Urteil des BGH vom 29.08.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
XII ZR 150/05
Verkündet
am:
5. März 2008
Küpferle
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1610 Abs. 2
Die für den Kindergartenbesuch anfallenden Kosten sind unabhängig davon, ob die
Einrichtung halb- oder ganztags besucht wird, zum Bedarf eines Kindes zu rechnen.
Einen Mehrbedarf des Kindes begründeten diese Kosten für die Zeit bis zum 31. De-
zember 2007 grundsätzlich aber nur insoweit, als sie den Aufwand für den halbtägi-
gen Kindergartenbesuch überstiegen. Im übrigen waren die Kosten regelmäßig in
dem laufenden Kindesunterhalt enthalten, falls dieser das Existenzminimum für ein
Kind dieses Alters deckte (im Anschluss an Senatsurteil vom 14. März 2007 - XII ZR
158/04 - FamRZ 2007, 882 ff.). Diese Beurteilung ist jedenfalls vorerst auch für Altti-
tel gerechtfertigt, bei denen die Berechnung nach der Übergangsregelung des Art. 36
Nr. 3 lit. a EGZPO den bisherigen Zahlbetrag sichert.
BGH, Versäumnisurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 150/05 - OLG Nürnberg
AG
Hersbruck
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. März 2008 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs und Dose
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats
und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg
vom 29. August 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlan-
desgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um den für die Klägerin zu entrichtenden Kindergar-
tenbeitrag.
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Der Beklagte ist der Vater der am 21. August 2001 nichtehelich gebore-
nen Klägerin. Er ist verheiratet und hat noch drei eheliche Kinder. Mit Jugend-
amtsurkunde vom 19. September 2001 hatte er sich verpflichtet, der Klägerin
ab ihrer Geburt monatlichen Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrags
(§ 1 Regelbetrag-Verordnung) der jeweiligen Altersstufe unter Berücksichtigung
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der Hälfte des auf ein Kind entfallenden Kindergeldes zu zahlen, wobei der hälf-
tige Kindergeldanteil nach § 1612 b Abs. 5 BGB a.F. in der Höhe nicht anre-
chenbar ist, in der der geschuldete Unterhalt 135 % des jeweiligen Regelbetra-
ges der jeweiligen Altersstufe unterschreitet. Seine (zweite) Abänderungsklage,
mit der er im Hinblick auf eine behauptete eingeschränkte Leistungsfähigkeit
eine Herabsetzung des Unterhalts auf 42,18 % des Regelbetrags erreichen
wollte, ist rechtskräftig abgewiesen worden.
Die Klägerin, deren Mutter erwerbstätig ist, besucht ganztags einen Kin-
dergarten. Sie macht für die Zeit ab Juli 2004 Anspruch auf Mehrbedarf in Höhe
des Kindergartenbeitrags von zunächst monatlich 87 € und - nach einem
Wechsel des Kindergartens - von monatlich 91 € (jeweils ohne Essensgeld)
geltend. Der Beklagte hat sich u.a. auf fehlende Leistungsfähigkeit berufen.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin
blieb erfolglos. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren
weiter.
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Entscheidungsgründe:
Gegen den im Verhandlungstermin nicht vertretenen Beklagten ist durch
Versäumnisurteil zu entscheiden. Dieses beruht inhaltlich jedoch nicht auf der
Säumnis; es berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37,
79, 81 ff.).
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
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Das Berufungsgericht hat die erhobene Leistungsklage, ohne hierauf im
Einzelnen einzugehen, für zulässig gehalten. Das begegnet im Ergebnis keinen
rechtlichen Bedenken.
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Es ist zwar anerkannt, dass eine vom Jugendamt nach den §§ 60, 59
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII aufgenommene vollstreckbare Urkunde der vom
Unterhaltsberechtigten erhobenen Abänderungsklage unterliegt, und zwar auch
dann, wenn es sich um eine einseitige Verpflichtungserklärung handelt, der kei-
ne Vereinbarung der Parteien zugrunde liegt (Senatsurteile vom 29. Oktober
2003 - XII ZR 115/01 - FamRZ 2004, 24; vom 23. November 1988 - IVb ZR
20/88 - FamRZ 1989, 172, 174 und vom 27. Juni 1984 - IVb ZR 21/83 - FamRZ
1984, 997). Die Abänderungsklage stellt aber nicht die einzige Möglichkeit dar,
durch die der Unterhaltsgläubiger, dessen Unterhaltsanspruch nicht insgesamt
tituliert worden ist, eine Mehrforderung geltend machen kann. Wenn keine
(schlüssige) Vereinbarung über den Gesamtunterhalt vorliegt, ist es ihm nicht
verwehrt, seinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch ohne Rücksicht auf die Ur-
kunde und die darin enthaltene Verpflichtungserklärung des Schuldners zu rea-
lisieren. Ihm steht insofern grundsätzlich ein Wahlrecht zu (Senatsurteil vom
16. Januar 1980 - IVb ZR 115/78 - FamRZ 1980, 342, 343; Johann-
sen/Henrich/Brudermüller Eherecht 4. Aufl. § 323 ZPO Rdn. 141; Graba Die
Abänderung von Unterhaltstiteln 3. Aufl. Rdn. 105 f. und FamRZ 2005, 678,
679; Soyka Die Abänderungsklage im Unterhaltsrecht 2. Aufl. Rdn. 174;
Wendl/Thalmann Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl.
§ 8 Rdn. 168). Da aus der bloßen Entgegennahme der Unterhaltszahlungen
nicht ohne zusätzliche - hier weder festgestellte noch sonst ersichtliche - An-
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haltspunkte auf eine Vereinbarung der Parteien geschlossen werden kann, war
es der Klägerin unbenommen, die Klage nach § 258 ZPO zu erheben.
II.
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1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2006, 642 ff.
veröffentlicht ist, hat einen über den titulierten Unterhalt hinausgehenden An-
spruch auf Zahlung weiteren Unterhalts in Höhe der durch den Kindergartenbe-
such entstehenden Kosten verneint. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt: Der Kindergartenbeitrag stelle keinen vom Beklagten zu tragenden
Mehrbedarf dar. Der halbtägige Kindergartenbesuch sei heutzutage die Regel.
Bei dem hierfür zu entrichtenden Beitrag handle es sich deshalb um Kosten, die
üblicherweise bei Kindern ab dem 3. Lebensjahr zu tragen seien. Diese Kosten
würden durch die Sätze der nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Fami-
liensenate in Süddeutschland maßgeblichen Düsseldorfer Tabelle gedeckt.
Hierbei handle es sich um Pauschalen, mit denen die durchschnittlichen Le-
benshaltungskosten des Kindes der betreffenden Altersstufe zu begleichen sei-
en. Jedenfalls im Tabellenbetrag der Gruppe 6 der Düsseldorfer Tabelle, bei
dem das Existenzminimum des Kindes als gesichert anzusehen sei, sei der
Aufwand für den "üblichen" Kindergartenbesuch enthalten. In den niedrigeren
Einkommensgruppen führe die Nichtanrechnung des Kindergeldanteils des Bar-
unterhaltspflichtigen gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB (in der bis zum 31. Dezember
2007 geltenden Fassung) dazu, die Lücken beim Kindesunterhalt zu schließen,
so dass dieses Kind faktisch ebenfalls über den gleichen Betrag wie in der
Gruppe 6 verfüge. Der barunterhaltspflichtige Elternteil sei daher nicht verpflich-
tet, neben dem Tabellenunterhalt für die "normalen" Kosten der Erziehung und
Betreuung eines Kindes im Kindergarten aufzukommen. Gegen diese Auffas-
sung sprächen nicht die Regelsätze der Sozialhilfe, die sowohl bis zum
31. Dezember 2004 als auch ab 1. Januar 2005 selbst unter Berücksichtigung
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der Kosten für Unterkunft und Heizung unter dem Tabellenwert der Gruppe 6
lägen.
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Die über den "üblichen" Kindergartenbesuch hinausgehenden Kosten für
den ganztägigen Besuch dieser Einrichtung könnten zwar Mehrbedarf des Kin-
des sein. Dies sei allerdings nicht regelmäßig, sondern nur dann der Fall, wenn
besondere, in der Person des Kindes liegende Gründe vorlägen. Solche Grün-
de, die sich nicht darin erschöpfen dürften, dass sich der Kindergartenbesuch
im Allgemeinen als erzieherisch nützlich und sinnvoll darstelle, seien nicht vor-
getragen und auch sonst nicht ersichtlich. Es bestehe kein Zweifel, dass die
Klägerin den Ganztagskindergarten im Interesse der Mutter besuche, damit
diese einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen könne. Wenn die Mutter
ihrerseits unterhaltsberechtigt wäre, müssten die Kindergartenkosten als be-
rufsbedingte Aufwendungen bei der Ermittlung der Höhe ihres Unterhaltsan-
spruchs berücksichtigt werden. Wegen der zeitlichen Befristung des § 1615 l
Abs. 2 BGB (a.F.) könne die Mutter allerdings keinen Unterhalt mehr beanspru-
chen. Diese faktische Ungleichbehandlung gegenüber einer Mutter, die Tren-
nungs- bzw. nachehelichen Unterhalt verlangen könne, rechtfertige es jedoch
nicht, Aufwendungen der Mutter als Mehrbedarf des Kindes zu deklarieren. Es
sei vielmehr Sache des Gesetzgebers, eine Verbesserung für die nichteheliche
Mutter im Rahmen der (geplanten) Änderung des § 1615 l BGB herbeizuführen.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen
Punkten stand.
11
2. Die Frage, ob der einem Kind nach den §§ 1601 ff. BGB barun-
terhaltspflichtige Elternteil diesem auch die Kosten für den Besuch eines Kin-
dergartens schuldet oder ob es sich insoweit um einen Anspruch des betreuen-
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den Elternteils handelt, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich
beantwortet.
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Das Oberlandesgericht Hamburg (DAVorm 1998, 710, 711) geht - ohne
zwischen halb- oder ganztägigem Kindergartenbesuch zu differenzieren - von
einem Bedarf des Kindes aus, wenn der betreuende Elternteil kein Einkommen
erzielt. Ist dieser erwerbstätig, so seien die Kosten als berufsbedingte Aufwen-
dungen von dessen Einkommen abzuziehen, minderten also sein unterhalts-
rechtlich zu berücksichtigendes Einkommen (ebenso Schwab/Borth Handbuch
des Scheidungsrechts 5. Aufl. Kap. V Rdn. 67; vgl. auch Spangenberg FamRZ
2007, 1022 f., der eine wahlweise Geltendmachung als Bedarf des Kindes oder
des betreuenden Elternteils für möglich hält).
Überwiegend wird demgegenüber angenommen, die Kosten für den
halbtägigen Besuch des Kindergartens stellten einen Bedarf des Kindes dar
(KG FamRZ 2007, 2100, 2101; OLG Stuttgart FamRZ 2007, 150, 151 und
FamRZ 2004, 1129; OLG Celle FamRZ 2003, 323 [LS]; OLG Bamberg FF
2000, 142; Scholz FamRZ 2006, 737, 740; Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in
der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 275; Staudinger/Engler/Kaiser
BGB [2000] § 1610 Rdn. 68; Kalthoener/Büttner/Niepmann Die Rechtsprechung
zur Höhe des Unterhalts 10. Aufl. Rdn. 350; Menne ZKJ 2006, 298), wobei teil-
weise zusätzlich gefordert wird, dass der Kindergartenbesuch allein aus päda-
gogischen Gründen erfolge und nicht, um dem betreuenden Elternteil eine Er-
werbstätigkeit zu ermöglichen (OLG München OLGR 1993, 154; OLG Zweibrü-
cken OLGR 2002, 230).
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Zum anderen wird vertreten, die Kosten eines ganztägigen Kindergar-
tenbesuchs könnten nicht als Bedarf des Kindes geltend gemacht werden, son-
dern seien allein im Rahmen des Ehegattenunterhalts zu berücksichtigen (OLG
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Frankfurt FamRZ 2007, 1353, 1354). Dies müsse jedenfalls mit Rücksicht auf
die erweiterte Erwerbsobliegenheit eines Ehegatten nach der Neufassung des
§ 1570 BGB durch das zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Ände-
rung des Unterhaltsrechts vom 9. November 2007 (BGBl. I 3189) gelten (Ger-
hardt in FA-FamR 6. Aufl. 6. Kap. Rdn. 153; Viefhues juris PR-FamR 15/2007
Anm. 4; Hollinger in juris Konkret Das neue Unterhaltsrecht § 1570 Rdn. 73).
Schließlich wird angenommen, die Kosten für den Kindergarten seien
unabhängig davon, ob dieser ganztägig oder lediglich halbtägig besucht werde,
wegen der von solchen Einrichtungen übernommenen pädagogischen und bil-
dungsmäßigen Aufgaben als Bedarf des Kindes zu qualifizieren (Maurer
FamRZ 2006, 663, 665 ff.; vgl. auch Eschenbruch/Klinkhammer/Wohlgemuth
Der Unterhaltsprozess 4. Aufl. Rdn. 3043).
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3. Der Senat, der diese Frage bisher nicht zu entscheiden brauchte, ver-
tritt die Auffassung, dass die für den Kindergartenbesuch anfallenden Kosten,
und zwar gleichgültig, ob die Einrichtung halb- oder ganztags besucht wird, zum
Bedarf eines Kindes zu rechnen sind und grundsätzlich keine berufsbedingten
Aufwendungen des betreuenden Elternteils darstellen.
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a) Zwar hat der Senat Kosten, die einem erwerbstätigen Ehegatten für
die Fremdbetreuung des bei ihm lebenden Kindes notwendigerweise entstehen,
als mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwand angesehen (vgl. etwa Se-
natsurteil vom 29. November 2000 - XII ZR 212/98 - FamRZ 2001, 350, 352).
Dies bezog sich indes auf Fälle, in denen der erwerbstätige Ehegatte, der für
den Bar- und Betreuungsunterhalt der bei ihm lebenden Kinder aufkam und für
deren zeitweise Fremdbetreuung Aufwendungen hatte, zugleich von dem ande-
ren Ehegatten auf Unterhalt in Anspruch genommen wurde. Hierbei ging es um
die Frage der Berechnung seines unterhaltsrelevanten Einkommens, also ob
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- 9 -
und in welcher Höhe sein - überobligationsmäßig erzieltes - Einkommen für den
Ehegattenunterhalt heranzuziehen war und ob die Fremdbetreuungskosten von
seinem Einkommen vorweg abzuziehen waren. Das betrifft nur das Unterhalts-
rechtsverhältnis der Ehegatten zueinander und lässt den Unterhaltsbedarf des
Kindes unberührt.
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b) Dass die mit einer Fremdbetreuung verbundenen Kosten berufsbe-
dingte Aufwendungen des betreuenden Elternteils darstellen, kann aber nicht in
allen Fällen angenommen werden. Vielmehr ist insofern eine differenzierte Be-
trachtungsweise geboten, die darauf Bedacht zu nehmen hat, dass der Unter-
haltsbedarf eines Kindes dessen gesamten Lebensbedarf einschließlich der
Kosten der Erziehung umfasst (§ 1610 Abs. 2 BGB). Wenn Aufwendungen in
erster Linie erzieherischen Zwecken dienen, wie es bei denjenigen für den Kin-
dergartenbesuch der Fall ist, bestimmen sie jedenfalls den Bedarf des Kindes
und nicht denjenigen des betreuenden Elternteils.
Durch die Kindergartenbetreuung soll ein Kind Förderung in seiner Ent-
wicklung erfahren und den Eltern zugleich Hilfe bei der Erziehung zuteil werden.
Diese Zielsetzung kommt auch in den Kindergartengesetzen der Länder zum
Ausdruck. So heißt es etwa in Art. 13 des hier relevanten Bayerischen Kinder-
bildungs- und -betreuungsgesetzes vom 8. Juli 2005 (GVBl. S. 236 ff.): "Das
pädagogische Personal ... hat die Kinder in ihrer Entwicklung zu eigenverant-
wortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu unterstützen mit dem
Ziel, zusammen mit den Eltern die hierzu notwendigen Basiskompetenzen zu
vermitteln. Dazu zählen beispielsweise positives Selbstwertgefühl, Problemlö-
sefähigkeit, lernmethodische Kompetenz, Verantwortungsübernahme sowie
Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit. Das pädagogische Personal hat ...
die Kinder ganzheitlich zu bilden und zu erziehen und auf deren Integrationsfä-
higkeit hinzuwirken. Der Entwicklungsverlauf des Kindes ist zu beachten." Nach
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Art. 15 Abs. 2 des Gesetzes haben die Kindertageseinrichtungen mit Kindern
ab Vollendung des 3. Lebensjahres im Rahmen ihres eigenständigen Bildungs-
und Erziehungsauftrags mit der Grund- und Förderschule zusammenzuarbei-
ten. Sie haben die Aufgabe, Kinder, deren Einschulung ansteht, auf diesen
Übergang vorzubereiten und hierbei zu begleiten. Vergleichbare Regelungen
finden sich auch in den anderen Landesgesetzen, etwa in § 2 des Baden-
Württembergischen Kinderbetreuungsgesetzes vom 9. April 2003 (GBl. S. 164
ff.). Nach § 22 Abs. 2 SGB VIII sollen Tageseinrichtungen für Kinder unter an-
derem die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemein-
schaftsfähigen Persönlichkeit fördern und die Erziehung und Bildung in der Fa-
milie ergänzen.
Danach bietet der Kindergarten zum einen fürsorgende Betreuung mit
dem Ziel einer Förderung sozialer Verhaltensweisen. Zum anderen stellt er
zugleich eine Bildungseinrichtung im elementaren Bereich dar. Mit der Schaf-
fung von Kindergärten gewährleistet der Staat Chancengleichheit im Bezug auf
die Lebens- und Bildungsmöglichkeiten von Kindern und trägt damit sozialstaat-
lichen Belangen Rechnung (BVerfG FamRZ 1998, 887, 888 f.). Darüber hinaus
wird in der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussion gerade unter Hinweis
auf das Wächteramt des Staates zum Schutz des Kindeswohls (Art. 6 Abs. 2
Satz 2 GG) gefordert, dass Kinder Kindergärten oder vergleichbare Einrichtun-
gen besuchen, damit sie selbst sowie das Erziehungsverhalten der Eltern einer
Kontrolle unterliegen (vgl. KG FamRZ 2007, 2100, 2101). Nach alledem kann
nicht bezweifelt werden, dass der Kindergartenbesuch dem Kindeswohl in
maßgeblicher Weise dient. Ein Kind würde benachteiligt, wenn ihm die Möglich-
keit, insofern Förderung in seiner Erziehung und Entwicklung zu erfahren, vor-
enthalten würde. Damit korrespondiert, dass ein Kind vom vollendeten
3. Lebensjahr an bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch einer Ta-
geseinrichtung hat. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hin-
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zuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganz-
tagsplätzen oder ergänzend Förderung in der Kindertagespflege zur Verfügung
steht (§ 24 Abs. 1 SGB VIII). Dieser Anspruch dient in erster Linie dem Kind.
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c) Bei dieser Sach- und Rechtslage stehen die erzieherischen Aufgaben
des Kindergartens derart im Vordergrund, dass dem Gesichtspunkt der Ermög-
lichung einer Erwerbstätigkeit des betreffenden Elternteils nur untergeordnete
Bedeutung, eher diejenige eines Nebeneffekts, zukommt. Deshalb müssen die
durch den Kindergartenbesuch entstehenden Kosten als solche der Erziehung
und damit als Bedarf des Kindes angesehen werden. Für die Beurteilung kann
es auch nicht darauf ankommen, ob der Kindergarten halbtags, überhalbtags
oder ganztags erfolgt. Denn die erzieherische Bedeutung ist davon unabhängig
und in jedem Fall gegeben.
d) Abgesehen davon kann auch nur dann, wenn die entsprechenden
Kosten dem Bedarf des Kindes zuzurechnen sind, gewährleistet werden, dass
der betreuende Elternteil für einen hieraus folgenden Mehrbedarf des Kindes
nicht allein aufzukommen braucht. Würden die Kosten demgegenüber als be-
rufsbedingte Aufwendungen behandelt, hinge die Beteiligung des barun-
terhaltspflichtigen Elternteils davon ab, ob der betreuende Elternteil überhaupt
einen Unterhaltsanspruch hat. Dies wäre bei einem Ehegatten nach Wiederver-
heiratung oder Begründung einer Lebenspartnerschaft (§ 1586 Abs. 1 BGB)
oder gegebenenfalls bei Verwirkung (§ 1579 BGB) nicht (mehr) der Fall. Denk-
bar ist auch, dass der Ehegattenunterhalt wegen des nunmehr bestehenden
Nachrangs (§ 1609 Nr. 2 BGB) nicht zum Tragen kommt. Die nichteheliche Mut-
ter hat nach Ablauf von drei Jahren nach der Geburt des Kindes keinen Unter-
haltsanspruch mehr, solange und soweit sich diese Frist nicht aus Billigkeits-
gründen verlängert (§ 1615 l Abs. 2 bis 4 BGB n.F.; für die eheliche Mutter vgl.
jetzt § 1570 Abs. 1 und 2 BGB n.F.). Ist sie - wie hier - vollschichtig erwerbstä-
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tig, wird ein Unterhaltsanspruch regelmäßig nicht in Betracht kommen mit der
Folge, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen, das Kind betreuen und zu-
sätzlich für die Kindergartenkosten aufkommen muss, soweit diese nicht im Ta-
bellenunterhalt enthalten sind. In der Begründung zum Unterhaltsrechtsände-
rungsgesetz wird indessen ausgeführt, die Kosten der Kinderbetreuung seien
bei der Unterhaltsbemessung angemessen zu berücksichtigen (BT-Drucks.
16/1830 S. 17). Das ist über den Unterhaltsanspruch des betreuenden Eltern-
teils jedoch nicht in allen Fällen möglich. Ein solches Ergebnis wäre deshalb
weder angemessen (so auch Wellenhofer FamRZ 2007, 1282, 1284), noch mit
der Entlastung des barunterhaltspflichtigen Ehegatten, die mit der durch das
Unterhaltsrechtsänderungsgesetz verstärkten Eigenverantwortung des betreu-
enden Elternteils ohnehin schon einhergeht, zu vereinbaren.
4. a) Ob und gegebenenfalls inwieweit sich der barunterhaltspflichtige El-
ternteil an den Kindergartenbeiträgen zu beteiligen hat, hängt allerdings auch
von der Art des hierdurch begründeten Bedarfs ab. Kindergartenbeiträge kön-
nen, schon da sie regelmäßig anfallen, keinen Sonderbedarf (§ 1613 Abs. 2
Nr. 1 BGB) darstellen. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs anzuse-
hen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche
derart übersteigt, dass er mit den Regelsätzen nicht erfasst werden kann, ande-
rerseits aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden
Unterhalts berücksichtigt werden kann (Wendl/Scholz Das Unterhaltsrecht in
der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 133; Maurer FamRZ 2006, 663,
667).
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b) Hinsichtlich des Kindergartenbeitrags hat der Senat entschieden, dass
der Beitrag für einen halbtägigen Kindergartenbesuch grundsätzlich keinen
Mehrbedarf des Kindes begründet. Der halbtägige Besuch des Kindergartens
ist heutzutage die Regel, so dass es sich bei dem hierfür zu zahlenden Beitrag
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um Kosten handelt, die üblicherweise ab Vollendung des 3. Lebensjahres eines
Kindes anfallen. Diese Kosten wurden durch die Sätze der damaligen Düssel-
dorfer Tabelle gedeckt, bei denen es sich um Pauschalen handelt, mit denen
die durchschnittlichen, über einen längeren Zeitraum anfallenden Lebenshal-
tungskosten eines Kindes der betreffenden Altersstufe bestritten werden kön-
nen. Der Tabellenbetrag der Gruppe 6 der Düsseldorfer Tabelle, bei dem das
Existenzminimum eines Kindes als gesichert anzusehen war, schloss den Auf-
wand für den üblichen Kindergartenbesuch jedenfalls ein. In den niedrigeren
Einkommensgruppen bewirkte die bis zum 31. Dezember 2007 unterbleibende
Anrechnung des Kindergeldanteils gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB a.F., dass die
Lücken beim Kindesunterhalt geschlossen wurden, weshalb auch dieses Kind
faktisch über den gleichen Betrag wie in der Gruppe 6 verfügte (Senatsurteil
vom 14. März 2007 – XII ZR 158/04 – FamRZ 2007, 882, 886).
c) An dieser Beurteilung, die sich auf sozialverträglich gestaltete Kinder-
gartenbeträge bezieht, hält der Senat für Fälle fest, in denen der nach der frü-
heren Düsseldorfer Tabelle titulierte Unterhalt die Kosten für den halbtägigen
Kindergartenbesuch bis zu einer Höhe von etwa 50 € monatlich umfasst. Sie
kann im vorliegenden Fall auch für die Zeit ab 1. Januar 2008 Geltung bean-
spruchen. Denn durch die Übergangsregelung des § 36 Nr. 4 EGZPO ist der in
§ 1612 a BGB n.F. vorgesehene Mindestunterhalt angehoben worden. Ohne
diese Anhebung hätte das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz mit der Anknüp-
fung des Mindestunterhalts an den jeweiligen steuerlichen Freibetrag für das
sächliche Existenzminimum zu niedrigeren Zahlbeträgen (West) geführt, als sie
sich bislang aus den Regelbeträgen in Verbindung mit der eingeschränkten
Kindergeldanrechnung gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB a.F. ergeben haben. Die
Regelung bewirkt unterhaltsrechtlich eine vorgezogene Anhebung des (seit
2003 unveränderten) sächlichen Existenzminimums (Klinkhammer FamRZ
26
- 14 -
2008, 193, 195). Sie führt im vorliegenden Fall zu einem unveränderten Zahlbe-
trag.
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Der Beklagte, der sich zur Zahlung von 100 % des Regelbetrags ver-
pflichtet hat, hatte unter Berücksichtigung der Regelung des § 1612 b Abs. 5
BGB zuletzt (bis zum 31. Dezember 2007) monatlichen Unterhalt für die Kläge-
rin in Höhe von 196 € zu entrichten (Regelbetrag: 202 € x 135 % = 273 € ab-
züglich hälftiges Kindergeld von 77 €). Die Berechnung nach der Übergangsre-
gelung des Art. 36 Nr. 3 a EGZPO sichert diesen Zahlbetrag bei vorliegenden
Titeln oder Unterhaltsvereinbarungen, aufgrund derer Unterhalt als Prozentsatz
des jeweiligen Regelbetrags nach der Regelbetrag-VO zu leisten ist (vgl. die
Berechnung von Vossenkämper FamRZ 2008, 201, 204), auch wenn das Kin-
dergeld nunmehr gemäß § 1612 b BGB n.F. auf den Barbedarf hälftig anzu-
rechnen ist. In diesem Zahlbetrag sind aber Kindergartenkosten bis zu einer
Höhe von etwa 50 € als üblicherweise anfallende Kosten enthalten.
b) Mehrbedarf stellen deshalb hier allein diejenigen Kosten dar, die den
Aufwand für den halbtägigen Kindergartenbesuch bzw. einen Betrag von etwa
50 € monatlich übersteigen. Insofern ist allerdings dem Grunde nach ein An-
spruch der Klägerin gegeben, für den aber grundsätzlich nicht der barun-
terhaltspflichtige Elternteil allein, sondern beide Elternteile anteilig nach ihren
Einkommensverhältnissen aufzukommen haben (vgl. hierzu etwa Wendl/Scholz
Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 136).
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5. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Dem
Senat ist es nicht möglich, in der Sache abschließend zu entscheiden, da das
Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellun-
gen zur Leistungsfähigkeit des Beklagten und zu einer etwaigen Beteiligungs-
quote der Mutter getroffen hat. Ebensowenig ist festgestellt, in welcher Höhe
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Kosten für einen halbtägigen Kindergartenbesuch anfallen würden, so dass
auch eine teilweise Zurückweisung der Revision nicht in Betracht kommt.
Hahne
Weber-Monecke
RiBGH Prof. Dr. Wagenitz
ist urlaubsbedingt verhindert
zu
unterschreiben
Hahne
Fuchs
Dose
Vorinstanzen:
AG Hersbruck, Entscheidung vom 16.03.2005 - 2 F 819/04 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 29.08.2005 - 10 UF 395/05 -