Urteil des BGH vom 16.07.2003
BGH (mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, stpo, wohl des kindes, zeuge, kiew, persönliche anhörung, bundesrepublik deutschland, behauptung, beweisantrag, stgb)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 68/03
vom
16. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zum versuchten Totschlag
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1.  Auf  die  Revision  der  Staatsanwaltschaft  wird  das  Urteil  des
Landgerichts Trier vom 24. Juli 2002, soweit es die Angeklagte
P.         betrifft,  mit  den  Feststellungen  - mit  Ausnahme  derer
zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben.
Im  Umfang  der  Aufhebung  wird  die  Sache  zu  neuer  Verhand-
lung  und  Entscheidung,  auch  über  die  Kosten  des  Rechtsmit-
tels,  an  eine  Schwurgerichtskammer  des  Landgerichts  Mainz
zurückverwiesen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
wird  verworfen.  Die  Angeklagte  hat  die  Kosten  ihres  Rechts-
mittels  und  die  dadurch  dem  Nebenkläger  entstandenen  not-
wendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Anstiftung zum versuchten
Totschlag  in  Tateinheit  mit  gefährlicher  Körperverletzung  zu  einer  Freiheits-
strafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisi-
onen  der  Angeklagten  und  der  Staatsanwaltschaft.  Die  Angeklagte  rügt  die
Verletzung  formellen  und  materiellen  Rechtes.  Die  Staatsanwaltschaft  bean-
standet mit der Sachrüge, daß eine Verurteilung wegen versuchten Mordes (in
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Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) mit rechtsfehlerhafter Begründung
abgelehnt worden sei.
Das  Rechtsmittel  der  Angeklagten  hat  keinen  Erfolg.  Die  vom  General-
bundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die sich nicht gegen
die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen wendet, greift in vollem Umfang
durch.
II. Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
Die  Angeklagte  und  der  Nebenkläger  heirateten  1983  in  Polen.  1987
siedelten  sie  in  die  Bundesrepublik  Deutschland  über,  wo  in  demselben  Jahr
ihr  Sohn  M.           zur  Welt  kam.  Im  Laufe  der  Jahre  verschlechterte  sich  das
eheliche  Klima.  Das  Zusammenleben  nahm  immer  mehr  den  Charakter  eines
Ehekrieges  an.  Die  Angeklagte,  die  selbst  berufstätig  war,  gönnte  sich  einen
bürgerlichen  Lebensstil,  der  Nebenkläger  dagegen  lebte  äußerst  sparsam.  Im
Jahre  1996  erwarben  sie  gemeinsam  eine  Doppelhaushälfte.  Bereits  1997
wurde über eine Ehescheidung gesprochen. 1999 trat die Angeklagte dem Ge-
danken einer Scheidung erneut näher. Ihr war allerdings bewußt, daß der Ne-
benkläger erbittert um das Eigentum am Haus kämpfen und sich einen Verzicht
auf das gemeinsame Sorgerecht für den Sohn teuer bezahlen lassen würde. Ihr
war klar, daß bei einer Scheidung ihr aufwendiger Lebensstil in Gefahr geraten
würde. Die  Angeklagte  lernte  im  Rahmen  ihrer  geschäftlichen  Tätigkeiten  den
Zeugen O. kennen, von dem sie auch vom Zeugen L. erfuhr, der mehrmals im
Jahr  nach  Kiew  fuhr.  Ihr  kam  der  Gedanke,  die  Fahrten  des  L.  nach  Kiew  für
ihre Interessen auszunutzen. Sie beschloß, ihren Ehemann in Kiew beseitigen
zu lassen, da sie die Mühen eines Scheidungsverfahrens und die zu erwarten-
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den erheblichen finanziellen Einbußen nicht in Kauf nehmen wollte. L. erklärte
sich  etwa  Mitte  2000  bereit,  bei  seiner  nächsten  Reise  nach  Kiew,  die  er  An-
fang Oktober 2000 plante, den Auftrag der Angeklagten auszuführen. Dazu, ob
die Angeklagte ihre Vorstellung nur mit O. erörterte oder ob sie durch Vermitt-
lung  des  O.  unmittelbar  Kontakt  mit  L.  aufnahm,  hat  die  Kammer  keine  Fest-
stellungen  getroffen.  Die  Angeklagte  mußte  nun  dafür  Sorge  tragen,  daß  der
Nebenkläger sich zum selben Zeitpunkt in Kiew aufhalten würde wie L. Die An-
geklagte versprach dem Nebenkläger  Erstattung  von  Unkosten,  eine  Geldprä-
mie und Übereignung ihres Hausanteils, wenn er - was frei erfunden war - eine
äußerst wichtige geschäftliche  Angelegenheit  in  Kiew  für  sie  erledige.  Sie  be-
sorgte  für  den  Nebenkläger,  der  sich  letztlich  dazu  bereitfand,  ein  Visum  und
Flugtickets.  Am  12.10.2000  brachte  sie  den  Nebenkläger  zum  Flughafen  und
teilte ihm mit, daß er ihren Geschäftspartner am Flughafen an einem Schild mit
der  Aufschrift  "Kargo"  erkennen  würde.  L.  war  bereits  am  10.10.2000  in  Kiew
eingetroffen  und  hatte  sich  am  Morgen  eine  Pistole  Kaliber  7,65  mit  fünf
scharfen  Patronen  besorgt  und  diese  in  einem  Gebüsch  an  einem  einsamen
Ort versteckt.  Mit  einem  Papier  mit  der  Aufschrift  "Kargo"  machte  er  am  Flug-
hafen den Nebenkläger auf sich aufmerksam. Als L. vom Nebenkläger die Aus-
händigung von Reisepaß und Ticket erbat, begann dieser mißtrauisch zu wer-
den. L. nahm den Nebenkläger in seinem Auto mit, um ihn angeblich ins Hotel
zu  bringen.  Als  L.  in  eine  dunkle  Seitenstraße  abbog  und  dort  anhielt  unter
dem Vorwand, er müsse "austreten", stieg auch der erneut mißtrauisch gewor-
dene  Nebenkläger  aus.  L.,  der  seine  Pistole  aus  dem  Gebüsch  geholt  und  in
seiner  Jackentasche  versteckt  hatte,  kam  zurück  und  lief  hinten  um  das  Auto
herum  auf  die  Beifahrerseite  zu.  Das  Mißtrauen  des  Nebenklägers  war  jetzt
"vollends  geweckt".  L.  zog  die  Pistole  heraus  und  schoß  zweimal  in  den  Kopf
des  Nebenklägers.  Der  Nebenkläger  konnte  trotz  seiner  schweren  Kopfverlet-
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zungen fliehen und sich in Sicherheit bringen. L. war zunächst hinter dem flie-
henden Nebenkläger hergelaufen. Als ihm aber bewußt wurde, daß sein Opfer
entkommen  war,  versteckte  er  die  Pistole.  Er  konnte  aber  kurze  Zeit  später
festgenommen werden.
L. wurde durch Urteil des Berufungsgerichts der Stadt Kiew rechtskräftig
wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
III. Revision der Staatsanwaltschaft:
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Verurteilung nur wegen Anstiftung zum
versuchten  Totschlag  (in  Tateinheit  mit  gefährlicher  Körperverletzung)  hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Schon bei der Verneinung der Mordmerk-
male  "Heimtücke"  und  "Habgier"  weisen  die  Urteilsgründe  durchgreifende
Rechtsfehler auf.
Der Tatrichter hat zu seiner Ansicht, die Angeklagte habe den L. nur zu
einem versuchten Totschlag angestiftet, folgende Ausführungen gemacht:
"Das  Mordmerkmal  der  Heimtücke,  von  dem  die  Anklage  ausgeht,  ist
nicht  verwirklicht,  da  der  Nebenkläger  zur  Zeit  des  Angriffs  nicht  arglos  war.
Wie  aufgrund  der  Angaben  des  Nebenklägers  festzustellen  war,  hatte  bereits
das Verhalten des L. am Flughafen dessen Argwohn geweckt; die Fahrt zu der
alten  Tankstelle  und  erst  recht  das  Anhalten  in  der  dunklen  P.             straße
zum Zwecke des  'Austretens'  hatten  ihn  wachsam  und  abwehrbereit  gemacht.
A.  P.  hat  insoweit  angegeben,  daß  er  in  beiden  Fällen  deshalb  aus  dem  Pkw
ausgestiegen  sei,  weil  er  das  Gefühl  gehabt  habe,  außerhalb  des  Fahrzeugs
besser auf etwaige Gefahren reagieren zu können. Die Tatsache, daß L., als er
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aus dem Gebüsch zurückkam, nicht zur Fahrer- sondern zur Beifahrerseite ge-
kommen sei, habe ihn alarmiert. A. P. rechnete also mit einem Angriff und war
reaktionsbereit,  so  daß  nicht  von  Arg-  und  Wehrlosigkeit  des  Opfers  ausge-
gangen werden kann. Da es sich bei dem Mordmerkmal der Heimtücke um ein
tatbezogenes  Merkmal  handelt,  ist  das  Fehlen  dieses  Merkmals  auch  der  An-
geklagten  zugute  zu  halten.  Die  Mordmerkmale  der  Habgier  oder  'sonstige
niedrige Beweggründe' können ebenfalls nicht als verwirklicht angesehen wer-
den. Zwar handelte die Angeklagte in der Absicht, eine Verschlechterung ihrer
wirtschaftlichen  Verhältnisse  durch  die  Folgen  der  Scheidung  zu  verhindern,
jedoch kann dieses Motiv nicht einem über die Gewinnsucht hinaus gesteiger-
ten Gewinnstreben um jeden Preis gleichgesetzt werden. Entscheidend war für
sie  der  Wunsch,  für  sich  und  ihren  Sohn  eine  angenehme  Existenzgrundlage
zu  erhalten.  Der  Umstand,  daß  auch  die  Sorge  um  das  Wohl  des  Kindes  Be-
standteil ihrer Motivation war, verhindert auch die Annahme des Mordmerkmals
der 'sonstigen niedrigen Beweggründe'."
1. Die Verneinung des Mordmerkmals "Heimtücke" begegnet rechtlichen
Bedenken.
Es kann dahinstehen, ob objektiv keine Heimtücke  vorlag  oder  ob  - wie
die Staatsanwaltschaft meint -, ein heimtückisches Handeln des L. gegeben ist,
weil der Nebenkläger in einen Hinterhalt gelockt wurde (vgl. hierzu u.a. Trönd-
le/Fischer  StGB  51.  Aufl.  § 211  Rdn. 11  m.w.N.).  Denn  für  die  rechtliche
Qualifizierung  als  versuchter  Mord  würde  es  genügen,  daß  der  Haupttäter  L.
glaubte,  heimtückisch  zu  handeln  (vgl.  u.a.  BGHR  StGB  §  211  Abs. 2
Heimtücke 19).
Die
Strafkammer
hat
aber
die
aufgrund
des
festgestellten
Geschehensablaufs gebotene Würdigung des Umstandes unterlassen, daß L. -
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was  durch  Verbergen  der  Waffe  in  der  Jacke  belegt  ist -  ersichtlich  nach  wie
vor davon ausging, der Geschädigte rechne nicht mit einem Angriff gegen sich,
und daß er dies zur Begehung seiner Tat ausnützen wollte.
Der  Senat  kann  nicht  ausschließen,  daß  die  Strafkammer  unter
Beachtung  dieser  Grundsätze  bei  L.  zur  Annahme  eines  versuchten
Heimtückemordes gelangt wäre. Es kann weiter nicht ausgeschlossen werden,
daß die Angeklagte den entsprechenden Anstiftervorsatz hatte. Dieser muß die
fremde  Haupttat  nicht  in  allen  Einzelheiten,  sondern  nur  in  ihren
Hauptmerkmalen  erfassen.  Ob  entsprechende  Merkmale  der  Tat  dem
Anstiftervorsatz zuzurechnen sind, hängt davon ab, ob die Rahmenvorstellung
des  Anstifters  vom  nachfolgenden  Tatgeschehen  dies  umfaßt  (vgl.  u.a.  BGH
NStZ  1996,  434,  435).  Da  die  Angeklagte  den  Nebenkläger  unter
Verschleierungsmaßnahmen  zum  Tatort  Kiew  gelockt  hatte,  liegt  nicht  fern,
daß  sie  den  L.  vorsätzlich  zu  einer  heimtückischen  Tötung  des  Nebenklägers
bestimmt hat.
2.  Auch  die  Ablehnung  des  Mordmerkmals  "Habgier"  läßt  Rechtsfehler
erkennen.
Der  Tatrichter  stellt  zur  Verneinung  einer  "Habgier"  ausschließlich  auf
die Angeklagte ab, die aber nicht als Täterin,  sondern  als  Anstifterin  verurteilt
wurde.  Nach  der  ständigen  Rechtsprechung  des  Bundesgerichtshofs  zum
Verhältnis des § 211 StGB zu § 212 StGB (vgl. u.a. BGHSt 22, 375; vgl. dazu
auch Tröndle/Fischer StGB § 211 Rdn. 4 und 40 jeweils m.w.N.) kommt es  für
die  Bejahung  des  täterbezogenen  Mordmerkmals  der  Habgier  auf  die  Person
des  Haupttäters  und  nicht  auf  den  Teilnehmer  an.  Für  letzteren  sind  seine
Vorstellungen und Kenntnisse von der Motivation des Haupttäters maßgebend.
Das Landgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob  der  Haupttäter  L.  habgierig
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handelte und die  Angeklagte  dies  wußte.  Das  lag  hier  nahe.  Denn  die  Tat  ei-
nes  für  Geld  gedungenen  "Mörders"  stellt  sich  regelmäßig  als  eine  typische
Erscheinungsform  der  Tötung  aus  Habgier  dar  (vgl.  dazu  BGHR  StGB  § 211
Abs.  2  -  Habgier  1  m.w.N.).  Die  Angeklagte,  die  zum  Nebenkläger  einmal  ge-
sagt hat, sie kenne einen Mann, der für Geld Leute beseitige (UA S. 101), hat
nach eigenen Angaben (UA S. 40) "eine finanzielle Belohnung nach Erledigung
des  Auftrags  zugesagt".  Die  Einlassung  der  Angeklagten,  L.  habe  die  Tat  nur
aus Freundschaft zu O. begehen wollen (UA S. 44), hat sie anschließend dahin
korrigiert,  "der  Mann,  der  nach  Kiew  gefahren  sei,  habe  etwas  dafür  haben
wollen, daß er den Auftrag übernommen habe" (UA S. 45).
3.  Im  übrigen  drängten  schon  die  bisherigen  Feststellungen  zur  Erörte-
rung  einer  Mittäterschaft  der  Angeklagten.  Die  Abgrenzung  von  (Mit-)
Täterschaft zur Anstiftung hat der Tatrichter in wertender Betrachtung der Ge-
samtumstände  vorzunehmen  (vgl.  hierzu  u.a.  BGHSt  37,  289,  291;  BGH,  Urt.
vom  12.  Dezember  1995  -  1  StR  571/95).  Da  der  Tatrichter  nach  den  Urteils-
gründen die Abgrenzungsfrage nicht bedacht hat, fehlen bereits Feststellungen
zu  bedeutsamen  Umständen.  Der  Tatrichter  hat  zum  Beispiel  offen  gelassen,
ob  die  Angeklagte  den  geplanten  Tatablauf  in  Kiew  kannte  und  ob  sie  jemals
selbst  Kontakt  mit  L.  hatte.  Entsprechende  Feststellungen  wird  der  neue  Tat-
richter zu treffen und dann die gebotene Wertung vorzunehmen haben. Er wird
hierbei  zu  beachten  haben,  daß  Mittäterschaft  auch  bei  Tatbeiträgen  nur  im
Vorfeld der Tatausführung in Betracht kommen kann.
4. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Dies
gilt  auch  hinsichtlich  der  - für  sich  rechtsfehlerfrei  festgestellten -  gefährlichen
Körperverletzung, die mit dem versuchten Tötungsdelikt in Tateinheit steht (vgl.
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BGH,  Beschl.  vom  11.  Februar  2003  -  4  StR  25/03;  auch  BGHR  StPO  §  353
Aufhebung 1).
Die  Feststellungen  zum  äußeren  Tatgeschehen  sind  von  den  Rechts-
fehlern jedoch nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende,
nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind möglich.
5. Im Hinblick auf die Nähe zur Tatvollendung ist im übrigen auch recht-
lich bedenklich, daß der Tatrichter ohne jede Begründung von der Möglichkeit,
wegen Versuch zu mildern (§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB), Gebrauch gemacht
hat (UA S. 118).
6. In Anbetracht des bisherigen Verfahrensganges hat der Senat die Sa-
che - im Umfang der Aufhebung - an eine Schwurgerichtskammer  eines  ande-
ren Landgerichts zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
IV. Revision der Angeklagten:
Die Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Sachrüge und die
Verfahrensrügen  A  II  bis  A  VI  der  Revisionsbegründungsschrift  vom
9. Dezember  2002  sind  unbegründet.  Insoweit  wird  auf  die  zutreffenden  Aus-
führungen  des  Generalbundesanwalts  in  seiner  Antragsschrift  vom  2.  April
2003 Bezug genommen.
Einer Erörterung bedarf aber die Verfahrensrüge  A  I,  mit  der  beanstan-
det  wird,  § 338  Nr.  2  StPO  sei  verletzt,  weil  an  der  Entscheidung  Richter  mit-
gewirkt hätten, die von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausge-
schlossen gewesen seien.
1. Dieser Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
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Gegen den Zeugen O. lief parallel zur hiesigen Sache ein eigenes Ver-
fahren  zum  nämlichen  Sachverhalt.  Die  Vorsitzende  Richterin  (Fi.)  im  Verfah-
ren gegen O. und der Beisitzer W. im dortigen Verfahren waren als Beisitzer im
hiesigen Verfahren tätig. Da O. in der hiesigen Hauptverhandlung die Aussage
unter Berufung auf § 55 StPO verweigerte, sollte Beweis erhoben werden dar-
über,  wie  sich  O.  im  eigenen  Verfahren  als  Angeklagter  eingelassen  hatte.
Hierzu  wurde  am  30.  Verhandlungstag  der  zweite  berufsrichterliche  Beisitzer
(Fa.)  des  Verfahrens  gegen  O.  als  Zeuge  vernommen.  Am  31.  Verhandlungs-
tag beantragte die Verteidigung  die  Vernehmung  der  beiden  beisitzenden  Be-
rufsrichter (Fi. und W.), des Rechtsanwalts D. sowie des Staatsanwalts Fr. als
Zeugen bezüglich der Einlassung  des  O.  In  dem  Beweisantrag  wurde  u.a.  als
Behauptung  unter  Beweis  gestellt,  O.  habe  sich  in  seinem  Verfahren  dahin
eingelassen, daß "er  Frau  P.               angeboten  habe,  als  diese  sich  über  ih-
ren Ehemann beklagte, sich ihrem Ehemann als neuen russischen Freund vor-
zustellen und Frau P.            es abgelehnt habe." Zur Begründung wurde auch
angeführt, daß der Zeuge Fa. sich daran  nicht  mehr  erinnern  konnte  und  daß
die  beiden  beisitzenden  Richter  (Fi.  und  W.)  in  der  Lage  seien,  "die  Aussage
des  gesondert  verfolgten  O.  vollständig  zu  erinnern  und  die  unter  Beweis  ge-
stellte Tatsache zu bestätigen." Rechtsanwalt D. berief sich auf seine anwaltli-
che Schweigepflicht; Staatsanwalt Fr. konnte sich erinnern  und  die  Beweisbe-
hauptung  insoweit  bestätigen,  als  O.  bekundet  habe,  er  habe  zu  Frau  P.
gesagt, daß er zu ihr nach Hause kommen und ihren Mann erschrecken
könne.
Auf Befragen erklärte die Verteidigerin, daß ihr Beweisantrag damit nicht
erledigt  sei,  und  sie  auf  der  Vernehmung  der  benannten  beisitzenden  Richter
bestehe.  Beide  Richter  äußerten  sich  dahingehend  dienstlich,  daß  sie  die  im
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Beweisantrag aufgestellte Behauptung nicht bestätigen können. Diese dienstli-
chen Erklärungen wurden verlesen.
Nachdem  hierzu  keine  Erklärungen  abgegeben  wurden,  wies  das  Ge-
richt  durch  Beschluß  den  Antrag  auf  Vernehmung  der  Zeugen  Fi.  und  W.  ab.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antrag sei insoweit unzulässig, "da die
Zeugen  dienstlich  erklärt  haben,  die  aufgestellte  Behauptung  nicht  bestätigen
zu können. Soweit auf dem Antrag beharrt wird, offenbart dies, daß der Antrag
nur den Zweck verfolgt, die als Zeugen benannten  Richter  auszuschalten  und
das Gericht an der Ausübung seines Amtes zu hindern."
Die  Verteidigung  beantragte  daraufhin  zum  Beweisthema  die  Verneh-
mung  der  Dolmetscherin  des  Verfahrens  gegen  O.  Diese  wurde  vernommen.
Am  32.  Verhandlungstag  beantragte  die  Verteidigung  zum  Beweisthema  die
Vernehmung der ehrenamtlichen Richter und des Protokollführers des Verfah-
rens  gegen  O.  Diese  wurden  am  33.  Verhandlungstag  vernommen.  Am
34. Verhandlungstag beantragte die Verteidigung festzustellen, daß die beiden
Beisitzer  Fi.  und  W.  von  der  Ausübung  des  Richteramtes  kraft  Gesetzes  aus-
geschlossen  seien  (§ 22  Nr. 5  StPO).  Die  Richter  hätten  in  ihren  dienstlichen
Erklärungen nicht lediglich erklärt, nichts sagen zu können, sondern bekundet,
die Beweisbehauptung nicht bestätigen zu können. Dies komme einer Zeugen-
vernehmung gleich.
Dieser  Antrag  wurde  durch  Gerichtsbeschluß  zurückgewiesen,  da  die
Richter  nicht  zur  Sache  vernommen  worden  seien.  Zur  Begründung  wurde
weiter ausgeführt:
"Dienstliche  Erklärungen  der  genannten  Art,  die  sich  zu  der  Frage  ver-
halten,  ob  der  als  Zeuge  benannte  Richter  die  in  sein  Wissen  gestellten  Be-
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weisbehauptungen  über  Vorgänge  aus  einer  früheren  Hauptverhandlung  bes-
tätigen kann, erfüllen nicht ohne weiteres die Voraussetzungen  einer  Zeugen-
aussage im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO. Soweit sie allein  dem  Bedürfnis  nach
Zurückweisung rechtsmißbräuchlicher Zeugenbenennung erkennender Richter
Rechnung tragen, sind sie nicht dazu bestimmt, Gegenstand der Beweiswürdi-
gung zu sein, sondern sie sollen lediglich der Vorbereitung einer gerichtlichen
Entscheidung  darüber  dienen,  ob  über  Vorgänge,  die  für  die  Schuld-  und
Straffrage von Bedeutung sein können, Beweis zu erheben ist. Der Richter, der
eine solche Erklärung abgibt, gerät damit noch nicht in die Zwangslage, seine
eigenen Angaben im Vergleich mit anderen Zeugenaussagen einer Bewertung
unterziehen zu müssen, so daß seine vom Gesetzgeber mit der Regelung des
§ 22 Nr. 5 StPO angestrebte kritische Distanz erhalten bleibt (BGH  StV  2002,
294, 296). Es ist selbstverständlich, daß die Kammer ihrem Urteil nur Kenntnis-
se  zugrundelegen  darf,  die  im  vorliegenden  Verfahren  ordnungsgemäß  erho-
ben wurden."
2. Die Verfahrensweise des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 2 StPO liegt deshalb
nicht vor.
Bei dem angefochtenen Urteil hat kein ausgeschlossener Richter mitge-
wirkt.  Die  beiden  berufsrichterlichen  Beisitzer  wurden  in  der  Sache  nicht  als
Zeugen vernommen. Die dienstlichen Erklärungen (vgl. hierzu auch BGHSt 44,
4 ff.) sind keine Zeugenaussagen im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO.
Es kann dahinstehen, ob dem Generalbundesanwalt darin zu folgen ist,
die Berufsrichter wollten mit ihren dienstlichen Erklärungen lediglich zum Aus-
druck  bringen,  daß  sie  sich  an  die  Beweisbehauptung  nicht  erinnern  und  sie
deshalb nicht bestätigen können. Denn selbst wenn man die dienstlichen Erklä-
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rungen dahin versteht, daß die beiden Richter sich daran erinnern, aber gerade
deshalb das Beweisthema nicht bestätigen konnten, führt dies hier nicht dazu,
daß  deswegen  von  einer  Zeugenvernehmung  im  Sinne  des  §  22  Nr. 5  StPO
auszugehen ist.
Der  Richterausschluß  kraft  Gesetzes  ist  an  abschließend  aufgezählte
Tatbestände geknüpft, denen objektivierbare Tatsachen und Vorgänge zugrun-
deliegen, die jederzeit zuverlässig und eindeutig nachprüfbar  sind  (vgl.  BVerf-
GE  46,  34,  37).  Diese  auch  als  Konkretisierung  des  verfassungsrechtlichen
Grundsatzes des gesetzlichen Richters zu verstehenden Vorschriften sind eng
auszulegen (vgl.  u.a.  BGHSt  44,  4,  7).  § 22  Nr.  5  StPO  setzt  voraus,  daß  der
Richter  in  der  Sache  als  Zeuge  vernommen  ist.  Eine  Zeugenvernehmung  im
Sinne des § 22 Nr. 5 StPO erfordert allerdings nicht stets eine persönliche An-
hörung durch ein Organ der Rechtspflege; es kommen auch schriftliche Erklä-
rungen  in  Betracht.  Dienstliche  Erklärungen  sind  jedoch  nicht  ohne  weiteres
solchen  schriftlichen  Zeugenerklärungen  gleichzusetzen.  Diejenigen  dienstli-
chen  Erklärungen  eines  Richters,  die  nicht  dazu  bestimmt  sind,  Gegenstand
der Beweiswürdigung zu sein, sondern sich lediglich zu prozessual erheblichen
Vorgängen und Zuständen verhalten,  etwa  wenn  sie  der  freibeweislichen  Auf-
klärung der  Frage  dienen,  ob  ein  Richter  überhaupt  als  Zeuge  zu  den  in  sein
Wissen  gestellten  Tatsachen  in  Betracht  kommt,  führen  nicht  zum  Richte-
rausschluß nach § 22 Nr. 5 StPO (BGH a.a.O.).
Der  Verfahrensgang  belegt  hier,  daß  die  dienstlichen  Erklärungen  nur
der  Vorbereitung  der  Entscheidung  der  Frage  dienten,  ob  die  beiden  berufs-
richterlichen Beisitzer als Zeugen vernommen werden sollten oder ob mit dem
Beweisantrag prozeßfremde Zwecke verfolgt wurden.
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Beweisanträge, mit denen prozeßfremde Ziele verfolgt werden, sind ge-
mäß § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Ein prozeßfremdes
Ziel wird auch dann verfolgt, wenn ein erkennender  Richter  durch  Benennung
als Zeuge ausgeschaltet werden soll, obwohl in Wirklichkeit keine Sachaufklä-
rung  erstrebt  wird  (vgl.  hierzu  u.a.  BGHR  StPO  § 244  Abs. 3  Satz  1  Unzuläs-
sigkeit  4,  9;  BGHSt  7,  330,  331;  44,  4  ff.;  45,  354,  362;  BGH  StV  2002,  294,
296; zur Problematik insgesamt auch Rissing-van Saan MDR 1993, 310).
Ein deutliches Indiz für diesen sachfremden Zweck ist das Beharren auf
einer  Zeugenvernehmung,  wenn  der  als  Zeuge  benannte  Richter  bereits
dienstlich  erklärt  hat,  daß  er  die  Behauptung,  für  die  er  als  Zeuge  benannt
wurde, nicht bestätigen könne (vgl. u.a. BGHSt 7, 330, 331; BGHR StPO § 244
Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 4). Es ist unerheblich, ob er die Behauptung nicht
bestätigen kann, weil er sich nicht mehr erinnert oder weil er das Gegenteil der
Behauptung in Erinnerung hat (vgl. hierzu auch BGH  StV  2002,  294,  296  und
2003, 315).
Ein  Beweisantrag  ist  darauf  gerichtet,  daß  ein  Zeuge  eine  bestimmte
Tatsache  bekundet.  Wenn  nun  der  als  Zeuge  benannte  Richter  dienstlich  er-
klärt, daß er die Beweisbehauptung nicht bestätigen könne, und gleichwohl der
Antragsteller mit der Behauptung, der Zeuge  werde  das  Beweisthema  bestäti-
gen,  auf  der  Zeugenvernehmung  des  erkennenden  Richters  beharrt,  legt  ein
solches Vorgehen nahe, daß prozeßfremde Zwecke verfolgt werden.
Bei der gegebenen Sachlage konnte  das  Landgericht  davon  ausgehen,
daß der Verteidigung bewußt war, daß die beantragte weitere Beweiserhebung
mit  an  Sicherheit  grenzender  Wahrscheinlichkeit  keine  anderen  Erkenntnisse
erbringen  würde  und  daß  der  aufrechterhaltene  Beweisantrag  nur  noch  der
Verfahrensverzögerung diente (vgl. BGH StV 2003, 315). Allein noch nicht ge-
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klärt war nämlich die behauptete Bekundung des O.,  er  habe  angeboten,  sich
als neuer russischer Freund der Angeklagten vorzustellen. Die Zurückweisung
des Antrags als unzulässig durch das Landgericht war daher rechtlich nicht zu
beanstanden.
Die  Vorgehensweise  der  Kammer  belegt  zugleich,  daß  sie  sich  von
vornherein der Problematik bewußt war,  und  daß  deshalb  die  dienstlichen  Er-
klärungen  nicht  als  Zeugenaussagen  über  Tatsachen  und  Vorgänge  zur
Schuld-  und  Straffrage  dienen,  sondern  nur  im  Freibeweisverfahren  die  Ent-
scheidung  vorbereiten  sollten,  ob  mit  dem  Beweisantrag  Sachaufklärung  er-
strebt wird oder lediglich  prozeßfremde  Zwecke  verfolgt  werden.  Eine  Bestäti-
gung  findet  dies  im  Gerichtsbeschluß  vom  34.  Verhandlungstag,  mit  dem  der
Antrag  auf  Feststellung,  daß  die  beiden  Berufsrichter  ausgeschlossen  seien,
zurückgewiesen  wurde.  Das  bringt  das  Gericht  unter  Bezugnahme  auf  BGH
StV 2002, 294 ff. eindeutig zum Ausdruck.
3. Eine Verletzung des § 261 StPO in Verbindung  mit  §  250  StPO  liegt
ebenfalls nicht vor.
Äußert sich ein erkennender Richter in einer dienstlichen Erklärung über
Wahrnehmungen, die er in einer früheren Hauptverhandlung gemacht hat, darf
der Inhalt der dienstlichen Erklärung nicht für die Beurteilung der  Schuld-  und
Straffrage  im  Rahmen  der  Beweiswürdigung  verwertet  werden  (vgl.  BGH  StV
2002,  294).  Das  ist  hier  aber  nicht  der  Fall.  Das  Landgericht  hat  sich  darauf
beschränkt,  in  den  dienstlichen  Erklärungen  einen  Anknüpfungspunkt  für  die
Verfolgung prozeßfremder Zwecke durch die Verteidigung zu sehen. Ausweis-
lich  der  schriftlichen  Urteilsgründe  wurde  der  Inhalt  der  dienstlichen  Erklärun-
gen nicht verwertet, wie im Kammerbeschluß vom 34. Verhandlungstag bereits
angekündigt worden war.
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Rissing-van Saan                                     Detter                                         Bode
Rothfuß                                       Fischer