Urteil des BGH vom 05.02.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 36/08 Verkündet
am:
5. Februar 2009
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 717 Abs. 2
"Begleitschäden", die darauf beruhen, dass die Zwangsvollstreckung nicht in
der gehörigen Weise durchgeführt worden ist, werden vom Schutzzweck der
Haftungsnorm für die Vollstreckung bloß vorläufig vollstreckbarer, später aufge-
hobener oder geänderter Titel nicht erfasst.
BGB §§ 831 A, 839 Fi
Bei pflichtwidrigem Handeln des Gerichtsvollziehers als Vollstreckungsorgan
tritt die Amtshaftung ein. Daneben ist kein Raum für eine Haftung des Gerichts-
vollziehers als Verrichtungsgehilfe des Gläubigers.
BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - IX ZR 36/08 - LG Gera
AG
Stadtroda
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Februar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, den Richter
Vill, die Richterin Lohmann und die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landge-
richts Gera vom 23. Januar 2008 wird auf Kosten des Klägers zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Mutter des Klägers und deren Ehemann waren seit 1995 Mieter ei-
nes Wohnhauses. Hierin wohnten neben den Mietern deren Kinder sowie der
Kläger. Die ursprüngliche Eigentümerin und Vermieterin veräußerte das Anwe-
sen im Jahre 2001 an den Beklagten. Dieser kündigte mit Schreiben vom
13. November 2001 wegen ausstehender Miete das Mietverhältnis fristlos und
erhob Räumungsklage gegen die Mieter, der das Amtsgericht mit vorläufig voll-
streckbarem Urteil vom 4. Juli 2002 stattgab. Aufgrund dieses Räumungstitels
ließ der Beklagte das Mietanwesen am 15./18. November 2002 durch die Ge-
richtsvollzieherin räumen. Hierbei wurde auf Anordnung der Gerichtsvollzieherin
ein Teil des geräumten Gutes entsorgt. Mit Urteil vom 7. Mai 2003 hob das
Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung vom 4. Juli 2002 auf und wies
die Räumungsklage ab. Die frühere Vermieterin und Grundstückseigentümerin
1
- 3 -
hatte das Mietverhältnis bereits mit Schreiben vom 26. November 1998 fristlos
gekündigt und gegen die Mieter Räumungsklage erhoben. Mit Urteil des Amts-
gerichts vom 20. Mai 2003 wurde dieser Klage stattgegeben und mit Berichti-
gungsbeschluss vom 4. November 2003 ausgesprochen, dass das Grundstück
an den Beklagten herauszugeben ist. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde
am 4. August 2004 rechtskräftig zurückgewiesen
Der Kläger macht geltend, die Räumung vom 15./18. November 2002 sei
nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Hierdurch hätten er, seine Lebens-
gefährtin, seine Mutter sowie deren Ehemann unter anderem Schäden an Ein-
richtungsgegenständen und sonstigen Sachen erlitten. Er begehrt hierfür, teils
aus eigenem Recht, teils aus abgetretenem Recht, Schadensersatz vom Be-
klagten. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete
Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit seiner zugelassenen Revision ver-
folgt der Kläger seinen Zahlungs- und Feststellungsantrag weiter.
2
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
3
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch aus
§ 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO gegenüber dem Beklagten bestehe nicht. Der zu-
nächst durch die Aufhebung des Vollstreckungstitels vom 4. Juli 2002 entstan-
dene Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO sei durch das nachfol-
4
- 4 -
gende rechtskräftige Räumungsurteil vom 20. Mai 2003 wieder entfallen. Dass
dieses Urteil nicht im Verhältnis der früheren Prozessbeteiligten ergangen, son-
dern von der früheren Eigentümerin erstritten worden sei, habe keine Bedeu-
tung, weil der Räumungsausspruch zu Gunsten des Beklagten ergangen sei.
Eine Haftung des Beklagten gemäß § 831 BGB für das Verhalten der Gerichts-
vollzieherin bei der Räumung scheide aus, weil ein Gerichtsvollzieher als Organ
der Zwangsvollstreckung selbständig handele und nicht als Vertreter des Gläu-
bigers tätig werde.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.
5
1. Dem Kläger stehen keine Schadensersatzansprüche aus § 717 Abs. 2
ZPO zu.
6
a) Die Klage wird ganz überwiegend auf die "Begleitschäden der
Zwangsvollstreckung", insbesondere den Verlust oder die Beschädigung von
Inventar, gestützt. Insoweit war sie, soweit auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützt, von
vornherein unschlüssig. Die genannte Norm bietet eine Anspruchsgrundlage
nur für Schäden, die auf der Erbringung der den Gegenstand der Vollstreckung
bildenden Leistung oder einer zur Abwendung der Vollstreckung erbrachten
Leistung beruhen. Der Schadensersatzanspruch umfasst zwar nicht nur die er-
brachte Leistung, sondern auch weitere Schäden, welche der Schuldner erlitten
hat. "Begleitschäden", die darauf zurückzuführen sind, dass die Zwangsvollstre-
ckung nicht in der gehörigen Weise durchgeführt worden ist, werden vom
Schutzzweck der Haftungsnorm jedoch nicht erfasst (vgl. BGHZ 85, 110, 114;
7
- 5 -
Musielak/Lackmann, ZPO 6. Aufl. § 717 Rn. 10). Die Verursachung solcher,
nach der eigenen Ansicht der Revision "von der eigentlichen Vollstreckungsleis-
tung … völlig unabhängigen Vermögensnachteile", wird durch jedweden Räu-
mungstitel nicht gerechtfertigt.
b) Ein Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO war lediglich für untergeordnete
Schadenspositionen wie Umzugskosten und Untermietaufwand in Betracht zu
ziehen. Insofern sind etwaige den Titelschuldnern ursprünglich zustehende An-
sprüche durch die rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Gera vom
4. August 2004 erloschen.
8
aa) Gemäß § 717 Abs. 2 ZPO ist der Gläubiger, der aus einem für vor-
läufig vollstreckbar erklärten Urteil die Zwangsvollstreckung betrieben hat, zum
Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, der dem Schuldner durch die Vollstre-
ckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung erbrachte
Leistung entstanden ist. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass derjenige, der
aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Titels in Anspruch genommen worden
ist, seine Leistung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält. Der Gläu-
biger, der aus einem nicht endgültigen Titel vollstreckt, handelt auf eigene Ge-
fahr. Der aus einer Vollstreckung, für die später die Grundlage wegfällt, folgen-
de Schaden soll vollständig aufgrund einer schuldunabhängigen Risikohaftung
des Gläubigers ausgeglichen werden (BGHZ 95, 10, 14 f; 136, 199, 204 f; 169,
308, 314 Rn. 19; BGH, Urt. v. 20. November 2008 - IX ZR 139/07 Rn. 6, zVb).
Der Aufwand für den Umzug und die Anmietung von Ersatzraum kann daher
grundsätzlich einen zu erstattenden Schaden nach § 717 Abs. 2 ZPO darstel-
len.
9
- 6 -
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die Haf-
tungsnorm des § 717 Abs. 2 ZPO grundsätzlich einer prozessrechtlichen Sicht.
Materiellrechtliche Einwände sind nur zulässig, wenn sie mit dem Sinn und
Zweck der Vorschrift, dem Vollstreckungsschuldner bezüglich des durch die
Zwangsvollstreckung oder zu deren Abwendung entstandenen Schadens sofor-
tigen Ersatz zu sichern, vereinbar sind. Eine Aufrechung mit der ursprünglich
titulierten Forderung wäre damit unvereinbar (BGHZ 136, 199, 204). Zugleich ist
jedoch anerkannt, dass ein zunächst in Betracht kommender Schadensersatz-
anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO ausscheidet, wenn der materiellrechtliche An-
spruch, dessen nicht rechtsbeständige Titulierung der Vollstreckung zugrunde
lag, später rechtsbeständig tituliert wird (BGHZ 136, 199, 211; BGH, Beschl. v.
7. April 2005 - IX ZR 294/01, NJW-RR 2005, 1135). Wird die in Rede stehende
Forderung dem Vollstreckungsgläubiger rechtskräftig zuerkannt, steht fest, dass
der Vollstreckungsschuldner überhaupt keinen Schadensersatzanspruch aus
§ 717 Abs. 2 ZPO hatte (BGHZ 136, 199, 204; BGH, Beschl. v. 7. April 2005
aaO).
10
Vorliegend wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts vom
20. Mai 2003 festgestellt, dass bezüglich des streitgegenständlichen Mietver-
hältnisses ein Räumungsanspruch zu Gunsten des Vermieters bereits zum
Zeitpunkt der Zwangsräumung bestand. Dieses Urteil ist zwar zu dem Mietver-
hältnis der Mieter mit der Rechtsvorgängerin des Beklagten ergangen. Der aus-
geurteilte Räumungsanspruch ist der Sache nach jedoch aufgrund von § 265
Abs. 1, § 325 Abs. 1 ZPO, § 571 BGB a.F. auf den Beklagten übergegangen.
Dies hat das Urteil vom 20. Mai 2003 - im Ausspruch durch Berichtigungsbe-
schluss vom 4. November 2003 ergänzt - auch berücksichtigt, indem die Voll-
streckungsschuldner verurteilt wurden, das Anwesen an den Beklagten heraus-
zugeben. Damit steht rechtskräftig fest, dass die Vollstreckungsschuldner ver-
11
- 7 -
pflichtet waren, die Mieträumlichkeiten zu räumen und an den Beklagten he-
rauszugeben. Ein Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO scheidet
unter diesen Umständen aus.
2. Zutreffend hat das Landgericht auch eine Einstandsverpflichtung des
Beklagten gemäß § 831 BGB verneint.
12
a) Zwar hat das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen die Zu-
lassung der Revision auf die Frage beschränkt, ob der Wegfall des Schadens-
ersatzanspruchs des § 717 Abs. 2 ZPO im Falle einer erneuten rechtskräftigen
Verurteilung auch dann gilt, wenn die neue rechtskräftige Entscheidung in ei-
nem anderen Rechtsverhältnis ergeht. Die auf eine einzelne Anspruchsgrundla-
ge oder eine Rechtsfrage beschränkte Zulassung ist aber unzulässig (BGHZ
90, 318, 320, ständige Rechtsprechung). Die Revision ist daher insgesamt
statthaft nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (BGH, Urt. v. 20. Mai 2003 - XI ZR
248/02, WM 2003, 1370, 1371; v. 23. September 2003 - XI ZR 135/02, WM
2003, 2232, 2233; v. 26. Oktober 2004 - XI ZR 255/03, NJW 2005, 664), so
dass das angefochtene Urteil in vollem Umfang überprüft werden muss (BGH,
Urt. v. 7. Juli 1983 - III ZR 119/82, WM 1984, 279, 280).
13
b) Der Gerichtsvollzieher ist ein Organ der Zwangsvollstreckung. Er han-
delt hierbei in Ausübung öffentlicher Gewalt. Durch ihn übt der Staat als alleini-
ger Träger der Vollstreckungsgewalt sein Zwangsmonopol in hoheitlicher Weise
aus (BVerfGE 61, 126, 136; BGHZ 146, 17, 19 f). Der Gerichtsvollzieher ist mit
dem Gläubiger nicht durch ein privatrechtliches Rechtsverhältnis verbunden,
vielmehr gehört seine Tätigkeit dem öffentlichen Recht an (RGZ - Vereinigte
Zivilsenate - 82, 85, 86 ff.; BGH. Beschl. v. 30. Januar 2004 - IXa ZB 274/03,
WM 2004, 542). Haftungsrechtlich hat dies die Konsequenz, dass bei pflichtwid-
14
- 8 -
rigem Handeln des Gerichtsvollziehers als Vollstreckungsorgan die Amtshaf-
tung eintritt. Die Staatshaftung für Amtspflichtverletzungen von Gerichtsvollzie-
hern ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem anerkannt (RGZ
87, 294, 295; 134, 178, 180; 144, 262, 263; BGHZ 146, 17, 23; BGH, Urt. v.
26. September 1957 - III ZR 67/56, VersR 1957, 735, 736; v. 25. Oktober 1962
- III ZR 105/61, VersR 1963, 88). Daneben ist kein Raum für eine Haftung des
Gerichtsvollziehers als Verrichtungsgehilfe des Gläubigers aus § 831 BGB. Dies
entspricht auch einhelliger Ansicht im Schrifttum (Spindler in Bamberger/Roth,
BGB 2. Aufl. § 831 Rn. 18; Palandt/Sprau, BGB 68. Aufl. § 831 Rn. 6; RGRK-
BGB/Steffen, 12. Aufl. § 831 Rn. 20; Staudinger/Belling, BGB (2008) § 831
Rn. 41, 66; Staudinger/Wurm, BGB (2007) § 839 Rn. 34).
3. Soweit die Revision geltend macht, dass es zur Vollstreckung des
Räumungstitels auch gegen den Kläger und seine Lebensgefährtin ihrer na-
mentlichen Erwähnung in dem Titel bedurft hätte, wird dieses Argument ledig-
lich zur Begründung der Aktivlegitimation für die auf § 717 Abs. 2 ZPO gestützte
Klage herangezogen. Ein selbständiger Anspruch aus § 823 BGB wird hieraus
nicht hergeleitet. Dies hätte auch keinen Erfolg versprochen, weil es - wie die
Revision einräumt - der damals herrschenden Auffassung entsprach, dass ein
Räumungstitel auch zur Zwangsvollstreckung gegen die Familienangehörigen
des zur Räumung Verpflichteten - einschließlich der erwachsenen Kinder und
deren Lebensgefährten - berechtigt (Stein/Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 885
Rn. 9 m.w.N. in Fußn. 44 und 45). Der verklagte Titelgläubiger hat deshalb je-
denfalls nicht schuldhaft gehandelt, indem er den Titel auch gegen den
15
- 9 -
in dem geräumten Objekt wohnenden Kläger und dessen Lebensgefährtin
durchsetzte.
Ganter Vill
Lohmann
Fischer
Pape
Vorinstanzen:
AG Stadtroda, Entscheidung vom 05.09.2006 - 3 C 108/06 -
LG Gera, Entscheidung vom 23.01.2008 - 1 S 395/06 -