Urteil des BGH vom 09.04.2003
BGH (stpo, akten, strafkammer, umstand, staatsanwaltschaft, verletzung, rüge, sache, verhandlung, frist)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 513/02
vom
9. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. April 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
als Vorsitzende,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-
gerichts Koblenz vom 16. Juli 2002 mit den Feststellungen aufge-
hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch ü-
ber  die  Kosten  des  Rechtsmittels,  an  eine  andere  Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.  Das  Landgericht  hat  den  Angeklagten,  der  des  Betrugs  in  17  Fällen
angeklagt worden war, nach Einstellung von 14 Fällen vom Vorwurf der  restli-
chen drei Betrugstaten freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der
Staatsanwaltschaft,  mit  der  die  Verletzung  förmlichen  und  sachlichen  Rechts
gerügt  wird.  Das  Rechtsmittel  hat  mit  der  Rüge  einer  Verletzung  des  §  338
Nr. 7 StPO Erfolg. Da das angefochtene Urteil schon auf Grund dieser Rüge in
vollem Umfang aufzuheben ist, bedarf es keines Eingehens auf die Sachrüge.
II.  Die  Verfahrensrüge,  das  Urteil  sei  verspätet  zu  den  Akten  gebracht
worden (§§ 275 Abs. 1, 338 Nr. 7 StPO), die auch die Staatsanwaltschaft erhe-
ben  kann  (vgl.  u.a.  BGH,  Urt.  v.  30.  Januar  2002  -  2  StR  504/01;  BGH  NStZ
1985, 184), greift durch.
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Das  am  16. Juli  2002  nach  17-tägiger  Verhandlung  verkündete  Urteil
hätte nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO spätestens nach neun Wochen (vgl. hier-
zu  BGHSt  35,  259  f.),  also  zumindest  bis  zum  17.  September  2002,  zu  den
Akten gelangt sein müssen. Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle auf
der Urteilsurkunde ist dies jedoch erst am 20. September 2002 geschehen.
Gemäß  § 275  Abs.  1  Satz  4  StPO  darf  die  Frist  nur  überschritten  wer-
den, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht vorausseh-
baren  unabwendbaren  Umstand  an  ihrer  Einhaltung  gehindert  worden  ist.  Ein
solcher  Umstand  ist  hier  nicht  ersichtlich,  ergibt  sich  insbesondere  auch  nicht
aus  den  dienstlichen  Erklärungen  der  berufsrichterlichen  Mitglieder  der  Straf-
kammer. Danach lag - trotz zeitweiliger Urlaubsabwesenheit  des  Vorsitzenden
und des Berichterstatters - bereits am 13. September 2002 eine Reinschrift des
Urteilsentwurfs  vor,  bei  der  "noch  einige  Schreib-  und  Übertragungsfehler  zu
berichtigen" waren. Wegen Tätigkeiten in anderen eilbedürftigen Verfahren, für
die  der  Vorsitzende  durch  Präsidiumsbeschluß  des  Landgerichts  vom
12. September 2002 zusätzlich auch als Vorsitzender der 12. Strafkammer zu-
ständig  wurde,  gelangte  das  Urteil  erst  am  20.  September  2002  von  den  Be-
rufsrichtern  unterschrieben  zu  den  Akten.  Die  geltend  gemachten  Umstände
rechtfertigen  eine  Fristüberschreitung  nicht.  Die  Berufsrichter  waren  gehalten,
zunächst  die  bereits  verkündete  Sache  fristgemäß  zum  Abschluß  zu  bringen.
Dies  gilt  hier  umso  mehr,  als  mehrere  Tage  zur  Verfügung  standen,  lediglich
einige  Schreib-  und  Übertragungsfehler  zu  berichtigen.  Sollte  es  sich  nur  um
offensichtliche  Schreibfehler  gehandelt  haben,  mit  deren  Berichtigung  keine
sachliche Änderung des Urteils verbunden war, hätte ohnehin bereits das vor-
handene  Urteilsexemplar  versehen  mit  den  richterlichen  Unterschriften  frist-
wahrend  zu  den  Akten  gelangen  können.  Die  für  die  Zustellung  erforderliche
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Reinschrift  hätte  auch  später  erstellt  werden  können  (vgl.  BGHR  StPO  § 275
Abs. 1 Satz 1 Akten 1 und 2).
Hinzu  kommt  hier  noch,  daß  das  Präsidium  in  seinem  Beschluß  vom
12. September  2002  ausdrücklich  bestimmt  hatte,  daß  bei  gleichzeitiger  Inan-
spruchnahme  die  10.  (große)  Strafkammer,  um  deren  Urteil  es  hier  geht,  vor-
geht.
Im  übrigen  würden  in  der  Regel  weder  Umstände,  die  die  Organisation
des Gerichts betreffen noch die allgemeine Arbeitsüberlastung der Richter eine
Fristüberschreitung rechtfertigen (vgl. BGH NJW 1988, 1094; BGH NStZ 1989,
285; BGH NStZ 1992, 398).
Die Fristüberschreitung beruht demgemäß nicht auf einem nicht vorher-
sehbaren Umstand im Einzelfall, sondern auf einem Organisationsmangel, der
von  den  für  die  rechtzeitige  Fertigstellung  der  schriftlichen  Urteilsgründe  ver-
antwortlichen  Berufsrichtern  zu  vertreten  ist  (vgl.  auch  BGH,  Beschl.  v.
7. Januar 1998 - 5 StR 528/97).
Das Überschreiten  der  in  § 275  Abs.  1  Satz  2  StPO  bezeichneten  Frist
begründet einen absoluten Revisionsgrund (§ 338 Nr. 7 StPO), so daß es nicht
darauf ankommt, ob das Urteil auf diesem Fehler beruhen kann.
Rissing-van Saan                                   Otten                                    Rothfuß
Fischer                                Roggenbuck