Urteil des BGH vom 02.10.2018

Urteil vom 02.10.2018

ECLI:DE:BGH:2018:021018BXARZ482.18.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ARZ 482/18
vom
2. Oktober 2018
in dem Rechtsstreit
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Oktober 2018 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Dr. Bacher
und Hoffmann und die Richterin Dr. Marx
beschlossen:
Zuständig ist das Amtsgericht Wetter (Ruhr).
Gründe:
I.
Die Klägerin hat beim Arbeitsgericht Hagen gegen die Beklagte eine
Zahlungsklage erhoben, die sie damit begründet hat, dass ihr eine titulierte For-
derung gegen einen Arbeitnehmer der Beklagten (im Folgenden: Schuldner)
zustehe, dessen Lohnanspruch sie gepfändet habe. Die geforderte Erklärung
nach § 840 Abs. 1 ZPO habe die Beklagte nicht abgegeben. Diese sei daher
verpflichtet, ihr - der Klägerin - den hieraus entstandenen Schaden zu ersetzen.
Hätte die Beklagte aufgrund des erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbe-
schlusses den monatlich pfändbaren Betrag abgeführt, wäre die Forderung ge-
gen den Schuldner in Höhe der Klageforderung erledigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass für Klagen
auf Schadensersatz wegen Verletzung der Auskunftspflicht nach § 840 Abs. 2
Satz 2 ZPO der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet sei. Die an-
waltlich vertretene Klägerin hat hierauf erklärt, § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO regele
nur, dass der Drittschuldner, der die Auskunftspflicht verletzt habe, die Aufwen-
dungen einer ganz oder teilweise erfolglosen Zahlungsklage tragen müsse. Im
anhängigen Rechtsstreit gehe es darum, dass die Beklagte den gepfändeten
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Arbeitslohn zahlen müsse, weil sie nicht dargelegt habe, dass die gepfändeten
Ansprüche nicht beständen; eingeklagt werde der gepfändete Anspruch des
Schuldners. § 840 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei in der Klagebegründung fälschlicher-
weise zitiert worden.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssa-
chen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit durch rechtskräftigen Be-
schluss an das Amtsgericht Wetter (Ruhr) verwiesen. Dieses hat sich seiner-
seits für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Bundesgerichtshof
zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36
Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiede-
ner Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Ob-
wohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Be-
schluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig er-
klärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Ge-
setz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratori-
sche - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Inter-
esse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann gebo-
ten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung
der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte
bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die
Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessord-
nungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor
ihm anhängig ist (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR
2013, 1242 Rn. 4 mwN).
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So liegt der Fall hier. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Amtsgericht
haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.
2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern
zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben,
obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Ge-
richtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, aaO Rn. 7
mwN).
3. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Wetter (Ruhr). Seine Zu-
ständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des Arbeits-
gerichts nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.
a) Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den
zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an
das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Über-
prüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige
Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurück-
genommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit
verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3
GVG bindend (BGH, aaO Rn. 9).
b) Auf die Erwägung des Amtsgerichts, die Klägerin möge in der Klage
zwar unzutreffend formuliert haben, die Klageforderung werde auf § 840 Abs. 2
Satz 2 ZPO gestützt, habe aber nach dem Hinweis des Arbeitsgerichts klarge-
stellt, den Anspruch des Schuldners auf Arbeitslohn einklagen zu wollen,
kommt es danach nicht an.
Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch das
Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entschei-
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dung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel
zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechts-
wegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungs-
beschluss. Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Ver-
weisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Über-
prüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegen-
über kann die Frage des Rechtswegs im Rechtsmittelzug - uneingeschränkt -
überprüft werden, und insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht
rechtsmittelführenden Partei an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegeh-
rens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht
des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, son-
dern allein das Rechtsmittelgericht ist zu dieser Überprüfung berufen.
Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungs-
bereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entschei-
dungen anerkannt ist, ist deshalb jedenfalls grundsätzlich kein Raum. Nicht das
Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen
oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidungen ge-
schützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und damit dem
gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Par-
teien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses - wie hier von der Kläge-
rin - nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten
Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelge-
richts zu setzen (BGH, aaO Rn. 12).
c) Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob gleich-
wohl noch Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer
rechtskräftigen Verweisung verneint werden kann, und diese Frage kann auch
im Streitfall offenbleiben. Jedenfalls kommt eine Durchbrechung der Bindungs-
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wirkung, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Be-
schluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372) allenfalls bei
"extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung re-
gelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH,
Beschlüsse vom 13. November 2001 - X ARZ 266/01, NJW-RR 2002, 713; vom
8. Juli 2003 - X ARZ 138/03, NJW 2003, 2990, 2991; vom 9. Dezember 2010
- X ARZ 283/10, MDR 2011, 253 Rn. 16; vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11,
NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9; vom 14. Mai 2013, aaO Rn. 13; s. auch BAG, Be-
schluss vom 12. Juli 2006 - 5 AS 7/06, NJW 2006, 2798 Rn. 5: nur bei "krassen
Rechtsverletzungen"). Von einer solchen schwerwiegenden, nicht mehr hin-
nehmbaren Verletzung der Rechtswegordnung kann im Streitfall nicht gespro-
chen werden. Das Arbeitsgericht hat die Verweisung damit begründet, dass die
in der Klageschrift gegebene Begründung für die Qualifikation des Streitgegen-
standes als zivil- oder arbeitsrechtliche Streitigkeit maßgeblich sei. Daran ände-
re es nichts, dass sich die Klägerin in ihrer Stellungnahme darauf berufe, dass
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der gepfändete Anspruch gegen die Beklagte arbeitsrechtlicher Natur sei. Dabei
mag das Arbeitsgericht die gebotene Prüfung unterlassen haben, ob die Kläge-
rin mit der Stellungnahme eine Klageänderung vorgenommen und die Klage
nunmehr auf eine arbeitsrechtliche Grundlage gestellt hat. Dies begründet aber
keinen nicht mehr hinnehmbaren Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung.
Meier-Beck
Grabinski
Bacher
Hoffmann
Marx
Vorinstanz:
AG Wetter (Ruhr), Entscheidung vom 05.09.2018 - 3 C 210/18 -