Urteil des BGH vom 12.01.2016
Leitsatzentscheidung zu Ex Nunc, Widerruf, Verbraucher, Zukunft
ECLI:DE:BGH:2016:120116BXIZR366.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZR 366/15
vom
12. Januar 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 357 Abs. 1 Satz 1 (in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung), §§ 346
ff.
EGZPO § 26 Nr. 8 Satz 1
ZPO § 3
Begehrt ein Verbraucher außerhalb des Anwendungsbereichs des § 358 BGB die
Feststellung, dass durch seinen Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags dieser
gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung
nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln ist, bemisst sich der Wert seiner Beschwer
gemäß § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO, § 3 ZPO nach der Hauptforderung, die er gemäß
§§ 346 ff. BGB beanspruchen zu können meint.
BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - XI ZR 366/15 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Januar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Joeres und Dr. Matthias
sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Dauber
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revi-
sion gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Stuttgart vom 21. Juli 2015 zugelassen.
Der Wert der mit der beabsichtigten Revision geltend zu machen-
den Beschwer (§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO) wird auf über 20.000
€
festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren die Feststellung, dass drei in den Jahren 2008 und
2009 mit der Beklagten geschlossene Darlehensverträge über 220.000
€,
110.000
€ und 72.000 € durch den Widerruf der Kläger vom 20. Juni 2014 "be-
endet" sind. Diese Darlehensverträge valutierten im Zeitpunkt des Widerrufs
noch in Höhe von insgesamt 369.046,77
€. Das Landgericht hat dem Feststel-
lungsantrag der Kläger entsprochen. Das Berufungsgericht hat die dagegen
gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zu-
gelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten, die nach Zulas-
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sung der Revision in der Sache die vollständige Abweisung der Klage erreichen
will.
II.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision
ist zulässig. Der Wert der mit der beabsichtigten Revision geltend zu machen-
den Beschwer liegt über 20.000
€.
1. Die Wertberechnung im Rahmen des § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO ist
nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen (Senatsbe-
schluss vom 23. Juli 2015 - XI ZR 263/14, WM 2015, 1669 Rn. 3 mwN). Für die
Berechnung des Werts der Beschwer kommt es auf den Zeitpunkt der Einle-
gung des Rechtsmittels an (§ 4 Abs. 1 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni
2001 - IV ZB 3/01, NJW-RR 2001, 1571, 1572). Maßgebend ist das Interesse
des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
Über die Höhe der Beschwer hat das Revisionsgericht selbst zu befinden. Ist
Rechtsmittelkläger der Beklagte, bestimmt sich sein Interesse an der Beseiti-
gung der Verurteilung (materielle Beschwer). Dieses Interesse stimmt mit dem
Interesse des Klägers an der Verurteilung bzw. dessen formeller Beschwer
nicht notwendig überein (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2013 - V ZR
52/13, MDR 2014, 461 Rn. 6). Allerdings bildet das Klägerinteresse die Ober-
grenze für die Beschwer des Beklagten (vgl. BGH, Beschlüsse vom
19. September 1990 - VIII ZR 117/90, WM 1990, 2058, 2059 und vom
3. November 2005 - IX ZR 94/04, juris Rn. 8).
2. Das Interesse der Kläger an der beantragten Feststellung, das das In-
teresse der Beklagten nach oben begrenzt, beläuft sich auf mehr als 20.000
€.
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a) Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines auf § 495 Abs. 1 BGB
in der vom 1. August 2002 bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung gestützten
Widerrufs eines Verbrauchervertrags (§ 355 BGB) und begehrt der klagende
Verbraucher die Feststellung, der Darlehensvertrag sei "beendet" bzw. habe
sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, ist das wirtschaftliche
Interesse des Klägers an dieser Feststellung unter Berücksichtigung der ge-
geneinander abzuwägenden Vor- und Nachteile bei Wirksamkeit bzw. Unwirk-
samkeit des Widerrufs nach § 3 ZPO zu schätzen (vgl. RGZ 52, 427, 428 f.;
BGH, Beschluss vom 1. Juni 1976 - VI ZR 154/75, HRF 1977, Nr. 109; OLG
Karlsruhe, WM 2015, 2088, 2089; OLG Koblenz, Beschluss vom 3. September
2015 - 8 W 528/15, juris Rn. 11; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. Oktober
2015 - 4 W 10/15, juris Rn. 14
b) Liegt dem Verbraucherdarlehensvertrag wie hier kein verbundener
Vertrag zugrunde (§ 358 BGB), kann der Wert der Beschwer nicht mit dem Net-
todarlehensbetrag gleichgesetzt werden. Vielmehr sind in solchen Fällen, wenn
das Schuldverhältnis gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni
2014 geltenden Fassung (künftig: aF) nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwi-
ckeln ist, die Leistungen maßgeblich, die der Kläger gemäß §§ 346 ff. BGB be-
anspruchen zu können meint.
aa) Der wirksame Widerruf der auf Abschluss eines Verbraucherdarle-
hensvertrags gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers gestaltet den Ver-
braucherdarlehensvertrag mit Wirkung für die Zukunft in ein Rückgewähr-
schuldverhältnis um. Bei der Betrachtung der dem klagenden Verbraucher
durch den Widerruf entstehenden Vorteile ist damit, weil der Kläger künftig Leis-
tungsbeziehungen aus dem Rückgewährschuldverhältnis und nicht aus dem
Verbraucherdarlehensvertrag herleiten will, dieses Rechtsverhältnis und nicht
der Verbraucherdarlehensvertrag maßgeblich. Das gilt ohne Rücksicht auf die
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konkrete Fassung des Feststellungsantrags. Auch dann, wenn der Antrag wie
hier dahin lautet festzustellen, dass der Verbraucherdarlehensvertrag beendet
ist, liegt dem die Behauptung zugrunde, für die Zukunft Ansprüche aus
§§ 346 ff. BGB herzuleiten. Schon deshalb vermag der in der obergerichtlichen
Rechtsprechung vertretene Ansatz nicht zu überzeugen, der Wert des klägeri-
schen Interesses sei anhand des Vertragszinses bis zum Ende der Zinsbindung
(OLG Karlsruhe, WM 2015, 2088, 2089 f.) oder - wie vom Berufungsgericht bei
der Festsetzung des Streitwerts gehandhabt - anhand des Vertragszinses bis
zum Ende der Zinsbindung, höchstens aber anhand des dreieinhalbfachen des
für das Jahr geschuldeten Vertragszinses zu schätzen (so OLG Celle, BKR
2015, 417 Rn. 7; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 16. November 2015
- 1 W 41/15, juris Rn. 6; OLG Koblenz, BKR 2015, 463, 464 und Beschluss vom
3. September 2015 - 8 W 528/15, juris Rn. 11; OLG Stuttgart, Beschlüsse vom
28. Januar 2015 - 9 U 119/14, juris Rn. 12 und vom 14. April 2015 - 6 W 23/15,
juris Rn. 18; außerdem OLG Stuttgart, WM 2015, 1147; JurBüro 2015, 473 und
474 sowie 475 f.). Denn diese Betrachtungsweise stellt auf die Leistungsbezie-
hungen aus dem Verbraucherdarlehensvertrag, nicht - wie richtig - aus dem
Rückgewährschuldverhältnis ab.
bb) Andere in der obergerichtlichen Rechtsprechung diskutierte Schätz-
werte geben das nach § 3 ZPO maßgebliche Interesse ebenfalls nicht adäquat
wieder:
Der Nettodarlehensbetrag (OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 27. Feb-
ruar 2015 - 19 W 60/14, juris Rn. 4) ist als Schätzgrundlage ungeeignet. Der
widerrufende Verbraucher nimmt nicht für sich in Anspruch, die Darlehensvaluta
behalten zu dürfen. Er will und kann den Darlehensgeber nicht an der sofortigen
Geltendmachung von Ansprüchen aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbin-
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dung mit §§ 346 ff. BGB hindern (anderer Sachverhalt daher Senatsbeschluss
vom 25. Februar 1997 - XI ZB 3/97, WM 1997, 741).
Die Restdarlehensvaluta bei Einreichung der Klage (OLG Köln, Be-
schlüsse vom 18. November 2014 - 13 W 50/14, juris Rn. 5 f. und vom 25. März
2015 - 13 W 13/15, juris Rn. 6) bzw. Einlegung des Rechtsmittels bietet eben-
falls keine geeignete Basis für die Schätzung nach § 3 ZPO. Nähme man sie
zum Ausgangspunkt, hinge die Schätzung von Zufälligkeiten ab, die mit den
Vorteilen des Verbrauchers aufgrund der Ausübung des Widerrufsrechts in kei-
nem verlässlichen Zusammenhang stehen. Bei abgewickelten Darlehensverträ-
gen fehlte es ganz an einer Schätzgrundlage.
Eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung mit dem Gebot eines ef-
fektiven Zugangs zu den Gerichten gerechtfertigte Schätzung auf ein Zehntel
des Nettodarlehensbetrags (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22. Oktober
2015 - 4 W 10/15, juris Rn. 18 f.; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom
7. Juli 2015 - 7 W 33/15, juris Rn. 6, 8) entbehrt jeder Grundlage. Eine solche
Schätzung wird aufgrund ihres Schematismus den Anforderungen des § 3 ZPO
nicht gerecht (vgl. auch E. Schneider, ZAP Fach 13, 147, 148).
cc) Der Kläger kann und hat die Hauptforderung zu beziffern, die er nach
§§ 346 ff. BGB beanspruchen zu können meint. Das sind nach § 346 Abs. 1
Halbsatz 1 BGB bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen (Senatsbe-
schluss vom 22. September 2015 - XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441 Rn. 7
mwN). Ein Anspruch auf Nutzungsersatz gemäß § 346 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB
bleibt als Nebenforderung nach § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO außer Betracht. Bei
der Schätzung des Werts des klägerischen Interesses ist - auch wie hier bei der
Feststellungsklage - ein Abschlag nicht vorzunehmen.
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(1) Der Wertberechnung ist zugrunde zu legen, dass sämtliche auf der
Grundlage des § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB erbrachten Leistungen des Darle-
hensnehmers nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit § 346 Abs. 1
BGB zu erstatten sind. Das gilt auch, soweit der Darlehensnehmer die vertragli-
che Hauptleistungspflicht zur Rückzahlung der empfangenen Darlehensvaluta
nach § 488 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB (MünchKommBGB/K.P. Berger,
7. Aufl., § 488 Rn. 42; Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl., § 488 Rn. 8) erfüllt
hat. Entgegen einer vor allem in jüngster Zeit in der Literatur vertretenen Mei-
nung (Müller/Fuchs, WM 2015, 1094, 1095 f., 1099; ähnlich Piekenbrock/Rodi,
WM 2015, 1085, 1086 f. mit Fn. 33 zu § 3 ZPO; Schnauder, NJW 2015, 2689,
2690, 2692) statuiert § 488 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB keinen gesetzlichen
Anspruch, der aus einem mit der Kündigung bzw. dem Laufzeitende entstehen-
den Abwicklungsverhältnis resultierte (Staudinger/Freitag, BGB, Neubearb.
2015, § 488 Rn. 165) und damit außerhalb des Rückgewährschuldverhältnisses
stünde.
Zwar ist typusbildender Geschäftszweck des Darlehensvertrags die zeit-
lich begrenzte Verschaffung von Kaufkraft (MünchKommBGB/K.P. Berger,
7. Aufl., § 488 Rn. 42; Staudinger/Freitag, BGB, Neubearb. 2015, § 488 Rn. 1).
Das Vermögen des Darlehensnehmers soll nicht dauernd um die Darlehensva-
luta vermehrt werden. Ihm soll vielmehr nur deren vorübergehende Nutzung
zugewendet werden (RGZ 161, 52, 56). Die Erfüllung des Rückzahlungsan-
spruchs aus § 488 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB stellt damit bei wirtschaftlicher
Betrachtung den Zustand wieder her, der vor Überlassung der Darlehensvaluta
durch den Darlehensgeber bestand.
Das ändert aber nichts daran, dass der Darlehensgeber im Zuge der Er-
füllung des Anspruchs aus § 488 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB eine Leistung
"empfängt". Die Umgestaltung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses in ein
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Rückgewährschuldverhältnis erstreckt sich mithin auch auf ihn (Senatsurteil
vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 26; Senatsbeschluss
vom 22. September 2015 - XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441 Rn. 7; BGH, Urteil
vom 1. März 2011 - II ZR 297/08, WM 2011, 829 Rn. 23 f.).
Der Zweck des Rücktrittsrechts, den Leistungsaustausch im Rahmen des
durch Rücktritt bzw. gemäß § 357 BGB aF durch Widerruf nach § 355 BGB be-
endeten Vertragsverhältnisses rückgängig zu machen, kann bezogen auf die-
sen Anspruch überdies nicht bereits im Rahmen des vertraglichen Pflichtenpro-
gramms erreicht sein (anders OLG Stuttgart, Urteil vom 24. November 2015
- 6 U 140/14, juris Rn. 92). Denn vor dem Wirksamwerden des Widerrufs exis-
tiert kein Rückgewährschuldverhältnis, dessen Pflichtenprogramm vorab erfüllt
werden könnte. Daher wirkt eine Aufrechnung, deren es mangels einer automa-
tischen Saldierung der wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewähr-
schuldverhältnis bedarf (vgl. statt vieler Maihold in Nobbe, Kommentar zum
Kreditrecht, 2. Aufl., § 357 BGB Rn. 11), nach § 389 BGB auch nur auf den
Zeitpunkt des Entstehens des Rückgewährschuldverhältnisses und nicht weiter
zurück.
(2) Der Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz aus § 346
Abs. 1 Halbsatz 2 BGB für überlassene Zins- und Tilgungsleistungen ist bei der
Schätzung gemäß § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO außer Acht zu lassen. Das Be-
stehen eines solchen Anspruchs ist allerdings kein Argument gegen die konse-
quente Anwendung der §§ 346 ff. BGB:
Dass der Darlehensgeber Nutzungen aus von ihm empfangenen Zins-
und Tilgungsleistungen erstatten muss, widerspricht nicht, dass der Darlehens-
nehmer nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB
zwar die gesamte Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine (Teil-)Tilgung her-
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auszugeben hat, gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB Herausgabe
von Wertersatz für Gebrauchsvorteile aber nur am jeweils tatsächlich noch
überlassenen Teil der Darlehensvaluta schuldet (Senatsbeschluss vom
22. September 2015 - XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441 Rn. 7; dagegen
OLG Stuttgart, Urteil vom 24. November 2015 - 6 U 140/14, juris Rn. 85;
Hölldampf/Suchowerskyj, WM 2015, 999, 1003 mit Fn. 40). Nach § 346 Abs. 1
BGB sind nur tatsächlich gezogene Nutzungen herauszugeben (Senatsurteil
vom 10. März 2009 - XI ZR 33/08, BGHZ 180, 123 Rn. 29). Das gilt auch für die
Bank, der es freisteht, die zu ihren Lasten streitende Vermutung zu widerlegen,
sie habe aus empfangenen Leistungen Nutzungen gezogen (dazu schon
RGZ 53, 563, 571; BGH, Urteil vom 4. Juni 1975 - V ZR 184/73, BGHZ 64, 322,
323; daran anknüpfend Senatsurteil vom 12. Mai 1998 - XI ZR 79/97, WM 1998,
1325, 1326 f.).
Aus §§ 346 ff. BGB folgt auch, dass die darlehensgebende Bank, die
Nutzungen aus Zins- und Tilgungsleistungen erstatten muss, im Nachhinein so
gestellt wird, "als habe sie die Valuta teilweise zu früh erhalten und müsse da-
her einen vermeintlichen zwischenzeitlichen Nutzungsvorteil verzinsen"
(Hölldampf/Suchowerskyj, WM 2015, 999, 1002). Dies ist konsequente Folge
des Umstands, dass der Verbraucherdarlehensvertrag mit Zugang der Wider-
rufserklärung ex nunc in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt wird.
Dass der Verbraucher damit - jedenfalls in Teilen - so gestellt wird, als
habe er eine verzinsliche Wertanlage getätigt (Hölldampf/Suchowerskyj,
WM 2015, 999, 1002), kann für die Vergangenheit nicht ohne gesetzgeberi-
schen Auftrag korrigiert werden. An einem solchen Auftrag fehlt es. Eine Kor-
rektur liefe der Sache nach darauf hinaus, entweder den Verweis des § 357
Abs. 1 Satz 1 BGB aF auf die §§ 346 ff. BGB teleologisch zu reduzieren oder
den in § 357a BGB geregelten Ausschluss des Nutzungsersatzes entgegen der
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ausdrücklichen Anordnung des Art. 229 § 32 Abs. 1 EGBGB im Wege der Ana-
logie auf vor dem 13. Juni 2014 geschlossene Verbraucherdarlehensverträge
zu erstrecken (in diese Richtung Edelmann/Hölldampf, KSzW 2015, 148, 153).
Beides ist dem Senat verwehrt. Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologi-
schen Reduktion setzt wie die Analogie eine verdeckte Regelungslücke im Sin-
ne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (zur teleologi-
schen Reduktion BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ
179, 27 Rn. 22 mwN, zur Analogie BGH, Urteil vom 1. Juli 2014 - VI ZR 345/13,
BGHZ 201, 380 Rn. 14). Daran fehlt es.
Schon bei Schaffung des über § 7 Abs. 3 VerbrKrG für Verbraucherkre-
ditverträge maßgeblichen § 3 HWiG sah der Gesetzgeber ausdrücklich davon
ab, besondere Regelungen zur Frage der Nutzungsvergütung zu schaffen. Er
erachtete die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs für an-
wendbar (BT-Drucks. 10/2876, S. 14). Lediglich § 347 Satz 3 BGB in der bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung sollte keine Geltung beanspruchen
(aaO; nur darauf bezieht sich BGH, Urteil vom 2. Juli 2001 - II ZR 304/00,
BGHZ 148, 201, 208 f.). Daran anknüpfend hat der Senat mit Urteil vom
12. November 2002 (XI ZR 47/01, BGHZ 152, 331, 336) erkannt, der Darle-
hensgeber habe dem Darlehensnehmer die auf das Darlehen erbrachten Zins-
und Tilgungsleistungen zu erstatten und die dem Darlehensgeber zur Nutzung
zur Verfügung gestellten Raten marktüblich zu verzinsen.
Diese Rechtslage wollte der Gesetzgeber im Jahr 2000 mit der Verwei-
sung auf das Rücktrittsrecht in § 361a Abs. 2 Satz 1 BGB in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung fortschreiben (BT-Drucks. 14/2658,
S. 47). Er hat weder im Jahr 2000 noch in den Folgejahren inhaltlich etwas ge-
ändert (aA Schnauder, NJW 2015, 2689, 2691). Mittels der Verweisung auf das
Rücktrittsrecht hat er eine Ausnahme von dem Grundsatz bestimmt, dass bei in
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Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen eine Rückabwicklung nach
§§ 346 ff. BGB in der Regel nicht den Interessen der Parteien entspricht, nach
denen der Kündigung gegenüber dem Rücktritt der Vorzug zu geben ist (vgl.
BGH, Urteile vom 10. Juli 1968 - VIII ZR 120/66, BGHZ 50, 312, 315 und vom
19. Februar 2002 - X ZR 166/99, WM 2002, 1234, 1236; MünchKommBGB/
Gaier, 7. Aufl., § 314 Rn. 3; vgl. auch § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB). Ebenfalls be-
stimmt hat er, dass die Rückabwicklung bei längerer Vertragsdauer zu erhebli-
chen Durchführungsschwierigkeiten und Unzuträglichkeiten führen kann. Erst
mit dem Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Ände-
rung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20. September
2013 (BGBl. I S. 3642) hat er den für die Vergangenheit von ihm ausdrücklich
als bestehend anerkannten Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungser-
satz (BT-Drucks. 17/12637, S. 65) für die Zukunft beseitigt (aA Hölldampf/
Suchowerskyj, WM 2015, 999, 1004 mit Fn. 49), ohne dieser Rechtsänderung
allerdings Rückwirkung beizumessen. Die bewusste Entscheidung des Gesetz-
gebers, die Geltung des neuen Rechts auf die Zukunft zu beschränken, kann
der Senat nicht revidieren.
dd) Im konkreten Fall belaufen sich die Vorteile, die die Kläger nach die-
sen Maßgaben aus der Umwandlung des Darlehensvertrags in ein Rückge-
währschuldverhältnis herleiten können, auf mehr als 20.000
€. Nach den Fest-
stellungen des Berufungsgerichts haben die Kläger Tilgungsleistungen von
mehr als 30.000
€ erbracht. Damit können sie auf der Grundlage der § 357
Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB eine Hauptforderung
von mehr als 20.000
€ geltend machen.
3. Das Interesse der Beklagten an der Beseitigung der Verurteilung ist
anhand des Vermögensvorteils zu bemessen, den sich die Beklagte davon ver-
spricht, dass der Darlehensvertrag fortgesetzt und nicht in ein Rückgewähr-
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schuldverhältnis umgewandelt wird. Da das Interesse der Beklagten spiegelbild-
lich dahin lautet, an die Kläger auf der Grundlage der § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB
aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB die bereits erbrachten Zins- und Tilgungs-
leistungen nicht zurückzugewähren, kann der Nachteil der Beklagten anhand
der Maßgaben geschätzt werden, die für die Ermittlung des Vorteils der Kläger
gelten. Entsprechend übersteigt der Wert der Beschwer der Beklagten ebenfalls
die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.
III.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision
ist begründet, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fort-
bildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
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eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, Halbsatz 2
ZPO abgesehen.
Ellenberger
Joeres
Matthias
Menges
Dauber
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 13.02.2015 - 8 O 278/14 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 21.07.2015 - 6 U 41/15 -