Urteil des BGH vom 11.02.2008
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 291/06
vom
11. Februar 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GmbHG §§ 47, 64 Abs. 2
a) Verpflichtet der Alleingesellschafter einer GmbH bei der aufschiebend bedingten
Abtretung seiner Anteile den Erwerber, einen Geschäftsführerwechsel zu be-
schließen, ist darin die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht zu sehen und die
entsprechende Beschlussfassung des Erwerbers in eine solche im Namen des
Veräußerers umzudeuten.
b) Die bloße Tatsache, dass der Veräußerer in dem vorgenannten Fall die Verfü-
gungsgewalt über das Bankkonto der Gesellschaft behält, genügt für seine Quali-
fikation als "faktischer Geschäftsführer" noch nicht.
c) § 64 Abs. 2 GmbHG statuiert einen "Ersatzanspruch eigener Art" gegen den Ge-
schäftsführer (vgl. BGHZ 146, 264, 278) und ist kein einer Teilnahme Dritter
(§ 830 BGB) zugänglicher Deliktstatbestand.
BGH, Hinweisbeschluss vom 11. Februar 2008 - II ZR 291/06 - OLG Celle
LG Stade
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 11. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher
einstimmig beschlossen:
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beab-
sichtigt, die Revision des Klägers durch Beschluss gemäß § 552 a
ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO)
liegen nicht vor. Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg.
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I. Die nach der (irrigen) Auffassung des Berufungsgerichts Anlass zur Zu-
lassung der Revision gebenden Rechtsfragen betreffen allein die von dem Klä-
ger verfolgten Ansprüche aus § 64 Abs. 2 GmbHG, nicht dagegen die Insol-
venzanfechtung der Zahlung von 5.858,00 € seitens der R. GmbH. Darin ist
eine entsprechende Beschränkung der Revisionszulassung zu sehen, die sich
auch aus der Begründung der Zulassungsentscheidung ergeben kann (vgl.
BGHZ 153, 358, 360; Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 543 Rdn. 16 m.w.Nachw.).
Zulassungsgründe im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen im Übrigen auch hin-
sichtlich der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Insolvenzanfechtung
nicht vor.
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II. Die von dem Berufungsgericht und der Revision aufgeworfenen
Rechtsfragen sind, soweit sie die Zulässigkeit einer sog. "Legitimationsermäch-
tigung" betreffen, nicht entscheidungserheblich; die weiteren Fragen der Darle-
gungs- und Substantiierungslast des Klägers hinsichtlich einer faktischen Ge-
schäftsführerstellung des Beklagten im Rechtsstreit um Ansprüche aus § 64
Abs. 2 GmbHG sind einzelfallabhängig und nicht allgemein klärungsfähig oder
klärungsbedürftig.
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1. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die Ansicht des Berufungsge-
richts, die rechtliche Geschäftsführerstellung des Beklagten sei spätestens am
4. Juni 2003 beendet worden. Abgesehen davon, dass die Abtretung der Ge-
schäftsanteile des Beklagten an den Erwerber W. in § 3 Abs. 3 des notariellen
Anteilsveräußerungsvertrages vom 2. Juni 2003 bei der Gesellschaft (bzw. der
späteren Schuldnerin) bereits angemeldet worden ist (§ 16 Abs. 1 GmbHG), hat
sich der Anteilserwerber in § 5 des Veräußerungsvertrages verpflichtet, einen
Geschäftsführerwechsel zu beschließen, und ist dieser (gemäß § 271 BGB so-
fort fälligen) Verpflichtung noch im Notartermin in Anwesenheit des Beklagten
nachgekommen. Selbst wenn man wegen der aufschiebenden Bedingung
(Kaufpreiszahlung) des Anteilsveräußerungsvertrages von einer noch nicht
wirksamen Anmeldung des Anteilsübergangs i.S. von § 16 Abs. 1 GmbHG aus-
geht (vgl. dazu Sen.Urt. v. 15. April 1991 - II ZR 209/90, ZIP 1991, 724, 726),
der Kläger also noch Alleingesellschafter der Schuldnerin blieb, so wäre jeden-
falls in der Vereinbarung des Geschäftsführerwechsels die Erteilung einer zu-
lässigen Stimmrechtsvollmacht zu sehen und die Beschlussfassung des Erwer-
bers im scheinbar eigenen Namen in eine solche im Namen des Beklagten um-
zudeuten (vgl. Scholz/K. Schmidt, GmbHG 10. Aufl. § 47 Rdn. 20, 22), weil die
Vertragsparteien, insbesondere der Beklagte, den Geschäftsführerwechsel auf
jeden Fall herbeiführen wollten. Dies zeigt auch die von dem Beklagten
- offenbar auf Anraten des beurkundenden Notars nachgereichte und als vor-
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sorgliche Maßnahme zu verstehende - Genehmigung des von dem Erwerber
"als vollmachtloser Vertreter" gefassten Beschlusses. Da hierin sowie auch
schon in der kaufvertraglichen Vereinbarung und in der Unterzeichnung der no-
tariellen Urkunde durch den Beklagten nach der Beschlussfassung zugleich der
eigene Wille des Beklagten zur Herbeiführung des Geschäftsführerwechsels
zum Ausdruck kommt, könnte darin im Übrigen auch eine entsprechende - hin-
reichend dokumentierte - "Entschließung" bzw. Beschlussfassung des Beklag-
ten selbst als Alleingesellschafter gesehen werden (vgl. Sen.Urt. v. 27. März
1995 - II ZR 140/93, ZIP 1995, 643, 645). Auf die Frage der Zulässigkeit einer
sog. "Legitimationszession" (vgl. dazu Scholz/K. Schmidt aaO § 47 Rdn. 21)
kommt es unter den vorliegenden Umständen - entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts - jedenfalls nicht an.
2. Soweit das Berufungsgericht eine faktische Geschäftsführerstellung
des Beklagten in der Zeit nach dem Geschäftsführerwechsel nicht für dargetan
erachtet hat, ist das eine aus Rechtsgründen nicht zu beanstandende, tatrich-
terliche Würdigung. Eine faktische Geschäftsführerstellung erfordert den Nach-
weis, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Han-
deln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungs-
organs nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat (BGHZ 150,
61, 69 f.; Sen.Urt. v. 11. Juli 2005 - II ZR 135/03, ZIP 2005, 1550). Dafür reicht
nicht aus, dass der Beklagte den Zugriff auf das Gesellschaftskonto behielt und
einzelne Zahlungen - nach seinem Vortrag auf Weisung des neuen Geschäfts-
führers - abwickelte, ohne die Bank, der er einige Monate zuvor einen Handels-
registerauszug über seine Bestellung als Geschäftsführer vorgelegt hatte, von
der Beendigung seines Geschäftsführeramtes in Kenntnis zu setzen. Ein An-
teilsveräußerer, der - wie der Beklagte - den Kaufpreis für seine Anteile noch
nicht erhalten hat, kann sich die Verfügungsgewalt über das Gesellschaftskonto
z.B. auch zu Sicherungszwecken vorbehalten, ohne dadurch zum faktischen
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Geschäftsführer zu werden. Dass der Beklagte auch sonst Geschäftsführungs-
handlungen vornahm und die Geschicke der Schuldnerin bestimmte, hat der
Kläger nicht dargetan, obwohl er, worauf das Berufungsgericht zutreffend hin-
weist, umfassenden Zugriff auf die gesamten Geschäftsunterlagen der Gemein-
schuldnerin hat. Unerheblich ist, ob der Beklagte sich der Bank gegenüber noch
als Geschäftsführer geriert hat.
3. Den bloßen "Verdacht", dass der Beklagte im Zusammenwirken mit
dem Anteilserwerber eine gezielte "Bestattung" der GmbH unter Ausplünderung
ihres Restvermögens vorgenommen haben könnte, hat das Berufungsgericht
tatrichterlich vertretbar nicht für ausreichend erachtet. Soweit die Revision
meint, der Beklagte habe jedenfalls an einer gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 1 und
Abs. 2 GmbHG strafbaren Insolvenzverschleppung mitgewirkt, könnte das der
Revision schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil sich daraus i.V.m.
§§ 64 Abs. 1 GmbHG, 823 Abs. 2 BGB nur ein Anspruch auf Ersatz eines Quo-
tenschadens der Altgläubiger ergeben könnte (vgl. BGHZ 126, 181, 190; 138,
211, 214 ff.), der Kläger aber einen solchen Schaden weder dargetan hat noch
geltend macht, sondern Ersatz für verbotene Zahlungen gemäß § 64 Abs. 2
GmbHG begehrt. Dafür haftet nur der - rechtliche oder faktische - Geschäftsfüh-
rer. Eine Teilnahme Dritter hieran i.S. von § 830 BGB scheidet aus, weil § 64
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Abs. 2 GmbHG kein Deliktstatbestand, sondern eine eigenständige Anspruchs-
grundlage ist, bzw. einen "Ersatzanspruch eigener Art" begründet (BGHZ 146,
264, 278).
Goette Kurzwelly Kraemer
Caliebe Drescher
Hinweis:
worden.
Vorinstanzen:
LG Stade, Entscheidung vom 11.04.2006 - 4 O 305/04 -
OLG Celle, Entscheidung vom 15.11.2006 - 9 U 59/06 -