Urteil des BGH vom 29.03.2017
Restschadstoffentfernung Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 114/03 Verkündet
am:
1. August 2006
Wermes
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Restschadstoffentfernung
ZPO § 142; DurchsetzungsRL Art. 6
a) Die Bestimmung des § 142 ZPO ist - auch im Licht völkerrechtlicher Vorga-
ben und europarechtlich bindender Normen wie Art. 6 der Richtlinie
2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April
2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums - in verschie-
denen Rechtsgebieten, wie im gewerblichen Rechtsschutz insgesamt und
insbesondere bei den technischen Schutzrechten, differenziert zu betrach-
ten und anzuwenden.
b) Bei Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte kann eine Vorlegung
von Urkunden oder sonstigen Unterlagen nach § 142 ZPO angeordnet wer-
den, wenn die Vorlegung zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und er-
forderlich, weiter verhältnismäßig und angemessen, d.h. dem zur Vorlage
Verpflichteten bei Berücksichtigung seiner rechtlich geschützten Interessen
nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumutbar ist.
c) Als Anlass für eine Vorlageanordnung kann es ausreichen, dass eine Benut-
zung des Gegenstands des Schutzrechts wahrscheinlich ist.
BGH, Urt. v. 1. August 2006 - X ZR 114/03 - OLG München
LG München I
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 1. August 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Keukenschrijver, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den
Richter Dr. Kirchhoff
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das am 10. Juli 2003 verkündete
Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufge-
hoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Der Kläger war Inhaber des auf einer freigegebenen Diensterfindung be-
ruhenden, am 11. Juni 1985 angemeldeten deutschen Patents 35 20 885 (Li-
zenzpatents), das in der Fassung, die es im Einspruchsbeschwerdeverfahren
erhalten hat, bis zum Ablauf der Höchstschutzdauer in Kraft stand und "Verfah-
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ren und Anlage zur weitgehenden Restentfernung von gasförmigen, aerosolar-
tigen und/oder staubförmigen Schadstoffen" betraf. Patentanspruch 1 des Li-
zenzpatents lautet in dieser Fassung wie folgt:
"Verfahren zur weitgehenden Restentfernung von gasförmigen, ae-
rosolartigen und/oder staubförmigen Schadstoffen aus Abgasen
von Müll- und Sondermüllverbrennungsanlagen, wobei das aus der
Verbrennungszone der Anlage abströmende und Schadstoffe ent-
haltende heiße Rauchgas entstaubt und das entstaubte Rauchgas
in einer Rauchgasnachbehandlung gemäß dem Naßverfahren,
Halbtrockenverfahren und Trockenverfahren behandelt wird und
sich ein Wasserdampf enthaltendes Restwaschgas ergibt, dadurch
gekennzeichnet, daß man das wasserdampfhaltige Restwaschgas
mit einer mittleren Temperatur T in einem Kühlsystem aus Glas,
Graphit, korrosionsbeständigem Metall, Keramik oder Kunststoff
durch indirekte Kühlung mittels eines Kühlmediums so weit abkühlt,
daß die Temperatur auf einen mittleren Wert T-x unter Wahl einer
Temperaturdifferenz derart herabgesetzt wird, daß mindestens je-
weils die Hauptmenge des im Gas enthaltenen Wasserdampfs aus-
kondensiert, wobei dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich
ein Mittel zudosiert wird, das mit Schadstoffkomponenten des
Restwaschgases reagiert und diese zu Verbindungen mit herabge-
setzter Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit umsetzt, bzw. deren Alkali-
gehalt verändert, und[/]oder dem Restwaschgas im Kühlsystem zu-
sätzlich ein Mittel zudosiert wird, das Schadstoffkomponenten oder
Derivate derselben adsorptiv oder absorptiv chemisch-physikalisch
bindet, und/oder das Restwaschgas zusätzlich mit einem Konden-
sationshilfsmittel beaufschlagt wird, das die Bildung von Kondensa-
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tionskeimen fördert, und daß das abgeschiedene Kondensat abge-
zogen sowie chemisch-physikalisch nachbehandelt wird."
Mit Lizenzvertrag vom 23./28. Januar 1987 hat der Kläger der Beklagten
zu 1, deren Tochtergesellschaften sowie deren Lieferanten und Kunden ein
Mitbenutzungsrecht gegen eine Einmalzahlung und eine Lizenzgebühr in Höhe
von 2 % des Nettoverkaufswerts aller unter Verwertung der Vertragsschutz-
rechte von der Beklagten und den Tochtergesellschaften in Verkehr gebrachten
Vertragsanlagen eingeräumt. Die frühere Beklagte zu 2 (L. AG), eine Toch-
tergesellschaft der Beklagten, hat für die frühere Beklagte zu 3 (B. AG) als
Bauherrin und Betreiberin einer von dritter Seite gelieferten Rückstands-
verbrennungsanlage in D. ("R. ") Einzelkomponenten, insbesondere
zwei Kondensationselektrofilter, geliefert. Der Kläger meint, dass diese Kom-
ponenten von verschiedenen Patentansprüchen des Lizenzpatents wortsinn-
gemäß oder zumindest in äquivalenter Weise Gebrauch machten; er hat die
Beklagte zu 1 und die früheren weiteren Beklagten zu 2 und 3 zunächst auf
Auskunft und Zahlung eines angemessenen Lizenzentgelts sowie die Beklagte
zu 1 auf weiteren Schadensersatz und Feststellung einer weitergehenden
Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage
abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der dieser sein Begehren mit teil-
weise geänderten Anträgen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben; die Kla-
geabweisung gegen die früheren Beklagten zu 2 und 3 durch die Vorinstanzen
ist infolge Nichtzulassung der Revision in diesem Umfang inzwischen unan-
fechtbar. Mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision begehrt der
Kläger, unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des landge-
richtlichen Urteils die Beklagte zu 1 zur Auskunftserteilung zu verurteilen, wel-
chen Nettoverkaufswert die fertiggestellte, angebotene und betriebene R.
bzw. deren Komponenten im Sinne des Verbrennungsanlagenbegriffs des § 2
Ziff. 2 des zwischen den Parteien bestehenden Patentlizenzvertrags vom
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23./28. Januar 1987 hatte, nach Erledigung der Auskunftserteilung an den Klä-
ger für die bisherige Nutzung des Patents DE 35 20 885 C 3 im Rahmen der
fertiggestellten, angebotenen oder betriebenen R. ein angemessenes Li-
zenzentgelt in Höhe von 2 % des Nettoverkaufswerts der R. zu bezahlen,
sowie die Beklagte zu 1 zu verurteilen, an den Kläger zusätzlich 120.482,43
DM zuzüglich Mehrwertsteuer zu bezahlen, hilfsweise festzustellen, dass die
Beklagte zu 1 verpflichtet ist, an den Kläger für die bisherige Nutzung des Pa-
tents DE 35 20 885 C 3 im Rahmen der fertiggestellten, angebotenen oder be-
triebenen R. ein angemessenes Lizenzentgelt in Höhe von 2 % des Netto-
verkaufswerts der R. zu bezahlen. Die Beklagte zu 1 tritt dem Rechtsmittel
entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, dem auch die
Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen ist.
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I. Der Kläger macht gegen die Beklagte zu 1 Ansprüche aus einem Li-
zenzvertrag an dem Lizenzpatent geltend, nach dem der Beklagten, ihren
Tochtergesellschaften, Lieferanten und Kunden die Mitbenutzung des Lizenz-
patents u.a. gegen Zahlung einer Lizenzgebühr in Höhe von 2 % des Nettover-
kaufswerts zustand.
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1. Zwischen den Parteien besteht insbesondere Streit darüber, ob die
R. vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents Gebrauch
macht, und zwar, nachdem die Benutzung der übrigen Merkmale dieses Pa-
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tentanspruchs zwischen den Parteien unstreitig ist, nur hinsichtlich der im bis-
herigen Verfahren wie folgt bezeichneten Merkmale:
c) das aus der Verbrennungszone der Anlage abströmende und
Schadstoffe enthaltende heiße Rauchgas wird entstaubt;
d) das entstaubte Rauchgas wird in einer Rauchgasnachbehand-
lung gemäß dem Nassverfahren, Halbtrockenverfahren und
Trockenverfahren behandelt; wobei
k1) dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich ein Mittel zudo-
siert wird, das mit Schadstoffkomponenten des Restwaschga-
ses reagiert und diese zu Verbindungen mit herabgesetzter
Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit umsetzt, bzw. deren Alkali-
gehalt verändert, und/oder
k2) dem Restwaschgas im Kühlsystem zusätzlich ein Mittel zudo-
siert wird, das Schadstoffkomponenten oder Derivate dersel-
ben adsorptiv oder absorptiv chemisch-physikalisch bindet,
und/oder
k3) das Restwaschgas zusätzlich mit einem Kondensationshilfs-
mittel beaufschlagt wird, das die Bildung von Kondensations-
keimen fördert.
2. a) Bei der R. werden nach den Feststellungen im Landgerichtsur-
teil, die sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, Abfälle zunächst in
einem Drehrohrofen verbrannt und dabei anfallende Rückstände in einer
Nachbrennkammer weiter verbrannt. Die dabei anfallenden Rauchgase werden
in einem Abhitzekessel auf ca. 300°C abgekühlt; anschließend erfolgt die
Rauchgasreinigung in zwei parallelen Straßen derart, dass das Rauchgas in
Quenche (Einspritzkühler) geleitet und dort durch Eindüsen von Wasser auf ca.
65°C abgekühlt und gesättigt wird. Anschließend wird das Rauchgas in einer
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Nasswäsche in zwei hintereinander liegenden Rotationswäschern durch einen
intensiven Sprühfilm aus sauer und alkalisch eingestelltem Wasser geleitet,
wobei weitere Schadgase und Staub abgesondert werden. Nachgeordnet ist
sodann eine zweistufige Gasreinigung in einem Elektrokondensationsfilter, in
dem sich die im Rauchgas befindlichen Restschadstoffe in einem elektrischen
Feld aufladen und an Elektroden abgeschieden werden, wobei Stäube und
Tröpfchen durch einen von auskondensiertem Wasser gebildeten Film regel-
mäßig ausgeschleust werden. Vor der Abgabe in die Atmosphäre findet noch
eine Entstickung statt und in einer zweiten Katalysatorstufe werden restliche
Dioxine und Furane vermindert.
b) Die Vorinstanzen haben verneint, dass die R. von den Merkmalen
c und d sowie einem der Merkmale k1 - k3 Gebrauch mache.
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aa) Zu den Merkmalen c und d hat das Berufungsgericht, gestützt auf
den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. E. , ausgeführt, dass eine
Quenche zwar auch eine begrenzte entstaubende Wirkung habe, dies aber für
die Einhaltung der gesetzlichen Emissionswerte nicht ausreiche. Das Beru-
fungsgericht hat aber verneint, dass die durch eine Quenche erzielte Entstau-
bungswirkung als Entstaubung im Sinn der Merkmale c und d verstanden wer-
den könne und im Übrigen die Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen
im wesentlichen mit der Begründung übernommen, aus der Sicht des Durch-
schnittsfachmanns stelle eine Quenche in erster Linie einen Einspritzkühler
zum plötzlichen Abschrecken eines Gases oder Gasgemischs dar, nicht jedoch
eine Abscheideeinrichtung. Eine vorrangige Wirkung der Quenche als Entstau-
bungsanlage sei nicht belegt. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass eine Quen-
che in erster Linie als Entstaubungsanlage anzusehen sei. Am Verfahrens-
schritt d fehle es selbst dann, wenn Quenche und Rotationswäscher als Ge-
samtkomplex die Entstaubungszone gemäß Merkmal c bildeten.
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bb) Die Verwirklichung der Merkmale k1 - k3, deren Verwirklichung das
Lizenzpatent nur alternativ fordert, hat das Berufungsgericht im Wesentlichen
mit folgender Begründung verneint:
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(1) Der gerichtliche Sachverständige habe ausgeführt, dass die Zugabe
von Mitteln, die mit den Schadstoffkomponenten in Wechselwirkung stehen,
zweckmäßigerweise kontinuierlich zu erfolgen habe. Die an der Oberfläche der
Feinstpartikel befindlichen Schadstoffe lägen in einer Form vor, die sich wäh-
rend der Verweilzeit im hier maßgeblichen Teil des Kühlsystems nicht ändere.
Die Zugabe von Wasser bewirke keine Änderung. Deshalb sei Merkmal k1 in
Bezug auf Wasser als zusätzlich dosiertes Mittel nicht erfüllt.
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(2) Zu Merkmal k2 habe der gerichtliche Sachverständige ausgeführt,
dass eine Adsorption der Schadstoffe an das zudosierte Mittel nicht in Betracht
komme. Die Bindung von Feinstpartikeln an Wassertröpfchen sei anderer Na-
tur.
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(3) Bezüglich Merkmal k3 sei der Sachverständige zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass für den Durchschnittsfachmann das Wasser das Kondensati-
onsmittel selbst sei, nicht aber ein zusätzliches Hilfsmittel, das die Bildung von
Kondensationskeimen fördere.
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(4) Insgesamt habe der Sachverständige ausgeführt, dass der An-
schlusswert der Düse nicht für eine kontinuierliche Bedüsung, sondern allein
für einen Spülvorgang gedacht sei. Der Sachverständige habe die Düsen zwar
selbst nicht gesehen, aber den Flanschansatz begutachten können. Ihm sei
klar, welche Art Düsen bei welchen Flanschdurchmessern angebracht werden
könnten. Er habe auch die Spülung in Betrieb und die 58-kW-Pumpe begutach-
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ten können. Ein Wasserfilm zum Besprühen könne nicht erzeugt werden.
Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgehe, dass nicht eine ununterbro-
chene Bedüsung erforderlich sei, setze eine Zudosierung begrifflich eine Inter-
valldauer von unter 8 Stunden voraus. Die Anlagen K12 und K13, auf die sich
der Parteigutachter des Klägers gestützt habe, könnten kein Beurteilungsmaß-
stab für die Frage sein, wieweit die R. vom Patent des Klägers Gebrauch
mache, denn sie seien nicht unbedingt ausschließliche Grundlage der Anlage
und bei Abschluss des Lizenzvertrags noch nicht existent gewesen.
c) Die Revision greift dies an:
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aa) Sie verweist darauf, dass der Kläger eine Anordnung gemäß Art. 43
Abs. 1 TRIPS-Übk. und nach § 142 ZPO i.d.F. des Gesetzes zur Reform des
Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887; nachfolgend: n.F.) dahin
beantragt hat, den Plan DO 1 111 691-6 mit Fließbild 9.1. vorzulegen, worin
der genaue Ablauf der Kondensation gezeigt sei. Eine Vorlagepflicht sei im we-
sentlichen mit der Begründung verneint worden, dass rechtserhebliche Tatsa-
chen nicht betroffen seien. Der Kläger habe indessen vorgetragen, dass es
sich um das zentrale Beweismittel im Prozess handle, wie ihm der zuständige
Referent im Regierungspräsidium Düsseldorf mitgeteilt habe. Er habe die Re-
levanz des Plans u.a. damit begründet, dass sich das Verfahren aus den vor-
gelegten Unterlagen nur in seinen Grundzügen ergebe, das Fließbild die Anla-
ge aber so zeige, wie sie erstellt worden sei. Die vorliegenden Pläne enthielten
Unsicherheiten, und der Gerichtsgutachter habe den genauen Sachverhalt
nicht feststellen können.
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bb) Zur Benutzung des Lizenzpatents macht die Revision geltend, nach
dem Klagevortrag werde das Rauchgas zunächst gemäß Merkmal c in der
Quenche entstaubt und danach gemäß Merkmal d in den Rotationswäschern
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einer Rauchgasnachbehandlung unterzogen, wobei es sich um eine Nassbe-
handlung im Sinn dieses Merkmals handle. Letzteres habe der gerichtliche
Sachverständige bestätigt. Soweit das Berufungsgericht den Begriff des Ent-
staubens durch die Quenche als nicht verwirklicht angesehen hat, beanstandet
die Revision, dass es sich nicht auf die Patentbeschreibung gestützt und damit
die Auslegungsregel des § 14 Satz 2 PatG nicht angewendet habe. Eine fach-
gerechte Auslegung des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents hätte nach Auf-
fassung der Revision zu dem Ergebnis geführt, dass wegen der weiteren vor-
gesehenen Reinigungsschritte unter Entstauben entsprechend dem Vortrag
des Klägers schon eine deutlich verminderte Verminderung des Staubgehalts
zu verstehen sei.
Das Berufungsurteil gehe weiter unzutreffend davon aus, dass in der
Quenche eine Entstaubung auf Emissionswerte nach den gesetzlichen Vor-
schriften erreicht werden müsse. Schon die Fragestellung des Berufungsge-
richts sei falsch, weil es nicht auf das fachmännische Verständnis des Begriffs
Quenche, sondern auf das des Begriffs Entstauben ankomme. Entscheidend
sei allein die Frage, ob das Rauchgas in der Quenche in einem für den Verfah-
renschritt ausreichenden Maß entstaubt werde. Das habe das Berufungsgericht
aber nicht geprüft. Ein vom gerichtlichen Sachverständigen zunächst ange-
nommener möglicher Staubabscheidegrad von 90 % könne dem Verfahrens-
schritt c genügen.
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cc) Die Revision rügt zudem Vortrag zu den Merkmalen k1 bis k3 als
übergangen, als Mittel im Sinn dieser Merkmale könne auch Wasser zudosiert
werden, was bei der R. neben der periodisch im Abstand von acht Stunden
vorgesehenen Schwallspülung auch kontinuierlich über die Filterbedüsungen
XIII und XIII’ erfolge, wobei das Wasser die Schadstoffkomponenten binde.
Auch wenn dies streng wissenschaftlich mit Adsorption oder Absorption nichts
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zu tun habe, komme es darauf an, wie der Fachmann nach dem Sprach-
gebrauch der Patentschrift diese Begriffe verstehe. Danach sei das vom Ge-
richtsgutachter beschriebene Einfangen der Schadstoffpartikel durch Grenzflä-
cheneffekte als Adsorption oder Absorption im Sinn des Merkmals k2 zu ver-
stehen; die Adsorption und Absorption molekular-disperser Schadstoffe habe
der Gerichtsgutachter ohnehin bestätigt.
II. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Abweisung der
auf lizenzvertragliche Ansprüche gestützten Klage nicht.
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1. a) Die Verneinung der Verwirklichung der Merkmale c und d kann mit
der vom Berufungsgericht hierfür gegebenen Begründung keinen Bestand ha-
ben.
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aa) Nach Merkmal c wird das aus der Verbrennungszone der Anlage
abströmende und Schadstoffe enthaltende heiße Rauchgas entstaubt. Nach
Merkmal d wird das "entstaubte" Rauchgas einer Nachbehandlung unterzogen.
Dem Begriff des "entstaubten" Rauchgases kann sprachlich sowohl die Bedeu-
tung zugeordnet werden, dass das Rauchgas nach Entstaubung staubfrei sein
soll, aber auch die Bedeutung, dass nur ein Teil des vorhandenen Staubs ent-
fernt worden ist. Von welcher Bedeutung auszugehen ist, muss durch Ausle-
gung des Lizenzpatents geklärt werden.
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bb) (1) Diese Auslegung ist grundsätzlich Aufgabe des Gerichts. Der
Tatrichter hat das Patent dabei eigenständig auszulegen; er darf die Ergebnis-
se eines Sachverständigengutachtens nicht unbesehen übernehmen oder gar
die Auslegung dem Sachverständigen überlassen (Sen. BGHZ 164, 261 - Sei-
tenspiegel; Sen.Urt. v. 7.3.2001 - X ZR 176/99, GRUR 2001, 770, 772
- Kabeldurchführung II). Er muss sich aber erforderlichenfalls sachverständiger
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Hilfe bedienen, weil das Verständnis des Fachmanns von den im Patentan-
spruch verwendeten Begriffen und vom Gesamtzusammenhang des Patentan-
spruchs die Grundlage der Auslegung bildet, so etwa dann, wenn zu ermitteln
ist, welche objektiven technischen Gegebenheiten, welches Vorverständnis der
auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen, welche Kenntnisse, Fähig-
keiten und Erfahrungen und welche methodische Herangehensweise dieser
Fachleute das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm verwendeten
Begriffe bestimmen oder beeinflussen können (vgl. Meier-Beck, Mitt. 2005,
529, 532).
(2) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Insbesonde-
re hat das Berufungsgericht die erforderliche eigene Auseinandersetzung mit
dem Gutachten unterlassen (vgl. Meier-Beck, Der gerichtliche Sachverständige
im Patentprozess, FS 50 Jahre VPP, 2005, S. 356, 363 f., 366).
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(3) An die Auslegung des Lizenzpatents durch den Tatrichter könnte das
Revisionsgericht nur insoweit gebunden sein, als sich der Tatrichter mit konkre-
ten tatsächlichen Umständen befasst hat, die für die Auslegung von Bedeutung
sein können (Sen. BGHZ 160, 204, 213 - bodenseitige Vereinzelungseinrich-
tung). Das ist hier nicht der Fall. Das Lizenzpatent unterliegt im Übrigen - wie
das Klagepatent im Verletzungsstreit - anhand des in den Tatsacheninstanzen
festgestellten technischen Sachverhalts und des Wissensstands, von dem für
die rechtliche Bewertung auszugehen ist,
der eigenen Auslegung durch das
Revisionsgericht (st. Rspr.; vgl. in jüngerer Zeit Sen.Urt. v. 26.9.1996
- X ZR 72/94, GRUR 1997, 116 - Prospekthalter; v. 27.10.1998 - X ZR 56/96,
Mitt. 1999, 365 - Sammelförderer; Sen. BGHZ 142, 7, 15 - Räumschild; Sen.
BGHZ 160, 204, 213 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; Sen.Urt. v.
7.6.2005 - X ZR 247/02, GRUR 2005, 848, 851 - Antriebsscheibenaufzug; v.
25.10.2005 - X ZR 136/03, GRUR 2006, 311, 312 - Baumscheibenabdeckung;
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Sen. BGHZ 164, 261 - Seitenspiegel; Sen.Urt. v. 22.11.2005 - X ZR 79/04,
GRUR 2006, 570 - extracoronales Geschiebe; v. 7.6.2006 - X ZR 105/04
- Luftabscheider für Milchsammelanlage, zur Veröffentlichung bestimmt).
(4) Diese Auslegung ergibt vorliegend, dass eine "qualifizierte" Entstau-
bung ("Staubfreiheit" oder doch zumindest hochgradige Staubarmut), wie sie
das Berufungsgericht mit seiner Bemerkung, für eine Entstaubung auf Emissi-
onswerte nach den gesetzlichen Vorschriften sei eine Entstaubung durch eine
Quenche nicht ausreichend, ersichtlich im Auge hat, dem Patentanspruch 1
des Lizenzpatents auch unter Berücksichtigung der Beschreibung nicht zu ent-
nehmen ist. Seite 8 Zeilen 19 ff. der Beschreibung des Lizenzpatents nennt
zwar die Quenche als häufig dem Rauchgaswäscher beim Nassverfahren vor-
geschaltetes Element, eine Einschränkung des Gegenstands des Patentan-
spruchs 1 des Lizenzpatents dahin, dass die Entstaubung im Sinn des Merk-
mals c nicht in einer Quenche stattfinden könne oder dürfe, ist dem aber nicht
zu entnehmen. Eine Angabe, wie groß der Entstaubungsgrad sein soll, findet
sich in Patentanspruch 1 nicht. Auch die Beschreibung des Lizenzpatents (Sei-
te 9 Zeile 53 - Seite 10 Zeile 1) gibt hierzu keinen näheren Aufschluss. Danach
werden die aus der Verbrennungszone abströmenden Rauchgase entstaubt;
anschließend erfolgt eine Nachbehandlung des entstaubten Rauchgases, was
den Merkmalen c und d des Patentanspruchs 1 entspricht. Die Entstaubung
erfolgt beim Nassverfahren im Verfahrensablauf an anderer Stelle als beim
Trockenverfahren (Seite 9 Zeilen 62 - 67). Dieses Verfahren ist so variabel und
anpassbar, dass das Verbrennungsgut reproduzierbar und kontrollierbar ver-
brannt werden kann (Seite 10 Zeilen 2 - 5). Ein Hinweis darauf, dass das "ent-
staubte" Rauchgas ein "staubfreies" Rauchgas sein soll, ist auch sonst der Be-
schreibung nicht zu entnehmen. Wenn diese (Seite 5 Zeilen 13 ff.) anspricht,
die im Restwaschgas enthaltenen Restschadstoffe müssten mindestens so
weit entfernt werden können, dass die Grenzwerte der novellierten TA Luft II
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ohne weiteres einzuhalten seien, so hat dies in Patentanspruch 1 keinen Nie-
derschlag gefunden. Interpretierte man Patentanspruch 1 gleichwohl in diesem
Sinn, legte man ihn unter seinen Wortsinn aus, was grundsätzlich nicht zuläs-
sig ist. Auch aus der Aussage in der Beschreibung Seite 6 Zeilen 32/33 ("Das
Verfahren ist zwar auch bei einem geringeren Kondensationsgrad ... noch aus-
führbar, die Trennergebnisse sind in diesem Fall jedoch weitaus schlechter")
folgt, dass eine qualifizierte Entstaubung im ersten Entstaubungsschritt nicht
Voraussetzung für die Verwirklichung des Merkmals c ist. In diese Richtung
weist auch Beschreibung Seite 7 Zeilen 62 ff. mit der Aussage: "Das erfin-
dungsgemäße Verfahren ist ... so ausgelegt, daß ... bestimmte Höchstkonzent-
rationen ... nicht überschritten werden brauchen." Daraus kann jedenfalls nicht
im Gegenschluss die Notwendigkeit abgeleitet werden, dass erfindungsgemäß
diese Konzentrationen auch nicht überschritten werden dürfen. Nach alledem
spricht der Inhalt des Lizenzpatents auch unter Heranziehung der Beschrei-
bung deutlich dafür und Patentanspruch 1 ist deshalb dahin auszulegen, dass
das Entstauben in seinem Sinn kein qualifiziertes sein muss. Das Berufungsge-
richt wird jedoch Gelegenheit haben, dieses Ergebnis anhand einer eigenver-
antwortlichen Feststellung dazu, was sich anhand des technischen Sachver-
halts und des Wissensstands, von dem für die rechtliche Bewertung auszuge-
hen ist, für die Auslegung ergibt, zu überprüfen; an das Ergebnis der Ausle-
gung durch den Bundesgerichtshof ist es allerdings gebunden, wenn es eben-
falls von den vom Bundesgerichtshof zugrunde gelegten Ausgangstatsachen
ausgeht.
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cc) Die tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Benut-
zungsform bei der R. beschränken sich im Wesentlichen darauf, dass eine
Entstaubungswirkung durch die Quenche erfolgt.
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(1) An die Würdigung des Berufungsgerichts, dies stelle keine Entstau-
bung im Sinn des Merkmals c dar, ist der Senat schon deshalb nicht gebunden,
weil sich das Berufungsgericht insoweit nicht mit den konkreten tatsächlichen
Umständen befasst hat, die für die Auslegung von Bedeutung sein können
(Sen. BGHZ 160, 204, 213 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
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(2) Das Berufungsgericht ist dem gerichtlichen Sachverständigen zu-
nächst darin gefolgt, dass in einem "Einspritzkühler", d.h. einer Quenche, das
Rauchgas in gewissem Umfang entstaubt werde. Es meint aber, als Staubab-
scheider seien Einspritzkühler im Vergleich zu gängigen Nasswäschern nur
von bescheidener Leistungsfähigkeit. Damit hat das Berufungsgericht aber eine
Entstaubung, wenngleich mit geringem Wirkungsgrad, festgestellt, die fachüb-
lich auch als hilfreich akzeptiert werde. Zudem hat das Berufungsgericht keine
Feststellungen zu Abscheidegradangaben (bis zu 90 %) getroffen, die es nur
als wenig aussagekräftig ansieht. Sollten diese Angaben zutreffen, erschiene
eine Verneinung der Benutzung der Merkmale c und d schon von vornherein
als schwer nachvollziehbar.
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(3) Darauf, ob die Quenchen Abscheideeinrichtungen darstellen, worauf
das Berufungsgericht weiter abstellt, kommt es für die Verwirklichung der
Merkmale c und d schon deshalb nicht an, weil diese eine solche Einrichtung
nicht voraussetzen, sondern nur ein Entstauben, das das Berufungsgericht
aber festgestellt hat. Es kam erst recht nicht darauf an, wie der Fachmann den
im Patentanspruch 1 des Lizenzpatents nicht vorkommenden Begriff der Quen-
che versteht, sondern darauf, wie der Begriff der Entstaubung zu verstehen ist;
das ist aber eine Frage der Auslegung des Lizenzpatents. Darauf, ob die
Quenche "vorrangig" als Entstaubungsanlage diente, kam es deshalb ebenfalls
nicht an.
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(4) Ob im Sinn des Merkmals d das entstaubte Rauchgas einer Nachbe-
handlung zugeführt wird, ergibt sich wiederum daraus, was unter dem Begriff
"entstaubt" im Sinn des Patentanspruchs 1 des Lizenzpatents zu verstehen ist,
und richtet sich demnach nach denselben Grundsätzen wie der Begriff der Ent-
staubung. Damit kann auch die Verwirklichung des Merkmals d nicht mit der
Begründung des Berufungsgerichts verneint werden.
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b) aa) Was die Merkmale k1 bis k3 betrifft, von denen nach Patentan-
spruch 1 des Lizenzpatents im Sinn einer Alternativität nur eines erfüllt sein
muss, hat das Berufungsgericht zunächst eine Auslegung dieser Merkmale
ebenso unterlassen wie eine Auseinandersetzung mit den Äußerungen des
gerichtlichen Sachverständigen. Zudem hat es sich eine Überzeugung nur da-
hin gebildet, dass Merkmal k1 durch die diskontinuierliche Zugabe von Wasser
nicht erfüllt sei.
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bb) Dabei hat sich das Berufungsgericht zunächst nicht mit der Frage
befasst, ob das Merkmal k1 nicht durch Zugabe eines anderen Mittels erfüllt
sein kann. Schon aus diesen Gründen ist die Annahme, dass Merkmal k1 nicht
erfüllt werde, nicht tragfähig, wenngleich daraus nicht notwendig folgt, dass sie
unzutreffend ist.
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cc) Weiter findet sich im Berufungsurteil keine Darlegung, warum eine
Absorption, die schon von seinem Wortlaut her ebenfalls von Merkmal k2 er-
fasst wird, nicht gegeben ist.
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dd) Aus den Gründen des Berufungsurteils (Umdruck S. 35 zweiter Ab-
satz) folgt zudem, dass das Berufungsgericht die Zugabe von Wasser nicht
ohne weiteres im Weg der Auslegung des Lizenzpatents als Mittel im Sinn der
Merkmale k1 bis k3 ausschließen wollte, sondern dies nur auf Grund der von
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ihm zugrundegelegten Intervalldauer bei der Bedüsung getan hat. Feststellun-
gen zu dieser hat es indessen nicht getroffen. Damit fehlt es auch insoweit an
tragfähigen Feststellungen dafür, dass die Anlage in D. die Merkmale
k1 bis k3 nicht verwirklicht.
2. Ebenfalls begründet ist die Rüge der Revision, dass das Berufungsge-
richt mit der Nichtheranziehung des Plans DO 1 111 691-8 nebst Fließbild den
Streitstoff nicht ausgeschöpft habe. Die Verneinung einer Vorlagepflicht der
früheren Beklagten zu 3 wird durch die Ausführungen im Berufungsurteil nicht
getragen.
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a) § 142 ZPO n.F., der auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist (vgl.
Zöller/Gummer,ZPO, 25. Aufl. 2005, Art. 26 EGZPO Rdn. 2), bildet die Grund-
lage für Vorlageansprüche auch gegen Dritte und damit auch gegen die frühere
Beklagte zu 3, die im Sinn dieser Bestimmung schon deshalb als "Dritte" anzu-
sehen ist, weil sie auf der Grundlage des Lizenzvertrags, den der Kläger mit
der Beklagten zu 1 geschlossen hat, als zum Empfang der Lieferung ausdrück-
lich empfangsberechtigte Kundin von vornherein zu Unrecht mitverklagt worden
war.
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b) Die Reichweite dieser Bestimmung ist in der Rechtsprechung aller-
dings noch nicht abschließend geklärt. Nach verbreiteter Meinung soll sie nicht
zur Ausforschung des Betroffenen führen dürfen; auch entbinde sie denjenigen,
der sich auf die Urkunde bezieht, nach der Gesetzesbegründung nicht von
schlüssigem Vortrag (so der Bericht der Abgeordneten Bachmeier, Stünker,
Geis, Dr. Röttgen, Beck, Funke und Dr. Kenzler, BT-Drucks. 14/6036 S. 120 f.;
vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. 2006, § 139 Rdn. 117e). Ein
Ausforschungsverbot ist dem Wortlaut dieser Bestimmung allerdings nicht zu
entnehmen, jedoch ist sie nach ihrem Absatz 2 Dritten gegenüber dadurch be-
37
- 18 -
grenzt, dass Zumutbarkeit und ein Zeugnisverweigerungsrecht nach den
§§ 383 bis 385 ZPO Schranken für die Vorlageverpflichtung bilden. Hierzu hat
das Berufungsgericht indessen nur bemerkt, es sei vorgetragen worden, die
Urkunde beziehe sich auf ein Geheimverfahren; die Ablehnung einer Vorlage-
anordnung hat es allerdings darauf gestützt, dass der rechtserhebliche Bezug
der Darstellung zum Streitstoff nicht ausreichend dargelegt sei.
c) Die Revision meint demgegenüber, der Kläger habe alle ihm vernünf-
tigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung seiner An-
sprüche vorgelegt, sich aber weiterhin in Beweisnot befunden. Das Berufungs-
gericht habe die Beweiserheblichkeit des Fließbilds 9.1. mit widersprüchlichen
und denkgesetzwidrigen Erwägungen verneint. Dafür, dass der Gerichtsgut-
achter dieses Fließbild eingesehen habe, spreche nichts. Damit ständen sich
die Behauptung des Klägers über den Inhalt der Zeichnung und die Behaup-
tung der früheren Beklagten zu 3 gegenüber, diese zeige nur die Einrichtungen
zur Entstickung und Dioxinverminderung. Vom klagenden Patentinhaber könne
aber jedenfalls nicht verlangt werden, dass er als Voraussetzung einer Vorla-
geanordnung den genauen beweiserheblichen Inhalt der vorzulegenden Ur-
kunde vortrage und nachweise; die Anforderungen an seinen Vortrag müssten
vielmehr deutlich niedriger liegen. Ausreichend sein müsse eine gewisse Sub-
stantiierung des beweiserheblichen Inhalts zusammen mit einer Darlegung der
Quelle für den Vortrag. Abzulehnen sei (mit Schlosser, JZ 2003, 427, 428
- Anm. zu BGHZ 150, 377 - Faxkarte) die verbreitete Auffassung, § 142
ZPO n.F. dürfe nicht zu einer Ausforschung der Gegenseite führen. Die Be-
stimmung diene auch zu Beweiszwecken, was sich schon aus ihrer Stellung im
Gesetz ergebe. Deshalb könne als Voraussetzung für eine Vorlageanordnung
nur ein im wesentlichen schlüssiger Klagevortrag und eine schlüssige Darle-
gung verlangt werden, dass die Unterlagen entscheidungserheblich sein könn-
ten. Bei der Anwendung dieser Bestimmung seien in Angelegenheiten des ge-
38
- 19 -
werblichen Rechtsschutzes die sich aus dem TRIPS-Übereinkommen erge-
benden Verpflichtungen zu beachten, wie dies zu § 809 BGB im "Faxkarte"-
Urteil des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 150, 377) entschieden
sei. Entsprechendes müsse für die prozessuale Bestimmung des § 142 ZPO
n.F. gelten.
Die Beklagte wendet sich gegen die Annahme einer Erheblichkeit des
Plans mit dem Fließbild; dieser zeige nur die nach einem Geheimverfahren
durchgeführte Entstickung, nicht aber das gesamte auf der R. betriebene
Verfahren. Auf Grund ins Blaue hinein erfolgenden Parteivortrags dürften Ur-
kunden vom Gericht nicht angefordert werden. Eine Beweiserheblichkeit in die-
sem Sinn habe das Berufungsgericht zutreffend mit der Begründung verneint,
es sei nicht Aufgabe des Gerichts, mit Hilfe des § 142 ZPO n.F. die Beweislast-
regeln der Zivilprozessordnung zu revidieren oder ausforschend eigene Ermitt-
lungen anzustellen.
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40
d) aa) Art. 43 des TRIPS-Übereinkommens bezieht sich anders als
§ 142 ZPO n.F. seinem Wortlaut nach nur auf Beweismittel, die sich in der Ver-
fügungsgewalt des Gegners befinden und nicht auch auf solche, die wie hier in
der Verfügungsgewalt eines Dritten sind (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski PatG,
10. Aufl. 2006, § 139 PatG Rdn. 117e a.E.). Dass die frühere Beklagte zu 3
- von Anfang an ohne Rechtsgrundlage - mitverklagt worden war, kann den
Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht erweitern. Es kommt daher nicht
darauf an, ob diese Bestimmung im Inland unmittelbar anwendbar ist (vernei-
nend insoweit BGHZ 150, 377, 385 - Faxkarte).
bb) Allerdings sind die fraglichen Bestimmungen des deutschen Rechts
in einer Weise auszulegen, dass mit ihrer Hilfe den Anforderungen des TRIPS-
Übereinkommens Genüge getan wird (BGHZ 150, 377, 385; vgl. auch Til-
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- 20 -
mann/Schreibauer, GRUR 2002, 1017; dies., FS W. Erdmann (2002), 901, 909
ff.). Die Bestimmung des § 142 ZPO n.F. ist wie die materiellrechtliche Norm
des § 809 BGB ein Mittel, einem Beweisnotstand des Klägers zu begegnen,
wie er sich gerade im Bereich der besonders verletzlichen technischen Schutz-
rechte in besonderem Maß ergeben kann (vgl. etwa Tilmann/Schreibauer FS
W. Erdmann (2002), 901 ff.). Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes
kommt einer Bestimmung wie der des § 142 ZPO n.F. nunmehr auch die Funk-
tion zu, die Maßnahmen zu verwirklichen, die nach Art. 6 der bis zum 26. April
2006 in das nationale Recht umzusetzenden Richtlinie 2004/48/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der
Rechte des geistigen Eigentums (berichtigte Fassung ABl. EG L 195/16 vom
2.6.2004, nachfolgend: Durchsetzungsrichtlinie) zur Vorlage von Beweismitteln
vorgesehen sind und die etwa das französische Recht in Form der "saisie
contrefaçon" oder das Recht des Vereinigten Königreichs in Form der "search
order" ("Anton Piller Order") kennen (vgl. BGHZ 150, 377, 385 - Faxkarte; Ben-
kard/Rogge/Grabinski aaO. PatG § 139 Rdn. 117a m.w.N.). Gerade die Rege-
lungen im TRIPS-Übereinkommen und in der Durchsetzungsrichtlinie zeigen
zudem, dass eine differenzierte Betrachtung und Anwendung von generell for-
mulierten Bestimmungen wie des § 809 BGB und des § 142 ZPO n.F. in ver-
schiedenen Rechtsgebieten, wie etwa im gewerblichen Rechtsschutz insge-
samt und insbesondere bei den technischen Schutzrechten, nicht nur ange-
bracht, sondern jedenfalls insoweit auch geboten ist, als eine differenzierte Re-
gelung nicht spezialgesetzlich erfolgt ist (vgl. auch die Durchsetzungsrichtlinie,
Erwägungsgründe 7 bis 10). An derartigen spezialgesetzlichen Regelungen
fehlt es bisher, und sie sind nach dem derzeitigen Stand der Gesetzgebungs-
arbeiten auch nicht vorgesehen.
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cc) Bei Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte kann eine
Vorlegung von Urkunden oder sonstigen Unterlagen nach § 142 ZPO n.F.
- 21 -
demnach jedenfalls dann angeordnet werden, wenn diese zur Aufklärung des
Sachverhalts geeignet und erforderlich, weiter verhältnismäßig und angemes-
sen, d.h. dem zur Vorlage Verpflichteten bei Berücksichtigung seiner rechtlich
geschützten Interessen nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumut-
bar ist. Dabei kann für die Abwägung nach Sachlage auch auf die Intensität
des Eingriffs in das Schutzrecht und in die rechtlich geschützten Interessen des
von der Vorlage Betroffenen abzustellen sein. Das Zumutbarkeitserfordernis
ergibt sich gegenüber dem Prozessgegner anders als bei Dritten allerdings
nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der maßgeblichen Norm des § 142 ZPO
n.F., es ist aber unmittelbar aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, etwa in Art.
12 Abs. 1 GG, abzuleiten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.3.2006, 1 BvR 2087/03,
1 BvR 2111/03, WM 2006, 880). Die Einschaltung einer zur Verschwiegenheit
verpflichteten Person allein wird jedenfalls nicht ohne weiteres in Betracht
kommen (vgl. BVerfG aaO., juris-Tz. 108, 109, zum "in camera"-Verfahren
Tz. 112). Belangen des Dritten könnte erforderlichenfalls jedoch dadurch Rech-
nung getragen werden, dass diesem gestattet wird, die vorzulegenden Unterla-
gen soweit unkenntlich zu machen, als rechtlich geschützte Interessen des
Dritten einer Vorlage entgegenstehen.
dd) Als Anlass für eine Vorlageanordnung kann es ausreichen, dass ei-
ne Benutzung des Gegenstands des Schutzrechts wahrscheinlich ist (vgl. auch
den Vorschlag zu § 140c PatG in dem nach Ergehen der angefochtenen Ent-
scheidung, der Öffentlichkeit zugänglich gemachten, vom Bundesministerium
der Justiz vorgelegten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung
der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom 3.1.2006). Die Lite-
ratur hat allerdings überwiegend konkretisierten Tatsachenvortrag desjenigen
verlangt, der die Vorlageanordnung nach § 142 ZPO n.F. begehrt, und eine
Ausforschung als unzulässig angesehen (vgl. Stadler in Musielak, ZPO, 4.
Aufl., § 142 Rdn. 1; Greger in Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 142 Rdn. 2; Leipold
43
- 22 -
in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 142 Rdn. 9; Reicholdin Thomas/Putzo, ZPO,
27. Aufl. 2005, § 142 Rdn. 1; Hartmannin Baumbach/Lauterbach, ZPO,
64. Aufl. 2006, § 142 Rdn. 2; Bericht zu dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung usw. (Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses) BT-Drucks.
14/6036 S. 120; Zekoll/Bolt, Die Pflicht zur Vorlage von Urkunden im Zivilpro-
zess …, NJW 2002, 3129, 3130; anders Wöstmann in Hk-ZPO, § 142 Rdn. 2).
In der Instanzrechtsprechung ist die Erforderlichkeit einer Substantiierung - so-
weit ersichtlich - durchgehend bejaht und ein "globales" Vorlageverlangen als
nicht ausreichend angesehen worden (vgl. LG Karlsruhe, Entsch. v. 24.1.2005
- 4 O 67/04, Volltext in juris; OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.12.2004
- 13 W 98/04, Volltext in juris; LAG Berlin, Urt. v. 13.12.2002 - 6 Sa 1628/02
Volltext in juris, Ls. auch in EzA-SD 2003, Nr. 4, 13). Der I. Zivilsenat des Bun-
desgerichtshofs hat in seinem in einer Urheberrechtssache ergangenen "Fax-
karte"-Urteil (BGHZ 150, 377, 386) zu § 809 BGB einen "gewissen Grad" an
Wahrscheinlichkeit ausreichen lassen, dass eine Rechtsverletzung vorliegt,
allerdings nicht schon eine entfernte Möglichkeit; diesen "gewissen Grad" las-
sen u.a. auch LG Nürnberg-Fürth CR 2004, 890; LG Nürnberg-Fürth InstGE 5,
153, 155; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 327; OLG Düsseldorf v. 3.1.2003
- 2 U 71/00, Ls. in Mitt. 2003, 333; LG Hamburg InstGE 4, 293, 295 und nach-
folgend OLG Hamburg InstGE 5, 294, 299 genügen. Der materiellrechtliche
Vorlageanspruch aus § 809 BGB besteht schon dann, wenn ungewiss ist, ob
eine Rechtsverletzung vorliegt (RGZ 69, 401, 405 f. - Nietzsche-Briefe; Sen.
BGHZ 93, 191, 203 f. - Druckbalken; BGHZ 150, 377, 384 - Faxkarte); das
Ausforschungsverbot steht dem nicht entgegen (BGHZ 150, 385 - Faxkarte
m.w.N., wo darauf hingewiesen wird, dass prozessuale Darlegungspflichten
das Ausforschungsverbot ohnehin einschränken). Diese Rechtsprechung
ist
bei Anwendung der
Bestimmung des § 142 ZPO n.F. entsprechend heranzu-
ziehen. Nach der Wertentscheidung des nationalen Gesetzgebers, die Grund-
sätze, wie sie gegenüber dem Prozessgegner gelten, mit den Einschränkungen
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des § 142 Abs. 2 ZPO n.F. auch gegenüber Dritten anzuwenden, kann insoweit
nichts anderes gelten. Die Wahrscheinlichkeit wird das Berufungsgericht bei
seiner erneuten Befassung zu beurteilen haben.
ee) Einer Vorlageanordnung steht im vorliegenden Fall nicht entgegen,
dass der Kläger keine Ansprüche wegen Patentverletzung geltend macht, son-
dern solche aus lizenzvertraglichen Verpflichtungen. Wie schon Art. 28 Abs. 2
TRIPS-Übk. zeigt, sind insoweit die gleichen Grundsätze wie bei Schutzrechts-
verletzungen anzuwenden.
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e) Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Ablehnung einer Vorlagean-
ordnung auf die Feststellung beschränkt, dass der gerichtliche Sachverständi-
ge die Anlage in Augenschein genommen habe und sich damit ein ausreichen-
des Bild von ihr habe machen können.
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aa) Damit hat das Berufungsgericht nicht aufgeklärt, was der Sachver-
ständige tatsächlich zu Gesicht bekommen hat. Anhaltspunkte dafür, dass er
die Zeichnung eingesehen hat, finden sich im Berufungsurteil nicht. Das ist, wie
die Revision mit Recht rügt, keine hinreichende Grundlage für die Ablehnung.
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bb) Die Anforderungen an eine Vorlageanordnung hat das Berufungsge-
richt auch mit seiner Begründung, § 142 n.F. ZPO diene nicht dazu, die Be-
weislastregeln der Zivilprozessordnung zu revidieren, verkannt. Dies folgt
schon aus der Rechtsprechung des Senats zur sekundären Darlegungslast im
Patentrecht (vgl. Sen.Urt. v. 30.9.2003 - X ZR 114/00, GRUR 2004, 268, 269
- blasenfreie Gummibahn II; v. 22.11.2005 - X ZR 81/01, GRUR 2006, 313, 315
- Stapeltrockner; v. 16.5.2006 - X ZR 169/04 - Kunststoffbügel, zur Veröffentli-
chung in BGHZ vorgesehen).
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f) Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der vorstehenden Aus-
führungen erneut zu prüfen haben, ob es eine Vorlage des Plans mit dem
Fließbild anordnet. Diese wird allerdings nicht erforderlich sein, wenn es bereits
aus anderen Gründen zu dem Ergebnis kommt, dass auch die Merkmale des
Patentanspruchs 1 verwirklicht werden, hinsichtlich derer es dies bisher ver-
neint hat.
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Melullis Keukenschrijver
Ambrosius
Mühlens
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.03.2000 - 7 O 11125/97 -
OLG München, Entscheidung vom 10.07.2003 - 6 U 3231/00 -