Urteil des BGH vom 12.02.2014

BGH: schuldfähigkeit, verminderung, überzeugung, verbrauch, anschluss, beleidigung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 S t R 1 0 / 1 4
vom
12. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2014 beschlos-
sen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts München I vom 2. Oktober 2013 im Strafausspruch aufge-
hoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen
(§ 349 Abs. 2 StPO).
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun
Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
auf die Sachrüge gestützten Revision. Diese hat den aus der Beschlussformel
ersichtlichen Teilerfolg.
1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen attackierte der durch eine
Beleidigung gereizte Angeklagte seinen Trinkkumpanen mit bedingtem Tö-
tungsvorsatz mittels eines Springmessers. Den ersten Stich konnte der Ge-
schädigte noch durch Wegschlagen abwehren, der zweite traf ihn jedoch neun
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Zentimeter tief in den Mittelbauch. Durch das Dazwischentreten von Dritten
wurde ein Nachsetzen durch den Angeklagten verhindert. Der Geschädigte,
dessen Dickdarm durch den Stich eröffnet worden war, konnte durch eine Not-
operation gerettet werden.
Im Anschluss an zwei hierzu gehörte Sachverständige konnte das Land-
gericht eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit
bei dem alkoholabhängigen Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen.
2. Während der Schuldspruch rechtsfehlerfrei ist, hält der Strafausspruch
revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat nach
– nicht zu beanstandender – Ablehnung eines
minder schweren Falls nach § 213 Alt. 1 StGB einen sonstigen minder schwe-
ren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen. Hierzu hat es neben anderen
Milderungsgründen herangezogen, dass aufgrund der „erheblichen Alkoholisie-
rung des Angeklagten eine Verminderung der Schuldfähigkeit nicht auszu-
schließen“ und die Tat im Versuchsstadium, wenn auch mit Nähe zum Erfolgs-
eintritt, stecken geblieben sei. Eine weitere Verschiebung des Strafrahmens
wegen des Vorliegens der Milderungsgründe des § 21 StGB oder des § 23
StGB hat es sodann ausgeschlossen. Der Annahme eines minder schweren
Falls nach § 213 Alt. 2 StGB hat es sodann die Möglichkeit der zweimaligen
Strafrahmenverschiebung nach diesen Milderungsgründen gegenüber gestellt,
da der danach eröffnete Strafrahmen eine Strafrahmenobergrenze unter der
verhängten Strafe bereit halte. Eine solche Strafrahmenbestimmung hat es
aber auch „unter Berücksichtigung dessen, dass eine verminderte Schuldfähig-
keit lediglich nicht auszuschließen
“ sei, nicht vorgenommen.
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Die letztgenannte Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft. Führt die
Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB zu einem milderen Strafrahmen als die An-
nahme eines minder schweren Falles unter Verbrauch von vertypten Milde-
rungsgründen, so ist der Tatrichter zwar nicht von vornherein gehalten, bei der
Bemessung der Strafe von dem milderen Strafrahmen auszugehen. Er hat
vielmehr im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen und darzulegen, wel-
chen Strafrahmen er nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für ange-
messen hält (BGH, Urteil vom 28. Mai 2013
– 3 StR 54/13; vgl. auch Beschluss
vom 23. Januar 2013
– 5 StR 635/12). Die hierzu vom Landgericht getroffenen
Strafzumessungserwägungen lassen jedoch besorgen, dass das Landgericht
der erheblichen Schuldminderung in diesem Zusammenhang geringeres Ge-
wicht beigemessen hat, weil sie nicht positiv festgestellt, sondern lediglich auf-
grund des Zweifelssatzes unterstellt worden ist (vgl. zur Anwendung des Zwei-
felssatzes auf nicht behebbare tatsächliche Zweifel hinsichtlich Art und Grad
des psychischen Ausnahmezustands BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006
– 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335; Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95,
BGHSt 43, 66). Dies ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober
2005
– 1 StR 369/05, NStZ-RR 2006, 6; vom 15. Oktober 1991 – 1 StR
548/91). Denn auch in den Fällen, in denen unter Anwendung des Zweifelssat-
zes von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen ist, ist dieser Sachverhalt
bei der rechtlichen Würdigung von der gleichen Bedeutung, wie ein zur Über-
zeugung des Gerichts festgestellter (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000
– 3 StR
392/99, NStZ-RR 2000, 166).
Auch angesichts der sonstigen Strafzumessungserwägungen kann der
Senat nicht ausschließen, dass die Höhe der ausgesprochenen Strafe auf der
rechtsfehlerhaften Erwägung beruht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. De-
zember 1999
– 2 StR 546/99).
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Der Strafausspruch bedarf daher einer erneuten tatrichterlichen Prüfung
und Entscheidung. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, konn-
ten die tatsächlichen Feststellungen bestehen bleiben. Ergänzende, zu den
bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen durch den neuen
Tatrichter sind möglich.
Raum Graf Jäger
Cirener Mosbacher
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