Urteil des BGH vom 13.09.2018

Urteil vom 13.09.2018

ECLI:DE:BGH:2018:130918U5STR107.18.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 107/18
vom
13. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Septem-
ber 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Sander,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Schneider,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Berger,
Köhler
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
als Nebenkläger,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Braunschweig vom 14. September 2017 wird verwor-
fen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger hierdurch im Revisionsverfahren entstan-
denen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenann-
te Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellun-
gen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tat-
einheit mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe
von zehn Jahren verurteilt und die Tatwerkzeuge eingezogen. Gegen dieses
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Urteil wenden sich der Angeklagte und
– beschränkt auf den Strafausspruch –
die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestütz-
ten Revisionen. Während das Rechtsmittel des Angeklagten erfolglos bleibt,
führt die Revision der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des Strafausspruchs.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Ange-
klagte, den Nebenkläger zu töten, ohne dass die Strafkammer hierfür ein kon-
kretes Motiv feststellen konnte. Beide waren seit vielen Jahren miteinander be-
freundet, in den Monaten vor der Tat hatte der Angeklagte den Kontakt jedoch
nahezu abgebrochen. Nach „detaillierter“ Vorbereitung lockte der Angeklagte
den Nebenkläger am 22. Februar 2017 aus dessen Wohnung, verschaffte sich
zu dieser mit einem ihm vom Opfer Jahre zuvor überlassenen Zweitschlüssel
Zugang und wartete auf den Nebenkläger. Bei dessen Rückkehr sprach der
Angeklagte, der sich zuvor in einer beim Betreten der Wohnung nicht sofort ein-
sehbaren Ecke der Küche verborgen hatte, sein völlig überraschtes Opfer an
und begann unmittelbar anschließend, mit einem Hammer auf es einzuschla-
gen. Sodann verfolgte er es mehrere Minuten lang durch die Wohnung, wobei
er weiter mit dem Hammer auf den Nebenkläger einschlug und ihm mit einem
„Cuttermesser“ tiefe Schnitte an Kopf, Gesicht, Hals und Händen zufügte. Als
der Angeklagte in einer Blutlache ausgerutscht und zu Boden gestützt war, ge-
lang es dem Nebenkläger, aus der Wohnung in den Hausflur vor die Tür seiner
Nachbarin zu flüchten und dort „Sturm zu klingeln“. Daraufhin gab der Ange-
klagte, der seinem Opfer mit erhobenem Hammer zunächst noch bis zur Woh-
nungstür gefolgt war, sein Tötungsvorhaben auf, da er „mit einem derart massi-
ven Widerstand und dem
Verlassen der Wohnung durch das Opfer“ nicht ge-
rechnet hatte und ihm „deutlich wurde, dass die Nachbarin nun voraussichtlich
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alsbald an der Tür erscheinen und ihn dann, den sie zuvor bereits einige Male
im Haus beim Geschädigten getroffen hatte, auch erken
nen würde“ (UA S. 9).
Der Nebenkläger erlitt bei der Tat mindestens 49 Verletzungen an Kopf,
Hals und Oberkörper, insbesondere ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit Frak-
tur des Stirnbeines und Absprengungen der Gehirnrinde sowie tiefe Schnitt-
und Stichverletzungen, bei denen unter anderem die Ohrspeicheldrüse durch-
trennt und der rechte Gesichtsnerv gelähmt wurde. Infolgedessen ist die mimi-
sche Muskulatur des Nebenklägers noch heute „stark beeinträchtigt“, auch hat
er weiterhin Schwierigkeiten beim Essen, Trinken und Sprechen. Ferner wurden
die Sehnen in den Beugen von vier Fingern der rechten Hand ganz oder teil-
weise durchtrennt; der kleine und der Ringfinger werden deshalb wahrschein-
lich für immer versteift, die Fingerkuppen nahezu taub bleiben. Der Nebenklä-
ger kann wegen dieser Einschränkungen insbesondere seine berufliche Tätig-
keit als Finanzbuchhalter, die mit der Arbeit an einer Computertastatur verbun-
den ist, nicht ausüben; ob und wann er wieder vollständig arbeitsfähig sein wird,
ist nicht absehbar.
Auch war die Wohnung des Nebenklägers wegen der großflächigen, na-
hezu alle Bereiche betreffenden Verunreinigung mit Blut zunächst unbewohn-
bar; der Geschädigte musste nach einer von der „Opferschutzhilfe“ finanzierten
Reinigung der Räume neue Einrichtungsgegenstände kaufen. Der weiterhin von
dem Geschehen schwer beeindruckte Nebenkläger unterzog sich einer psycho-
logischen Behandlung und erstrebt eine Traumatherapie. Aus Angst, der Ange-
klagte könne die Tat in Zukunft doch noch vollenden, beabsichtigt er, sich eine
neue Wohnung zu suchen und seinen Nachnamen zu ändern.
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2. Am letzten Tag der Hauptverhandlung haben sich der Angeklagte als
Adhäsionsbeklagter und der Nebenkläger als Adhäsionskläger zur Abgeltung
sämtlicher bisher entstandener materieller und immaterieller Schäden ver-
gleichsweise darauf geeinigt, dass der Angeklagte sich zur Zahlung von
50.000
Euro und dazu verpflichtet, dem Nebenkläger sämtliche „künftigen bis-
her noch nicht vorhersehbaren materiellen und immateriellen Schäden“ zu er-
setzen. Für die Zeit der Inhaftierung des Angeklagten ist die Zahlung von
20
Euro im Monat, später von „angemessenen“ Raten vereinbart. Zudem hat
der Angeklagte seinen Rückforderungsanspruch gegen die Staatskasse hin-
sichtlich bei ihm sichergestellter 4.000 Euro an den Nebenkläger abgetreten,
deren Freigabe durch die Staatsanwaltschaft allerdings „keineswegs sicher“ ist
(UA S. 64).
3. Die Strafe hat das Landgericht dem neben § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1
StGB auch nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211
StGB entnommen. Die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß
§ 46a Nr. 1 StGB hat es als gegeben erachtet, weil der Vergleichsschluss unter
Mitwirkung des weitgehend geständigen, allerdings einen freiwilligen Rücktritt
vom Tötungsversuch behauptenden Angeklagten als kommunikativer Prozess
zwischen Täter und Opfer sowie als Verantwortungsübernahme durch den An-
geklagten angesehen werden könne. Dass dieser einzelne Umstände der Tat-
begehung beschönigt und sich nicht ausdrücklich beim Nebenkläger entschul-
digt habe, stehe einer Anwendung von § 46a StGB nicht entgegen.
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II.
1. Der Revision des Angeklagten ist unbegründet. Ergänzend zu den
Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist anzumerken:
a) Die Darstellung der Erkenntnisse molekulargenetischer Untersuchun-
gen von unter anderem an Tatwerkzeugen (UA S. 29 f.), Kleidungsstücken (UA
S. 30 f.) sowie in der Wohnung des Nebenklägers (UA S. 30, 35) gesichertem
Spurenmaterial genügt zwar nicht den in ständiger Rechtsprechung vom Bun-
desgerichtshof gestellten Anforderungen (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Juli 2018
– 5 StR 645/17 Rn. 15 mwN sowie nunmehr Beschluss vom 28. August 2018
– 5 StR 50/17). Der Senat schließt insbesondere im Hinblick auf das Geständ-
nis des Angeklagten zum objektiven Tatgeschehen sowie die durch weitere
Beweismittel bestätigten Angaben des Nebenklägers indes ein Beruhen des
Urteils auf diesen Rechtsfehlern aus.
b) Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler von einer heimtückischen Tat-
begehung ausgegangen. Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereite-
ten Tat kann das Heimtückische gerade in den Vorkehrungen liegen, die der
Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, falls sie
bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Das hat der Bundesgerichtshof für
Fälle eines wohl durchdachten Lockens in einen Hinterhalt und des raffinierten
Stellens einer Falle entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2018
– 5 StR 296/18 mwN). Auch wenn der Täter – wie hier – seinem ahnungslosen
Opfer in dessen Wohnung auflauert, um an dieses heranzukommen, ist nicht
entscheidend, ob und wann das Opfer die Gefahr erkennt (vgl. BGH aaO; Urteil
vom 12. Februar 2009
– 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264).
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2. Das vom Generalbundesanwalt vertretene, entgegen dem Wortlaut
(„Rechtsfolgenausspruch“) wirksam auf den Strafausspruch beschränkte
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Denn die Strafzumessungsent-
scheidung des Landgerichts weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„a) Die Erwägungen, mit denen das Schwurgericht eine Straf-
rahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1 StGB vorgenommen hat,
halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
(1) Zunächst zutreffend ist das Schwurgericht davon ausge-
gangen, dass der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46a
Nr. 1 StGB Anwendung finden kann, auch wenn wegen der
Vermögenslage des Angeklagten, der eine langjährige Haftstra-
fe zu verbüßen haben wird, auf absehbare Zeit nicht mit einer
über den abgetretenen Auszahlungsanspruch und die minima-
len Leistungen während der Haftzeit hinausgehenden Zahlung
von Schmerzensgeld zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom
23. Dezember 2015
– 2 StR 307/15, juris Rn. 18 f. mwN).
Gleiches gilt, soweit der Angeklagte einzelne Umstände der
Tatbegehung in Bezug auf seine Motivation zum Abbruch der
Tötung beschönigt hat. Denn dadurch hat er seine Verantwor-
tung für die Tat und deren Folgen nicht in Abrede gestellt. Auch
die „Opfer-Eigenschaft“ des Nebenklägers hat er nicht bestrit-
ten, soweit er Vermutungen zu dessen beruflichen Erfolgen an-
gestellt hat.
(2) Es fehlt jedoch vollständig an Feststellungen, aus welcher
Motivation heraus das Opfer dem im Adhäsionsverfahren ge-
schlossenen Vergleich zugestimmt hat (...).
Diese waren hier nicht deshalb entbehrlich, weil Täter und Op-
fer
– sei es persönlich oder vermittelt über ihre Anwälte – den
Vergleich abgeschlossen haben. Denn allein die Tatsache einer
vertraglichen Vereinbarung besagt nichts darüber, ob das Opfer
diese als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert hat (BGH, Ur-
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teile vom 19. Dezember 2002
– 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134,
147; vom 6. Februar 2008
– 2 StR 561/07, BGHR StGB § 46a
Voraussetzungen 1).
Den Urteilsgründen lässt sich insoweit auch bei wohlwollender
kontextgebundener Lektüre keine friedensstiftende Akzeptanz
des durch den Angriff auf sein Leben schwer gezeichneten Ne-
benklägers entnehmen. Dieser ist wegen der Tat des Angeklag-
ten unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten: Er kann
auf unbestimmte Zeit seine Arbeit nicht mehr ausüben, die Rei-
nigung des Tatortes bezahlte eine Opferhilfe (UA S. 13), seine
Möbel sind wegen der Verunreinigung mit Blut unbrauchbar
geworden und mussten entsorgt werden (UA S. 13). Der Ne-
benkläger ist daher auf die Auszahlung des bei dem Angeklag-
ten sichergestellten und bei der Staatskasse hinterlegten Be-
trages schon allein aus rein finanziellen Gründen angewiesen.
Zudem erstrebt er aus (nachvollziehbarer) Furcht vor dem An-
geklagten den Umzug in eine andere Wohnung und eine Na-
mensänderung (UA S. 13). Bei dieser Sachlage spricht nichts
dafür, er habe den Vergleich als friedensstiftenden Ausgleich
annehmen wollen. Das gilt umso mehr, als er um die finanzielle
Situation des Täters weiß und deshalb auch nicht ernsthaft mit
weiteren essentiellen Zahlungen rechnen kann, die als hinrei-
chendes Schmerzensgeld in Betracht zu ziehen wären.
(3) Das Schwurgericht hat sich auch nicht erkennbar hinrei-
chend mit der Frage auseinandergesetzt, ob es sich bei dem
Vergleichsabschluss von Seiten des Angeklagten wirklich um
ein „ernsthaftes Bemühen um Schadenswiedergutmachung“
(vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012
– 4 StR 290/11, juris
Rn. 14 mwN) gehandelt hat oder nicht eher um ein taktisches
Vorgehen in der Hoffnung auf eine milde Strafe.
Dafür spricht schon, dass der Angeklagte von staatlichen Er-
satzleistungen lebte (UA S. 4). Anhaltspunkte dafür, dass sich
seine finanzielle Situation zwischen der Tat und der Urteilsver-
kündung grundlegend geändert hätte, sind nicht vorhanden. Die
während der Haftzeit zu leistenden Raten und die Abtretung
des Auszahlungsanspruchs von 4.000 EUR gegen die Staats-
kasse sind (...) nicht geeignet, die berechtigten Schmerzens-
geldansprüche des Nebenklägers auch nur im Ansatz zu be-
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friedigen. Dass der über keinen Berufsabschluss verfügende
Angeklagte nach seiner Entlassung aus der Haft eine Arbeit
findet, die ihm eine essentielle Ratenleistung ermöglicht, ist na-
hezu ausgeschlossen. „Hartz IV“-Leistungen sind unpfändbar.
Vor diesem Hintergrund erweist sich der Titel weitestgehend als
wertlos. Für ein taktisches Vorgehen in der Hoffnung auf eine
milde Strafe spricht darüber hinaus auch der Zeitpunkt des Ver-
tragsschlusses am Ende der Hauptverhandlung kurz vor
Schluss der Beweisaufnahme (UA S. 13).“
Dem schließt sich der Senat an.
Mutzbauer Sander Schneider
Berger Köhler
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