuche. So-
weit dies wegen akuter Erkrankungen des Kindes nicht möglich sei, könne die
Klägerin die Betreuung durch eine Pflegekraft beanspruchen.
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Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von Kindesunterhalt so-
wie zur Zahlung folgenden Trennungsunterhalts verurteilt: monatlich 918 € für
Mai 2002, monatlich 851 € ab Juni 2002 sowie für die Zeit von August 2001 bis
April 2002 rückständiger 4.959,80 €. Auf die gegen die Verurteilung zur Zahlung
von Trennungsunterhalt gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlan-
desgericht das angefochtene Urteil insoweit abgeändert und der Klägerin Be-
träge zuerkannt, die zwischen 862 € und 694 € (jeweils monatlich) liegen. Mit
der - zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbe-
gehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Rechtsmittel ist - entgegen der Auffassung der Revisionserwide-
rung - uneingeschränkt zulässig. Die Revision hat zwar beantragt, das Beru-
fungsurteil aufzuheben und die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils abzuweisen. Die Auslegung des in der Revisionsbegründung zum Aus-
druck kommenden Rechtsmittelbegehrens ergibt indessen ohne jeden Zweifel,
dass der Beklagte nicht Klageabweisung insgesamt, sondern hinsichtlich des in
der Berufungsinstanz allein noch streitgegenständlichen Trennungsunterhalts
begehrt, also nicht hinsichtlich seiner Verurteilung zur Zahlung von Kindesun-
terhalt, die bereits in Rechtskraft erwachsen ist. Das hat der Prozessbevoll-
mächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch
klargestellt.
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II.
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Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefoch-
tenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-
richt.
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1. Die Klägerin hat nach § 1361 Abs. 1 BGB Anspruch auf den nach den
Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Par-
teien angemessenen Trennungsunterhalt. Bei der Ermittlung des Unterhaltsbe-
darfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen ist das Oberlandesgericht davon
ausgegangen, dass diese durch die Einkünfte beider Parteien geprägt worden
seien.
Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt:
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Von dem Einkommen des Beklagten seien bis Mai 2002 keine berufsbe-
dingten Aufwendungen in Abzug zu bringen, da ihm bis dahin ein Firmenwagen
zur Verfügung gestanden habe und er bei seinem Arbeitgeber kostenlos habe
tanken können. Vielmehr sei die private Nutzungsmöglichkeit des Firmenwa-
gens als geldwerter Vorteil zu berücksichtigen. Der Entzug dieses Fahrzeugs
ab Juni 2002 habe zur Folge, dass dieser Vorteil entfallen sei und die vom Be-
klagten geltend gemachten Fahrtkosten von da an als berufsbedingte Aufwen-
dungen anzuerkennen seien. Die Benutzung eines Pkw für die Fahrten zur Ar-
beitsstelle müsse die Klägerin hinnehmen, weil die ehelichen Lebensverhältnis-
se hierdurch geprägt gewesen seien und kein Mangelfall vorliege. Gegen den
Ansatz von 0,26 € pro Kilometer bestünden keine Bedenken, da die einfache
Fahrtstrecke lediglich 25 km betrage. In dieser Fahrtkostenpauschale sei aller-
dings der Aufwand für die Anschaffung bzw. Finanzierung des Pkw enthalten,
so dass der Beklagte die behaupteten Kreditraten von 150 € monatlich nicht
zusätzlich von seinem Einkommen in Abzug bringen könne. Abzusetzen seien
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deshalb allein berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 240,50 € (50 km x
0,26 € x 222 Arbeitstage : 12). Unter Berücksichtigung der bis Mai 2002 zu zah-
lenden anderweitigen Kreditraten, des geschuldeten Kindesunterhalts sowie
des in Abzug zu bringenden Erwerbstätigenbonus sei - wie vom Amtsgericht
errechnet - von einem bereinigten monatlichen Einkommen des Beklagten von
3.360 DM bis November 2001, von 3.266 DM für Dezember 2001 und von
1.723 € von Januar bis Mai 2002 auszugehen. Ab Juni 2002 sei dagegen
- unter zusätzlicher Berücksichtigung der vorgenannten Fahrtkosten - ein berei-
nigtes monatliches Einkommen von 1.486,35 € zugrunde zu legen.
Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse der Klägerin hat das Beru-
fungsgericht ausgeführt: Das ihr zufließende Pflegegeld für Max habe gemäß
§ 13 Abs. 6 SGB XI unberücksichtigt zu bleiben, weil keine der in dieser Be-
stimmung genannten Ausnahmen vorliege. Die bis November 2002 ausgeübte
Halbtagsbeschäftigung der Klägerin sei als überobligationsmäßige Tätigkeit zu
bewerten. Grundsätzlich bestehe keine Erwerbsverpflichtung des ein Kind
betreuenden Ehegatten, solange dieses nicht die dritte Grundschulklasse besu-
che. Max sei erst sieben Jahre alt, stehe aber infolge seiner Behinderung auf
der Entwicklungsstufe eines Kleinkindes. Die Betreuungsleistungen der Mutter
seien auch nicht mit denen für ein Schulkind im Alter von acht Jahren zu ver-
gleichen, auch wenn Max, der den Lebenshilfekindergarten besuche, dadurch
in der Regel mindestens so lange von zu Hause abwesend sei wie ein Grund-
schulkind. Aufgrund des von Max gewonnenen Eindrucks stehe außer Frage,
dass die Klägerin morgens, bis das Kind abgeholt werde, und nachmittags von
seiner Rückkehr bis zum Dienstbeginn der Nachtwache ungleich mehr an
Betreuungsleistungen für ihn zu erbringen habe als für ein gesundes Kindergar-
tenkind. Auf den gesamten Tagesablauf bezogen ergebe sich deshalb jeden-
falls keine nennenswerte Entlastung der Klägerin gegenüber der Betreuungssi-
tuation für ein gesundes Kind im Kindergarten- oder Grundschulalter. Das daher
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überobligationsmäßig erzielte Einkommen (von - bereinigt um die Kreditrate
sowie den Erwerbstätigenbonus - 1.428 DM im Jahr 2001, 760 € für Januar bis
Mai 2002 und 875 € von Juni bis November 2002) sei in voller Höhe als be-
darfsprägend anzusetzen, jedoch in Anwendung von § 1577 Abs. 2 BGB nur
teilweise, nämlich zur Hälfte, als bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Die Be-
wertung der Berufstätigkeit der Klägerin als überobligationsmäßig habe weiter
zur Folge, dass sie diese jederzeit habe aufgeben dürfen. Das gelte um so
mehr, als sie einleuchtende Gründe für ihre Entscheidung, sich beurlauben zu
lassen, vorgebracht habe. Neben ihren Erwerbseinkünften müsse die Klägerin
sich allerdings fiktive Einkünfte aus der - in relativ geringem Umfang übernom-
menen - Haushaltsführung für ihren neuen Partner anrechnen lassen. Ange-
messen sei insofern für die Zeit ab April 2002 ein Betrag von monatlich 100 €
(1/2 des üblicherweise nach Ziff. 6 der Süddeutschen Leitlinien - Stand:
1. Januar 2002 - anzusetzenden Mindestbetrages von 200 €). Das betreffende
Einkommen sei in der selben Weise wie das Erwerbseinkommen im Rahmen
der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen.
Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten der rechtlichen Nach-
prüfung stand.
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2. Die Ermittlung des Einkommens des Beklagten ist allerdings aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Revision die Auffassung ver-
tritt, das Berufungsgericht habe es zu Unrecht abgelehnt, den Aufwand des Be-
klagten für die Finanzierung des Pkw in Höhe von monatlich 150 € zu berück-
sichtigen, kann ihr nicht gefolgt werden.
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Das Berufungsgericht hat die Höhe der als abzugsfähig anzuerkennen-
den Fahrtkosten zur Arbeit in tatrichterlicher Verantwortung und entsprechen-
dem eigenen Vortrag des Beklagten nach einem Satz von 0,26 €/km bestimmt.
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Wenn ein Gericht insoweit die in seinem Bezirk gebräuchlichen unterhaltsrecht-
lichen Leitlinien zugrunde legt bzw. sich hieran anlehnt, so unterliegt das aus
Rechtsgründen keinen Bedenken. Der Senat hat es in ständiger Rechtspre-
chung mangels sonstiger konkreter Anhaltspunkte für angemessen gehalten,
die Kilometerpauschale nach § 9 Abs. 3 Satz 1 des bis zum 30. Juni 2004 gel-
tenden Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen
heranzuziehen (Senatsurteil vom 21. Januar 1998 - XII ZR 117/96 - FamRZ
1998, 1501, 1502 m.w.N.). Hiervon gehen auch die vom Berufungsgericht an-
gewandten Süddeutschen Leitlinien (Stand: 1. Januar 2002, Nr. 10 c) aus. Dass
anstelle des Betrages von 0,27 € nur ein solcher von 0,26 € zugrunde gelegt
worden ist, ist nicht zu beanstanden, zumal der Beklagte selbst keinen höheren
Betrag in Ansatz gebracht hat. In der Kilometerpauschale sind aber regelmäßig
sämtliche Pkw-Kosten einschließlich derjenigen für Abnutzung und Finanzie-
rungsaufwand enthalten (Kalthoener/Büttner/Niepmann Die Rechtsprechung
zur Höhe des Unterhalts 9. Aufl. Rdn. 936; OLG Hamm FamRZ 2000, 1367 und
1998, 561; Süddeutsche Leitlinien Nr. 10 c). Letzterer kann deshalb nicht zu-
sätzlich als abzugsfähig anerkannt werden. Dass ausnahmsweise eine andere
Beurteilung geboten wäre, hat der Beklagte nicht dargetan.
Damit ist der Unterhaltsberechnung das vom Berufungsgericht festge-
stellte Einkommen des Beklagten zugrunde zu legen, gegen dessen Ermittlung
die Revision im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben hat.
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3. a) Gegen das vom Berufungsgericht errechnete Einkommen der Klä-
gerin aus Erwerbstätigkeit bestehen ebenfalls keine Bedenken. Auch die Revi-
sion erinnert hiergegen nichts.
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b) Sie wendet sich allerdings gegen die Beurteilung der Erwerbstätigkeit
der Klägerin als überobligationsmäßig. Insofern weist sie darauf hin, dass nach
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allgemeiner Ansicht zwar in der Regel eine Erwerbsobliegenheit des betreuen-
den Ehegatten erst dann bestehe, wenn das jüngste Kind die dritte Grundschul-
klasse besuche. Hiervon könne aber vor allem bei der Fortsetzung einer bereits
vor der Trennung nicht wegen einer Notlage ausgeübten Tätigkeit abgewichen
werden. Das Berufungsgericht habe diesen Grundsatz nicht beachtet und infol-
gedessen nicht geprüft, ob nach den vorliegenden Umständen ein Abweichen
von der Regel in Betracht komme. Der Beklagte habe unwidersprochen vorge-
tragen, dass die Klägerin bereits ab dem zweiten Lebensjahr des Sohnes, näm-
lich von Anfang 1998 an, freiwillig einer Halbtagstätigkeit nachgegangen sei.
Sie müsse für mehr als 7 ½ Stunden pro Tag keine Betreuungsleistungen
erbringen, weil Max insoweit im Lebenshilfekindergarten betreut werde. Damit
seien die Betreuungsleistungen eher geringer als für ein gesundes Kind im Kin-
dergarten- oder Grundschulalter. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die
Klägerin für die Betreuungsdienste Pflegegeld beziehe und zusätzlich Leistun-
gen im Rahmen der Verhinderungspflege durch die Krankenkasse erhalten ha-
be.
Damit kann die Revision nicht durchdringen.
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c) Inwieweit für einen Ehegatten, der ein gemeinsames Kind betreut, eine
Erwerbsobliegenheit besteht, ist nach objektiven Kriterien zu entscheiden. Bei
der vorzunehmenden Abwägung der Umstände des Einzelfalls kommt es neben
den persönlichen Verhältnissen des Unterhalt fordernden Ehegatten vor allem
auf die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes an. Dabei spielt nicht nur das Alter
des Kindes eine Rolle, sondern insbesondere auch sein Gesundheitszustand,
sein sonstiger Entwicklungsstand sowie möglicherweise bei ihm aufgetretene
Verhaltensstörungen. Demgemäß ist auch ein überdurchschnittlich hoher
Betreuungsbedarf so genannter Problemkinder zu berücksichtigen (Senatsurtei-
le vom 26. Oktober 1984 - IVb ZR 44/83 - FamRZ 1985, 50, 51 und vom
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18. April 1984 - IVb ZR 80/82 - FamRZ 1984, 769, 770; Wendl/Pauling Das Un-
terhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 4 Rdn. 68, 70;
Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 5. Aufl. Kap. IV Rdn. 162;
Kleffmann in Scholz/Stein Praxishandbuch Familienrecht Teil H Rdn. 65).
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Nach der Rechtsprechung des Senats braucht sich eine Ehefrau, die Un-
terhalt von ihrem Ehemann verlangt, im Regelfall nicht auf eine eigene Erwerbs-
tätigkeit verweisen zu lassen, solange sie ein Kind betreut, das noch nicht acht
Jahre alt ist (vgl. Senatsurteile vom 30. November 1994 - XII ZR 226/93 -
FamRZ 1995, 291, 292 und vom 21. Dezember 1988 - IVb ZR 18/88 - FamRZ
1989, 487 m.w.N.). Dieser Beurteilung liegt die Erfahrung zugrunde, dass ein
schulpflichtiges Kind in den ersten Schuljahren noch einer verstärkten Beauf-
sichtigung und Fürsorge bedarf, die nicht auf bestimmte Zeitabschnitte eines
Tages beschränkt ist (Senatsurteil vom 23. Februar 1983 - IVb ZR 363/81 -
FamRZ 1983, 456, 458). Im Prozess hat deshalb derjenige, der sich auf eine
Ausnahme von dieser auf der Lebenserfahrung beruhenden Regel beruft, die
hierfür erforderlichen Voraussetzungen darzulegen und notfalls zu beweisen
(Senatsurteile vom 26. Oktober 1984 aaO S. 51 und vom 23. Februar 1983 aaO
S. 458).
d) Der Beklagte hat zwar Umstände vorgetragen, aus denen sich nach
seiner Auffassung eine Erwerbsobliegenheit der Klägerin ergibt. Das Beru-
fungsgericht hat sich hierdurch jedoch nicht veranlasst gesehen, von seiner
dem vorgenannten Grundsatz entsprechenden Beurteilung abzuweichen. Das
ist im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
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Die Revision weist im Ansatz zutreffend darauf hin, dass es nach der
Rechtsprechung des Senats im Rahmen der Prüfung der persönlichen Verhält-
nisse des betreuenden Ehegatten regelmäßig von Bedeutung ist, ob er bereits
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während der bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft eine berufliche Tä-
tigkeit ausgeübt hat. Der Senat hat dabei maßgeblich darauf abgehoben, dass
eine Erwerbstätigkeit, die nicht aus Not, also wegen unzureichender Versor-
gung durch den unterhaltspflichtigen Ehegatten, sondern aus freien Stücken
aufgenommen worden sei, im Allgemeinen zu einer Überprüfung Anlass geben
werde, ob nicht die Grenzen des Zumutbaren zunächst zu eng gezogen worden
seien. Die Ausübung der Erwerbstätigkeit könne in diesem Zusammenhang ein
bedeutsames Indiz für die vorhandene tatsächliche Arbeitsfähigkeit sein (Se-
natsurteile vom 23. September 1981 - IVb ZR 600/80 - FamRZ 1981, 1159,
1161 und vom 21. Januar 1998 aaO S. 1502).
Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich hieraus indessen kein
für eine Erwerbsobliegenheit sprechender Grundsatz herleiten; vielmehr gilt es
allein, die mögliche indizielle Bedeutung einer tatsächlich ausgeübten Erwerbs-
tätigkeit zu beachten. Ob diese mit Rücksicht auf die Betreuungsbedürftigkeit
eines Kindes zumutbar ist oder entsprechend dem Grundsatz, dass etwa bei
Betreuung eines - wie hier zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht - noch nicht acht Jahre alten Kindes regelmäßig keine Er-
werbsobliegenheit besteht, als überobligationsmäßig zu bewerten ist, muss a-
ber nach der konkreten Situation, in der sich ein Ehegatte nach der Trennung
oder Scheidung befindet, beurteilt werden. Es ist deshalb auch zu berücksichti-
gen, dass mit der Trennung die Mehrbelastung des ein Kind betreuenden Ehe-
gatten nicht wie früher durch den anderen Ehegatten aufgefangen werden
kann, sondern der betreuende Ehegatte nunmehr grundsätzlich auf sich allein
angewiesen ist, was die Fortsetzung der bisherigen Erwerbstätigkeit unzumut-
bar erscheinen lassen kann (vgl. Senatsurteil vom 4. November 1987 - IVb ZR
81/86 - FamRZ 1988, 145, 148 f.; Göppinger/Bäumel Unterhaltsrecht 8. Aufl.
Rdn. 957; Wendl/Pauling aaO § 4 Rdn. 28; Kleffmann in Scholz/Stein aaO Teil
H Rdn. 67; Johannsen/Henrich/Büttner Eherecht 4. Aufl. § 1570 Rdn. 24;
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Schwab/Borth aaO Kap. IV Rdn. 172; FA-FamR/Gerhardt 5. Aufl. 6. Kap.
Rdn. 264; Luthin Handbuch des Unterhaltsrechts 10. Aufl. Rdn. 2108; Wein-
reich/Klein Familienrecht 2. Aufl. § 1570 Rdn. 8; vgl. auch Born FamRZ 1997,
129, 132).
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Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen die tatrich-
terliche Würdigung, dass die Klägerin überobligationsmäßig gearbeitet hat. Das
Berufungsgericht hat entscheidend darauf abgestellt, dass das zur Zeit der letz-
ten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz sieben Jahre alte Kind
aufgrund seiner Schwerbehinderung auf der Entwicklungsstufe eines Kleinkin-
des steht, weshalb die Mutter - bevor Max morgens zum Kindergarten abgeholt
wird sowie nach seiner Rückkehr bis zum Beginn der Tätigkeit der für die nächt-
liche Überwachung erforderlichen Hilfskräfte - ungleich mehr an Betreuungsleis-
tungen für ihn zu erbringen hat als für ein gesundes Kindergartenkind. Auf den
gesamten Tagesablauf bezogen ergibt sich deshalb durch den Besuch des Kin-
dergartens keine nennenswerte Entlastung der Klägerin gegenüber der Betreu-
ungssituation für ein gesundes Kindergartenkind. Vielmehr war die Klägerin
darauf angewiesen, in der Zeit, während der sich Max im Kindergarten aufhielt,
die notwendige Hausarbeit zu verrichten, um sich dem Kind nach seiner Rück-
kehr (nach 15.00 Uhr) wieder uneingeschränkt widmen und es beaufsichtigen
zu können. Die daneben ausgeübte Erwerbstätigkeit stellt deshalb, auch wenn
sie im Wesentlichen von einem häuslichen Telearbeitsplatz aus verrichtet wer-
den konnte, eine überobligationsmäßige Tätigkeit der Klägerin dar, die von ihr
nicht verlangt werden kann.
e) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Klägerin für ihre
Betreuungsleistungen Pflegegeld in Höhe von monatlich 1.300 DM bzw. 665 €
erhält. Das nach § 37 Abs. 1 SGB XI gewährte Pflegegeld bleibt, wenn es an
eine Pflegeperson weitergeleitet wird, bei der Ermittlung von Unterhaltsansprü-
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chen der Pflegeperson grundsätzlich unberücksichtigt (§ 13 Abs. 6 Satz 1 SGB
XI). Mit dieser Regelung soll erreicht werden, dass das Pflegegeld nicht nur
dem Pflegebedürftigen selbst, sondern auch der Pflegeperson, die die häusli-
che Pflege unentgeltlich übernommen hat, möglichst ungeschmälert erhalten
bleibt. In dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Elften Buches
Sozialgesetzbuch wird hierzu ausgeführt: Ohne eine gesetzliche Regelung wür-
de die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung des Pflegegeldes weiterhin allein
durch richterliche Entscheidung bestimmt. Dabei ist davon auszugehen, dass
auf der Basis der bisherigen zivilrechtlichen Rechtsprechung zum BSHG- und
SGB V-Pflegegeld das vom Pflegebedürftigen an die Pflegeperson weitergelei-
tete Pflegegeld zu einem erheblichen Teil als "Vergütungsanteil" der Pflegeper-
son bewertet und demzufolge unterhaltsrechtlich als Einkommen der Pflegeper-
son berücksichtigt wird (so auch noch Senatsbeschluss vom 24. April 1996
- XII ZR 7/96 - FamRZ 1996, 933). Dies ist mit dem sozialpolitischen Anliegen,
die häusliche Pflege zu fördern und die Pflegebereitschaft und -fähigkeit im
häuslichen Bereich zu stärken, nicht vereinbar. Mit der Neuregelung wird er-
reicht, dass z.B. bei einer geschiedenen Ehefrau nicht mehr der Unterhaltsan-
spruch gegenüber dem geschiedenen Ehemann gemindert wird, wenn sie für
die Pflege des gemeinsamen behinderten pflegebedürftigen Kindes Pflegegeld
erhält (BT-Drucks. 14/580 S. 5).
Der Senat hält mit Blick auf die zum 1. August 1999 in Kraft getretene
Neufassung des § 13 Abs. 6 SGB XI an seiner früheren Auffassung nicht mehr
fest. Da einer der in § 13 Abs. 6 Satz 2 SGB XI geregelten Ausnahmefälle nicht
vorliegt, verbietet sich mithin eine unterhaltsrechtliche Berücksichtigung des
Pflegegeldes, die zu einer Verkürzung des der Klägerin zustehenden Unter-
haltsanspruchs führen würde (vgl. auch Trenk-Hinterberger in Wannagat SGB
XI § 13 Rdn. 172 a).
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4. Die Bewertung der Erwerbstätigkeit der Klägerin als überobligatorisch
hat - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - zugleich zur Fol-
ge, dass sie diese Beschäftigung jederzeit aufgeben konnte. Das gilt vorliegend
in besonderem Maße, da die Klägerin, wie sie in der mündlichen Verhandlung
vor dem Berufungsgericht dargelegt hat, keine Telearbeit mehr hätte verrichten
können, sondern darauf angewiesen gewesen wäre, in der Behörde zu arbei-
ten. Diesem Vorbringen ist der Beklagte nicht mehr entgegengetreten.
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5. Von der Frage, ob Einkünfte durch überobligationsmäßige Tätigkeit er-
reicht werden, ist diejenige zu unterscheiden, in welcher Höhe solche Einkünfte
unterhaltsrechtlich relevant sind. Soweit das Berufungsgericht das Einkommen
der Klägerin in voller Höhe in die Bedarfsberechnung eingestellt, aber nur antei-
lig, nämlich in Höhe der Hälfte (nach Abzug eines Erwerbstätigenbonus von
1/10), als bedarfsdeckend berücksichtigt hat, begegnet diese Vorgehensweise
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Ermittlung des an-
gemessenen Unterhaltsbedarfs nur der unterhaltsrelevante Anteil eines überob-
ligatorisch erzielten Einkommens als eheprägend zu berücksichtigen. Der nicht
unterhaltsrelevante Anteil der überobligationsmäßig erzielten Einkünfte prägt
die ehelichen Lebensverhältnisse dagegen nicht (Senatsurteil vom 13. April
2005 - XII ZR 273/02 - FamRZ 2005, 1154, 1157 f.). Damit steht nicht in Ein-
klang, dass das Berufungsgericht das volle Einkommen der Klägerin in die Be-
darfsbemessung einbezogen hat.
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b) Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Einkommen
aus einer überobligatorischen Tätigkeit des Unterhaltsberechtigten bei der Un-
terhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, lässt sich nach der Rechtsprechung
des Senats nicht pauschal beantworten, sondern hängt von den besonderen
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Umständen des Einzelfalles ab. Maßgebend ist hierbei insbesondere, wie etwa
die Kinderbetreuung mit den konkreten Arbeitszeiten unter Berücksichtigung
erforderlicher Fahrzeiten zu vereinbaren ist und ob und gegebenenfalls zu wel-
chen Zeiten die Kinder infolge eines Kindergarten- oder Schulbesuchs der
Betreuung nicht bedürfen (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 15. Dezember 2004
- XII ZR 121/03 - FamRZ 2005, 442, 444 und vom 13. April 2005 - XII ZR
48/02 - FamRZ 2005, 967, 970).
Eine solche Abwägung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Es
ist vielmehr allein aufgrund der Bewertung der Tätigkeit der Klägerin als über-
obligationsmäßig zu dem Ergebnis gelangt, das Einkommen sei (nur) zur Hälfte
anzurechnen. Demgemäß ist z.B. unberücksichtigt geblieben, dass die Klägerin
zumindest teilweise von zu Hause aus arbeiten, mithin sich die Arbeitszeit ver-
mutlich einteilen konnte, und Fahrzeiten jedenfalls überwiegend nicht anfielen.
Die Beurteilung, inwieweit das überobligationsmäßig erzielte Einkommen an-
rechnungsfrei zu bleiben hat, hängt aber maßgeblich davon ab, welchen
Schwierigkeiten die Klägerin hinsichtlich der Vereinbarkeit von Arbeit und Kin-
derbetreuung im Einzelnen ausgesetzt war, z.B. auch davon, welcher Zeitauf-
wand morgens erforderlich war, bevor Max zum Kindergarten abgeholt wurde.
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6. Soweit das Berufungsgericht der Klägerin fiktive Einkünfte für die
Haushaltsführung für ihren neuen Partner zugerechnet hat, erhebt die Revision
hiergegen weder hinsichtlich des zugrunde gelegten Zeitraums noch bezüglich
der Höhe Einwendungen. Die Behandlung dieses Einkommens, das das Beru-
fungsgericht gleichermaßen in die Unterhaltsberechnung im Wege der Additi-
onsmethode eingestellt hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, sondern
entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 5. Mai 2004
- XII ZR 132/02 - FamRZ 2004, 1173 ff. mit zustimmender Anm. Born FamRZ
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2004, 1175 und Harms jurisPR-FamR 13/2004; ablehnend: Gerhardt FamRZ
2004, 1545).
34
7. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sa-
che ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es über die Bestim-
mung des der Klägerin anrechnungsfrei zu belassenden Einkommensteils unter
Nachholung der hierfür erforderlichen Feststellungen erneut befinden kann.
8. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Unterhaltsrück-
stands von 17.502,82 € für die Zeit von August 2001 bis Juni 2003 beinhaltet für
die Zeit von August 2001 bis April 2002 einen Betrag von 7.668,82 €
(4.270,82 € + 2.586 € + 812 €), obwohl - mit Rücksicht auf die vom Beklagten
geleisteten Zahlungen - insoweit nur ein rückständiger Betrag von 4.959,80 €
verlangt worden war. Das Berufungsurteil geht somit - entgegen § 308 Abs. 1
ZPO - über den Klageantrag hinaus.
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b) Soweit das Berufungsgericht den Beklagten mit der Maßgabe verur-
teilt hat, "geleistete Zahlungen sind anzurechnen", widerspricht dies dem Be-
stimmtheitserfordernis eines Vollstreckungstitels mit der Folge, dass das Beru-
fungsurteil, jedenfalls für die Vergangenheit, nicht als vollstreckungsfähig
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anzusehen sein dürfte (vgl. im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Dezember 2005
- XII ZR 94/03 - FamRZ 2006, 261, 262 f.).
Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Wagenitz Dose
Vorinstanzen:
AG Wiesloch, Entscheidung vom 19.09.2002 - 2 F 188/01 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 17.06.2003 - 2 UF 130/02 -