Urteil des BGH vom 14.04.2005
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 221/04
vom
14. April 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 85 Abs. 1
ZPO § 717 Abs. 2
Ein  Aktivprozeß  der  Masse  liegt  auch  dann  nicht vor, wenn dem Insolvenzschuld-
ner  vor  Verfahrenseröffnung  vorläufig  vollstreckbar  ein  Anspruch  zuerkannt,  die
ausgeurteilte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung oder zu ihrer Abwendung
erbracht worden ist und der Titelschuldner nunmehr in einem gesonderten Rechts-
streit Ersatz seines Vollstreckungsschadens verlangt (Anschluß an BGH WM 2004,
751).
BGH, Beschluß vom 14. April 2005 - IX ZR 221/04 - OLG Braunschweig
LG Göttingen
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr.  Fischer,  die  Richter  Raebel,  Vill  und  Cierniak  und  die  Richterin  Lohmann
am 14. April 2005
beschlossen:
Der Rechtsstreit ist unterbrochen.
Gründe:
I.
Der  Kläger  - ein  Architekt -  und  neun  weitere  Personen,  bei  denen  es
sich  überwiegend  um  Handwerker  handelt,  zu  denen  die  ursprünglich  sechs
Beklagten dieses Rechtsstreits gehören, gründeten im Jahre 1982 eine Gesell-
schaft  bürgerlichen  Rechts  zu  dem  Zweck,  ein  Fachwerkhaus  zu  erwerben,
umzubauen,  in  Wohnungseigentum  aufzuteilen  und  sodann  die  einzelnen  Ei-
gentumseinheiten  zu  veräußern  und  selbst  zu  nutzen.  Die  Architektenleistun-
gen  wurden  dem Kläger übertragen. Dieser legte den übrigen Gesellschaftern
eine  vorläufige Kostenzusammenstellung über insgesamt 859.000 DM vor und
erteilte im Namen der Gesellschaft die Aufträge zur Durchführung des Bauvor-
habens.  Auftragnehmer  waren  in  der  Mehrzahl  die  Gesellschafter  mit  ihren
Handwerksbetrieben,  unter  ihnen  die  Beklagten  dieses  Rechtsstreits.  Die
tatsächlichen  Baukosten  erreichten  schließlich  einen  Gesamtbetrag  von
1.545.824,62 DM.
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In  einem  beim  Landgericht  Göttingen  geführten  Rechtsstreit  (2 O
331/88) nahmen die (jetzigen) Beklagten den (jetzigen) Kläger wegen der Bau-
kostenüberschreitung  auf  Schadensersatz  in  Anspruch.  Das  Landgericht  Göt-
tingen  verurteilte  den  Kläger  durch  Teilurteil  vom  16. März  1995  zur  Zahlung
von  380.824,62 DM  nebst  Zinsen.  Das  Urteil  war  für  die  Beklagten  gegen  Si-
cherheitsleistung  in  Höhe  von  540.000 DM  vorläufig  vollstreckbar.  Die  Sicher-
heit  wurde  durch  eine  Bürgschaft  der  Sparkasse  G.            vom  28. April  1995
erbracht.  Nachdem  die  Bürgschaft  dem  Kläger  unter  Androhung  der  Zwangs-
vollstreckung zugestellt worden war, zahlte der Kläger die Urteilssumme zuzüg-
lich Zinsen in Höhe von insgesamt 563.783,71 DM. Nach Aufhebung des erst-
instanzlichen  Urteils  durch  Urteil  des  Oberlandesgerichts  Celle  vom  16. Juli
1997  zahlte  die  Sparkasse  G.          ,  nachdem  der  Kläger  sie  aus  ihrer  Pro-
zeßbürgschaft gerichtlich in Anspruch genommen hatte, die Bürgschaftssumme
von 540.000 DM an den Kläger.
Im  jetzigen  Rechtsstreit  hat  der  Kläger  die  sechs  Beklagten  auf  Erstat-
tung  des  durch  die  Bürgschaft  nicht  gedeckten  Teils  seiner  Zahlung
(563.783,71  - 540.000  = 23.783,71 DM)  sowie  Ersatz  weiterer  Vollstreckungs-
schäden  in  Gestalt  einer  von  ihm  geleisteten  Vorfälligkeitsentschädigung  für
eine  Kreditablösung  (15.038,48 DM)  und  von  Kreditzinsen  (101.631,75 DM),
insgesamt  also  eines  Betrages  von  140.453,94 DM  nebst  Zinsen  in  Anspruch
genommen.
Der Kläger hat zunächst in Höhe der Klagesumme gegen den Beklagten
(zu 6)  ein  Versäumnisteilurteil  (vom  21. Oktober  1998)  erwirkt,  gegen  das  der
Beklagte  (zu  6)  jedoch  rechtzeitig  Einspruch  eingelegt  hat.  Auf  seinen  Antrag
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hat  das  Landgericht  die  Zwangsvollstreckung  gemäß  §§ 719,  707 ZPO gegen
Sicherheitsleistung  in  Höhe  von  147.000 DM  einstweilen  eingestellt  und  inso-
weit  auch  die  Beibringung  einer  Bankbürgschaft  zugelassen.  Das  Landgericht
hat sodann durch Grund- und Teilurteil vom 7. Mai 1999 die Klage dem Grunde
nach  für  gerechtfertigt  erklärt,  ferner  die  Beklagten  zu 1  bis  5  als  Gesamt-
schuldner mit dem Beklagten (zu 6) zur Zahlung von 23.783,71 DM nebst Zin-
sen  verurteilt  und  in  dieser  Höhe  das  Versäumnisteilurteil  vom  21. Oktober
1998  aufrechterhalten.  Das  Berufungsgericht  hat  durch  "Versäumnisurteil"  die
- allein  vom  Beklagten  (zu 6)  eingelegte -  Berufung  als  unzulässig  verworfen,
soweit  sie  sich  gegen  die  Verurteilung  dem  Grunde  nach  richtete,  und  sie  im
übrigen  als  unbegründet  zurückgewiesen.  Auf  den  Einspruch  des  Beklagten
hat  das  Berufungsgericht  jenes  Urteil  aufrechterhalten.  Mit  der  Revision  ver-
folgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Auf  die  hier  rechtzeitig  eingegangene  und  begründete  Revision hat der
Senat  mit  Beschluß  vom  7. Februar  2002  das  Rechtsmittel  angenommen,  so-
weit  es  nicht  gemäß  § 547  ZPO  a.F.  unbeschränkt  zulässig  ist.  Der  zunächst
anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2002 ist aufgeho-
ben  worden,  nachdem  bekannt  geworden  war,  daß  das  Insolvenzverfahren
über das Vermögen des Beklagten am 4. Juni 2002 eröffnet worden ist.
Mit  dem  Beklagten  am  24. Februar  2005  zugestelltem  Schriftsatz  vom
29. November  2004  hat  der  Kläger  die  Wiederaufnahme  des  Rechtsstreits er-
klärt  und  den  Antrag  gestellt,  das  Verfahren  fortzusetzen.  Aus  der  Anlage  zu
diesem  Schriftsatz  ergibt  sich,  daß  der  Insolvenzverwalter  mit  Schreiben  vom
1. Juli 2004 gegenüber dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klä-
gers erklärt hat, daß er nicht beabsichtige, das Verfahren aufzunehmen. Ferner
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war  dem  Aufnahmeschriftsatz  in  Ablichtung  eine  Urkunde  vom  15. Dezember
1998  beigefügt,  mit  der  die  Sparkasse  G.             unter  Bezugnahme  auf  den
Beschluß des Landgerichts Göttingen vom 23. November 1998 eine Bankbürg-
schaft  in  Höhe  von 147.000 DM zur Abwendung der Vollstreckung übernimmt.
Das Aufnahmebegehren stützt sich im Kern darauf, daß ein Aktivprozeß vorlie-
ge,  weil  "der  Kläger  aufgrund  des  Instanzurteils  zwar  keine  Zahlung  erhalten,
jedoch  Sicherheitsleistung  erwirkt  hat".  Der  Kläger  verfolge  weiterhin  sein
Recht zur Befriedigung aus der Sicherheit, nämlich der von der Sparkasse ge-
stellten Bürgschaft.
II.
Eine  Fortsetzung  des  Revisionsverfahrens  kommt  derzeit  nicht  in  Be-
tracht.  Durch  die  Eröffnung  des  Insolvenzverfahrens  über  das  Vermögen  des
Beklagten  ist  der  Rechtsstreit  gemäß  § 240  ZPO  unterbrochen  worden.  Die
Unterbrechung dauert an.
1.  Die  Unterbrechung  ist  durch  die  Erklärung  des  Klägers,  den Rechts-
streit aufzunehmen, nicht beendet. Bei dem zur Entscheidung des Senats ste-
henden  Verfahren  handelt  es  sich  nicht  um  einen  Aktivprozeß  im  Sinne  von
§ 85 Abs. 1 InsO. Die Erklärung des Verwalters, er beabsichtige nicht, das Ver-
fahren aufzunehmen, eröffnet dem Kläger daher nicht die Möglichkeit zur Auf-
nahme des Rechtsstreits gemäß § 85 Abs. 2 InsO.
Ursprünglich  handelte  es  sich  bei  der  Klage  aus  § 717  Abs. 2  ZPO  um
einen Schuldenmassestreit nach § 87 InsO (Passivprozeß). Daran hat sich bis
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heute  nichts  geändert.  Zwar  ist  die  Frage,  ob  es  sich bei einem durch die Er-
öffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbroche-
nen  Rechtsstreit  um  einen  Aktiv-  oder  Passivprozeß  handelt,  nicht  nach  der
formellen  Parteirolle  zu  beantworten,  sondern  danach,  ob  in  dem  anhängigen
Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse
zu  gelangen  hat  (BGH,  Urt.  v.  27. März  1995  - II ZR  140/93,  ZIP  1995,  643).
Die  Annahme  des  Klägers,  ein  Aktivprozeß  liege  vor,  weil  er  "Sicherheitslei-
stung erwirkt" habe, trifft jedoch nicht zu.
Der  Bundesgerichtshof  hat  bereits  entschieden,  daß  ein  Aktivprozeß
nicht  vorliegt,  wenn  über  einen  von  dem  Insolvenzschuldner  erhobenen  An-
spruch  zu  dessen  Gunsten  erkannt,  die  ausgeurteilte  Leistung  im  Wege  der
Zwangsvollstreckung  oder  zu  ihrer  Abwendung  erbracht  worden  ist  und  der
Titelschuldner  im  Rechtsmittelverfahren  wegen  seiner  Leistung  gemäß  § 717
Abs. 2  ZPO  Ersatz  verlangt  (vgl.  RGZ 85, 214, 219; 122, 51, 53; BGH, Urt. v.
5. Dezember  1985  - VII ZR  284/83,  WM  1986,  295;  v.  27. März  1995,  aaO;
Beschl. v. 12. Februar 2004 - V ZR 288/03, WM 2004, 751). Hierfür ist es ohne
Bedeutung,  daß  der  Anspruch  des  Klägers  aus  § 717  Abs. 2  ZPO  durch  eine
Bürgschaft  gesichert  ist  und  ob  die  Bürgin  durch  Leistung  auf  die  Bürgschaft
die Forderung des Klägers reguliert hat. Selbst ein vollständiger Ausgleich des
Schadens des Klägers ließe den Rechtsstreit nicht zu einem für die Masse ge-
führten  Aktivprozeß  werden  (vgl.  BGH,  Beschl.  v.  12. Februar  2004,  aaO
S. 752).
Zwar liegt es hier insofern anders als in dem vom V. Zivilsenat entschie-
denen Fall, als es nicht um einen im Rechtsmittelverfahren anhängig gemach-
ten Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO geht. Der Schadensersatzanspruch wird in
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diesem Verfahren vielmehr insoweit gesondert eingeklagt. Dies begründet aber
keinen rechtserheblichen Unterschied für die Frage, ob ein Aktiv- oder Passiv-
prozeß  vorliegt.  Denn  in  jedem  Fall  macht  der  Kläger  einen  Anspruch  gegen
die Masse geltend.
2. Fehl geht auch die Auffassung des Klägers, er sei zur Aufnahme ent-
sprechend § 86 InsO befugt. Schumacher (MünchKomm-InsO, § 85 Rn. 9), auf
den  sich  der  Kläger  beruft,  will  der  klagenden  Partei  mit  dieser  Analogie  nur
einen Ausgleich für die Befugnis des Verwalters nach § 85 Abs. 1 InsO geben,
die  (zunächst)  eine  Aufnahmebefugnis  nach  § 85  Abs. 2  InsO  sperrt.  Darum
geht es hier nach Ablehnung der Aufnahme durch den Verwalter jedoch nicht.
Fischer
Raebel
Vill
Cierniak
Lohmann