Urteil des BGH vom 15.04.2010
Sparen Sie beim Medikamentenkauf! Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZR 72/08
Verkündet am:
9. September 2010
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Sparen Sie beim Medikamentenkauf!
UWG §§ 3, 4 Nr. 11; AMG § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3; AMPreisV § 1 Abs. 1 Nr. 2,
§ 3
Dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes wird die Fra-
ge zur Entscheidung vorgelegt, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für
im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt.
BGH, Beschluss vom 9. September 2010 - I ZR 72/08 - OLG Frankfurt/Main
LG
Darmstadt
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 15. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des
Bundes wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das
deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Ver-
sandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt.
Gründe:
I. Die in den Niederlanden ansässige Beklagte betreibt dort eine Prä-
senzapotheke und daneben im Internet eine Versandapotheke. Über sie wer-
den Medikamente in deutscher Sprache unter Angabe ihrer deutschen Be-
zeichnung oder der durch die deutsche Zulassungsbehörde vergebenen Phar-
mazentralnummer angeboten. Die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimit-
tel erfolgt sodann gegen Einsendung eines Originalrezepts.
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Gegenüber kraft Gesetzes krankenversicherten Personen in Deutschland
wirbt die Beklagte unter der Überschrift „Sparen Sie beim Medikamentenkauf“
mit einem Bonussystem. Danach erhält der Kunde bei verschreibungspflichti-
gen Medikamenten auf Kassenrezept einen Bonus von 3% des Warenwerts,
mindestens aber 2,50 € und höchstens 15 € pro verordneter Packung. Der Bo-
nus wird entweder direkt mit dem Rechnungsbetrag der Bestellung oder - so-
fern er höher ist als dieser - im Rahmen einer künftigen Bestellung verrechnet.
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Die Klägerin betreibt eine Apotheke in Darmstadt. Sie hält das Bonus-
system der Beklagten für rechtswidrig und damit auch für wettbewerbswidrig.
Es verstoße zum einen gegen § 7 HWG, der verhindern solle, dass die Ver-
braucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch näh-
men, durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst
würden. Zum anderen handele die Beklagte mit ihrem System dem § 78 Abs. 2
Satz 2 AMG zuwider, der einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für apo-
thekenpflichtige Arzneimittel vorsehe. Schließlich verstoße die Gewährung von
Rabatten in Höhe von bis zu 15 € pro Arzneimittel gegen § 4 Nr. 1 UWG, da sie
die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unangemessene unsachliche
Beeinflussung beeinträchtige.
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Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung der Ankündigung und
Gewährung ihrer Boni in Anspruch genommen.
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Die Beklagte hält ihr Bonussystem für zulässig. Da es keine produkt-,
sondern eine unternehmensbezogene Werbung darstelle, verstoße es nicht
gegen das Heilmittelwerberecht. Die aufgrund des § 78 AMG erlassene Arz-
neimittelpreisverordnung sei auf den Vertrieb von Arzneimitteln durch eine nie-
derländische Versandapotheke in Deutschland nicht anwendbar, da ein ent-
sprechender Gestaltungswille des Gesetzgebers fehle. Auch widerspreche die
Geltung dieser Preisbindung für innerhalb der Europäischen Gemeinschaft
ausgeführte grenzüberschreitende Arzneimittelverkäufe dem Gemeinschafts-
recht. Der Kunde werde auch nicht im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG unsachlich be-
einflusst. Die Annahme, das Bonussystem der Beklagten veranlasse Patienten
dazu, sich medizinisch unsinnige Arzneimittel verschreiben zu lassen, sei le-
bensfremd.
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Das Berufungsgericht hat der im ersten Rechtszug erfolglosen Klage
stattgegeben (OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2008, 306 = WRP 2008, 969).
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Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die ihren Klageabweisungsan-
trag weiterverfolgt.
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II. Das Verfahren ist auszusetzen. Die Sache ist dem Gemeinsamen Se-
nat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung der Vorlagefrage
vorzulegen (§§ 2, 11 RsprEinhG). Das Berufungsgericht hat die Verurteilung
der Beklagten mit Recht weder auf § 4 Nr. 1 noch auf § 4 Nr. 11 UWG in Ver-
bindung mit § 7 HWG gestützt. Mit der Vorinstanz ist der Senat der Ansicht,
dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhan-
dels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt. Da nach seiner Auffassung
auch die weiteren Voraussetzungen für den auf § 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, §§ 3, 4
Nr. 11 UWG i.V. mit § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3
AMPreisV gestützten Klageanspruch vorliegen, möchte er die Revision der Be-
klagten zurückweisen. Er sieht sich hieran allerdings durch die Rechtsprechung
des 1. Senats des Bundessozialgerichts gehindert. Dieser hat entschieden,
dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht für im Wege des Versandhandels
nach Deutschland eingeführte Arzneimittel nicht gilt (BSGE 101, 161 Rn. 23 ff.).
III. Die Vorlagefrage ist nach Auffassung des Senats zu bejahen.
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1. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts sind die Arzneimittel-Preisvor-
schriften klassisches hoheitliches Eingriffsrecht und daher schon nach dem völ-
kerrechtlichen Territorialitätsprinzip auf Arzneimittel außerhalb des Inlands un-
anwendbar. Da auch kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass das Arzneimittel-
gesetz und die Arzneimittelpreisverordnung insoweit Geltungskraft außerhalb
Deutschlands beanspruchten, dürften nicht nur Hersteller im Ausland oder bei
Abgabe von Arzneimitteln ins Ausland, sondern auch Arzneimittelimporteure
ihre Abgabepreise frei bestimmen. Hierdurch könne es auf der Einzelhandels-
stufe zu einem Preiswettbewerb kommen, ohne dass dem das Preisrecht nach
dem Arzneimittelgesetz entgegenstehe (BSGE 101, 161 Rn. 23).
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Eine bei diesen Gegebenheiten erforderliche Sonderregelung bei der
Abgabe von Arzneimitteln durch Internetapotheken an Endverbraucher sei we-
der im seit 1. Januar 2004 geltenden § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG noch in
den zugleich zur Ermöglichung des Versandhandels und des elektronischen
Handels mit Arzneimitteln eingefügten bzw. geänderten §§ 11a, 11b ApoG, § 17
ApoBetrO enthalten (aaO Rn. 24 bis 26). Der Gesetzgeber habe bei der dama-
ligen umfassenden Neuregelung, die sich in anderem Zusammenhang auch auf
die Preisvorschriften erstreckt habe, nicht beabsichtigt, für den Import von Arz-
neimitteln durch im Ausland ansässige Versandhandelsapotheken besondere
Preisvorschriften einzuführen (aaO Rn. 27). Dies werde auch durch die zum
1. Mai 2006 in § 130a SGB V eingefügten Absätze 3a und 3b deutlich. Danach
seien Erhöhungen des Herstellerabgabepreises bei Fertigarzneimitteln, für die
in der Arzneimittelpreisverordnung oder in § 129 Abs. 5a SGB V verbindliche
Handelszuschläge geregelt sind, im Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum
31. März 2008 bei der Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht wirksam geworden (aaO Rn. 29). Die dort für diesen Zeitraum bestimmte
Begrenzung des Ausgleichs von Preiserhöhungen bei Re- und Parallelimporten
auf einen Betrag, bei dem Importarzneimittel mindestens 15% bzw. 15 € preis-
günstiger blieben als Bezugsarzneimittel unter Berücksichtigung des zweijähri-
gen Festschreibens der Abrechnungspreise mit den Krankenkassen, trage ei-
nerseits den begrenzten Möglichkeiten der Arzneimittelimporteure Rechnung,
Preiserhöhungen auf ausländischen Märkten auszugleichen. Sie gewährleiste
andererseits den Fortbestand des gesetzlichen Preisabstandes zu den Bezugs-
arzneimitteln auch im Rahmen der Regelungen zum Ausschluss von Erhöhun-
gen der Abrechnungspreise mit den Krankenkassen und trage damit zur Erhal-
tung des Wettbewerbs durch preisgünstige Importarzneimittel bei (aaO Rn. 29).
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2. Der Senat möchte dieser Beurteilung nicht beitreten.
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a) Er ist im Hinblick auf die in § 73 Abs. 4 Satz 2 AMG enthaltene Rege-
lung schon nicht der Ansicht, dass die deutschen Preisvorschriften für einge-
führte Arzneimittel mangels einer speziellen Regelung im Arzneimittelrecht ins-
gesamt unanwendbar sind. Nach der genannten Bestimmung finden auf die im
Wege der sogenannten Einzeleinfuhr gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 6 bis
10, Abs. 3 AMG eingeführten Arzneimittel nur die dort im Einzelnen aufgeführ-
ten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes Anwendung. Zu diesen - wenigen -
auf einzelimportierte Arzneimittel anzuwendenden Vorschriften zählt indes die
Bestimmung des § 78 AMG. Damit gelten jedenfalls für im Wege der Einzelein-
fuhr eingeführte Arzneimittel die Regelungen des deutschen Arzneimittelpreis-
rechts (Dettling, A&R 2008, 204, 205). Wenn aber sogar bei diesen - vom deut-
schen Arzneimittelrechtsregime ansonsten weitgehend freigestellten - Arznei-
mitteln das deutsche Preisrecht gilt, kann für die im Wege des grenzüberschrei-
tenden Versandhandels eingeführten Arzneimittel kaum etwas anderes gelten
(Mand, PharmR 2008, 582, 585 mwN).
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Auf der Grundlage seiner Auffassung, dass alle Arzneimittel außer de-
nen, die im Inland hergestellt sind und das Inland auch nachfolgend bis zur Ab-
gabe in der Apotheke nicht verlassen haben, gleich zu behandeln seien, hätte
das Bundessozialgericht diese Mittel unter Berücksichtigung der Regelung des
§ 73 Abs. 4 Satz 2 AMG an sich mangels einer Sonderregelung sämtlich dem
deutschen Arzneimittelpreisrecht unterstellen müssen. Es hat es demgegen-
über allerdings - unter anderem unter Hinweis auf eine zu den sogenannten Re-
bzw. Parallelimport-Arzneimitteln i.S. von § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V er-
gangene Entscheidung des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs (BGH, Be-
schluss vom 21. Februar 1995 - KVR 10/94, BGHZ 129, 53, 54 und 55 - Import-
arzneimittel) - als maßgeblich angesehen, dass Importeure Arzneimittelpreise
frei bestimmen dürfen und importierte Arzneimittel daher auf der Einzelhandels-
stufe preisgünstiger sind als im Inland hergestellte Präparate, die das Inland bis
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zu ihrer Abgabe in der Apotheke nicht verlassen haben (BSGE 101, 161
Rn. 23).
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Für die Anwendbarkeit des deutschen Arzneimittelpreisrechts ist der Sitz
des Arzneimittelherstellers (§ 4 Abs. 14, §§ 13 ff. AMG), des pharmazeutischen
Unternehmers (§ 4 Abs. 18, § 9 AMG) sowie der Großhändler, über die die für
den deutschen Markt zugelassenen Arzneimittel an die abgebende Apotheke
gelangen (§ 4 Abs. 22, § 52a AMG), jedoch ebenso wenig von Belang wie die
Frage, ob und gegebenenfalls wie oft ein solches Arzneimittel zwischen der
Herstellung und dem Vertrieb nach Deutschland importiert wurde (Dettling, A&R
2008, 204, 206; vgl. auch Mand, PharmR 2008, 582, 585 f.). Bei den vom Bun-
dessozialgericht angesprochenen importierten Arzneimitteln im Sinne von § 129
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V handelt es sich um ursprünglich für ausländische
Märkte hergestellte und gekennzeichnete Arzneimittel, die von darauf speziali-
sierten Importunternehmen re- oder parallelimportiert und durch geänderte oder
neue Verpackungen im Inland verkehrsfähig gemacht werden und einer in ei-
nem vereinfachten Verfahren zu erteilenden eigenen Zulassung bedürfen. Der
Re- oder Parallelimporteur ist daher selbst pharmazeutischer Unternehmer und
muss sich bei der Festsetzung seines eigenen - verbindlichen - Abgabepreises
allein an die Vorgabe des § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V halten, dass der für
den Versicherten maßgebliche Abgabepreis mindestens 15% oder 15 € niedri-
ger liegt als der für den Versicherten maßgebliche Arzneimittelabgabepreis des
jeweiligen Original-Bezugsarzneimittels (Dettling aaO). Dagegen handelt es
sich beim Versand von in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimitteln durch
ausländische Versandapotheken in den Geltungsbereich des deutschen Arz-
neimittelgesetzes um den unveränderten Import hier zugelassener Fertigarz-
neimittel, wobei - ebenso wie bei inländischen Versandapotheken - sowohl Ori-
ginal-Bezugsarzneimittel als auch re- oder parallelimportierte Arzneimittel gelie-
fert werden können (Dettling aaO S. 207).
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b) Es kommt hinzu, dass es im Streitfall um Arzneimittel geht, die in
Deutschland zugelassen und in deutscher Sprache gekennzeichnet sind und
gemäß den vertraglichen Vereinbarungen mit deutschen Endverbrauchern oder
- bei gesetzlich versicherten Personen - mit deutschen gesetzlichen Kranken-
kassen nach Deutschland geliefert werden. Der damit jeweils gegebene In-
landsbezug kann die Anwendung der deutschen Preisvorschriften auch ohne
ausdrückliche einseitige Kollisionsnorm rechtfertigen (vgl. Mand, PharmR 2008,
582, 583 mwN). Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat für den ver-
gleichbaren Sachverhalt der Preisbindung grenzüberschreitender Dienstleistun-
gen von Architekten und Ingenieuren nach der Honorarordnung für Architekten
und Ingenieure (HOAI) entschieden, dass die Mindestpreisregel des § 4 Abs. 4
HOAI aF nach nationalem Kollisionsrecht auch ohne eine ihre Anwendbarkeit
anordnende Norm Geltung beansprucht, wenn Architekten oder Ingenieure im
Ausland Pläne für in Deutschland gelegene Bauvorhaben entwerfen (BGH, Ur-
teil vom 27. Februar 2003 - VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110, 115 f.).
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c) Auch ansonsten sind Regelungen mit extraterritorialer Wirkung nach
allgemeinem Völkerrecht gemäß dem mittlerweile in Art. 6 Abs. 1 Rom-II-VO
kodifizierten und insoweit nach Art. 6 Abs. 4 Rom-II-VO sogar zwingenden
Marktortprinzip zulässig, wenn sie einen hinreichenden Bezug zum eigenen
Souveränitätsbereich aufweisen (Dettling, A&R 2008, 204, 207). Das Marktort-
prinzip gilt insbesondere auch im internationalen Arzneimittelrecht (Dettling aaO
S. 207 f. mwN). Anzuwenden ist danach das Recht des Staates, in dessen Ge-
biet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbrau-
cher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.
Beim Versand von Arzneimitteln an Endverbraucher in Deutschland ist dies das
deutsche Preisrecht, weil die Verdrängungswirkungen des nach ihm uner-
wünschten Preiswettbewerbs im Inland auftreten. Die Freistellung allein der
ausländischen Versandapotheken vom deutschen Preisrecht würde dessen
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Regelungszweck nicht zuletzt deshalb besonders stark beeinträchtigen, weil die
im Inland ansässigen Apotheken nach dem für sie geltenden Recht auf einen
solchen Preiswettbewerb nicht eingehen dürfen und die im Ausland ansässigen
Anbieter schon wegen des Ortes ihrer Niederlassung keine flächendeckende
Akutversorgung im Notfall gewährleisten können (Mand, PharmR 2008, 582,
585). Unter diesen Umständen kann dem Umstand, dass die beim grenzüber-
schreitenden Versandhandel zur Bestellung angebotenen Arzneimittel erst nach
Vertragsabschluss ins Inland gelangen und die Apotheke sich im Ausland be-
findet und dort nach dem jeweiligen nationalen Recht tätig wird, keine maßgeb-
liche Bedeutung zukommen (aA Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 94). Der hier zu
beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich insoweit auch nicht wesentlich von
demjenigen, der dem in BGHZ 154, 110 abgedruckten Urteil des VII. Zivilsenats
des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegen hat; denn im einen wie im anderen
Fall wird ein Produkt vom Ausland aus auf einem inländischen Markt angebo-
ten, auf dem die Preise gebunden sind (aA Diekmann/Idel aaO).
d) Anders als die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure enthält
das Arzneimittelgesetz in § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG im Übrigen sogar eine
einseitige Kollisionsnorm, die die Anwendung des deutschen Arzneimittelpreis-
rechts für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt ausdrücklich anordnet.
Nach der genannten Bestimmung müssen ausländische Apotheken, die Arz-
neimittel an Endverbraucher in Deutschland versenden wollen, zum einen über
eine deutsche oder eine dem deutschen Recht entsprechende Versandhan-
delserlaubnis verfügen und zum anderen die Arzneimittel entsprechend den
deutschen Vorschriften zum Versandhandel oder zum elektronischen Handel
versenden. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts zielt diese Vorschrift aller-
dings nicht darauf ab, das Preisrecht des Arzneimittelgesetzes für ausländische
Versandhandelsapotheken zu exportieren; vielmehr solle sie lediglich die tat-
sächlich bestehenden Sicherheitsstandards für den Versandhandel und den
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elektronischen Handel mit Arzneimitteln auf einem Niveau absichern, das dem
nach deutschem Recht bestehenden Niveau entspreche (BSGE 101, 161
Rn. 27). Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG hat jedoch auch die
Funktion sicherzustellen, dass von inländischen Endverbrauchern oder für die-
se von inländischen gesetzlichen Krankenversicherungen abgeschlossene
Kaufverträge über im Wege des grenzüberschreitenden Versandhandels zu im-
portierende Arzneimittel den im Arzneimittelgesetz vorgesehenen Bestimmun-
gen über die Verschreibungspflicht und die Preisbildung unterstehen.
Es kommt hinzu, dass ausländische Apotheken, die über keine Erlaubnis
verfügen, die dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften
zum Versandhandel entspricht, nach dieser Bestimmung über eine deutsche
Versandhandelserlaubnis verfügen und bei deren Beantragung nach § 11a
Satz 1 Nr. 1 ApoG zusichern müssen, dass der Versand aus einer öffentlichen
Apotheke zusätzlich zu dem üblichen Apothekenbetrieb und nach den dafür
geltenden Vorschriften erfolgen wird, wobei zu diesen Vorschriften auch das
Preisrecht zählt (Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, §
17 Rn.
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f.
[Stand: April 2010]; Dettling, A&R 2008, 204, 208; Mand, PharmR 2008, 582,
584). Da es aber keinen Sinn ergäbe, die Beachtung der deutschen Preisvor-
schriften davon abhängig zu machen, ob eine ausländische Apotheke über eine
Versandhandelsbefugnis nach ihrem nationalen Recht oder über eine entspre-
chende deutsche Erlaubnis verfügt, lässt sich diese Regelung nur damit erklä-
ren, dass die Arzneimittelpreisverordnung bei Lieferungen an Verbraucher in
Deutschland insgesamt anwendbar ist (Mand aaO; Dettling, A&R 2008, 204,
209).
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e) Für die vom Senat vertretene Ansicht spricht weiterhin die Entste-
hungsgeschichte des Gesetzes (aA Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 94). Dieses
sieht entgegen Art. 16 Nr. 4 des von den Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE
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GRÜNEN zunächst vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung
des Gesundheitssystems (BT-Drucks. 15/1170 S. 52 und 139) für den grenz-
überschreitenden Handel mit Arzneimitteln bewusst gerade keine Ausnahme
von der Preisbindung vor (Dettling, A&R 2008, 204, 208 f.). Weiterhin ist zu be-
rücksichtigen, dass Arzneimittel gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG ent-
sprechend den deutschen Vorschriften zum Versandhandel versandt werden
müssen. Das Bundessozialgericht (BSGE 101, 161 Rn. 27) hat sich zur Be-
gründung seiner gegenteiligen Auffassung allerdings auch auf die Senatsent-
scheidung "Versandhandel mit Arzneimitteln" (BGH, Urteil vom 20. Dezember
2007 - I ZR 205/04, GRUR 2008, 275 Rn. 26 = WRP 2008, 356) gestützt. Der
Senat hat sich dort jedoch allein zu der Frage geäußert, welche Voraussetzun-
gen das nationale Recht der Versandapotheke bei einem grenzüberschreiten-
den Arzneimittelversandhandel an Endverbraucher erfüllen muss, damit es dem
deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel
entspricht.
f) Die vom Senat vertretene Beurteilung steht nicht in Widerspruch zum
primären Gemeinschaftsrecht. Dabei kann unterstellt werden, dass die deut-
sche Regelung zur Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln
eine Maßnahme gleicher Wirkung i.S. von Art. 34 AEUV darstellt. Die Regelung
ist nämlich jedenfalls nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist
bei der Prüfung, ob die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des primären Ge-
meinschaftsrechts über die Verkehrsfreiheiten im Rahmen ihrer Zuständigkeit
gemäß Art. 168 Abs. 7 AEUV für den Erlass von Vorschriften zur Organisation
von Diensten im Gesundheitswesen wie der öffentlichen Apotheken beachtet
haben, zu berücksichtigen, dass die Gesundheit und das Leben von Menschen
den höchsten Rang unter den in Art. 36 AEUV geschützten Gütern und Interes-
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sen einnehmen und dass die Mitgliedstaaten zu bestimmen haben, auf wel-
chem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten
wollen und wie dies erreicht werden soll. Da sich das Niveau von einem Mit-
gliedstaat zum anderen unterscheiden kann, steht den Mitgliedstaaten insoweit
ein Wertungsspielraum zu (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - C-171 und
172/07, Slg. 2009, I-4171 = NJW 2009, 2112 Rn. 18 f. - Apothekenkammer
u.a./Saarland, mwN). Wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder
der Bedeutung der Gefahren für die menschliche Gesundheit bleibt, können die
Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen treffen, ohne warten zu müssen, bis der
Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht ist.
Außerdem können sie diejenigen Maßnahmen treffen, die eine Gefahr für die
Gesundheit der Bevölkerung einschließlich einer Gefahr für die sichere und
qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung weitestgehend
verringern (EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 30 - Apothekenkammer u.a./Saarland).
In diesem Zusammenhang ist der ganz besondere Charakter der Arzneimittel
zu berücksichtigen, die der Gesundheit aufgrund ihrer therapeutischen Wirkun-
gen bei nicht veranlasster oder falscher Einnahme schweren Schaden zufügen
können, ohne dass sich der Patient dessen bei ihrer Verabreichung bewusst ist
(EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 31 f. - Apothekenkammer u.a./Saarland). Ein ent-
sprechender Fehlgebrauch von Arzneimitteln führt zudem zu einer Verschwen-
dung finanzieller Mittel, die umso schädlicher ist, als der Pharmabereich erheb-
liche Kosten verursacht und wachsenden Bedürfnissen entsprechen muss, die
für die Gesundheitspflege verfügbaren finanziellen Mittel aber nicht unbegrenzt
sind (EuGH, NJW 2009, 2112 Rn. 33 - Apothekenkammer u.a./Saarland).
Nach dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs hat der deutsche Gesetz-
geber den ihm insoweit zuerkannten Wertungsspielraum nicht dadurch über-
schritten, dass er verschreibungspflichtige Arzneimittel im Interesse der siche-
ren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung einer
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umfassenden und damit auch den grenzüberschreitenden Versandhandel er-
fassenden Preisbindung unterstellt hat, um so der Gefahr eines ruinösen Preis-
wettbewerbs unter Apotheken entgegenzuwirken. Es ist weder von der Beklag-
ten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, welches konkrete System bei
geringeren Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit dieser Gefahr ebenso
wirksam entgegenwirken könnte (vgl. OLG München, A&R 2009, 184, 187). Ge-
genteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 11. De-
zember 2003 (C-322/01, Slg. 2003, I-14887 = NJW 2004, 131 - Deutscher Apo-
thekenverband e.V./0800 DocMorris NV u.a.). Der Gerichtshof hat sich dort an
der Feststellung, dass das Verbot des Versandhandels mit verschreibungs-
pflichtigen Arzneimitteln in Deutschland (auch) durch Gründe der Intaktheit des
nationalen Gesundheitswesens gerechtfertigt sein kann, nur deshalb gehindert
gesehen, weil der Kläger in dem dem Vorlageverfahren zugrunde liegenden
Ausgangsverfahren keine Argumente für die Erforderlichkeit der Arzneimittel-
preisbindung vorgetragen hatte (vgl. EuGH, NJW 2004, 131 Rn.
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- Deutscher Apothekenverband e.V./0800 DocMorris NV u.a.).
g) Die Erstreckung der Arzneimittelpreisbindung auf in anderen Mitglied-
staaten ansässige Versandapotheken, die sich an Endverbraucher im Inland
wenden, ist schließlich auch mit dem sekundären Gemeinschaftsrecht und ins-
besondere mit der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes
für Humanarzneimittel vereinbar. Zwar wird im Schrifttum die Ansicht vertreten,
aus den Erwägungsgründen 2, 3, 30 und 38 dieser Richtlinie folge die Unzuläs-
sigkeit einer solchen Erstreckung (Diekmann/Idel, APR 2009, 93, 95 f.). Die ge-
nannten Erwägungsgründe sind dafür aber nicht aussagekräftig. Dies gilt insbe-
sondere für den Erwägungsgrund 38 der Richtlinie. Dieser spricht die Möglich-
keit an, Großhändlern im Interesse des Schutzes der Volksgesundheit bestimm-
te gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen. Aus dem Umstand, dass
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die Preisbindung von Apotheken dort nicht genannt ist, kann nicht im Umkehr-
schluss deren Unzulässigkeit abgeleitet werden. Die dort gebrauchten einlei-
tenden Wörter "Einige Mitgliedstaaten erlegen Großhändlern …" lassen erken-
nen, dass mit dem Erwägungsgrund lediglich bestimmte Regelungen einiger
Staaten herausgegriffen und beurteilt werden sollten. Eine Aussage zur Preis-
festsetzungskompetenz der Mitgliedstaaten enthält erst Art. 4 Abs. 3 der Richt-
linie 2001/83/EG. Diese Vorschrift bestimmt jedoch ausdrücklich, dass die Zu-
ständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der
Arzneimittelpreise durch die Richtlinie 2001/83/EG unberührt bleiben (vgl. OLG
Hamburg, A&R 2009, 87, 90 f. = APR 2009, 32; OLG München, GRUR-RR
2010, 53, 55).
Bornkamm Büscher
Schaffert
Bergmann
Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 22.12.2006 - 12 O 123/06 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 29.11.2007 - 6 U 26/07 -