Urteil des BGH vom 10.12.2013
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 24/13
Verkündet am:
10. Dezember 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 651a Abs. 1, § 315 Abs. 1, § 307 Abs. 1 Bi, Cc, § 308 Nr. 4;
BGB-InfoV § 6 Abs. 2
a) Die Luftbeförderung gehört bei einer Flugreise zu der vom Reiseveran-
stalter zu erbringenden Hauptleistung.  Der Reisevertrag muss die  Fra-
ge regeln, wann sie erbracht werden soll.
b)  Der Zeitpunkt der Abreise kann im Reisevertrag nicht nur als nach Tag
und  Uhrzeit  bezeichneter  Zeitpunkt  vereinbart,  sondern  auch  zum  Ge-
genstand  eines  Leistungsbestimmungsrechts  des  Reiseveranstalters
gemacht  werden,  das  es  diesem  erlaubt,  die  genaue  Leistungszeit  in-
nerhalb  eines  vereinbarten  Rahmens  festzulegen.  Ein  solches  Bestim-
mungsrecht kann auch durch die Vereinbarung einer als voraussichtlich
bezeichneten Abreisezeit eingeräumt werden.
c) Liegt  dem  Reisevertrag  eine  vom  Reiseveranstalter  genannte  voraus-
sichtliche  Abreisezeit  (hier:  Abflugzeit)  zugrunde,  ist  diese  jedenfalls
annähernd einzuhalten.
d) Die  Klauseln  in  den  Allgemeinen  Geschäftsbedingungen  eines  Reise-
veranstalters
"Die  endgültige  Festlegung  der  Flugzeiten  obliegt  dem  Ver-
anstalter mit den Reiseunterlagen."
und
"Informationen  über  Flugzeiten  durch  Reisebüros  sind  un-
verbindlich."
benachteiligen  den  Reisenden  entgegen  den  Geboten  von  Treu  und
Glauben unangemessen und sind unwirksam.
BGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - X ZR 24/13 - OLG Celle
LG Hannover
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung
vom
10. Dezember
2013
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Prof. Dr. Meier-Beck,  die  Richter  Dr. Grabinski,  Dr. Bacher,  Hoffmann  und  die
Richterin Schuster
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 7. Februar 2013 verkündete Urteil des
11.  Zivilsenats  des  Oberlandesgerichts  Celle  wird  auf  Kosten  der
Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist der bundesweit tätige Dachverband der Verbraucherzentra-
len  der  Bundesländer;  er  ist  in  die  Liste  qualifizierter  Einrichtungen  gemäß
§ 4 UKlaG eingetragen.
Die Beklagte bietet Pauschalreiseverträge an. Sie verwendet "Ausführliche
Reisebedingungen", die in Abschnitt 3.3 in Absatz 1 Satz 2 und 3 folgende Re-
gelungen enthalten:
"Die  endgültige  Festlegung  der  Flugzeiten  obliegt  dem  Veranstalter  mit
den  Reiseunterlagen.  Informationen  über  Flugzeiten  durch  Reisebüros
sind unverbindlich."
Der Kläger hält diese Bedingungen für unwirksam. Er erstrebt mit der Kla-
ge ein Verbot, diese oder inhaltsgleiche Bestimmungen in Pauschalreiseverträ-
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ge  mit  Verbrauchern  einzubeziehen  sowie  sich  auf  die  Bestimmungen  bei  der
Abwicklung  derartiger  Verträge  zu  berufen  und  die  Erstattung  der  Kosten  der
erfolglosen Abmahnung der Beklagten.
Das  Landgericht  hat  die  Beklagte  hinsichtlich  der ersten  Klausel antrags-
gemäß  verurteilt  und die  Klage  im  Übrigen  abgewiesen.  Das  Berufungsgericht
hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klä-
gers  auch  hinsichtlich  der  zweiten  Klausel  antragsgemäß  erkannt.  Dagegen
richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, der
der Kläger entgegentritt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, beide Klauseln beinhalteten
Nebenabreden,  die  entweder  die  vertragliche  Änderung  der  Leistung  der  Be-
klagten  oder  die  einseitige  Leistungsbestimmung  durch  die  Beklagte  ermögli-
chen  sollten.  Es  handle  sich  deshalb  um  Vertragsbedingungen  im  Sinne  von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen (nachfolgend: AGB), die der Inhaltskontrol-
le gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterlägen.
Die  erste Klausel  ("Die endgültige Festlegung der Flugzeiten obliegt  dem
Veranstalter  mit  den  Reiseunterlagen.")  verstoße  sowohl  gegen  § 308  Nr. 4
BGB als auch gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Die Klausel umfasse dem Wortlaut nach auch Fälle, in denen von der Be-
klagten bei Vertragsschluss bereits eine feste Abflug- und Ankunftszeit genannt
werde. Die Änderung einer solchen Vereinbarung stelle eine Vertragsänderung
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im Sinne des § 308 Nr. 4 BGB dar. Ein wirksamer Änderungsvorbehalt in AGB
setze  voraus,  dass  die  Interessen  des  Vertragspartners  gewahrt  würden,  die
Änderung  diesem  insbesondere  zumutbar  sei.  Die  möglichen  triftigen  Ände-
rungsgründe müssten konkret benannt werden. Daran fehle es bei der angegrif-
fenen Klausel.
In  denjenigen  Fällen,  in  denen  von  der  Beklagten  keine  (verbindlichen)
Angaben zu Flugzeiten gemacht worden seien, verstoße die Klausel gegen das
Transparenzgebot.  Die  nachträgliche  Benennung  einer  Vertragsleistung  stelle
eine einseitige Leistungsbestimmung im Sinne des § 315 BGB dar. Eine solche
sei  in  AGB  nur  zulässig,  wenn  es  hierfür  ein  berechtigtes  Interesse  des  Ver-
wenders  gebe  und  dieses  in  der  Klausel  auch  genannt  werde,  damit  der  Ver-
tragsinhalt  für  den  Vertragspartner  kalkulierbar  sei.  Ein  etwaiges  berechtigtes
Interesse  der  Beklagten  an  einer  nachträglichen  einseitigen  Leistungsbestim-
mung sei weder in der Klausel erwähnt noch sei ersichtlich, auf welche Weise in
einem solchen Fall die Interessen des Reisenden beachtet würden.
Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass der Reisende nach § 6
Abs.  2  Nr.  2  der  Verordnung  über  Informations-  und  Nachweispflichten  nach
bürgerlichem Recht (nachfolgend: Informationsverordnung oder BGB-InfoV) nur
über die voraussichtliche Zeit der Abreise und der Rückkehr zu informieren sei.
Regelungsinhalt  der  Informationsverordnung  sei  nicht  die  Festlegung  des  Ver-
tragsinhalts  des  Pauschalreisevertrags,  sondern  die  Benennung  der  Informati-
onspflichten  des  Reiseveranstalters.  Die  Verbindlichkeit der  angegebenen  Zei-
ten ergebe sich aus dem jeweiligen Vertrag. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. i
der  Richtlinie  90/314/EWG  des  Rates  vom 13.  Juni  1990  über  Pauschalreisen
(ABl. L 158 vom 23.  Juni 1990,  S.  59 bis 64,  nachfolgend: Richtlinie),  wonach
dem Verbraucher nur Tag und Zeit der Abreise und Rückkehr mitgeteilt werden
müssten,  führe  zu  keiner  anderen  Beurteilung.  Die  Richtlinie  stelle  nur  eine
Mindestharmonisierung der nationalen Rechte dar.
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Die zweite Klausel ("Informationen über Flugzeiten durch Reisebüros sind
unverbindlich.") verstoße gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2
BGB.  Es  handle  sich  nicht  nur  um  eine  die  Vollmacht  eines  Reisevermittlers
beschränkende  Klausel.  Durch  die  Regelung  werde  bei  dem  Reisenden  viel-
mehr  der  Eindruck  erweckt,  sämtliche  Angaben  der  Reisebüromitarbeiter,  die
sich  auf  Flugzeiten  bezögen,  seien  unverbindlich.  Dies  betreffe  auch  die  von
den  Reisebüromitarbeitern  lediglich  weitergegebenen  Fluginformationen  der
Beklagten. An den von ihr selbst  genannten Informationen müsse sich  die Be-
klagte jedoch in jedem Fall festhalten lassen.
Die  Unterlassungsverpflichtung  beziehe  sich  auf  den  gesamten  Zeitraum
ab  dem  1. April  1977.  Zu  diesem  Zeitpunkt  sei  das  Gesetz  zur  Regelung  des
Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) in Kraft getreten,
dessen Vorschriften, soweit in diesem Rechtsstreit von Bedeutung, mit §§ 307,
308  BGB  übereinstimmten.  Die  Beklagte  dürfe  inhaltsgleiche  Klauseln  in  kei-
nem  der  Verträge  seit  dem  Inkrafttreten  des  AGB-Gesetzes  verwenden.  Auf
den Zeitpunkt der Einführung der konkret beanstandeten Reisebedingungen der
Beklagten  komme  es  nicht  an,  da  alle  inhaltsgleichen  Klauseln  von  dem  Ver-
wendungsverbot erfasst seien.
II.
Diese  Beurteilung  hält  der  revisionsrechtlichen  Überprüfung  stand.
Der Kläger kann nach §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG von der Beklagten ver-
langen,  die  Verwendung  der  genannten  Klauseln  zu  unterlassen;  die  Beklagte
hat deshalb auch die Kosten der Abmahnung zu tragen.
1.
Bei den angegriffenen Bestimmungen handelt es sich, wie das Beru-
fungsgericht von der Revision unbeanstandet festgestellt hat, um für eine Viel-
zahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen, die die Beklagte ihren Ver-
tragspartnern bei Abschluss eines Vertrags stellt (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB).
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2.
Zutreffend  hat  das  Berufungsgericht  angenommen,  dass  die  streiti-
gen Bestimmungen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle unterlie-
gen.
a)
Gegenstand der Inhaltskontrolle sind nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB
solche  Bestimmungen  in  AGB,  durch  die  von  Rechtsvorschriften  abweichende
oder  diese  ergänzende  Regelungen  vereinbart  werden.  Unter  Rechtsvorschrif-
ten sind dabei nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn zu verstehen.
Möglich  ist  auch  eine  Kontrolle  von  AGB-Klauseln,  die  vertragsnatürliche  we-
sentliche Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränken
oder  sonst  gegen  allgemein  anerkannte  Rechtsgrundsätze  verstoßen  (vgl.
BGH,  Urteile  vom  21.  Dezember  1983  - VIII ZR 195/82,  BGHZ  89,  206,  211;
vom  6.  Februar  1985  - VIII ZR 61/84,  BGHZ  93,  358,  362;  vom  10.  Dezember
1992  - I ZR 186/90,  BGHZ  121,  13,  18  und  vom  8. Oktober  2013
- XI ZR 401/12,  WM  2013,  2166).  Hierzu  gehören  auch  alle  ungeschriebenen
Rechtsgrundsätze,  die  Regeln  des  Richterrechts  oder  die  aufgrund  ergänzen-
der  Auslegung  nach  §§  157,  242  BGB  und  aus  der  Natur  des  jeweiligen
Schuldverhältnisses  zu  entnehmenden  Rechte  und  Pflichten.  Nicht  unter  die
Inhaltskontrolle fallen vertragliche Vereinbarungen betreffend Leistung und Ge-
genleistung, die von den Vertragsparteien nach den Grundsätzen der Privatau-
tonomie frei bestimmt werden können oder deklaratorische Klauseln, die ledig-
lich  den  Inhalt  gesetzlicher  Vorschriften  wiedergeben.  Kontrollfähig  sind  dage-
gen  Klauseln,  die  das  Hauptleistungsversprechen  modifizieren,  einschränken
oder  aushöhlen  (BGH,  Urteile  vom  19.  November  1991  - X ZR 63/90,  BGHZ
116,  119;  vom  16.  November  1999  -  KZR  12/97,  BGHZ  143,  128,  138;  vom
18. April  2002  - III ZR 199/01,  NJW  2002,  2386;  vom  22. November  2012
- VII ZR 222/12,  NJW  2012,  159  Rn.  16;  vgl.  auch  Ulmer/Brandner/Hensen/
Fuchs, AGB-Recht, 11. Aufl., § 307 BGB Rn. 38, 40 mwN).
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Ob eine Klausel danach kontrollfähig ist, ist durch Auslegung zu ermitteln
(BGH WM 2013, 2166 mwN). Maßgeblich ist, wie der Wortlaut der Klausel von
verständigen  und  redlichen  Vertragspartnern  unter  Abwägung  der  Interessen
der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise nach dem objektiven Inhalt und dem
typischen  Sinn  der  Klausel  verstanden  wird  (BGH,  Urteil  vom  13.  November
2012 - XI ZR 500/11, BGHZ 195, 298).
b)
Bei  Anwendung  dieser  Grundsätze  unterliegen  die  angegriffenen
Klauseln nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle, weil durch sie von
Rechtsvorschriften abweichende Regelungen vereinbart werden.
(1)  Nach § 651a Abs. 1 BGB wird der Reiseveranstalter durch den Rei-
severtrag  verpflichtet,  dem  Reisenden  eine  Gesamtheit  von  Reiseleistungen,
z.B.  den  Flug  zu  dem  gewünschten  Urlaubsort  und  die  Zurverfügungstellung
eines Hotelzimmers, zu erbringen. Die Luftbeförderung gehört bei einer Flugrei-
se  damit  zu  der  vom  Reiseveranstalter  zu  erbringenden  Hauptleistung.  Sie  ist
zeitgebunden, und schon weil sie nur erbracht werden kann, wenn der Reisen-
de an ihr mitwirkt, indem er sich rechtzeitig am Flughafen und am Ausgang ein-
findet,  muss  der  Reisevertrag  regeln,  wann  sie  erbracht  werden  soll.  Dies
schreibt im Übrigen auch Art. 4 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dem nationalen
Recht vor.
(a)  Dies  kann  zum  einen  dadurch  geschehen,  dass  Reiseveranstalter
und Reisender bereits bei Vertragsschluss eine bestimmte Uhrzeit für Hin- und
Rückflug vereinbaren. Eine solche Vereinbarung liegt umso näher, desto kürzer
der  zeitliche  Abstand  zwischen  Vertragsschluss  und  vereinbartem  Abreisetag
ist.
Insbesondere bei Reiseverträgen, die lange vor der vorgesehenen Reise-
zeit geschlossen werden, kann sich der Reiseveranstalter zum anderen jedoch
auch ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedingen, das
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es  ihm  erlaubt,  bei  Vertragsschluss  bestehenden  Unwägbarkeiten  hinsichtlich
der  zum  Reisezeitpunkt  möglichen  Flugzeiten  dadurch  Rechnung  zu  tragen,
dass  er  den  Zeitpunkt  der  Abreise  und  der  Rückreise  erst  zu  einem  späteren
Zeitpunkt  festlegt.  In diesem  Fall muss der Reisevertrag  jedoch bestimmen,  in
welchem Rahmen das Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt  werden darf, d.h.
ob  der  Reiseveranstalter  sogar  befugt  sein  soll,  den  Tag  festzulegen,  und  ob
ihm bei festgelegtem Tag der gesamte Zeitraum von 0.00 bis 23.59 Uhr zur Be-
stimmung der Abflugzeit zur Verfügung stehen soll oder ob er bei der Ausübung
des Leistungsbestimmungsrechts jedenfalls auf eine bestimmte Tageszeit oder
ein bestimmtes Zeitfenster (etwa: zwischen 9.00 und 12.00 Uhr) festgelegt sein
soll.
(b)  Ein  solches  beschränktes  Leistungsbestimmungsrecht  kann  auch
dadurch  vereinbart  werden,  dass  im  Reisevertrag  eine  "voraussichtliche"  oder
vorläufige Abflugzeit festgelegt wird. Mit der Qualifikation der Abflugzeit als  vo-
raussichtlich wird zum Ausdruck gebracht, dass der Reiseveranstalter dazu be-
rechtigt  sein  soll,  die  vertragliche  Abflugzeit  erst  zu  einem  späteren  Zeitpunkt
endgültig  zu  fixieren  und  hierbei  in  gewissem  Umfang  von  der  vorläufigen An-
gabe abzuweichen.
Der Streitfall gibt keinen Anlass  zu einer näheren Bestimmung des reise-
vertragsrechtlich  zulässigen  Umfangs  dieser  Abweichung.  Jedoch  darf  sie  je-
denfalls nicht soweit gehen, dass eine bei Vertragsschluss vereinbarte voraus-
sichtliche Flugzeit die Funktion nicht mehr erfüllt, die geschuldete Leistungszeit
zumindest annähernd anzugeben. Im Übrigen wird zu bedenken sein, dass der
Reiseveranstalter,  der  einen  vergleichsweise  großen  Spielraum  zu  benötigen
meint, nicht auf die Angabe einer konkreten, wenngleich als voraussichtlich ge-
kennzeichneten  Uhrzeit  angewiesen  ist,  sondern  sich  diesen  Spielraum  durch
die Vereinbarung eines entsprechend groß bemessenen Zeitfensters verschaf-
fen kann.
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(c)  Damit wird auch dem Schutzzweck  des § 6 Abs. 2 Nr. 2 BGB-InfoV
Rechnung  getragen,  nach  dem  nicht  nur  der  Tag,  sondern  auch  die  vor-
aussichtliche  Zeit  der  Abreise  und  der  Rückkehr  in  der  Reisebestätigung  ge-
nannt  sein  müssen.  Die  Reisebestätigung  ist  nach  §  6  Abs.  1  BGB-InfoV  die
dem Reisenden bei oder unverzüglich nach Vertragsschluss  auszuhändigende
Urkunde über den Reisevertrag. Die in ihr enthaltenen Angaben über den Rei-
sepreis, die Merkmale der Reise nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 und 7 und nach § 6
Abs.  2  Nr.  1  bis  5  BGB-InfoV  beschreiben  den  Gegenstand  der  vertraglichen
Leistung  des  Reiseveranstalters  und  sollen  entsprechend  dem  Zweck  der  ge-
setzlichen Ermächtigung in Art. 238 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB und der Richt-
linie sicherstellen, dass der Reiseveranstalter dem Reisenden die notwendigen
Informationen über den Inhalt des Reisevertrages erteilt.
Diesem  Zweck  entsprechend  schreibt  § 6  Abs.  2  Nr.  2  BGB-InfoV  weder
vor, dass im Reisevertrag eine voraussichtliche  Abflugzeit  zu nennen  ist, noch
bestimmt die Vorschrift sonst, in welcher Form und mit welcher Genauigkeit im
Reisevertrag  die  Zeit  der  Abreise  und  die  Zeit  der  Rückkehr  festzulegen  sind.
Sie bestimmt lediglich, dass der Reisende darüber zu informieren ist, was sich
hinsichtlich  der  Abreisezeit  und  der  Zeit  der  Rückkehr  aus  dem  Reisevertrag
ergibt. Wenn der Verordnungsgeber insoweit davon ausgeht, dass die Reisebe-
stätigung  eine  voraussichtliche  Abflugzeit  enthalten  kann,  wird  damit  der  ver-
breiteten  Praxis  im  Reisevertragsrecht  Rechnung  getragen,  die  genaue  Abrei-
sezeit erst zu einem späteren Zeitpunkt zu fixieren. Es soll daher, wie sich aus
der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Durch-
führung  der  Pauschalreiserichtlinie  zu  § 3,  jetzt  §  6  BGB-InfoV  (BT-Drucks.
12/5354  S.  18  re.  Sp.)  ergibt,  nicht  nur  der  Fall  erfasst  werden,  dass  eine  be-
stimmte, als voraussichtlich gekennzeichnete Uhrzeit angegeben wird, sondern
gleichermaßen  eine  sonstige,  noch der  Konkretisierung  bedürftige  Angabe  der
Tageszeit (wie etwa "vormittags" oder "abends").
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Entscheidend ist in jedem Fall, dass die Reisebestätigung die Funktion er-
füllt,  den  Reisenden  zuverlässig  zu  informieren.  Eine  vorläufige  Angabe  über
die  Abreisezeit  ist  deshalb  ebenso  wie  die  übrigen  Angaben  verbindlich  und
keinesfalls als reines Werbemittel anzusehen, mit dem der Reiseveranstalter an
bestimmten  Flugzeiten  interessierte  Kunden  zum  Abschluss  eines  Reisever-
trags  bewegen  kann,  ohne  zur  Einhaltung  der  vertraglich  versprochenen  Flug-
zeit  verpflichtet  zu  sein.  Auch  dies  spricht  dafür,  dass  bei  Vereinbarung  einer
bestimmten  Uhrzeit  als  Abflugzeit  auch  deren  Qualifikation  als  voraussichtlich
oder  vorläufig  Abweichungen  hiervon  nur  in  einem  verhältnismäßig  engen
Rahmen gestattet.
(2)  Soweit die  erste Klausel der Beklagten das Recht  gibt, mit den Rei-
seunterlagen  endgültige  Flugzeiten  festzulegen,  liegt  hiernach  eine  Modifizie-
rung des Hauptleistungsversprechens vor.
(a)  Die Klausel eröffnet die Möglichkeit, mit der Festlegung des endgülti-
gen Inhalts der Hauptleistungsverpflichtung von einem bisherigen, vorläufig gül-
tigen Vertragsinhalt betreffend die Flugzeiten abzuweichen. Denn jedenfalls bei
der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung bestimmt die Klausel, dass eine
vertraglich  vereinbarte  bestimmte  Flugzeit  nur  vorläufigen  Charakter  trägt,  die
endgültige  Flugzeit  hingegen  erst  mit  Übersendung  der  Reiseunterlagen  von
der Beklagten bestimmt wird.
(b)  Aber auch für den - praktisch im Vordergrund stehenden - Fall, dass
dem Vertragsschluss lediglich Angaben der Beklagten zu voraussichtlichen Hin-
und  Rückreisezeiten  zugrunde  liegen,  modifiziert  die  Klausel  die  Hauptleis-
tungsverpflichtung.
Nennt ein Reiseveranstalter in seinem Reisekatalog oder sonstigen Unter-
lagen, mit denen er die von ihm veranstalteten Flugreisen bewirbt, oder bei der
Bestätigung einer Buchung voraussichtliche Flugzeiten, hat dies - entgegen der
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Annahme der Revision - regelmäßig zur Folge, dass bei Abschluss des Reise-
vertrags auch eine Vereinbarung über entsprechende Flugzeiten getroffen wird.
Denn der Reisende darf solche Angaben als Beschreibung der Leistung verste-
hen, die der Reiseveranstalter ihm gegenüber zu erbringen bereit ist. Die Cha-
rakterisierung  der  Abflugzeit  als  voraussichtlich  bringt  dabei,  wie  ausgeführt,
lediglich  zum  Ausdruck,  dass  die  endgültige  Abflugzeit  in  gewissem  Umfang
von der zunächst genannten abweichen kann.
Die beanstandete Klausel stellt sich daher auch in dieser Konstellation als
Änderungsvorbehalt  dar.  Die  Bestimmung  in  den  AGB  erlaubt  es  dem  Reise-
veranstalter  jedenfalls  bei  kundenfeindlicher  Auslegung,  die  Abreisezeit  unab-
hängig von der in der  Reisebestätigung genannten voraussichtlichen Reisezeit
mit der Übersendung der Reiseunterlagen neu und gleichzeitig endgültig festzu-
legen.
(3)  Auch  die  Klausel  "Informationen  über  Flugzeiten  durch  Reisebüros
sind unverbindlich" enthält einen Vorbehalt des Reiseveranstalters, die verspro-
chene  Leistung  -  die  Durchführung  des  Flugs  -  abweichend  von  Rechtsvor-
schriften festzulegen.
Die Klausel berührt die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Reisever-
anstalter und dem Reisebüro, das i.d.R. als Reisevermittler auftritt. Es ist - falls
es  nicht  selbst  Reiseveranstalter  ist  -  Vertragspartei  eines  Reisevermittlungs-
vertrags mit dem Kunden und wirkt gleichzeitig - gegebenenfalls als Abschluss-
bevollmächtigter (BGH, Urteil vom 19. November 1981  - VII ZR 238/80, BGHZ
82, 219, 223) des Veranstalters - am Zustandekommen des Vertrags zwischen
dem  Veranstalter  und  dem  Reisenden  sowie  gegebenenfalls  der  Vertragsab-
wicklung  mit  (vgl.  auch  A.  Staudinger  in  Staudinger,  BGB,  11.  Aufl.,  § 651a
Rn. 63, der das Reisebüro jedenfalls als Boten ansieht). Reiseveranstalter und
Reisevermittler  stehen  sonach  regelmäßig  in  einer  rechtlichen  Beziehung,  die
den Vermittler berechtigt, Informationen des Veranstalters, die die Reise betref-
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fen, an den Kunden weiter zu geben; gegebenenfalls wird gegenüber dem Kun-
den zumindest der Anschein einer solchen Berechtigung erweckt.
Durch die Klausel soll, wie die Revision geltend macht, verhindert werden,
dass  Angaben  des  Reisebüros  unberechtigterweise  dem  Veranstalter  zuge-
rechnet  werden.  Nach  ihrem Wortlaut  erfasst  sie  aber auch  Angaben,  die  sich
der  Reiseveranstalter  -  kraft  Vollmacht,  Anscheinsvollmacht  oder  Duldungs-
vollmacht oder aus anderen Gründen - zurechnen lassen muss. Die beanstan-
dete Bestimmung enthält damit ebenfalls eine Einschränkung der vertraglichen
Rechte des Reisenden.
3.
Der danach eröffneten Inhaltskontrolle halten die beanstandeten Re-
gelungen nicht stand.
a)
Die erste angegriffene Klausel verstößt gegen § 308 Nr. 4 BGB.
(1)  § 308 Nr.  4 BGB betrifft diejenigen  Klauseln, in  denen sich  der Ver-
wender das Recht vorbehält, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr
abzuweichen. Dies trifft, wie dargelegt, für die erste Klausel zu.
(2)  Die  Vereinbarung  der  Änderung  oder  Abweichung  durch  die  ange-
griffene  Klausel  ist  unter  Berücksichtigung  der  Interessen  des  Verwenders  für
den Vertragspartner nicht zumutbar (§ 308 Nr. 4 BGB).
Ob  eine  Änderungsvereinbarung für  den  Reisenden  zumutbar  ist,  ist  auf-
grund  einer  Abwägung  der  Interessen  der  Vertragsparteien  zu  beurteilen.  Die-
ser Abwägung ist wegen der Geltung der AGB für eine Vielzahl von Fällen eine
für derartige Verträge typische Betrachtungsweise zugrunde zu legen; sie rich-
tet  sich  nicht  nach  den  Umständen  eines  konkreten  Einzelfalls  (vgl  Münch-
Komm./Wurmnest, BGB, 6. Aufl., § 308 Rn. 7 mwN).
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Der  Reiseveranstalter  mag,  insbesondere  bei  frühzeitig  geschlossenen
Verträgen, typischerweise darauf angewiesen sein, eine gewisse Flexibilität bei
der Planung und Festlegung der Flugzeiten zu behalten. Dadurch kann z. B. ein
für  einen  bestimmten  Charterflug  gebuchtes  Kontingent  so  weit  wie  möglich
ausgeschöpft  und  auch  dem  Umstand  Rechnung  getragen  werden,  dass  der
Veranstalter, wie die Revision geltend macht, in seiner Planung von der Angabe
der Flugzeiten und deren möglicher Änderung durch die Fluggesellschaften ab-
hängig ist. Um eine weitgehende Flexibilität zu behalten, benötigt der Reisever-
anstalter jedoch keinen in Reisebedingungen formulierten Änderungsvorbehalt.
Er  kann  und muss,  wie  ausgeführt,  mit  dem  Reisenden  vielmehr bei  Vertrags-
schluss diejenigen Vereinbarungen hinsichtlich der voraussichtlichen Flugzeiten
treffen, die ihm eine spätere Konkretisierung innerhalb des vertraglich vorgese-
henen Rahmens erlauben. Hingegen ist es dem Reisenden nicht zumutbar, vo-
raussetzungslos  Abweichungen  von  dem  vertraglich  vereinbarten  Zeitrahmen
hinnehmen zu müssen.  Reisende entscheiden sich regelmäßig bewusst  für ei-
nen  Flug  zu  einer  bestimmten  Tageszeit,  da  sie  unter  Umständen  die  Anreise
zum und die Rückkehr vom Flughafen mit einer weiteren Übernachtung einpla-
nen  und  wissen  müssen,  ob  hierfür  ein  weiterer  Urlaubstag  aufzuwenden  ist.
Die  Abreise  und  die  Rückkehr  sind  in  zeitlicher  und  auch  finanzieller  Hinsicht
nicht mehr sicher  kalkulierbar,  wenn der Reisende,  der etwa von einer Abflug-
zeit am Nachmittag ausgehen durfte, kurzfristig auf einen in die frühen Morgen-
stunden vorverlegten Flug verwiesen werden darf.
b)
Die  Klausel  "Informationen  über  Flugzeiten  durch  Reisebüros  sind
unverbindlich" verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Nach  dieser  Vorschrift  sind  Bestimmungen  in  AGB  unwirksam,  wenn  sie
den  Vertragspartner  des  Verwenders  entgegen  den  Geboten  von  Treu  und
Glauben unangemessen benachteiligen. Dies trifft für die beanstandete Klausel
zu.
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Sie  betrifft,  wie  ausgeführt, unter anderem den Fall, dass sich  der Reise-
veranstalter zur Übermittlung  vertragsbezogener Informationen zu Abflugzeiten
eines  Reisebüros  bedient  und  diesem  Vollmacht  erteilt  oder  dem  Kunden  ge-
genüber  den  Anschein  einer  bestehenden  Vollmacht  erweckt  hat.  Die  Frei-
zeichnung von der dadurch bewirkten Bindung des Reiseveranstalters benach-
teiligt den Reisenden unangemessen.
4.
Die Revision bleibt auch ohne Erfolg, soweit der Beklagten untersagt
worden ist, sich auf die angegriffenen Bestimmungen bei der Abwicklung nach
dem  1.  April  1977  (Zeitpunkt  des  Inkrafttretens  des  AGB-Gesetzes)  geschlos-
sener Verträge zu berufen.
Mit  dem  Unterlassungsanspruch  nach  § 1  UKlaG  soll  der  Rechtsverkehr
von  sachlich  unangemessenen  Vertragsbedingungen  freigehalten  und  dafür
gesorgt  werden,  dass  die  Kunden  nicht  von  nach  den  §§  307  ff.  BGB  unwirk-
samen  Klauseln  betroffen  und  davon  abgehalten  werden,  ihre  Rechte  hinrei-
chend  wahrzunehmen  (vgl.  MünchKomm./Micklitz,  ZPO,  4. Aufl.,  § 1  UKlaG
Rn. 5).  Der  Anspruch  auf  Unterlassung  einer  künftigen  Verwendung  erschöpft
sich nicht in der Forderung nach bloßer Untätigkeit. Die Unterlassung der Ver-
wendung kann bei bereits getroffenen und fortwirkenden störenden Vorkehrun-
gen auch ein Handeln zur Beseitigung der aus den unangemessenen Vertrags-
bedingungen  resultierenden  Umstände  gebieten  (Köhler/Bornkamm,  UWG,
31. Aufl., § 1 UKlaG Rn. 12). Der Anspruchsverpflichtete darf die unwirksamen
AGB  nicht  mehr  verwenden,  d.h.  er  darf  nicht  mehr  erklären,  dass  diese  für
künftige Verträge gelten sollen, und er darf sich bei der Abwicklung bereits ge-
schlossener Verträge nicht mehr auf diese berufen (st. Rspr., BGH, Urteil vom
13. Juli  1994  - IV ZR 107/93,  BGHZ  107,  93;  Urteil  vom  18. April  2002
- III ZR 199/01,  NJW  2002,  2386  Rn. 11;  Urteil  vom  23. Januar  2003
- II ZR 54/02,  NJW  2003,  1237  Rn. 9;  Urteil  vom  4. Februar  2009
- VIII ZR 32/08, NJW 2009, 1337 Rn. 24).
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- 15 -
Soweit  die  Revision  beanstandet,  dass  das  Berufungsgericht  das  Unter-
lassungsgebot  auf  sämtliche  seit  dem  1.  April  1977  geschlossenen  Verträge
erstreckt habe, ist diese Rüge ebenfalls unbegründet. Das Berufungsgericht hat
hiermit - angesichts der seither verstrichenen Zeit von mehr als dreißig  Jahren
nicht  zwingend  notwendig  -  lediglich  zum  Ausdruck  gebracht,  dass  sich  die
Verurteilung der  Beklagten  nicht  auf Verträge  erstreckt,  die  vor  dem  Inkrafttre-
ten  des  AGB-Gesetzes,  dessen  Regelungen  inhaltlich  mit  den  §§ 307  bis  309
BGB  und  § 1  UKlaG  übereinstimmen,  geschlossen  worden  sind;  die  Beklagte
wird hierdurch nicht beschwert.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Grabinski
Bacher
Hoffmann
Schuster
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 13.03.2012 - 18 O 79/11 -
OLG Celle, Entscheidung vom 07.02.2013 - 11 U 82/12 -
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