Urteil des BGH vom 22.01.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 167/02
Verkündet am:
16. Dezember 2004
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 648 a a.F.
Der Besteller verliert sein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber einer Abschlags-
forderung des Unternehmers nicht, wenn er die nach § 648 a BGB geforderte Si-
cherheit nicht stellt (im Anschluß an BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 - VII ZR
183/02, BGHZ 157, 335).
BGH, Urteil vom 16. Dezember 2004 - VII ZR 167/02 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Dezember 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. März 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte beauftragte die Klägerin im Mai 1994 mit Bauarbeiten zum
Pauschalpreis von 1.900.000 DM netto; die VOB/B war vereinbart. Nach Aus-
führung der Arbeiten erstellte die Klägerin im März 1997 ihre Schlußrechnung.
Zu einer Abnahme kam es wegen Mängeln nicht.
Die Klägerin hat restlichen Werklohn, hilfsweise Abschlagszahlung in
Höhe von 993.565,24 DM geltend gemacht. Sie hat im April 2001 in dieser Hö-
he Sicherheit gemäß § 648 a BGB gefordert, die der Beklagte nicht geleistet
hat. Das Landgericht hat die Werklohnklage mangels Abnahme als nicht fällig
abgewiesen; es hat nach Beweisaufnahme eine Abschlagsforderung in Höhe
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von 703.055,23 DM errechnet und der Klägerin nach Abzug von Mängelbeseiti-
gungskosten 455.955,23 DM zugesprochen. Die Berufung des Beklagten, der
ein Leistungsverweigerungsrecht wegen höherer Mängelbeseitigungskosten
und wegen weiterer Mängel geltend macht, ist ohne Erfolg geblieben. Das Be-
rufungsgericht hat zur Klärung der Frage, ob sich der Beklagte wegen des Lei-
stungsverweigerungsrechts der Klägerin gemäß § 648 a BGB seinerseits noch
auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen Mängeln berufen könne, die Revision
zugelassen. Der Beklagte verfolgt mit seiner Revision sein Klageabweisungs-
begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Auf das Schuldverhältnis findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein fälliger Anspruch
auf Abschlag in der vom Landgericht ausgeurteilten Höhe zu, weil der Beklagte
keine Sicherheit geleistet habe und damit sein Zurückbehaltungsrecht entfallen
sei. Eine Gegenforderung aus der Haftung wegen des Gefälles der Tiefgarage
bestehe nicht.
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II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung im entscheidenden Punkt nicht
stand.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend das Verlangen der Klägerin nach
Sicherheit gemäß § 648 a BGB durch Bezugnahme auf die Ausführungen im
landgerichtlichen Urteil für wirksam erachtet.
Die Revision rügt zu Unrecht, die Klägerin habe nicht wirksam Sicherheit
verlangt, da sie ihr Verlangen erst Jahre nach Beginn des Rechtsstreits, Fest-
stellung diverser Mängel und ihrer Erklärung, zur Vornahme der erforderlichen
Mangelbeseitigung nicht bereit zu sein, gestellt habe. Die Klägerin hat die
Nachbesserung nicht grundsätzlich verweigert, sondern sich auf ihr Leistungs-
verweigerungsrecht im Hinblick auf die nicht erbrachte Sicherheit gemäß
§ 648 a BGB berufen. Die Revision zeigt keinen Vortrag der Parteien auf, der
eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnte.
2. Zu Recht wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Beru-
fungsgerichts, die Klägerin könne ihre Abschlagsforderung ohne Rücksicht auf
Mängel geltend machen, weil der Beklagte keine Sicherheit gestellt habe. Diese
Auffassung läßt sich mit § 648 a BGB nicht vereinbaren.
a) Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen, die nach
Verkündung des Berufungsurteils ergangen sind, ausgeführt, der Gesetzgeber
habe dem Unternehmer keinen Anspruch auf Sicherheit verschafft (BGH, Urteil
vom 22. Januar 2004 - VII ZR 183/02, BGHZ 157, 335 = BauR 2004, 826
= ZfBR 2004, 365 = NZBau 2004, 259; Urteil vom 22. Januar 2004 - VII ZR
267/02, BauR 2004, 834 = NZBau 2004, 264; Urteil vom 22. Januar 2004
- VII ZR 68/03, BauR 2004, 830 = NZBau 2004, 261). Vielmehr hat der Gesetz-
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geber ihm lediglich die Möglichkeit eingeräumt, die Leistung zu verweigern,
wenn die zu Recht beanspruchte Sicherheit nicht gestellt wird. Außerdem hat
der Unternehmer das Recht, dem Besteller zur Nachholung der Sicherheitslei-
stung eine angemessene Frist mit der Erklärung zu bestimmen, daß er den Ver-
trag kündige, wenn die Sicherheit nicht bis zum Ablauf der Frist gestellt werde,
§ 648 a Abs. 5 Satz 1, § 643 Satz 1 BGB. Nach Ablauf dieser Frist gilt der Ver-
trag als aufgehoben, § 643 Satz 2 BGB. Damit hat der Gesetzgeber dem Un-
ternehmer eine Möglichkeit verschafft, sich von dem Vertrag mit der Wirkung zu
lösen, daß er die bis zur Aufhebung des Vertrages noch nicht erbrachten Lei-
stungen nicht mehr erbringen muß. Auf diese Weise erhält der Unternehmer
auch die Berechtigung, die Werkleistung abschließend abzurechnen. So wird
der Schwebezustand aufgelöst, der dadurch entsteht, daß der Unternehmer
einerseits die weitere Leistung mangels Sicherheit nicht erbringen muß, ande-
rerseits dann aber auch die Voraussetzungen für die Abnahme des Werkes und
damit die Fälligkeit der Schlußvergütung nicht schafft. Der Gesetzgeber hat für
den Fall, daß der Unternehmer die Vertragsaufhebung wählt, die Rechtsfolgen
dahin geregelt, daß dem Unternehmer nur der Vergütungsanspruch nach Maß-
gabe des § 645 Abs. 1 BGB zusteht und der Anspruch auf Ersatz des Vertrau-
ensschadens nach Maßgabe des § 648 a Abs. 5 BGB.
Hat die bis zur Aufhebung des Vertrages erbrachte Leistung Mängel, so
ist jedenfalls dann § 645 Abs. 1 BGB anzuwenden, wenn diese Mängel bereits
gerügt waren und der Unternehmer die Beseitigung der Mängel von einer Si-
cherheitsleistung abhängig gemacht hat. Denn der Unternehmer hat dann zu
erkennen gegeben, daß er nicht bereit ist, die Mängelbeseitigung ohne Sicher-
heitsleistung vorzunehmen. Das bedeutet, daß der Vergütungsanspruch um
den infolge des Mangels entstandenen Minderwert zu kürzen ist. Sofern die
Mängelbeseitigung möglich ist und nicht wegen unverhältnismäßig hoher Ko-
sten verweigert werden kann, ist die Vergütung regelmäßig um die Kosten zu
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kürzen, die notwendig sind, den Mangel beseitigen zu lassen, sonst um den
Minderwert des Bauwerks (BGH, Urteil vom 22. Januar 2004 - VII ZR 183/02,
BGHZ 157, 335).
b) Wählt ein Unternehmer die Möglichkeit der Vertragsaufhebung nicht,
kann er zwar eine fällige Abschlagszahlung verlangen. Der Besteller kann sich
jedoch dieser Forderung gegenüber auf ein Leistungsverweigerungsrecht we-
gen Mängeln berufen, auch wenn er eine Sicherheit nach § 648a BGB nicht
geleistet hat. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
kann der Besteller gegenüber einer Abschlagsforderung ein Leistungsverweige-
rungsrecht wegen Mängeln geltend machen, dessen Bemessung sich nach den
Umständen des Einzelfalls richtet (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1978 - VII ZR
269/77, BGHZ 73, 140, 143; Urteil vom 9. Juli 1981 - VII ZR 40/80, BauR 1981,
577 = ZfBR 1981, 265; Urteil vom 25. Oktober 1990 - VII ZR 201/89, BauR
1991, 81 = ZfBR 1991, 67). Dabei kann gegebenenfalls berücksichtigt werden,
daß der Besteller keine Sicherheit stellt.
Wählt dagegen der Unternehmer die Vertragsaufhebung und hat er seine
Leistung nicht mangelfrei erbracht, so ist sein Vergütungsanspruch um den in-
folge des Mangels entstandenen Minderwert zu kürzen.
3. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsurteil keinen Bestand, soweit
das Berufungsgericht der Klägerin den ausgeurteilten Betrag ungeachtet der
Mängelrügen des Beklagten zugesprochen hat.
a) Das Berufungsgericht muß den Parteien Gelegenheit geben, sich auf
die dargestellte, im Rechtsstreit bisher nicht erwogene Rechtslage einzustellen.
Es wird unabhängig von dem weiteren Verhalten der Parteien auch zu klären
haben, ob die behaupteten Mängel vorliegen und die vom Landgericht festge-
stellten Mangelbeseitigungskosten zutreffen. Stellt sich in der neuen Verhand-
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lung heraus, daß das Landgericht die Mängelbeseitigungskosten zutreffend er-
mittelt hat und weitere Mängel nicht vorliegen, so kann die Klägerin den ausge-
urteilten Betrag verlangen. Ihr Sicherheitsbegehren ist dann ohnehin irrelevant,
weil keine weiteren Leistungen zu erbringen sind.
b) Anderenfalls ist nach dem jetzigen Sachstand zu berücksichtigen, daß
die Klägerin noch keine Nachfrist gesetzt hat. Sie kann die noch offene Ab-
schlagsforderung geltend machen. Das Leistungsverweigerungsrecht der Be-
klagten ist zu berücksichtigen. Nach dem in der Revision zu unterstellenden
Sachverhalt erreichen bereits die einfachen Mängelbeseitigungskosten den
noch offenen Werklohn. Danach hätte eine Verurteilung zur Zahlung Zug um
Zug gegen Mängelbeseitigung zu erfolgen.
Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob die Mängelbeseitigungs-
kosten hinsichtlich der anerkannten Mängel zutreffend berechnet worden sind.
Soweit sich ein höherer Betrag ergibt, steht dem Beklagten ein Leistungsver-
weigerungsrecht zu. Die Höhe dieses Leistungsverweigerungsrechts kann im
Hinblick darauf, daß bereits ein rechtskräftig entschiedener Abzug für die Män-
gel vom Werklohn stattgefunden hat, nicht über die Kosten der Mängelbeseiti-
gung für die betreffenden Mängel hinausgehen.
Das Berufungsgericht wird weiter zu klären haben, inwieweit die behaup-
teten zusätzlichen Mängel bestehen und in welcher Höhe sie ein Leistungsver-
weigerungsrecht begründen.
Beharrt die Klägerin auf einer vorherigen Absicherung ihrer Forderung,
so kann sie nur den sich aus § 645 Abs. 1 BGB ergebenden, geminderten Ver-
gütungsanspruch geltend machen. Eine Nachfrist ist entbehrlich, wenn der Be-
klagte, wie bisher, die Sicherheitsleistung verweigert. Die Klägerin kann dann
erklären, daß sie im Hinblick auf die verweigerte Sicherheitsleistung die Män-
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gelbeseitigung ablehne, so daß der Erfüllungsanspruch des Beklagten unter-
geht.
c) Das Berufungsgericht wird seine Feststellungen, eine Haftung der
Klägerin wegen des zu geringen Gefälles der Tiefgarage bestehe nicht, ver-
deutlichen müssen. Sofern es lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht des
Beklagten ausschließen will, gelten die vorstehenden Hinweise entsprechend.
Soweit es einen aufrechenbaren Gegenspruch für möglich, aber nicht für be-
gründet erachtet, fehlen jedwede Feststellungen zur Anspruchsgrundlage. Die
Begründung, die Klägerin treffe wegen der Anordnung des Architekten kein
Verschulden, trägt nicht. Die Anordnung des Architekten befreit sie nicht von
ihrer Pflicht, auf Bedenken hinzuweisen (§ 4 Nr. 3 VOB/B).
Dressler Hausmann Kuffer
Kniffka Bauner