Urteil des BGH vom 27.02.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 135/02
Verkündet am:
20. März 2003
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 134; Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe § 31
Es verstößt grundsätzlich nicht gegen das berufsrechtliche Verbot, sich für
die Zuweisung von Patienten ein Entgelt versprechen zu lassen, wenn bei
ambulanten Operationen der Operateur von dem Anästhesisten einen (auch
pauschalierten) Kostenbeitrag für die Bereitstellung des Operationssaals
und des Personals verlangt.
BGH, Urteil vom 20. März 2003 - III ZR 135/02 - OLG Hamm
LG Paderborn
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter
Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Galke
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Hamm vom 27. Februar 2002 wird zurückge-
wiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger sind Fachärzte für Anästhesie, der beklagte Frauenarzt be-
treibt eine gynäkologische Tagesklinik, in der er ambulante Operationen durch-
führt. Zwischen 1996 und 2000 übernahmen die Kläger dabei die Narkose. Der
Beklagte stellte den Operationsraum mit dem erforderlichen Personal bereit,
während die Kläger die für die Anästhesie notwendigen Geräte, Materialien
und Medikamente mitbrachten. Als Kostenbeitrag verlangte der Beklagte von
den Klägern eine Pauschale von zunächst 25 DM, dann 50 DM je Operation,
die die Kläger mit insgesamt 85.025 DM auch bezahlten. Als der Beklagte im
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November 2000 eine weitere Erhöhung des Kostenanteils forderte, endete die
Zusammenarbeit.
Die Kläger begehren die Rückzahlung ihrer Leistungen. Sie halten die
zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen wegen Verstoßes gegen
ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB für nichtig. Verletzt ist nach ihrer
Auffassung § 31 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom
21. März 1998/24. April 1999 (MBl. NW 1999 S. 1072, künftig BerufsO; zuvor
§ 22 der Berufs- und Weiterbildungsordnung vom 29. Mai 1995, MBl. NW 1995
S. 938). Die Vorschrift lautet:
"Es ist nicht gestattet, für die Zuweisung von Patientinnen und
Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt oder andere
Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu
versprechen oder zu gewähren."
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit
der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre
Erstattungsansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
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Nach Ansicht des Berufungsgerichts enthält die vereinbarte Kostenre-
gelung keinen Verstoß gegen § 31 BerufsO. Die Norm sei schon von ihrem
Wortlaut her nicht einschlägig. "Zuweisung" von Patienten oder Untersu-
chungsmaterial bedeute typischerweise die Nach- oder Zwischenschaltung ei-
nes anderen Facharztes oder Laborarztes im Wege der Überweisung. In den
Fällen ambulanten Operierens würden hingegen die Ärzte verschiedener Fach-
richtungen gleichzeitig im Sinne horizontaler Arbeitsteilung tätig, der Anästhe-
sist werde von dem Chirurgen oder Gynäkologen lediglich hinzugezogen. Eine
Kostenbeteiligung der Kläger verstoße auch nicht gegen Sinn und Zweck der
Norm. Die Bestimmung solle eine durch die Gewährung eines Entgelts erzielte
Bindung des behandelnden Arztes in der Entscheidung über die Person des
zuzuziehenden anderen Arztes verhindern. Diese Zielsetzung könne zwar auch
bei Konstellationen der vorliegenden Art in Frage gestellt sein. Dennoch sei die
Aufteilung der Kosten beim ambulanten Operieren für zulässig. Hierfür bestehe
auch ein praktisches Bedürfnis. Notwendig sei neben dem jeweils fachbezoge-
nen Instrumentarium zumindest ein von beiden Fachärzten genutzter Operati-
onsraum. Das betriebswirtschaftliche Risiko, insoweit nicht kostendeckend zu
arbeiten, verbleibe dem Arzt, der den Operationssaal vorhalte. Daran dürfe er
den anderen Facharzt beteiligen. So werde auch in der täglichen Praxis verfah-
ren.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
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1.
§ 31 BerufsO ist zwar, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen
hat, ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB (so für gleiche oder ähnliche
ärztliche Standesregeln: BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 - VIII ZR 10/85 -
NJW 1986, 2360, 2361; BayObLGZ 2000, 301, 307 f. = MedR 2001, 206,
209 f.; Staudinger/Sack, BGB, 13. Bearb. 1996, § 134 Rn. 309, s. aber auch
Rn. 27; abweichend Taupitz, JZ 1994, 221, 224 ff.). Auch steht § 545 Abs. 1
ZPO einer Nachprüfung der vom Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung
der Bestimmung nicht entgegen. Wenngleich ihr Geltungsbereich sich auf den
Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm beschränkt, so geht sie doch auf die so-
genannte Musterberufsordnung der deutschen Ärzte zurück und stimmt da-
durch bewußt und gewollt mit den in anderen Oberlandesgerichtsbezirken gel-
tenden Regelungen überein. In solchen Fällen ist auch das Landesrecht revisi-
bel (BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - I ZR 102/94 - NJW 1997, 799, 800
m.w.N.). Indessen wird die hier in Rede stehende Kostenteilung bei ambulan-
ten Operationen von dem Verbot nicht erfaßt.
2.
Ob das Hinzuziehen eines Anästhesisten zu den ambulanten Opera-
tionen eines Gynäkologen oder Chirurgen eine "Zuweisung" im Sinne des § 31
BerufsO darstellt (verneinend wie das Berufungsgericht auch LG Düsseldorf
MedR 2002, 203), mag dahinstehen. Eine Beteiligung des mitbehandelnden
Facharztes an den Kosten der für die Operation gemeinsam genutzten Einrich-
tungen ist jedenfalls, solange sie nicht über eine anteilige Belastung hinaus-
geht und nicht zu einem Gewinn des Operateurs (verdeckte Provision) führt,
bei einem an Sinn und Zweck der Regelung orientierten Verständnis kein die-
sem gewährtes "Entgelt" oder ein ihm versprochener "anderer Vorteil".
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a) Die Vorschrift soll ausschließen, daß sich der überweisende Arzt in
seiner Entscheidung, welchem anderen Arzt er Patienten zuweist, von vornher-
ein gegen Entgelt bindet, und gewährleisten, daß er diese Entscheidung allein
aufgrund medizinischer Erwägungen im Interesse des Patienten trifft (BGH,
Urteil vom 22. Januar 1986 aaO). Aus der Sicht der potentiellen Adressaten
einer Zuweisung ist die Regelung ebenso dazu bestimmt, ungerechtfertigte
Wettbewerbsvorteile von Ärzten untereinander zu verhindern (Ratzel/Lippert,
Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte, 3. Aufl. 2001, § 31
Rn. 1; s. auch BGH, Urteil vom 22. Juni 1989 - I ZR 120/87 - NJW-RR 1989,
1313, 1314 = MedR 1990, 77, 79). Bei dieser Zielsetzung können - auch im
Hinblick auf die nur aufgrund hinreichender Sachgründe einschränkbare, ver-
fassungsrechtlich gewährleistete freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2
GG) - solche Zahlungen nicht unzulässig sein, die ihren Grund in der Behand-
lung selbst haben (Ratzel/Lippert, aaO) und als (pauschaler) Aufwendungser-
satz sachlich gerechtfertigt sind. So liegt es insbesondere dann, wenn zwi-
schen dem zuweisenden Arzt und dem hinzugezogenen Facharzt eine Form
enger ärztlicher Kooperation besteht, bei der Aufwendungen des überweisen-
den Arztes auch dem anderen zugute kommen. Dem mit den Kosten Belasteten
kann es hier, selbst wenn die Zusammenarbeit nicht die Qualität einer Gesell-
schaft bürgerlichen Rechts (Praxisgemeinschaft, Apparategemeinschaft) mit
ihrer im Zweifel hälftigen Kostenteilung (§ 722 BGB) erreicht, nicht verwehrt
sein, bei dem davon entlasteten Kooperationspartner einen Kostenausgleich zu
suchen. Das wäre allerdings ausgeschlossen, wenn solche Aufwendungen im
Einzelfall bereits im Rahmen der ärztlichen Liquidation vom Patienten oder von
dem Kostenträger vollständig ersetzt würden. Hiervon ist für den Streitfall nach
dem unstreitigen Parteivorbringen indes nicht auszugehen. Der Revision ist
zwar zuzugeben, daß die Gefahr eines Mißbrauchs - daß möglicherweise der
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"Meistbietende" den Zuschlag erhält - damit nicht ausgeräumt wird. Es wäre
jedoch unverhältnismäßig, deswegen eine wirtschaftlich berechtigte und viel-
leicht sogar kalkulatorisch notwendige Kostenverteilung zu untersagen.
b) Ein Fall dieser Art ist hier gegeben. Das Berufungsgericht stellt unan-
gegriffen fest, daß der Beklagte allein die erheblichen fixen Kosten des Opera-
tionsraums (bei einer jährlichen Praxismiete von mehr als 70.000 DM und zu-
sätzlichen Investitionen für die Klinik in behaupteter Höhe von 400.000 DM bis
500.000 DM), verbunden mit dem daran geknüpften betriebswirtschaftlichen
Risiko, getragen hat. Diese Aufwendungen sind entgegen der Revision nicht
als sogenannte "Sowieso-Kosten" ausschließlich dem Beklagten anzulasten.
Da die Operationen von beiden Parteien arbeitsteilig durchgeführt worden sind
und keine dieser Leistungen ohne gemeinsame Benutzung des Operations-
saales möglich gewesen wäre, haben auch die Kläger Nutzen aus dessen
Verfügbarkeit gezogen, nicht anders, als wenn umgekehrt die Kläger als
Anästhesisten einen geeigneten Raum für ambulante Operationen Dritter vor-
gehalten hätten. Dementsprechend haben die Kläger vorgerichtlich auch nicht
nur die jetzt im Streit befindlichen Zahlungen geleistet, sondern dem Beklagten
außerdem die Berechnung der sogenannten Aufwachziffern für die Überwa-
chung der Patienten nach der Operation überlassen und dadurch die Berechti-
gung eines Kostenausgleichs im Grundsatz anerkannt. Daß die von dem Be-
klagten abrechenbaren ärztlichen Gebühren dessen Aufwand gedeckt und der
Beklagte deswegen mit den von den Klägern erhaltenen Zahlungen einen Ge-
winn gemacht hätte, haben die Kläger nicht behauptet. Soweit die Revision
rügt, der Beklagte habe den Klägern entgegen den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts nicht erklärt, das Entgelt sei zur anteiligen Beteiligung an den
Kosten des Operationsraums bestimmt, hat der Senat die Verfahrensrügen ge-
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prüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer weiteren Begründung wird
gemäß § 564 ZPO abgesehen.
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3.
Sittenwidrigkeit der Vereinbarung oder ein Verstoß des Beklagten gegen
ein Schutzgesetz kommt bei dieser Sachlage ebensowenig in Betracht.
Rinne
Streck
Schlick
Kapsa
Galke