Urteil des BGH vom 21.11.2012

BGH: ermittlungsverfahren, beifahrer, gesamtstrafe, irreführung, verschlechterungsverbot, reiter, absicht, angriff, firma, fahrzeug

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 427/12
vom
21. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 21. November 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Aachen vom 13. Juli 2012
a) im Schuldspruch zu den Fällen II.1 und II.2 dahingehend
geändert, dass der Angeklagte der falschen Verdächti-
gung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig ist,
b) in den Strafaussprüchen zu den Fällen II.1 und II.2 und
im Ausspruch zu der mit der Strafe aus dem rechtskräfti-
gen Urteil des Landgerichts Aachen vom 5. April 2011
(Az. 52 Ks 6/10) gebildeten Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen falscher Verdächtigung in
zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem rechtskräftigen Urteil des
Landgerichts Aachen vom 5. April 2011 (Az. 52 Ks 6/10) zu einer Gesamtfrei-
heitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und wegen gefährlichen Eingriffs
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in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverlet-
zung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.
Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein einge-
zogen und eine Sperrfrist nach § 69a StGB verhängt. Die auf die Sachrüge ge-
stützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersicht-
lichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte in
den Fällen II.1 und 2 der Urteilsgründe nur einer falschen Verdächtigung in zwei
tateinheitlichen Fällen gemäß § 164 Abs. 1, § 52 Abs. 1 StGB schuldig ge-
macht.
1. Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte am 14. März 2011 auf
offener Straße von dem Zeugen I. J. mit einem Hammer angegriffen
und verletzt. Bei seiner noch am selben Tag durchgeführten polizeilichen Ver-
nehmung behauptete er vor Beamten der Kreispolizeibehörde H. be-
wusst wahrheitswidrig, dass nach der Tat ein Pritschenwagen der Firma H.
herangefahren sei und der Zeuge J. eine Tasche mit der Tatwaffe in das
Fahrzeug hineingereicht habe. Fahrer des Fahrzeugs sei der Zeuge A.
H. gewesen. Ob es sich bei dem Beifahrer um den Zeugen E. H.
gehandelt habe, habe er nicht erkennen können. Er gehe aufgrund seiner Be-
obachtungen davon aus, dass es sich bei dem Angriff auf ihn um einen Auf-
tragsmord des Zeugen E. H. gehandelt habe (Fall II.1 der Urteilsgrün-
de). Bei einer am 16. März 2011 von Beamten des Polizeipräsidiums A.
durchgeführten zweiten Vernehmung wiederholte und bekräftigte der Angeklag-
te seine Angaben vom 14. März 2011. Außerdem fügte er hinzu, dass der Bei-
fahrer in seiner Statur dem Zeugen E. H. geglichen habe (Fall II.2 der
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Urteilsgründe). Bei seinen Aussagen handelte der Angeklagte in der Absicht,
die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Zeugen A. und E.
H. zu bewirken. Tatsächlich leitete die Staatsanwaltschaft Aachen gegen
beide ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beteiligung an der Tat
des Zeugen J. ein. Das Verfahren wurde am 9. Juli 2011 nach § 170
Abs. 2 StPO eingestellt, weil die Ermittlungen ergeben hatten, dass die beiden
Zeugen zur Tatzeit nicht in H. waren und auch sonst keine Hinweise für
eine Tatbeteiligung vorlagen. Das Landgericht hat die Aussagen des Angeklag-
ten als falsche Verdächtigung (§ 164 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen gewertet und
dafür Einzelstrafen in Höhe von jeweils sieben Monaten Freiheitsstrafe festge-
setzt.
2. Der Angeklagte hat bei seiner zweiten polizeilichen Vernehmung am
16. März 2011 die falsche Verdächtigung vom 14. März 2011 lediglich wieder-
holt. Dabei zielte er auf dasselbe Verfahren ab, dessen Herbeiführung er bereits
bei seiner ersten Vernehmung angestrebt hatte. In einem solchen Fall liegt nur
eine Tat im Rechtssinne vor (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 1992
– 3 StR 518/91, BGHR StGB § 164 Konkurrenzen 1; OLG Koblenz, Beschluss
vom 6. Dezember 2010
– 2 Ws 480/10). Der Umstand, dass die zweite Aussa-
ge bei einer anderen Polizeidienststelle erfolgte, ändert daran nichts, weil beide
Stellen demselben Entscheidungsträger (Staatsanwaltschaft Aachen) zuarbeite-
ten und kein neues Verfahren in Gang gesetzt wurde (Ruß in LK-StGB,
12. Aufl., § 164 Rn. 34; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 164
Rn. 37). Da die falschen Angaben des Angeklagten aber darauf gerichtet wa-
ren, sowohl E. als auch A. H. mit einem Ermittlungsverfahren zu
überziehen, ist von einer falschen Verdächtigung in zwei tateinheitlichen Fällen
auszugehen. § 164 StGB dient nicht nur dem Schutz von Behörden vor Irrefüh-
rung, sondern will auch den Einzelnen vor Maßnahmen irregeführter Behörden
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schützen (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 1961
– 1 StR 326/61, GA 1962,
24; LK/Ruß, aaO).
II. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO
steht dem nicht entgegen. Die für die Fälle II.1 und II.2 festgesetzten Einzelstra-
fen waren aufzuheben. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht.
Dadurch hat auch die mit der Strafe aus dem rechtskräftigen Urteil des Landge-
richts Aachen vom 5. April 2011 gebildete Gesamtstrafe ihre Grundlage verlo-
ren. Der Senat weist darauf hin, dass das Verschlechterungsverbot der Ver-
hängung einer Einzelstrafe von mehr als sieben Monaten nicht entgegensteht.
Es ist lediglich geboten, dass die Summe der beiden bisherigen Einzelstrafen
bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten
wird (BGH, Beschluss vom 12. April 2011
– 4 StR 22/11, Tz. 11).
Mutzbauer
Roggenbuck
Franke
Quentin
Reiter
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