Urteil des BGH vom 24.10.2001
BGH (strafkammer, einverständnis, beihilfe, stgb, unterlassen, einlassung, fahrzeug, opfer, bargeld, stpo)
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 237/01
vom
24. Oktober 2001
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober
2001, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Winkler,
Pfister,
von Lienen
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Düsseldorf vom 2. Januar 2001 mit den Feststellungen auf-
gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen (psychischer) Beihilfe zum
schweren Raub in Tateinheit mit versuchtem Totschlag durch Unterlassen zu
Freiheitsstrafen von fünf Jahren (N. ) und vier Jahren (L. )
verurteilt. Mit ihren Revisionen beanstanden die Angeklagten die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel sind jeweils mit der Sachrü-
ge begründet, so daß es auf die Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.
I. Das Landgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Die Angeklagten sowie die gesondert verfolgten weiteren Beteiligten
K. , J. und R. besuchten zusam-
men mit dem Zeugen B. , den sie am Tattag zufällig kennengelernt hatten,
mehrere Lokale. Nachdem K. auf der Rückfahrt seinen Pkw auf einem ent-
legenen Parkplatz angehalten hatte, stiegen alle Fahrzeuginsassen aus. Spä-
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testens zu diesem Zeitpunkt war den Angeklagten und den weiteren Beteiligten
klar, daß B. die Brieftasche mit Bargeld und Kreditkarten weggenommen,
dessen erwarteter Widerstand mit Gewalt gebrochen und er anschließend an
Ort und Stelle zurückgelassen werden sollte. Jeder von ihnen gab sein Einver-
ständnis mit dieser Vorgehensweise zu erkennen. Welcher der fünf jungen
Männer die Idee zur Tatausführung hatte und gegen B. gewalttätig vor-
ging, konnte nicht festgestellt werden. Die Angeklagten billigten jedoch den
Tatplan sowie dessen Ausführung. Durch ihr zuvor signalisiertes Einverständ-
nis bestärkten sie den bzw. die Täter in der Tatausführung, die hiernach davon
ausgingen, von den Angeklagten jedenfalls nicht behindert und später von ih-
nen nicht verraten zu werden.
In Ausführung des Tatplans schlug zumindest einer der fünf jungen Män-
ner mehrmals auf B. mit einem aus dem Fahrzeug des K. geholten
Baseballschläger ein. Mindestens drei gezielte und wuchtige Schläge trafen ihn
am Kopf und im Nacken, wodurch er zu Boden fiel und das Bewußtsein verlor.
Dies wurde von jedem der anderen Beteiligten gesehen und hingenommen,
ohne dagegen einzuschreiten. Einer zog dem Opfer die Geldbörse mit 700 DM
Bargeld und mehreren Kreditkarten aus der Gesäßtasche.
Als die fünf Männer anschließend davonfuhren, befürchteten die Ange-
klagten, das am Tatort zurückgelassene Opfer könnte durch die massiven
Treffer im Kopfbereich schwere Verletzungen erlitten haben, die ohne alsbaldi-
ge ärztliche Hilfe zu seinem Tod führten. Gleichwohl unternahmen sie nichts,
um ihm Hilfe zukommen zu lassen, sondern nahmen billigend in Kauf, daß er
seinen Verletzungen erliegen könnte. Der wegen seiner robusten Konstitution
nicht lebensbedrohlich verletzte B. konnte Hilfe holen und gerettet werden.
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II. Die Verurteilung der Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung nicht
stand, da die getroffenen Feststellungen auf einer unvollständigen Beweiswür-
digung beruhen.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts ist allerdings zutref-
fend. Zwar reicht die bloße Anwesenheit am Tatort in Kenntnis einer Straftat
selbst bei deren Billigung nicht aus, die Annahme von Beihilfe im Sinne aktiven
Tuns zu begründen (vgl. BGHR StGB § 27 I Unterlassen 5; BGH NStZ 1996,
563, 564). Die Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB kann jedoch auch
in der Billigung der Tat bestehen, wenn sie gegenüber dem Täter zum Aus-
druck gebracht und dieser dadurch in seinem Tatentschluß oder in seiner Be-
reitschaft, ihn weiter zu verfolgen, bestärkt wird und der Gehilfe sich dessen
bewußt ist (sog. psychische Beihilfe, vgl. BGHR StGB § 27 I Hilfeleisten 14 und
17; BGH NStZ 1998, 622). Eine solche psychische Beihilfe begründet unter
dem Gesichtspunkt des pflichtwidrigen, gefahrerhöhenden Vorverhaltens (Inge-
renz) eine Garantenstellung, da durch sie die mit der Tatausführung verbunde-
ne Gefahr für das Leben des Tatopfers - von der die Angeklagten nach den
insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen subjektiv ausgingen - zu-
mindest erhöht wird (vgl. BGHR StGB § 13 I Garantenstellung 7 und 14
m.w.Nachw.). Daß die Befürchtung der Angeklagten, B. könnte durch die
massiven Treffer im Kopfbereich Verletzungen erlitten haben, die ohne alsbal-
dige ärztliche Hilfe zum Tode führen, tatsächlich unzutreffend war, stünde einer
Bestrafung wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen nicht entgegen
(vgl. BGHSt 38, 356, 358 m.w.Nachw.) Weil die Angeklagten eine eigene Ver-
pflichtung gehabt hätten, den von ihnen mitverursachten, vermeintlich drohen-
den Tod des B. abzuwenden, und jeder von ihnen Hilfe hätte herbeiholen
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können, würde sich ihr Untätigbleiben nicht als Beteiligung an einer fremden
Tat, sondern als täterschaftliches Unterlassen darstellen.
2. Gegen die für die rechtliche Beurteilung entscheidende Feststellung
der Strafkammer, die Angeklagten hätten vor der Tat ihr Einverständnis signa-
lisiert und den bzw. die Täter dadurch im Tatentschluß bestärkt, bestehen in-
des durchgreifende rechtliche Bedenken, weil sie der notwendigen Tatsachen-
grundlage entbehrt.
a) Der Angeklagte N. hat sich zum Überfall auf B. dahinge-
hend eingelassen, alle Fahrzeuginsassen hätten den Pkw verlassen, um aus-
zutreten. Er habe sich von den anderen etwa 20 Meter entfernt und seine Not-
durft verrichtet. Als er nach 10 bis 15 Minuten zurückgekommen sei, habe er
B. etwa zwei bis drei Meter vom Fahrzeug entfernt auf dem Boden liegen
sehen. K. habe B. mit den Füßen getreten und sei mit einem Baseball-
schläger links neben ihm gestanden, R. rechts von ihm. Aus einer
Entfernung von 15 Metern habe er gesehen, daß R. die Geldbörse
des B. an sich genommen habe. Er selbst und der Mitangeklagte L.
, dem es auch schlecht gegangen und der etwa einen Meter von ihm ent-
fernt gestanden sei, hätten nicht gewußt, was los sei. Er sei geschockt gewe-
sen und habe Angst gehabt, daß B. sterben könne.
Der Angeklagten L. will nach seiner Einlassung wegen seiner
Alkoholisierung keine Erinnerung an den Vorfall haben.
Die weiteren Beteiligten K. , J. und R. haben in der
Hauptverhandlung von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO
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Gebrauch gemacht. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat J. ange-
geben, plötzlich hätten ca. zwei Meter neben dem Pkw drei Personen auf B.
eingeschlagen. Er glaube sich daran zu erinnern, daß K. den Geschä-
digten mit den Füßen getreten habe, eine weitere Person habe mit einem
Baseballschläger auf ihn eingeschlagen. Wer das gewesen sei, wisse er nicht,
weil er sehr betrunken gewesen sei. Er könne auch nicht sagen, wer dem Ge-
schädigten die Brieftasche weggenommen habe. Die Tat sei nicht abgespro-
chen worden, zumindest nicht mit ihm. Nach der Einlassung des R.
bei seiner polizeilichen Vernehmung hätten sich er selbst und K. zum Zeit-
punkt des Überfalls auf B. im Fahrzeug befunden. Als Täter kämen nur
N. , J. und L. in Betracht, da sie um ihn herumge-
standen seien. Er habe nicht gesehen, wer auf den Mann eingeschlagen habe.
Später bei der Weiterfahrt habe N. sinngemäß geäußert: "Habt Ihr ge-
sehen, wie er umgefallen ist, wie wir ihn plattgehauen haben?" Außerdem habe
er ein Portemonnaie in der Hand gehalten.
b) In ihrer Beweiswürdigung (UA S. 23 f.) hat die Strafkammer im wesent-
lichen darauf abgestellt, daß die Annahme lebensfremd sei, die im Vergleich zu
den weiteren Beteiligten erheblich älteren und bereits mehrfach strafrechtlich in
Erscheinung getretenen Angeklagten hätten sich einem Alleingang ihrer ju-
gendlichen Begleiter gegenüber gesehen. K. , J. und R.
hätten die geplante Tat vorher zumindest ansprechen und sich der Billigung
durch die Angeklagten vergewissern müssen, um auszuschließen, daß die An-
geklagten dem Tatopfer zu Hilfe eilen und sie später verraten würden.
c) Diese Beweiswürdigung ist unvollständig und deshalb rechtsfehlerhaft.
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Das Revisionsgericht ist in der Regel zwar an die Überzeugung des
Tatrichters vom Tatgeschehen gebunden, auch soweit es sich nur um mögliche
Schlußfolgerungen handelt. Das gilt aber ausnahmsweise dann nicht, wenn bei
der Beweiswürdigung die naheliegende Möglichkeit eines anderen Gesche-
hensablaufs unerörtert bleibt (vgl. BGHSt 25, 365, 367; Kuckein in KK 4. Aufl.
§ 337 Rdn. 29; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 337 Rdn. 26, 29).
Die Strafkammer befaßt sich nicht mit der naheliegenden Möglichkeit, daß
der Überfall auf B. ohne vorher erklärtes Einverständnis der Angeklagten
erfolgte, während diese ihre Notdurft verrichteten und sich deshalb vom Tatort
entfernt hatten. Diese Möglichkeit ergibt sich insbesondere aus der Einlassung
des Angeklagten N. , mit der sich das Landgericht nur insoweit ausein-
andersetzt, als es auf die Widersprüchlichkeit zu den Angaben der Beteiligten
J. und R. hinweist (UA S. 23). Dabei stimmen alle Aussagen
zumindest darin überein, daß drei - allerdings jeweils andere - Personen die
Tat begangen haben ohne daß vorher mit den anderen eine Absprache statt-
gefunden hat. Selbst die nur kurzfristige Abwesenheit eines Beteiligten vom
unmittelbaren Tatort hätte das Kräfteverhältnis zwischen den Tätern und dem
Opfer, auf das das Landgericht in seiner Beweiswürdigung entscheidend ab-
stellt, verändert. Gerade weil die fünf jungen Männer einerseits keine festge-
fügte, grundsätzlich gemeinsam handelnde Gruppe bildeten, andererseits alle
aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen und miteinander bekannt waren,
hätte die nicht fernliegende Möglichkeit erörtert werden müssen, daß einzelne
von ihnen in Abwesenheit der übrigen und im Vertrauen auf deren nachträgli-
che Billigung eine günstige Situation zur Tatbegehung gegen ihre Zufallsbe-
kanntschaft B. (UA S. 8) spontan ausgenutzt haben.
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Darüber hinaus ist die Erwägung der Strafkammer, es sei lebensfremd,
daß sich die zur Tatzeit 22 bzw. 26 Jahre alten, bereits strafrechtlich in Er-
scheinung getretenen Angeklagten einem Alleingang der 16, 18 und 19 Jahre
alten weiteren Beteiligten gegenüber gesehen haben könnten, rechtlich be-
denklich. Ein solcher allgemeiner Erfahrungssatz besteht nicht. Vielmehr ist es
nach der Lebenserfahrung ebenso möglich, daß Jugendliche sowie Heran-
wachsende - auch in Gegenwart von Erwachsenen - unüberlegt und spontan
handeln.
Rissing-van Saan Miebach Winkler
Pfister von Lienen