Urteil des BGH vom 28.01.2014

Leitsatzentscheidung

5 StR 69/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 8. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. März 2000 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Chemnitz vom 11. Oktober 1999 nach § 349 Abs. 4
StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revi-
sion, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
G r ü n d e
Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (durch
Unterlassen) zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die mit der Sachrüge
begründete Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch Er-
folg.
1. Der Schuldspruch enthält keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten. Dieser fand nach den Feststellungen seine Ehefrau in den frü-
hen Morgenstunden des Tattages hilflos – infolge einer möglicherweise
durch Sturz verursachten Kopfverletzung – auf dem Boden der kalten Küche
liegend vor. Er ließt die Frau, ohne sich um sie zu kümmern, aus Gleichgül-
tigkeit liegen und legte sich wieder schlafen. Wie von ihm vorhergesehen und
zumindest gebilligt, führte das Unterlassen möglicher Hilfeleistungen zum
Tod der Ehefrau durch Unterkühlung. Erst am Mittag, weniger als eine Stun-
de vor Todeseintritt, alarmierte der Angeklagte den Notarzt. Das Opfer wies
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schwere Prellungen am Körper auf, die jedenfalls teilweise auf Tritte durch
den Angeklagten zurückgingen.
Daß die rechtsfehlerfrei festgestellten – offenbar nicht sicher todesur-
sächlichen – erheblichen Mißhandlungen der Ehefrau (UA S. 5, 12/13, 16)
den Tatrichter nicht zu einem weitergehenden Schuldspruch veranlaßt ha-
ben, beschwert den Angeklagten nicht. Die Bestätigung des Schuldspruchs
erfaßt auch die hierzu getroffenen unmittelbar tatzugehörigen Feststellungen.
2. Die Annahme uneingeschränkter Steuerungsfähigkeit des Ange-
klagten bei Begehung der Tat hält, wenngleich sie im Einklang mit der Be-
gutachtung durch zwei medizinische Sachverständige steht, sachlichrechtli-
cher Überprüfung nicht stand.
Zutreffend ist allerdings die Einschätzung, daß der rechnerisch
höchstmögliche Wert einer Blutalkoholkonzentration von annähernd 4,5 ‰
zur Tatzeit auf der Grundlage einer Rückrechnung über 15 Stunden aus ei-
ner am Abend des Tattages entnommenen Blutprobe im Blick auf psycho-
diagnostische Kriterien unrealistisch ist. Dem Urteil läßt sich nicht entneh-
men, ob unter Berücksichtigung der relevanten Anknüpfungstatsachen und
des Zweifelsgrundsatzes eine annähernd verläßliche Bestimmung der Tat-
zeit-Blutalkoholkonzentration möglich gewesen ist (vgl. BGHR StGB § 21 –
BAK 22 m.w.N.). Weshalb die Sachverständigen bei ihren Berechnungen
lediglich einen ganz geringen Nachtrunk angenommen haben, bleibt ebenso
wenig verständlich wie die vage Wendung, daß die vom Angeklagten ange-
gebenen – indes nicht genauer aufgeführten – Trinkmengen allenfalls einen
”leichten Rausch“ zur Tatzeit belegten.
Der Angeklagte ist chronischer Gamma-Alkoholiker, für den Alkohol-
konsum das vorrangige Interesse bildet. Seine von unverständlicher, tödli-
cher Gleichgültigkeit gekennzeichnete Tat, die zudem möglicherweise mit
beträchtlicher Brutalität einherging, deutet als solche nicht etwa auf uneinge-
schränkte Steuerungsfähigkeit hin. Die herangezogenen psychodiagnosti-
schen Kriterien taugen hier lediglich zum sicheren Ausschluß eines Vollrau-
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sches, so daß der Schuldspruch nicht in Frage steht. Weshalb sich indes
eine – nach der Persönlichkeit des Angeklagten und dem Tatbild eher nahe-
liegend erscheinende – beträchtliche, die Steuerungsfähigkeit erheblich ein-
schränkende Alkoholisierung auch unter Berücksichtigung des Zweifels-
grundsatzes sicher ausschließen lassen soll, bleibt unzureichend belegt.
3. Der neue Tatrichter wird neben der erneuten Prüfung, ob die Vor-
aussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, ebenfalls mit sachverständiger
Hilfe weiterhin jedenfalls das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB
zu überprüfen haben.
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