Urteil des BGH vom 27.10.2016

Stand der Technik, Patentgericht, Gestaltung, Form

ECLI:DE:BGH:2016:271016UXZR66.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 66/14
Verkündet am:
27. Oktober 2016
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. Oktober 2016 durch die Richter Dr. Bacher, Dr. Grabinski, die Richterin
Schuster, den Richter Dr. Deichfuß und die Richterin Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats)
des Bundespatentgerichts vom 30. Juni 2014 wird auf Kosten der
Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des am 31. August 2004 unter Inanspruch-
nahme einer deutschen Priorität aus dem Jahre 2003 angemeldeten und mit
Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents
1 527 678 (Streitpatents), das einen Mischer, insbesondere einen Futtermisch-
wagen betrifft. Patentanspruch 1, auf den sich acht weitere Patentansprüche
zurückbeziehen, lautet in der erteilten Fassung:
"Mischer (1, 101, 201), insbesondere Futtermischwagen, mit einer
von oben befüllbaren Mischkammer (4), die eine Wandung (5, 105,
205), einen Boden (6) und wenigstens zwei im Inneren der Misch-
kammer (4) angeordnete, rotierend antreibbare Mischwerkzeuge
(8a, 8b) enthält, die jeweils einen auf den Boden (5) projizierten Ar-
beitskreis (A) überstreichen, wobei in Zwickelbereichen (13) zwi-
schen zwei Arbeitskreisen (A) eine Durchtrittsöffnung (14) freilas-
sende Leiteinrichtungen (15, 115, 215) angeordnet sind, die am
Übergang zum Boden (6) der Krümmung des jeweiligen Arbeitskrei-
ses (A) bis in den Zwickelbereich (13) zwischen zwei Arbeitskreisen
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, d a s s
Wandung (5, 105, 205) in den Zwickelbereichen (13) nach innen
gekrümmt ist und eine Vertiefung (17, 217) an der Außenseite der
Mischkammer (4) bildet, wobei die Wandung (5, 105, 205) selbst
ohne oder mit einer Wandungsverlängerung (218, 222) die jeweilige
Leiteinrichtung (15, 115, 215) bildet."
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei
nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent zuletzt mit einem Hauptan-
trag und sieben Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Ge-
genstand über die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung hinausgeht, und
die Klage im Übrigen abgewiesen. Patentanspruch 1 hat danach folgende Fas-
sung (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):
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"Futtermischwagen (1, 101, 201) mit einer von oben befüllbaren
Mischkammer (4), die eine Wandung (5, 105, 205), einen Boden (6)
und wenigstens zwei im Inneren der Mischkammer (4) angeordnete,
rotierend antreibbare Mischwerkzeuge (8a, 8b) in Form von Verti-
kalschnecken enthält, die jeweils einen auf den Boden (6) projizier-
ten Arbeitskreis (A) überstreichen, wobei in Zwickelbereichen (13)
zwischen zwei Arbeitskreisen (A) eine Durchtrittsöffnung (14) frei-
lassende Leiteinrichtungen (15, 115, 215) angeordnet sind, die am
Übergang zum Boden (6) der Krümmung des jeweiligen Arbeitskrei-
ses (A) bis in den Zwickelbereich (13) zwischen zwei Arbeitskreisen
(A) folgen, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, d a s s die Wan-
dung (5, 105, 205) in den Zwickelbereich (13) nach innen gekrümmt
ist und eine Vertiefung (17, 217) an der Außenseite der Mischkam-
mer (4) bildet, wobei die Wandung (5, 105, 205) selbst ohne oder
mit einer Wandungsverlängerung (218, 222) die jeweilige Leitein-
richtung (15, 115, 215) bildet, und dass der Boden (6) im Bereich
jedes Arbeitskreises (A) bis über die Hälfte seines Umfangs im We-
sentlichen kreisförmig ist, dass die Wandung (5, 105, 205) am
Übergang zum Boden (6) kreisbogenförmig gekrümmt ist und sich
vom Boden (6) schräg nach oben außen neigt, und dass die Wan-
dung (5, 105, 205) seitlich mit jeweils einer Abflachung (12, 112,
212) versehen ist, die parallel zu einer Tangente zum Arbeitskreis
(A) des jeweils anliegenden Mischwerkzeugs (8a, b) verläuft und
beidseitig von gekrümmten Bereichen der Wandung (5, 105, 205)
begrenzt ist."
Gegen das Urteil des Patentgerichts richtet sich die Berufung der Kläge-
rin, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents
weiterverfolgt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das
Streitpatent hilfsweise mit den in erster Instanz gestellten Hilfsanträgen.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft in der von der Beklagten noch verteidigten
Fassung einen Futtermischwagen.
1. In der Patentbeschreibung werden unter anderem aus der internatio-
nalen Patentanmeldung WO 03/009929 (D2) und der europäischen Patentan-
meldung 1 175 828 (D5) bekannte Futtermischwagen behandelt, die mit zwei
rotierend antreibbaren Mischwerkzeugen und einer Leiteinrichtung, die eine
Durchtrittsöffnung für das zu mischende Gut freilässt, ausgestattet sind. Die
Patentbeschreibung kritisiert die eingesetzten Leiteinrichtungen als konstruktiv
aufwendig; sie könnten bei Verwendung ausreichend großer gerader Seiten-
schieber zum Entleeren nicht verhindern, dass sich tote Ecken ausbildeten, in
denen Futter liegen bleibe.
2. Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe der Erfindung darin, ei-
nen Mischer der genannten Art derart weiterzubilden, dass "tote Ecken" auf
konstruktiv einfache Weise auch bei mit mehreren Mischwerkzeugen ausgestat-
teten Mischern verhindert werden können (Abs. 5).
3. Als Lösung schlägt das Streitpatent in der Fassung nach dem Haupt-
antrag der Beklagten einen Futtermischwagen vor, dessen Merkmale sich wie
folgt gliedern lassen (Merkmale des Patentgerichts in eckigen Klammern, Ände-
rungen gegenüber der erteilten Fassung hervorgehoben):
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1. Der Futtermischwagen weist eine von oben befüllbare Mischkammer
(4) auf [1,2].
2. Die Mischkammer enthält [3]
2.1 eine Wandung (5, 105, 205),
2.2 einen Boden (6),
2.3 und wenigstens zwei im Inneren der Mischkammer angeordnete,
rotierend antreibbare Mischwerkzeuge (8a, 8b) in Form von Ver-
tikalschnecken, die jeweils einen auf den Boden projizierten Ar-
beitskreis (A) überstreichen [4].
3. In Zwickelbereichen (13) zwischen zwei Arbeitskreisen sind Leitein-
richtungen (15, 115, 215) angeordnet,
3.1 die eine Durchtrittsöffnung (14) freilassen [5] und
3.2 am Übergang zum Boden der Krümmung des jeweiligen Arbeits-
kreises bis in den Zwickelbereich zwischen zwei Arbeitskreisen
folgen [6].
4. Der Boden ist im Bereich jedes Arbeitskreises bis über die Hälfte sei-
nes Umfangs im Wesentlichen kreisförmig [9].
5. Die Wandung
5.1 ist in den Zwickelbereichen nach innen gekrümmt und bildet eine
Vertiefung (17, 217) an der Außenseite der Mischkammer [7];
5.2 bildet selbst ohne oder mit einer Wandungsverlängerung (218,
222) die jeweilige Leiteinrichtung [8];
5.3 ist am Übergang zum Boden kreisbogenförmig gekrümmt und
neigt sich vom Boden schräg nach oben außen [10];
5.4 ist seitlich mit jeweils einer Abflachung (12, 112, 212) versehen,
die parallel zu einer Tangente zum Arbeitskreis des jeweiligen
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anliegenden Mischwerkzeugs verläuft und beidseitig von ge-
krümmten Bereichen der Wandung begrenzt ist [11].
4. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.
a) Entscheidende Bedeutung kommt der in Merkmalsgruppe 5 definierten
Ausgestaltung der Wandung zu. Diese kann flächig aus Metallblech oder der-
gleichen gefertigt sein (Abs. 15). Durch eine Krümmung der Wandung in den
Zwickelbereichen wird eine Leiteinrichtung gebildet. Dadurch entsteht zugleich
eine Vertiefung an der Außenseite. Diese erleichtert es, die Führungen (19a,
19b) für den vor der Austragsöffnung angeordneten Schieber (11) auf beiden
Seiten am gleichen geneigten und gekrümmten Wandbereich anzubringen
(Abs. 29).
Ein Ausführungsbeispiel ist in den Figuren 1 und 2 der Streitpatentschrift
dargestellt:
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Die Figuren zeigen die Variante, in der die Wandung ohne Wandungs-
verlängerung die Leiteinrichtung in Form eines symmetrischen Leitkegels (15,
15a) bildet.
b) Die optional vorgesehene Wandungsverlängerung ist, wie das Patent-
gericht zutreffend angenommen hat, ein zusätzlich eingefügtes Bauteil, das ei-
ne ansonsten in der Wandung verbleibende Lücke schließt. Ein Ausführungs-
beispiel ist in Figur 5 der Streitpatentschrift dargestellt. Dort ist die Wandung
durch ein Bauteil (222) verlängert.
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c) In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, die Konstrukti-
on des Futtermischwagens beruhe auf dem Prinzip, dass zwei Einzelbehälter
imaginär in Richtung der Verbindungslinie der Schneckenachsen soweit inein-
ander geschoben würden, dass sich die Arbeitskreise in einem der Bereiche mit
der größten Neigung der Wandung gerade nicht überlappten und sich die Wan-
dungen in diesem Bereich durchdrängten oder imaginär verschnitten (Abs. 24).
Dieses auch in den Figuren 3A und 3B
erläuterte Konstruktionsprinzip der Wandung ist als zwingendes Merkmal nur in
Patentanspruch 9 der erteilten Fassung (Patentanspruch 8 der mit dem Haupt-
antrag verteidigten Fassung) vorgesehen.
II. Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand des Streitpa-
tents in der nach dem Hauptantrag verteidigten Fassung gehe nicht über den
Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und sei auch patentfähig.
Der beanspruchte Futtermischwagen sei gegenüber den Entgegenhal-
tungen D2, D5 und D6 (Werkszeichnungen eines Futtermischwagens "12 m³
Duo Kompakt SVR/SHL" der M. Maschinenbau- und Handelsgesellschaft
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mbH) neu. Die Entgegenhaltungen zeigten konstruktiv übereinstimmend ausge-
staltete Futtermischwagen, von denen sich der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 nach dem Hauptantrag durch die in Merkmalsgruppe 5 zusammenge-
fassten Merkmale unterscheide. Von den in der europäischen Patentanmeldung
743 090 (D1) bzw. in dem Prospekt "Wirtschaftlich Mischen mit der Misch-
schaufel DFA u. DK" der F. GmbH (D9) offenbarten transportablen Misch-
bottichen unterscheide sich der Gegenstand des verteidigten Patentan-
spruchs 1 bereits in der Ausgestaltung als Fahrzeug sowie in der Ausbildung
seiner Mischwerkzeuge als das Mischgut nach oben transportierende Vertikal-
schnecken. Auch neige sich die Wandung der entgegengehaltenen Mischbotti-
che nach D1 und D9 nicht vom Boden schräg nach oben außen. Zudem sei
deren Wandung nicht seitlich mit jeweils einer Abflachung versehen. Der Fut-
termischwagen nach dem kanadischen Patent 2 182 909 (D7) sei lediglich für
ein einzelnes Mischwerkzeug konzipiert; er weise keine Durchtrittsöffnung zwi-
schen zwei Arbeitskreisen von Mischwerkzeugen auf und bedürfe demzufolge
auch keiner Leiteinrichtung. Von dem in der deutschen Auslegeschrift
1 198 116 (D3) offenbarten Futtermischer unterscheide sich der Gegenstand
des Streitpatents bereits in seiner Ausgestaltung als Futtermischwagen. Der
Futtermischer nach D3 weise darüber hinaus keinen Zwickelbereich zwischen
zwei Arbeitskreisen mit einer eine Durchtrittsöffnung freilassenden Leiteinrich-
tung und keine seitlichen Abflachungen an der Behälterwandung im patentge-
mäßen Sinne auf. Die US-amerikanische Patentschrift 4 707 140 (D4) schließ-
lich offenbare einen Futtermischer mit horizontal angeordneten Mischwerkzeu-
gen, dem ein anderes Mischprinzip als dem Streitpatent zugrunde liege.
Die Gestaltung des Futtermischwagens nach dem Streitpatent habe sich
für den Fachmann auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der
Technik ergeben. Eine Neigung der Wandung des Behälters selbst vom Boden
aus schräg nach oben in alle Bereiche, also auch im Zwickelbereich, werde
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durch den Futtermischwagen nach D2, D5 oder D6 nicht vermittelt. Der Gegen-
stand des Streitpatents sei auch durch die Entgegenhaltung D1 nicht nahege-
legt. Die Form des dort offenbarten Behälters weiche bereits durch die gerade
und zylindrische Ausgestaltung der Teilbehälter von der patentgemäßen Lö-
sung ab und sei für ein anders geartetes Mischprinzip vorgesehen, bei dem es
nicht darauf ankomme, ein zuerst nach oben transportiertes Mischgut zum Bo-
den allseitig auf Vertikalschnecken zuzuleiten, von denen es dann wieder nach
oben geführt werde. Auch eine Kombination der Lehren aus D2, D5 oder D6 mit
denjenigen aus D1 oder D9 könne den Fachmann nicht in naheliegender Weise
zu dem Futtermischwagen nach dem Streitpatent führen. Die Mischer arbeite-
ten nach unterschiedlichen Mischprinzipien und wiesen für ihre Arbeitsweise die
notwendigen Mischwerkzeuge und Behälterformen bzw. inneren Behälterstruk-
turen auf. Insoweit habe bereits jegliche Veranlassung gefehlt, ausgehend von
einem Futtermischwagen nach D2, D5 oder D6 Modifikationen an der Behälter-
ausformung vorzunehmen, für die der Stand der Technik etwa nach D1 oder D9
ein Vorbild bieten könnte. Aus den Entgegenhaltungen D1 oder D9 könne der
Fachmann zwar die Lehre ableiten, zwei einzelne Teilbehälter miteinander zu
einem gleichsam doppelten Gehäuse zu verschneiden. Die das Mischgut lei-
tende Wirkung des Leitkegels nach D2 beruhe jedoch nicht auf einer entspre-
chenden Ausgestaltung der Wandung selbst, sondern auf einer speziellen
Formgebung des Leitkegels als zusätzlich zu diesem Zweck eingesetztem se-
paratem Bauteil. Eine derartige auf das Vertikalschnecken-Mischprinzip ausge-
richtete Wirkung wäre auch durch die Hinzunahme der Lehre von D1 oder D9
nicht zu erzielen gewesen, denn dies habe allenfalls zu senkrecht angestellten
Wandbereichen im Zwickelbereich zwischen den Mischwerkzeugen führen kön-
nen. Die übrigen im Verfahren in Betracht gezogenen Druckschriften (D3, D7,
D4) lägen weiter ab und stünden deshalb dem Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 nach dem Hauptantrag nicht patenthindernd entgegen.
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III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
1. Zutreffend und von der Berufung unbeanstandet hat das Patentgericht
angenommen, dass der Gegenstand des Streitpatents in der mit dem Hauptan-
trag verteidigten Fassung nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung
hinausgeht und gegenüber dem Stand der Technik neu ist.
2. Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass dieser
Gegenstand auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
a) Die Entgegenhaltung D2 offenbart einen Futtermischwagen mit Leit-
einrichtungen, die als separate Bauteile eingesetzt sind.
Der in D2 offenbarte Futtermischwagen besteht aus einem Trichter mit
einer Basis und einer Schale mit im Wesentlichen vertikalen und parallelen Sei-
tenwänden, die mit nach unten konisch zulaufenden halbkegeligen Endwänden
verbunden sind. Der Trichter ist auf einem Fahrgestell angebracht und kann
auch als Selbstfahrversion gestaltet sein. Der Mischwagen weist zwei oder
mehr Schneckenmischmittel (screws) auf, die jeweils einen auf den Boden pro-
jizierten Arbeitskreis überstreichen und mit im Wesentlichen parallelen und
voneinander beabstandeten Achsen ausgestattet sind. Zwischen den beiden
Arbeitskreisen ist eine eine Durchtrittsöffnung für das zu mischende Gut freilas-
sende Leiteinrichtung angeordnet, die am Übergang zum Boden der Krümmung
des jeweiligen Arbeitskreises bis in den Zwickelbereich hinein folgt. Als Leitein-
richtung sind zwei kegel- bzw. keilförmige Vorsprünge (wedge-shaped projec-
tions 17a, 17b; D2, S. 3, Z. 14, 15; Übers. S. 4 unten, 5 oben) vorhanden, die
sich von beiden Seitenwänden erstrecken.
Bei dem Mischwagen der D2 liegen die Merkmale der Merkmalsgrup-
pe 5, die die Gestaltung der Wandung betreffen, nicht vor. In D2 ist die
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Wandung des Behälters geradlinig verlängert und in den Zwickelbereichen nicht
nach innen gekrümmt. Dementsprechend weist sie an der Außenseite keine
Vertiefung auf und bildet nicht selbst die jeweilige Leiteinrichtung. Diese besteht
vielmehr, wie ausgeführt, aus zusätzlichen keilförmigen Vorsprüngen.
b) Entsprechendes gilt für die Mischer nach D5 und D6.
Bei diesen Vorrichtungen werden Leiteinrichtungen, die zur Vermeidung
von Toträumen notwendig sind, durch gesondert hergestellte Bauteile gebildet.
Anders als bei der Lösung nach dem Streitpatent hat, wie das Patentgericht
zutreffend ausführt, die Behälterwandung selbst keinen Anteil an der Ausbil-
dung des Raums zwischen den Arbeitskreisen der Mischwerkzeuge und der
Gestaltung von Leiteinrichtungen.
c) Die transportablen Mischbottiche nach D1 und D9 sind, wie das Pa-
tentgericht zutreffend angenommen hat, nicht als eigenständige Fahrzeuge
ausgestaltet und zeigen nicht die in den Merkmalen 5.3 und 5.4 offenbarte Aus-
gestaltung der Wandung.
d) Der in dem kanadischen Patent D7 offenbarte Mischer weist nur ein
einzelnes Mischwerkzeug auf. Aufgrund dieser Gestaltung entstehen in Erman-
gelung eines weiteren Mischwerkzeugs keine Zwickelbereiche. Deshalb sind
Leiteinrichtungen nicht erforderlich, so dass die hierauf gerichteten Merkma-
le 3.2 [6], 5.1 [7] und 5.2 [8] des Streitpatents nicht verwirklicht sind.
e) Die Vorrichtung nach der Entgegenhaltung D3 ist ein stationärer Fut-
termischer mit zwei nebeneinander angeordneten Mischschnecken.
Der Behälter des Mischers besteht im oberen Bereich aus zwei zusam-
mengesetzten zylindrischen Wandteilen und im unteren Bereich aus zwei ne-
beneinander angeordneten trichterförmigen Wandteilen. Diese führen jeweils
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zum Boden des Mischers und damit zu dem auf den Boden projizierten Arbeits-
kreis der Mischwerkzeuge. Einen Zwickelbereich zwischen zwei Arbeitskreisen,
die nach dem Streitpatent hiermit in Verbindung stehende Durchtrittsöffnung
und die durch die Wandung gebildete Vertiefung weist der Futtermischer nach
D3 nicht auf.
f) Entgegen der Auffassung der Klägerin ergab sich für den Fachmann
aus den Entgegenhaltungen D2, D5 und D6 und dem allgemeinen Fachwissen
keine Anregung, einen Futtermischwagen nach dem Streitpatent auszugestal-
ten.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es eine Frage
des Einzelfalls, in welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fach-
mann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung in
bestimmter Weise weiterzuentwickeln. Die Beantwortung dieser Frage erfordert
eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente. Dabei sind
nicht nur ausdrückliche Hinweise an den Fachmann beachtlich. Vielmehr kön-
nen auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, insbe-
sondere betreffend die Ausbildung von Fachleuten, die übliche Vorgehensweise
bei der Entwicklung von Neuerungen, technische Bedürfnisse, die sich aus der
Konstruktion oder der Anwendung des in Rede stehenden Gegenstands erge-
ben, und auch nicht-technische Vorgaben eine Rolle spielen (BGH, Beschluss
vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 - Installiereinrich-
tung II). Gehört beispielsweise eine maschinenbautechnische Lösung als ein
generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes
Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingeni-
eurs, kann Veranlassung zu ihrer Heranziehung bereits dann bestehen, wenn
sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang
als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar
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sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierig-
keiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom
11. März 2014 - X ZR 139/10, GRUR 2014, 647 Rn. 25, 26 - Farbversorgungs-
system; Beschluss vom 25. Februar 2014 - X ZB 5/13, BGHZ 200, 229 Rn. 38
- Kollagenase I [zu ärztlichen Standardmaßnahmen]).
bb) Im Streitfall gehört es zwar, wie die Klägerin bereits in erster Instanz
aufgezeigt und im Berufungsverfahren unter Vorlage eines Privatgutachtens
von Prof. Dr.-Ing. S. W. vertiefend dargestellt hat, zum allgemeinen
Fachwissen, dass eine aus der Blechoberfläche vorspringende dreidimensiona-
le Form auch durch Umformen des Blechs selbst hergestellt werden kann. Hie-
raus ergab sich für den Fachmann aber keine hinreichende Veranlassung, die-
se Art der Formgebung für die in D2, D5 und D6 offenbarten Leiteinrichtungen
einzusetzen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin dürfen die einzelnen Merkmale
der Merkmalsgruppe 5 nicht isoliert betrachtet werden. Die Funktion der Leitein-
richtungen hängt sowohl beim Streitpatent als auch in D2, D5 und D6 entschei-
dend davon ab, dass die Leiteinrichtungen sowohl eine Krümmung entlang der
Linie des Arbeitskreises (Merkmale 5.1 und 5.3) als auch einen schrägen Ver-
lauf nach oben außen (Merkmal 5.3) aufweisen, während die Wandung im seit-
lichen Bereich mit einer Abflachung versehen ist (Merkmal 5.4). Für diese kom-
plexe Formgebung waren am Prioritätstag in D2, D5 und D6 ausschließlich
Ausführungsformen offenbart, bei denen in einer geschlossenen Wanne mit im
Wesentlichen geraden Seitenwänden zusätzliche Bauteile als Leiteinrichtungen
vorhanden sind. Dies mag den Fachmann nicht davon abgehalten haben, nach
alternativen Konstruktionsmöglichkeiten zu suchen, zumal die Zahl der in Frage
kommenden Herstellungsverfahren - der Privatgutachter nennt ergänzend noch
die Herstellung durch Gießen - gering ist. Konkrete Vorteile, die dem Fachmann
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Veranlassung gegeben hätten, eine Konstruktion in Betracht zu ziehen, bei der
die Leiteinrichtungen durch umgeformte Teile der Wandung gebildet werden,
sind aber nicht ersichtlich. Die Ausgestaltung der Leiteinrichtungen als geson-
derte Bauteile mag mit hohem Material- und Herstellungsaufwand verbunden
sein. Die Umformung der Wandung ist jedoch ebenfalls mit Aufwand verbun-
den, zumal je nach Ausgestaltung Verlängerungsstücke eingesetzt werden
müssen, was wiederum zu erhöhtem Materialbedarf führt.
g) Der Fachmann hatte auch ausgehend von D1 und D9 keinen Anlass,
einen Futtermischwagen entsprechend dem Streitpatent weiterzuentwickeln.
Der in diesen Entgegenhaltungen offenbarte Mischerbottich mag als Ver-
schneidung zweier zylindrischer Einzelbehälter angesehen werden können.
Aufgrund der zylindrischen Form ist die Wandung aber nicht vom Boden schräg
nach oben außen geneigt. Eine solche Gestaltung ist für die in D1 und D9 of-
fenbarten Mischer mit horizontal ausgerichteten Mischwerkzeugen nicht erfor-
derlich. Dem Fachmann mag bewusst gewesen sein, dass ein Mischbehälter
mit vertikal ausgerichteten Mischwerkzeugen eine andere Form aufweisen
muss. Eine Veranlassung, trotz der abweichenden Formgebung das D1 und D9
zugrunde liegende Konstruktionsprinzip zweier ineinander verschobener Behäl-
ter zu wählen, ergab sich aus diesen Entgegenhaltungen jedoch nicht.
h) Auch aus einer Zusammenschau der Entgegenhaltungen D2, D5 oder
D6 mit D1 oder D9 ergab sich für den Fachmann keine Veranlassung, einen
Futtermischwagen mit der Merkmalsgruppe 5 auszugestalten.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann überhaupt Anlass
hatte, eine Kombination dieser beiden unterschiedlichen Ansätze in Erwägung
zu ziehen. Selbst wenn der Fachmann diesem Gedanken näher getreten wäre,
hätte sich für ihn aus D1 allenfalls die Anregung ergeben, die Wandung des
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Behälters entlang der Linie des Arbeitskreises zu krümmen. Für eine zusätzli-
che Umformung dergestalt, dass die Wandung im Zwickelbereich zugleich
schräg nach oben außen verläuft und im seitlichen Bereich Abflachungen auf-
weist, fehlt es hingegen an einer hinreichenden Veranlassung.
i) Durch die Entgegenhaltung D3 erhielt der Fachmann, wie das Patent-
gericht zutreffend dargelegt hat, keine Anregung, einen Futtermischwagen nach
den Vorgaben des Streitpatents auszugestalten.
Dass bei dem in D3 offenbarten Futtermischer einzelne Merkmale der
Merkmalsgruppe 5 offenbart sind, führt entgegen der Auffassung der Klägerin
zu keiner abweichenden Beurteilung. Um zu der vom Streitpatent beanspruch-
ten Merkmalskombination zu gelangen, hätte der Fachmann die abstrahierende
Betrachtung anstellen müssen, dass die in D2, D5 und D6 offenbarte Formge-
bung auch mit dem der D3 zugrundeliegenden Konstruktionsprinzip vollständig
verwirklicht werden kann. Hierzu ergab sich aus D3 keine hinreichende Anre-
gung.
j) Entsprechendes gilt für eine Zusammenschau der Entgegenhaltun-
gen D7 und D1.
Der Mischer nach D7 verfügt über nur eine Mischschnecke, die von im
Wesentlichen senkrechten Seitenwänden umgeben ist. Selbst wenn der Fach-
mann, der Toträume noch zuverlässiger vermeiden und das Volumen des ge-
mischten Futters vergrößern wollte, den Gedanken verfolgte, statt eines
Mischwerkzeugs zwei Mischwerkzeuge zu verwenden, hätte er aus der Gestal-
tung der D7 keine Anregung erhalten, die Seitenwände beim Einsatz von zwei
Mischwerkzeugen in der Mitte mit einer Krümmung zu versehen (Merkmal 5.3).
Einen Hinweis hierauf vermittelte ihm auch nicht die Entgegenhaltung D1. Allein
die Überlegung, die Mischwanne aus D7 zu verlängern und darin zwei Misch-
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schnecken anzuordnen, veranlasste den Fachmann nicht, die Konstruktion
nach der D1, wonach zwei gleichgeformte zylindrische Behälter gleichsam inei-
nander verschoben bzw. verschnitten werden, zu übernehmen. Dies erforderte
eine abstrahierende Betrachtung und eine Übertragung des Verschneidungs-
prinzips auf den um eine weitere Mischschnecke erweiterten Mischer der D7.
Dafür findet sich weder in D7 noch in D1 ein Anhaltspunkt. Darüber hinaus
spricht gegen ein solches Vorgehen, dass im Stand der Technik bereits eine
fertige Lösung mit mehreren Mischwerkzeugen, nämlich die Gestaltung eines
Mischwagens nach den Entgegenhaltungen D2, D5 und D6 vorhanden war.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97
Abs. 1 ZPO.
Bacher
Grabinski
Schuster
Deichfuß
Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.06.2014 - 4 Ni 18/12 (EP) -
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