Urteil des BGH vom 14.05.2009
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 60/08
Verkündet
am:
14. Mai 2009
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BRAO § 43a Abs. 4; ZPO § 80
Ein Verstoß des Rechtsanwalts gegen § 43a Abs. 4 BRAO berührt nicht die Wirk-
samkeit der ihm erteilten Prozessvollmacht und der von ihm namens der Partei vor-
genommenen Prozesshandlungen.
BGH, Urteil vom 14. Mai 2009 - IX ZR 60/08 - LG Neuruppin
AG
Oranienburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und die Richter
Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer und Grupp
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Neuruppin vom 6. März 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger und J. L. sind Rechtsanwälte, die gemeinsam eine
Anwaltssozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts be-
trieben haben. Der Kläger kündigte den Gesellschaftsvertrag; die Gesellschaft
befindet sich in Liquidation. Beide Gesellschafter widerriefen wechselseitig alle
Vollmachten. Die Beklagte wurde von der Anwaltssozietät in verschiedenen
Rechtsangelegenheiten vertreten. Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Kla-
ge für diese Tätigkeiten von der Beklagten Anwaltsvergütung, zahlbar an die in
Liquidation befindliche Anwaltsgesellschaft. Die Beklagte wurde durch Rechts-
anwalt L. vertreten. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Rechts-
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anwalt L. legte für sie Berufung ein und trat für sie in der Berufungsver-
handlung auf. In der mündlichen Verhandlung wies das Berufungsgericht darauf
hin, die Rechtsanwalt L. erteilte Prozessvollmacht könnte unwirksam sein.
Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Mit seiner vom Be-
rufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabwei-
sungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, Rechtsanwalt L. habe bei Beru-
fungseinlegung als vollmachtsloser Vertreter gehandelt, so dass mangels wirk-
samer Prozessvollmacht die Berufung unzulässig sei. Der zwischen der Beklag-
ten und ihrem früheren Prozessbevollmächtigten abgeschlossene Geschäftsbe-
sorgungsvertrag sei gemäß § 138 BGB sittenwidrig; zum Nachteil der Anwalts-
sozietät liege ein sittenwidriges kollusives Zusammenwirken zwischen der Be-
klagten und ihrem ehemaligen Prozessbevollmächtigten vor. Mit der
Übernahme des Mandats habe Rechtsanwalt L. zudem gegen das Tätig-
keitsverbot des § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen. Auch wenn ein starkes Vertrau-
ensverhältnis zwischen der Beklagten und ihrem vormaligen Prozessbevoll-
mächtigten bestanden habe, sei er jedenfalls als gleichzeitiger Gesellschafter
der in Liquidation befindlichen Anwaltssozietät in eine Konfliktsituation geraten.
Der bestehende Interessenwiderstreit werde auch nicht durch den Umstand
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behoben, dass sich der ehemalige Prozessbevollmächtigte - nach dem Vorbrin-
gen der Beklagten - auf die "richtige" Seite gestellt habe. Vielmehr hätte es dem
Anwalt zur Vermeidung einer Konfliktsituation oblegen, nicht aktiv die Interes-
sen der Beklagten zu vertreten.
Der Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot begründe für sich gesehen noch
nicht die Unwirksamkeit der erteilten Vollmacht. Hier komme aber hinzu, dass
der ehemalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten durch die Übernahme des
Mandats in kollusivem Zusammenwirken mit ihr die Durchsetzung von Ansprü-
chen der Anwaltsgesellschaft zu vereiteln versucht habe. Dieses Verhalten sei
gemäß § 138 BGB sittenwidrig und führe nicht nur zur Nichtigkeit des Anwalts-
vertrages, sondern auch zur Unwirksamkeit der erteilten Prozessvollmacht.
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II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
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Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde die Berufung durch
den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten wirksam einge-
legt, weil gegen die Wirksamkeit der erteilten Prozessvollmacht keine durchgrei-
fenden Bedenken bestehen. Die Prozessvollmacht ist von dem zugrunde lie-
genden Geschäftsbesorgungsvertrag unabhängig. Mögliche Mängel des
Grundgeschäftes schlagen auf die Prozessvollmacht grundsätzlich nicht durch.
Eine Ausnahme ist hier nicht gegeben.
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1. Der Bundesgerichtshof hat bislang nicht entschieden, ob ein Verstoß
gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4
BRAO) zur Anwendung des § 134 BGB und damit zur Unwirksamkeit des An-
waltsvertrages führt (BGH, Urt. v. 23. Oktober 2003 - IX ZR 270/02, WM 2004,
478, 481; Urt. v. 23. April 2009 - IX ZR 167/07, z.V.b.; dazu auch Riedel/
Sußbauer/Fraunholz, BRAGO 7. Aufl. § 1 Rn. 15; Kleine-Cosack, BRAO 4. Aufl.
§ 43a Rn. 123). Der Senat muss diese Frage auch vorliegend nicht entschei-
den. Selbst wenn allgemein bei der Vertretung widerstreitender Interessen für
§ 134 BGB Raum wäre (befürwortend Fahrendorf, in Rinsche/Fahrendorf/
Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts 7. Aufl. Rn. 638), zudem - wie das Be-
rufungsgericht angenommen hat - widerstreitende Interessen nicht nur bei ei-
nem Doppelmandat in Betracht kämen und der Anwaltsvertrag unwirksam wäre,
führt dies nicht zur Nichtigkeit der Prozessvollmacht.
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2. Es entspricht anerkannter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass
die Wirksamkeit der einem Rechtsanwalt erteilten Vollmacht und der von ihm
namens der Partei vorgenommenen Rechtshandlungen unabhängig vom Zu-
standekommen oder von der Wirksamkeit des Anwaltsvertrages ist (BGHZ 56,
355, 358; BGH, Urt. v. 24. Januar 1978 - VI ZR 220/76, NJW 1978, 1003, 1004;
v. 19. März 1993 - V ZR 36/92, NJW 1993, 1926; vgl. ferner OLG Hamm NJW
1992, 1174, 1175 f; Terbille, in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, aaO Rn. 61; Sieg,
in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rn. 10).
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3. Die Wirksamkeit von Rechtshandlungen eines Rechtsanwalts wird
nicht durch einen Verstoß gegen ein berufsrechtliches Tätigkeitsverbot berührt.
Selbst bei Zuwiderhandlung gegen umfassende und generelle Tätigkeitsverbote
bleiben die Handlungen des Rechtsanwalts wirksam, um die Beteiligten im Inte-
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resse der Rechtssicherheit zu schützen (BGH, Urt. v. 19. März 1993 - V ZR
36/92, aaO).
a) Zwar ist ein ohne die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 RBerG abgeschlosse-
ner Geschäftsbesorgungsvertrag, der umfassende Befugnisse enthält, nichtig
und die Nichtigkeit erfasst neben der umfassenden Abschlussvollmacht auch
eine der Geschäftsbesorgerin erteilte Prozessvollmacht zur Abgabe einer
Zwangsvollstreckungsunterwerfungserklärung (BGHZ 154, 283, 286 f, vgl. fer-
ner BGH, Urt. v. 11. Oktober 2001 - III ZR 182/00, WM 2001, 2260, 2262; v.
14. Mai 2002 - XI ZR 151/01, WM 2002, 1273, 1274; v. 17. Oktober 2006
- XI ZR 185/05, WM 2007, 110, 112; v. 22. Mai 2007 - XI ZR 338/05, MittBayNot
2008, 204, 205). Der Verstoß gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG i.V.m.
§ 134 BGB wirkt sich danach auch auf die prozessuale Vollmacht aus, weil an-
dernfalls Sinn und Zweck des gesetzlichen Verbots nicht zu erreichen wären.
Es muss die Wirksamkeit jeder Rechtshandlung verhindert werden, die seitens
des unerlaubt rechtsberatenden Geschäftsbesorgers für seinen Auftraggeber
vorgenommen wird. Es wäre nicht hinzunehmen, könnte die Treuhänderin die
Auftraggeber nicht aus einer materiell-rechtlichen Haftungsübernahme (§ 780
BGB) wirksam verpflichten, wohl aber zu ihren Lasten eine prozessuale Unter-
werfungserklärung abgeben und auf diese Weise einen - ungleich gefährliche-
ren - Vollstreckungstitel schaffen. Die besonderen rechtlichen Folgen, die mit
der Vollstreckungsunterwerfung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO verbunden sind,
gebieten daher die Anwendung des § 134 BGB (vgl. BGHZ 139, 387, 392). Die
Wahrnehmung der der Treuhänderin übertragenen Aufgaben setzt auch und
gerade auf prozessualem Gebiet gesicherte Rechtskenntnisse voraus, über die
im allgemeinen nur Rechtsanwälte und - nach behördlicher Sachkundeprüfung -
Personen verfügen, denen eine Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsange-
legenheiten erteilt worden ist. Wird weder ein Rechtsanwalt noch eine Person
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tätig, die die erforderliche Erlaubnis vorweisen kann, sind die auf prozessualem
Gebiet vorgenommenen Handlungen unwirksam (BGHZ 154, 283, 287).
Die gleichen Gesichtspunkte werden dafür angeführt, dass ein Verlust
der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zugleich die einem Rechtsanwalt erteilte
Prozessvollmacht entfallen lässt (BGH, Beschl. v. 22. April 2008 - X ZB 18/07,
MDR 2008, 873, 874; vgl. ferner BGHZ 166, 117, 123 Rn. 16).
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b) Diese Erwägungen sind jedoch auf die hier vorliegende Fallgestaltung
nicht übertragbar. Der Schutz des Mandanten gebietet keine Erstreckung der
etwaigen Unwirksamkeit des Geschäftsbesorgungsvertrages auf die Prozess-
vollmacht. Im Gegensatz zu den vorstehend erörterten Fallgruppen steht die
Eigenschaft des vormaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten als zuge-
lassener Anwalt hier nicht in Zweifel. Das Bedürfnis, die Mandanten vor unge-
eigneten Rechtsvertretern zu schützen (BGHZ 166, 117, 123 Rn. 16; BGH,
Beschl. v. 22. April 2008 - X ZB 18/07, aaO), wird nicht berührt. Bei einer
Erstreckung der Nichtigkeitsfolge des Anwaltsvertrages auf die Prozessvoll-
macht, würde das Vertrauen der Beklagten sowie der übrigen Prozessbeteilig-
ten, dass die Prozesshandlungen des von ihr beauftragten Anwalts wirksam
sind, außer acht gelassen (BGH, Urt. v. 19. März 1993 - V ZR 36/92, aaO). Da-
her ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten.
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Die Erwägung des Berufungsgerichts, die Unwirksamkeit der Prozess-
vollmacht ergebe sich auch daraus, dass der vormalige Prozessbevollmächtigte
der Beklagten in einem kollusiven Zusammenwirken mit ihr versucht habe, den
Vergütungsanspruch der Anwaltssozietät zu vereiteln, ist nicht beachtlich. Mate-
riell-rechtliche Bestimmungen des Vertretungsrechts und hierauf gegründete
Erwägungen finden auf die prozessuale Vollmacht keine Anwendung. Die Vor-
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schriften der §§ 78 ff ZPO bilden für die Prozessvollmacht ein Sonderrecht. Ma-
teriell-rechtliche Regelungen über die Vollmacht können daher nur Geltung er-
langen, wenn die Zivilprozessordnung auf sie verweist oder in ihnen allgemeine
Rechtsgedanken der Stellvertretung zum Ausdruck kommen (BGHZ 154, 283,
287; BGH, Urt. v. 18. Dezember 2002 - VIII ZR 72/02, NJW 2003, 903, 904).
Deshalb kann der von der Revisionserwiderung geltend gemachte Schutz des
Prozessgegners und der Allgemeinheit keine Ausnahme rechtfertigen.
III.
Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat
kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht, von sei-
nem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, sich nicht mit den Berufungsangriffen
der Beklagten dagegen befasst hat, dass das Amtsgericht den Vergütungsan-
spruch für begründet angesehen hat.
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§ 563 Abs. 3 ZPO, wonach das Revisionsgericht in der Sache selbst zu
entscheiden hat, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung
bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und
nach Letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, greift nicht ein, wenn
das Sachverhältnis bisher nur vom erstinstanzlichen Gericht festgestellt worden
ist und das Berufungsgericht noch nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO geprüft
hat, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des
erstinstanzlichen Gerichts begründen. Diese Prüfung kann nicht vom Revisi-
onsgericht vorgenommen werden, weil die Ermittlung oder Verneinung konkre-
ter Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststel-
lungen ihrerseits eine neue Tatsachenfeststellung darstellen kann und damit in
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die Zuständigkeit des Tatrichters fällt (BGH, Urt. v. 30. Oktober 2007 - X ZR
101/06, NJW 2008, 576, 577 Rn. 27).
Ganter Kayser Gehrlein
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
AG Oranienburg, Entscheidung vom 15.06.2007 - 26 C 663/04 -
LG Neuruppin, Entscheidung vom 06.03.2008 - 4 S 115/07 -