Urteil des BGH vom 22.10.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 88/07 Verkündet
am:
22. Oktober 2009
Führinger
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
WA 1955 Art. 28 Abs. 1; EGBGB Art. 28 Abs. 1 und 4
a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine auf Bestim-
mungen des Warschauer Abkommens 1955 gestützte Schadensersatzklage
ist auch dann gegeben, wenn der Luftfrachtvertrag sachrechtlich zwar dem
Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung des von der Bundesrepublik
Deutschland nicht ratifizierten Protokolls Nr. 4 von Montreal unterliegt, das
beklagte Luftfrachtunternehmen seinen Sitz aber in Deutschland hat.
b) Sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Vermutungsregel des
Art. 28 Abs. 4 EGBGB nicht erfüllt, weil sich in dem Staat, in dem der Beför-
derer seine Hauptniederlassung hat, weder der Verlade- oder Entladeort
noch die Hauptniederlassung des Absenders befinden, so wird das anwend-
bare Recht mit Hilfe der engsten Verbindung nach Art. 28 Abs. 1 EGBGB be-
stimmt. Auf die charakteristische Leistung nach Art. 28 Abs. 2 EGBGB
kommt es bei Güterbeförderungsverträgen nicht an, da diese Vorschrift von
Art. 28 Abs. 4 EGBGB vollständig verdrängt wird.
BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 - I ZR 88/07 - OLG Frankfurt a.M.
LG Darmstadt
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 9. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und
die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Kirchhoff
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats in
Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
18. April 2007 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechts-
mittels im Ausspruch zur Hauptsache teilweise aufgehoben und
insoweit wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter Abweisung der weitergehenden
Klage verurteilt, an die Klägerin 4.885,90 US-Dollar nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basis-
zinssatz seit dem 28. Juli 2004 zu zahlen.
Die Kosten der Revision werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Transportversicherer der B. S/A in Kopenhagen/
Dänemark (im Weiteren: Empfängerin). Sie nimmt die Beklagte, ein deutsches
Luftfrachtunternehmen mit Sitz in Kelsterbach, aus übergegangenem Recht der
Empfängerin wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in An-
spruch.
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Die Empfängerin kaufte Ende April/Anfang Mai 2003 insgesamt
4.500 Computerbauteile zum Preis von 247.500 US-Dollar von einem in Istan-
bul/Türkei ansässigen Unternehmen. Die Beklagte übernahm die Ware Anfang
Mai 2003 in Mailand/Italien, um sie per Luftfracht zur Empfängerin zu befördern.
Das Gut ging während des Lufttransports verloren.
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Die Klägerin zahlte deshalb an die Empfängerin den mit der Klage gel-
tend gemachten Betrag von 247.500 US-Dollar. Sie ist der Auffassung, die Be-
klagte hafte für den durch den Verlust eingetretenen Schaden gemäß Art. 25
des Warschauer Abkommens in der Fassung von Den Haag 1955 (WA 1955)
unbeschränkt, weil ihr ein qualifiziertes Verschulden im Sinne dieser Vorschrift
zur Last falle. Die Beklagte habe nicht einmal ansatzweise dargelegt, auf wel-
che Weise die Ware verlorengegangen sei und welche organisatorischen
Schritte sie zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Gütertransports veran-
lasst habe. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergebe sich
sowohl aus § 17 ZPO als auch aus Art. 28 Abs. 1 WA 1955, da die Beklagte
ihren Sitz in Deutschland habe.
Die Beklagte hat insbesondere die internationale Zuständigkeit der deut-
schen Gerichte in Abrede gestellt. Der streitgegenständliche Güterbeförde-
rungsvertrag unterstehe dem Haftungsregime des Warschauer Abkommens
1955 in der Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 (MP Nr. 4), da so-
wohl der Abgangsort (Mailand) als auch der Bestimmungsort (Kopenhagen) in
Vertragsstaaten des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 lägen. Da Deutschland
dieses Protokoll nicht ratifiziert habe, scheide ein deutscher Gerichtsstand aus.
Selbst wenn die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben
wäre, verbliebe es jedenfalls sachlich-rechtlich bei der limitierten Haftung der
Beklagten gemäß Art. VII lit. b MP Nr. 4.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Be-
klagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels und unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verur-
teilt, an die Klägerin 4.627,67 US-Dollar nebst Zinsen zu zahlen (OLG Frankfurt
a.M. TranspR 2007, 367).
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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Kläge-
rin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt,
das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deut-
schen Gerichte bejaht und in der Sache angenommen, dass die Haftung der
Beklagten für den eingetretenen Verlust gemäß Art. VII lit. b MP Nr. 4 begrenzt
sei. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt:
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Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entschei-
dung des Rechtsstreits ergebe sich aus Art. 28 Abs. 1 WA 1955. Dies gelte
auch dann, wenn das streitgegenständliche Rechtsverhältnis dem Warschauer
Abkommen 1955 in der Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 unter-
liege. Die Bundesrepublik Deutschland sei Hoher Vertragschließender Teil i.S.
des Art. 28 Abs. 1 WA 1955. Entscheidend sei allein, dass das angerufene Ge-
richt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland liege, die dem Warschauer Ab-
kommen 1955 beigetreten sei.
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Auf den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch
komme das Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung des Montrealer Zu-
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satzprotokolls Nr. 4 unmittelbar zur Anwendung. Dies ergebe sich schon aus
der von den Parteien im Luftfrachtbrief unter Ziffer 2.2.1 getroffenen Rechts-
wahl. Die Ermittlung des Vertragsstatuts nach dem deutschen internationalen
Privatrecht (Art. 28 EGBGB) führte im Übrigen zu keiner anderen Beurteilung.
Die spezielle Regelung für Güterbeförderungsverträge in Art. 28 Abs. 4 EGBGB
sei im Streitfall allerdings nicht einschlägig. Nach dem deshalb anzuwendenden
Art. 28 Abs. 1 EGBGB unterliege ein Vertrag dem Recht desjenigen Staates,
mit dem er die engsten Verbindungen aufweise. Dies sei im vorliegenden Fall
Italien. Hier habe die Beklagte den Beförderungsauftrag von einem italienischen
Spediteur erhalten. Der Transport habe von Italien nach Dänemark durchge-
führt werden sollen. Dort betätige sich die Beklagte auch gewerblich. Da Italien
- ebenso wie Dänemark - Signatarstaat des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4
sei, finde sachlich-rechtlich das Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung
dieses Zusatzprotokolls Anwendung.
Nach Art. 22 Abs. 2 lit. b WA 1955 in der Fassung des Montrealer Zu-
satzprotokolls Nr. 4 hafte die Beklagte nur beschränkt mit 17 Sonderziehungs-
rechten (SZR) pro Kilogramm. Dementsprechend sei der Klägerin angesichts
dessen, dass das Gewicht der Sendung 180 Kilogramm betragen habe, eine
Schadensersatzforderung in Höhe von 4.627,67 US-Dollar zuzuerkennen.
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II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin hat nur
in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht die internatio-
nale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht und auch zutreffend ange-
nommen, dass auf den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatz-
anspruch das Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung des Montrealer Zu-
satzprotokolls Nr. 4 zur Anwendung kommt. Danach steht der Klägerin eine
Schadensersatzforderung in Höhe von 4.885,90 US-Dollar zu.
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1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die auch un-
ter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz zu prüfen ist (vgl.
BGH, Urt. v. 20.11.2008 - I ZR 70/06, TranspR 2009, 26 Tz. 17 = VersR 2009,
807 m.w.N.), ergibt sich für die gegen die in Deutschland ansässige Beklagte
gerichtete Klage entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung aus Art. 28
Abs. 1 WA 1955.
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a) Nach dieser Vorschrift muss eine auf Bestimmungen des Warschauer
Abkommens gestützte Schadensersatzklage in dem Gebiet eines der Hohen
Vertragschließenden Teile erhoben werden. Der Kläger hat die Wahl zwischen
vier Gerichtsständen, die alle auf dem Gebiet eines Vertragsstaates liegen
müssen. Er kann den Luftfrachtführer unter anderem dort verklagen, wo dieser
seinen Wohnsitz hat. Die Beklagte hat ihren Sitz in Kelsterbach, also in der
Bundesrepublik Deutschland, die aufgrund der Ratifizierung des Warschauer
Abkommens 1955 seit dem 1. August 1963 zu den Vertragsstaaten des Ab-
kommens gehört. Danach ist gemäß Art. 28 Abs. 1 WA 1955 die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben. Des Weiteren kann die Klage
auf Schadensersatz bei dem Gericht des Bestimmungsortes erhoben werden.
Das in Verlust geratene Gut sollte nach Kopenhagen/Dänemark befördert wer-
den. Auch Dänemark gehört zu den Vertragsstaaten des Warschauer Abkom-
mens 1955 (s. Koller, Transportrecht, 6. Aufl., Art. 1 WA 1955 Rdn. 11). Der
Abgangsort des Gutes (Mailand/Italien) wird zwar nicht in Art. 28 Abs. 1 WA
1955 genannt, er liegt aber ebenfalls im Gebiet eines Vertragsstaates des War-
schauer Abkommens 1955 (s. Koller aaO Art. 1 WA 1955 Rdn. 11). Der Um-
stand, dass alle im vorliegenden Fall berührten Staaten dem Warschauer Ab-
kommen 1955 beigetreten sind, führt dazu, dass nach Art. 28 Abs. 1 WA 1955
die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage auf Scha-
densersatz gegeben ist.
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b) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist es für die Beur-
teilung der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ohne Be-
deutung, dass der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch
sachlich-rechtlich den Bestimmungen des Warschauer Abkommens 1955 in der
Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 unterliegt, das Deutschland
nicht ratifiziert hat. Dieser Umstand führt nicht dazu, dass die Klage nur in ei-
nem Staat erhoben werden kann, der diesem Zusatzprotokoll beigetreten ist.
Dem Zusatzprotokoll kommt bei der Frage, welche Gerichte international zu-
ständig sind, keine Sperrwirkung zu, da dieses Protokoll Art. 28 Abs. 1 WA
1955 unverändert gelassen hat. Die Gerichte eines Staates, der das Zusatzpro-
tokoll nicht ratifiziert hat, sind nicht gehindert, auf den erhobenen Schadenser-
satzanspruch das Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung des Zusatzpro-
tokolls anzuwenden (vgl. zur Anwendung des taiwanesischen Rechts durch
deutsche Gerichte BGH, Urt. v. 20.10.2008 - I ZR 12/06, TranspR 2009, 130
Tz. 22).
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2. Die Schadensersatzpflicht der Beklagten für den Verlust des Trans-
portguts ergibt sich - wovon ersichtlich auch das Berufungsgericht ausgegan-
gen ist - dem Grunde nach aus Art. 18 Abs. 1 WA 1955. Nach dieser Vorschrift
hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Verlust von Gütern
entsteht, wenn das Schadensereignis während der Luftbeförderung eingetreten
ist. Die Beklagte hat das abhandengekommene Gut unstreitig in Mailand über-
nommen. Eine Ablieferung bei der bestimmungsgemäßen Empfängerin in Ko-
penhagen ist nicht erfolgt, so dass davon auszugehen ist, dass der Verlust wäh-
rend des Obhutszeitraums der Beklagten eingetreten ist. Die Beklagte stellt
auch nicht in Abrede, dass sie für den Verlust grundsätzlich haftet.
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Gemäß Art. 13 Abs. 3 WA 1955 kann der Empfänger des Gutes die
Rechte aus dem Luftfrachtvertrag gegen den Luftfrachtführer geltend machen,
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wenn der Verlust des Gutes - wie im Streitfall - vom Luftfrachtführer anerkannt
worden ist. Der ursprünglich der Empfängerin zustehende Schadensersatzan-
spruch ist - worüber zwischen den Parteien kein Streit mehr besteht - kraft Ge-
setzes auf die Klägerin übergegangen, da sie die Empfängerin für den Verlust
entschädigt hat.
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3. Die Revision wendet sich ohne Erfolg dagegen, dass das Berufungs-
gericht auf den Schadensfall das Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung
des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 angewandt und den Schadensersatzan-
spruch der Klägerin dementsprechend gemäß Art. 22 Abs. 2 lit. b WA 1955 auf
17 Sonderziehungsrechte je Kilogramm des verlorengegangenen Gutes be-
grenzt hat.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Parteien des Luftfracht-
vertrags hätten im Luftfrachtbrief unter Ziffer 2.2.1 eine Rechtswahl dahinge-
hend getroffen, dass damit alle möglichen Kombinationsformen (s. dazu
Giemulla in Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Bd. 3 Warschauer
Abkommen, Einl. WA Rdn. 15) erfasst sein sollten. Die im konkreten Fall ein-
schlägige Fassung ergebe sich zwingend aus dem jeweiligen Ratifikationsstand
und werde durch die vertraglich vereinbarte Transportstrecke bestimmt, die für
die streitgegenständliche Beförderung von Mailand nach Kopenhagen habe
verlaufen sollen. Da sowohl Italien als auch Dänemark das Montrealer Zusatz-
protokoll Nr. 4 ratifiziert hätten, beurteile sich die Haftung der Beklagten nach
dem Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung dieses Zusatzprotokolls.
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Zu diesem Ergebnis gelange man auch, wenn das anzuwendende Ver-
tragsstatut gemäß Art. 28 EGBGB zu ermitteln wäre. Das deutsche internatio-
nale Privatrecht verweise auf italienisches Recht. Da Italien das Montrealer Zu-
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satzprotokoll Nr. 4 ratifiziert habe, komme das Warschauer Abkommen 1955 in
dieser Fassung zur Anwendung.
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b) Die Revision rügt, die vom Berufungsgericht vorgenommene Ausle-
gung der im Luftfrachtbrief getroffenen Rechtswahl sei fehlerhaft. Sie meint, das
Berufungsgericht habe übersehen, dass die Beklagte als Klauselverwenderin
den Begriff "Warsaw Convention" in Ziffer 1 ihrer Allgemeinen Vertragsbedin-
gungen ausdrücklich dahingehend definiert habe, dass damit das am 12. Okto-
ber 1929 verabschiedete Ursprungsabkommen oder das am 28. September
1955 in Den Haag unterzeichnete Abkommen gemeint seien, je nachdem, wel-
ches Abkommen anwendbar sei.
Die unmittelbare Anwendbarkeit des Warschauer Abkommens 1955 er-
gebe sich zudem aus dessen Art. 1 Abs. 2. Der Abgangsort und der Bestim-
mungsort hätten nach den Vereinbarungen der Parteien in Staaten gelegen, die
(auch) das Warschauer Abkommen 1955 ratifiziert hätten. Die beteiligten Staa-
ten (Italien und Dänemark) seien daher - ebenso wie die Bundesrepublik
Deutschland - als "Hohe Vertragschließende Teile" i.S. von Art. 1 Abs. 2 WA
1955 anzusehen, was zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Abkommens in
dieser Fassung führe.
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c) Dieses Vorbringen verhilft der Revision nicht zum Erfolg.
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aa) Das auf den Streitfall anwendbare Vertragsstatut ist nach den Be-
stimmungen des deutschen internationalen Privatrechts zu ermitteln. Bei Sach-
verhalten mit einer Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates beur-
teilt sich die Frage, welche Rechtsordnungen anzuwenden sind, gemäß Art. 3
Abs. 1 EGBGB grundsätzlich nach den Vorschriften des Einführungsgesetzes
zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Nach Art. 3 Abs. 2 EGBGB haben Regelungen
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in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares inner-
staatliches Recht geworden sind, allerdings Vorrang gegenüber den Bestim-
mungen des EGBGB. Völkerrechtliche Verträge, die ein einheitliches Sachrecht
für internationale Sachverhalte schaffen, verdrängen in ihrem sachlichen, per-
sönlichen und zeitlichen Anwendungsbereich mithin die nationalen Kollisions-
und Sachnormen (vgl. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl.,
§ 1 Rdn. 65; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., § 2 Rdn. 58,
63; Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl., Art. 3 EGBGB Rdn. 6).
In Art. XIV MP Nr. 4 ist bestimmt, dass das Warschauer Abkommen in
der Fassung von Den Haag 1955 und des Protokolls Nr. 4 von Montreal für in-
ternationale Beförderungen i.S. des Art. 1 des Abkommens gilt, sofern der Ab-
gangs- und der Bestimmungsort in den Gebieten von zwei Vertragsstaaten die-
ses Protokolls liegen. Nach dieser Vorschrift unterliegt der Transport im Streit-
fall den Bestimmungen des Warschauer Abkommens 1955 in der Fassung des
Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4, da die Beklagte das Transportgut in Italien,
einem Vertragsstaat des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4, zur Beförderung
nach Dänemark, das ebenfalls Vertragsstaat dieses Zusatzprotokolls ist,
übernommen hatte. Einer direkten Anwendung des Warschauer Abkommens
1955 in der Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 durch die deutschen
Gerichte steht jedoch der Umstand entgegen, dass die Bundesrepublik
Deutschland das Zusatzprotokoll nicht ratifiziert hat, so dass es nicht unmittel-
bar anwendbares innerstaatliches Recht i.S. von Art. 3 Abs. 2 EGBGB gewor-
den ist. Das auf den Streitfall anwendbare Vertragsstatut ist demzufolge gemäß
Art. 3 Abs. 1 EGBGB nach den Vorschriften des deutschen internationalen Pri-
vatrechts zu ermitteln.
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Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt ein Vertrag grundsätzlich
dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Bei
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Güterbeförderungsverträgen wird gemäß Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB vermu-
tet, dass sie mit dem Staat die engsten Verbindungen aufweisen, in dem der
Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Hauptniederlassung
hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder Entladeort oder die
Hauptniederlassung des Absenders befindet. Die Beklagte hat ihre Hauptnie-
derlassung zwar in der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Staat liegen
aber weder der Verladeort noch der Entladeort. Ebenso wenig hat der Absender
hier seine Hauptniederlassung. Die Voraussetzungen für die Anwendung der
Vermutungsregel des Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB sind daher nicht erfüllt. Lie-
gen die Erfordernisse des Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB nicht vor, wird das an-
wendbare Recht mit Hilfe der engsten Verbindung nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1
EGBGB bestimmt. Auf die charakteristische Leistung nach Art. 28 Abs. 2
EGBGB kommt es bei Güterbeförderungsverträgen nicht an, da diese Vorschrift
von Art. 28 Abs. 4 EGBGB vollständig verdrängt wird (vgl. OLG München
TranspR 1991, 61; OLG Braunschweig TranspR 1996, 385; MünchKomm.BGB/
Martiny, 4. Aufl., Art. 28 EGBGB Rdn. 67; Palandt/Thorn, BGB, 68. Aufl., Art. 28
EGBGB Rdn. 6; Erman/Hohloch aaO Art. 28 EGBGB Rdn. 25; Mankowski,
TranspR 1993, 213, 224 f.; a.A. OLG Frankfurt NJW-RR 1993, 809; OLG Bre-
men VersR 1996, 868).
Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der streitgegen-
ständliche Beförderungsvertrag die engsten Verbindungen i.S. von Art. 28
Abs. 1 Satz 1 EGBGB zu Italien aufweist. Die Beklagte erhielt den Beförde-
rungsauftrag in Italien von einem italienischen Speditionsunternehmen. Der
Transport sollte von Italien nach Dänemark durchgeführt werden. Schließlich
wurde das Transportgut von der Beklagten in Italien übernommen, wo diese
sich auch gewerblich betätigt. Da Italien Vertragsstaat des Montrealer Zusatz-
protokolls Nr. 4 ist und der von den Parteien vereinbarte Bestimmungsort
(Kopenhagen) ebenfalls in einem Vertragsstaat des Montrealer Zusatzprotokolls
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Nr. 4 liegt, kommt auf den streitgegenständlichen Beförderungsvertrag - wie
bereits dargelegt - das Warschauer Abkommen 1955 in der Fassung dieses
Zusatzprotokolls zur Anwendung.
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bb) Entgegen der Auffassung der Revision wird die Anwendung des
Warschauer Abkommens 1955 in der Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls
Nr. 4 nicht durch eine von den Parteien des Beförderungsvertrags nach Art. 27
Abs. 1 EGBGB getroffene Rechtswahl verdrängt. Es kann offenbleiben, ob die
Beklagte - wie die Revision geltend macht - den Begriff "Warsaw Convention" in
Ziffer 1 ihrer Allgemeinen Vertragsbedingungen ausdrücklich dahingehend defi-
niert hat, dass damit das am 12. Oktober 1929 verabschiedete Ursprungsab-
kommen oder das am 28. September 1955 in Den Haag unterzeichnete Ab-
kommen gemeint seien, je nachdem, welches Abkommen anwendbar sei. Denn
eine Vereinbarung der Parteien des Luftfrachtvertrags, dass die streitgegen-
ständliche Beförderung dem Warschauer Abkommen 1955 und nicht dem War-
schauer Abkommen 1955 in der Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4
unterliege, wäre gemäß Art. 32 Satz 1 WA 1955 unwirksam. Nach dieser Vor-
schrift sind alle vor Eintritt des Schadens getroffenen besonderen Vereinbarun-
gen, worin die Parteien durch Bestimmung des anzuwendenden Rechts oder
durch Änderung der Vorschriften über die Zuständigkeit von dem Abkommen
abweichende Regeln festsetzen, nichtig. Ein Ausschluss der Anwendung des
Montrealer Zusatzprotokolls Nr. 4 würde von Art. XIV WA 1955 in der Fassung
dieses Zusatzprotokolls abweichen. Denn in dieser Vorschrift ist ausdrücklich
bestimmt, dass das Warschauer Abkommen in der Fassung von Den Haag
1955 und des Protokolls Nr. 4 von Montreal für internationale Beförderungen
i.S. des Art. 1 des WA 1955 gilt, sofern der Abgangs- und Bestimmungsort in
den Gebieten von zwei Vertragsstaaten dieses Protokolls liegen. Es widersprä-
che auch dem zwingenden Charakter der Abkommensvorschriften, wenn es
den Vertragsparteien überlassen bliebe zu bestimmen, unter welchem Haf-
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tungsregime des Warschauer Abkommens die Luftbeförderung durchgeführt
werden soll.
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4. Der Luftfrachtführer haftet bei der Beförderung von Gütern gemäß
Art. 22 Abs. 2 lit. b WA 1955 in der Fassung des Montrealer Zusatzprotokolls
Nr. 4 nur bis zu einem Betrag von 17 Sonderziehungsrechten für jedes Kilo-
gramm des verlorengegangenen Gutes. Eine Durchbrechung der Haftungsbe-
grenzung bei qualifiziertem Verschulden des Luftfrachtführers, wie sie in Art. 25
WA 1955 vorgesehen ist, kommt auf der Grundlage des Montrealer Zusatzpro-
tokolls Nr. 4 bei der Güterbeförderung nicht in Betracht (s. Art. IX MP Nr. 4).
Die Umrechnung des zu leistenden Schadensersatzes in die maßgebli-
che Landeswährung - im Streitfall haben sich die Parteien auf US-Dollar geei-
nigt - erfolgt nach Art. 22 Abs. 6 WA 1955 in der Fassung des Montrealer Zu-
satzprotokolls Nr. 4 im Fall eines gerichtlichen Verfahrens nach dem Wert die-
ser Währung in Sonderziehungsrechten im Zeitpunkt der Entscheidung. Maß-
gebend ist der Tag der Verkündung des letztinstanzlichen Urteils, so dass es,
wenn das Revisionsgericht entscheidet, auf dessen Urteil ankommt (vgl. zu
Art. 23 CMR BGH, Urt. v. 6.2.1997 - I ZR 202/94, TranspR 1997, 335, 337
=
VersR 1997, 1298; zu §
660 Abs.
1 HGB BGH, Urt. v. 18.6.2009
- I ZR 140/06, TranspR 2009, 327 Tz. 29; Thume/Thume, Kommentar zur CMR,
2. Aufl., Art. 23 Rdn. 17 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat ein Gewicht des ver-
lorengegangenen Gutes von 180 Kilogramm zugrunde gelegt. Das hat die Re-
vision nicht beanstandet, so dass hiervon auch im Revisionsverfahren auszu-
gehen ist. Bei einem Wert des Sonderziehungsrechts von 1,596700 US-Dollar
am 22. Oktober 2009 ergibt sich danach ein Schadensersatzanspruch der Klä-
gerin in Höhe von 4.885,90 US-Dollar.
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III. Somit hat die Revision lediglich in Höhe eines Betrags von
258,23 US-Dollar Erfolg. Im Übrigen ist sie zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2, § 97 Abs. 1 ZPO.
Bornkamm Pokrant Schaffert
Büscher
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 22.11.2005 - 14 O 235/05 -
OLG Frankfurt a.M., Entscheidung vom 18.04.2007 - 13 U 62/06 -