Urteil des BGH vom 06.09.2018

Urteil vom 06.09.2018

ECLI:DE:BGH:2018:060918U4STR87.18.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 87/18
vom
6. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
30. August 2018 in der Sitzung am 6. September 2018, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
– in der Verhandlung –
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
– in der Verhandlung –
als Vertreter des Nebenklägers
L. ,
Rechtsanwalt
– in der Verhandlung –
als Vertreter der Nebenklägerin
Y. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Angeklagten, der Staatsanwaltschaft
und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts
Dessau-Roßlau vom 4. August 2017 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die
der Angeklagten dadurch und durch die Revisionen der Ne-
benkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der
Staatskasse auferlegt.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die Kosten und
Auslagen ihres Rechtsmittels aufzuerlegen (§§ 74, 109
Abs. 2 JGG); sie hat jedoch die insoweit im Adhäsionsver-
fahren entstandenen besonderen Kosten sowie die den
Neben- und Adhäsionsklägern im Rechtsmittelverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Nebenkläger tragen jeweils die Kosten ihrer Rechtsmit-
tel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen
Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je
zur Hälfte.
Von Rechts wegen
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Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen sexueller Nötigung zu einer
Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhä-
sionsentscheidung getroffen. Vom Vorwurf des tatmehrheitlich begangenen
Mordes hat es die Angeklagte freigesprochen.
Gegen dieses Urteil haben die Angeklagte, zu deren Ungunsten die
Staatsanwaltschaft sowie die Nebenkläger Revision eingelegt. Die Angeklagte
wendet sich gegen ihre Verurteilung mit der Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft,
deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, und die Ne-
benkläger greifen das Urteil jeweils ebenfalls mit der Sachrüge an, soweit die
Angeklagte vom Vorwurf des Mordes freigesprochen worden ist.
Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
A.
Das Landgericht hat
– soweit für das Revisionsverfahren in Bezug auf
die Beschwerdeführerin von Interesse
– folgende Feststellungen und Wertun-
gen getroffen:
1. Der Mitangeklagte F. forderte die Angeklagte, seine damalige
Lebensgefährtin, aus Unzufriedenheit über ihr Sexualleben auf, eine beliebige
fremde Frau anzusprechen und sie unter einem Vorwand in das Haus zu lo-
cken, in dem beide im zweiten Obergeschoss eine Wohnung bewohnten, um
dort gemeinsam, erforderlichenfalls gewaltsam, sexuelle Handlungen an ihr
vorzunehmen. Die Angeklagte, die vor dem Hintergrund entsprechender Äuße-
rungen des Mitangeklagten befürchtete, dieser werde im Fall ihrer Weigerung
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Gewalt gegen sie anwenden und sich von ihr trennen, kam der Aufforderung
nach. Am 11. Mai 2016 gegen 21.30 Uhr spiegelte sie der chinesischen Studen-
tin L. , die sich auf dem Rückweg vom Joggen zu ihrer in Tatortnähe
liegenden Wohnung befand, wahrheitswidrig vor, sie benötige Hilfe beim Trans-
port von Kartons im Haus. L. gab zu verstehen, helfen zu wollen, und
folgte der Angeklagten zur Hauseingangstür. Noch im Hauseingang bemächtig-
te sich der Mitangeklagte der Geschädigten, schlug sie und versuchte, von der
Angeklagten auf entsprechende Aufforderung unterstützt, sie mit einem Seil zu
fesseln, was wegen der Gegenwehr des Opfers jedoch ebenso scheiterte wie
sein Vorhaben, schon im Treppenhaus den Vaginal- bzw. Analverkehr auszu-
führen. Daraufhin zerrte der Mitangeklagte das Tatopfer in eine leer stehende
Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses; die Angeklagte folgte ihm ent-
sprechend seinen Anweisungen unter Mitnahme von Kleidungsstücken des Op-
fers. Dort führte der Mitangeklagte unter Schlägen mit dem Tatopfer den Oral-
und Vaginalverkehr aus. Die Angeklagte beobachtete das Geschehen und
leuchtete es auf Geheiß des Mitangeklagten u.a. mit der Taschenlampenfunkti-
on ihres Mobiltelefons aus. Um die Angeklagte wie beabsichtigt an den sexuel-
len Handlungen zu beteiligen, wurde sie sodann vom Mitangeklagten entkleidet;
dieser ergriff eine Hand des Tatopfers und führte die Finger in die Vagina der
Angeklagten ein.
Nachdem sich die Angeklagte kurzzeitig in die gemeinsame Wohnung im
zweiten Obergeschoss entfernt hatte, um zu duschen und sich um eines ihrer
Kinder zu kümmern, kehrte sie zu dem Mitangeklagten zurück, der in diesem
Zeitpunkt vollständig bekleidet im Treppenhaus saß. Sie befragte sodann nach
den Vorgaben des Mitangeklagten das noch in der Tatwohnung befindliche Op-
fer, das zu diesem Zeitpunkt keine sichtbaren schweren Verletzungen aufwies,
nach seinen persönlichen Verhältnissen, u
.a. danach, ob „Freunde die Polizei
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rufen würden“. Diese Fragen, die die Angeklagte mit Hilfe der Übersetzungs-
funktion ihres Mobiltelefons übersetzte, beantwortete das Tatopfer mit Nicken
oder Schütteln des Kopfes. Anschließend erklärte der Mitangeklagte, er werde
seine Zigarette aufrauchen und das Tatopfer danach gehen lassen. Tatsächlich
entschloss er sich zu diesem Zeitpunkt zur Tötung der Geschädigten, um eine
Entdeckung der Sexualstraftat zu verhindern. In Unkenntnis dieses Entschlus-
ses begab sich die Angeklagte in ihre Wohnung im zweiten Obergeschoss. Sie
ging davon aus, dass der Mitangeklagte das Opfer seiner Erklärung entspre-
chend ohne Weiteres gehen lassen würde.
Daraufhin brachte der Mitangeklagte das Tatopfer in der Tatwohnung im
ersten Obergeschoss in Abwesenheit der Angeklagten durch massive Gewalt-
einwirkung zu Tode und verbarg die Leiche in einer Mülltonne im Keller. Da-
nach rief er die Angeklagte in die Wohnung im ersten Obergeschoss. Da sich
L. dort nicht mehr befand, nahm sie zunächst an, der Mitangeklagte
habe das Tatopfer wie angekündigt gehen lassen. Gegen 2.00 Uhr am 12. Mai
2016 setzte dieser die Angeklagte von der Tat in Kenntnis. Im Anschluss unter-
stützte die Angeklagte den Mitangeklagten entsprechend seiner Aufforderung
beim Transport der Leiche zum Ablageort neben dem Hinterhaus.
2. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen sexueller Nötigung verur-
teilt, jedoch vom Vorwurf des gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten began-
genen Mordes zur Verdeckung einer Straftat aus tatsächlichen Gründen freige-
sprochen. Einen Tötungsvorsatz hat es bei ihr nicht festzustellen vermocht.
Nach ihrer nicht zu widerlegenden Einlassung sei die Angeklagte bei der vom
Mitangeklagten vorgenommenen Tötung der L. nicht anwesend gewe-
sen; sie habe davon erst Kenntnis erlangt, als der Mitangeklagte ihr später von
der Tat berichtet habe.
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B.
I.
Zur Revision der Angeklagten
Die Revision der Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat, soweit die Angeklagte
wegen sexueller Nötigung verurteilt worden ist, weder zum Schuld- noch zum
Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben.
Die von der Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgetragenen Angrif-
fe gegen den Strafausspruch zeigen keinen Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat die Verhängung einer Jugendstrafe gegen die
Angeklagte nach § 17 Abs. 2 JGG auf die Schwere der Schuld gestützt und da-
bei sowohl den objektiv hohen Unrechtsgehalt der von ihr begangenen Tat als
auch
– unter Berücksichtigung der in ihrem Lebenslauf und ihrer Persönlichkeit
liegenden Besonderheiten
– das erhebliche Maß der subjektiven Vorwerfbarkeit
in den Blick genommen. Die insoweit vorgenommene Wertung des Landge-
richts ist nicht zu beanstanden.
2. Entsprechendes gilt für die Darlegungen, mit denen die Jugendkam-
mer die Höhe der Strafe als solche begründet hat. Das Landgericht hat insbe-
sondere nicht verkannt, dass auch bei einer allein mit der Schwere der Schuld
begründeten Verhängung von Jugendstrafe erzieherische Gesichtspunkte bei
der Strafbemessung maßgebend, wenngleich nicht allein ausschlaggebend sind
(st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 23. April 1998
– 4 StR 12/98, NStZ-RR
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1998, 285 [Ls]; vom 31. August 2004
– 1 StR 213/04, StraFo 2005, 42). Beide
Gesichtspunkte stehen dabei in der Regel miteinander im Einklang, da die cha-
rakterliche Haltung und das in der Tat zum Ausdruck kommende Persönlich-
keitsbild nicht nur für das Erziehungsbedürfnis, sondern auch für die Bewertung
der Schuld von Bedeutung sind (BGH, Urteile vom 23. Oktober 1997
– 5 StR
486/97; vom 4. August 2016
– 4 StR 142/16, NStZ 2017, 648, 649 mwN). Es ist
nicht zu besorgen, dass die Strafkammer dies verkannt und
– vor dem Hinter-
grund des festgestellten Tatbildes sowie der von der Angeklagten geleisteten
Tatbeiträge zu dem Sexualdelikt
– dem Gesichtspunkt des gerechten Schuld-
ausgleichs ein zu großes Gewicht beigemessen hat.
II.
Zu den Revisionen der Staatsanwaltschaft
und der Nebenkläger
Auch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger blei-
ben erfolglos. Der Freispruch der Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an
dem Tötungsdelikt ist rechtsfehlerfrei begründet. Auch einen Fahrlässigkeits-
vorwurf hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der
Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an dessen Täterschaft
nicht zu überwinden vermag.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt
es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine
Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie mög-
lich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015
– 4 StR 420/14,
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NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht
angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte.
Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzuneh-
men, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender
gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015
– 5 StR 521/14, NStZ-RR
2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf,
ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher
Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze
verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Februar 2017
– 2 StR 78/16,
NStZ-RR 2017, 183, 184 mwN). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der
Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten
oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine
Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner erge-
ben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern
in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom
1. Februar 2017 aaO mwN).
2. Gemessen daran ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, soweit es
eine Beteiligung der Angeklagten an dem Tötungsdelikt nicht festzustellen ver-
mocht hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) In Ermangelung von Tatzeugen und angesichts des Schweigens des
Mitangeklagten in der Hauptverhandlung
– im Ermittlungsverfahren hatte er die
gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe bestritten
– hat das Landgericht zu Recht die
Bewertung der Behauptung der Angeklagten, der Mitangeklagte habe ihr nach
der Vergewaltigung und der Befragung des Tatopfers mitgeteilt, er werde noch
seine Zigarette aufrauchen und das Tatopfer dann gehen lassen, sie habe dies
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geglaubt und sei daraufhin in ihre Wohnung im zweiten Obergeschoss gegan-
gen, sei also weder bei den Tötungshandlungen anwesend gewesen noch habe
sie hiervon Kenntnis gehabt, in den Mittelpunkt seiner beweiswürdigenden Er-
wägungen gestellt. Mit Blick auf den gegen die Angeklagte erhobenen Vorwurf
der Beteiligung an dem Tötungsverbrechen hatte das Landgericht zu erörtern,
ob ihr diese Einlassung zu widerlegen war, also letztlich, ob das Beweisergeb-
nis eine tragfähige, über bloße Vermutungen hinausgehende Grundlage für die
Annahme bot, die Angeklagte habe sich (vorsätzlich) als Mittäterin bzw. Gehilfin
an der Tötung zur Verdeckung der vorhergehenden Sexualstraftat beteiligt oder
sich in vorwerfbarer Weise der Erkenntnis verschlossen, der Mitangeklagte
werde das Tatopfer töten. Dies hat die Strafkammer mit folgenden Erwägungen
verneint:
aa) Objektive Anhaltspunkte für eine Anwesenheit der Angeklagten bei
dem Tötungsdelikt hätten sich aus der Spurenlage nicht ergeben.
bb) Ein gemeinsamer, von vornherein gefasster Tatentschluss der bei-
den Angeklagten zur Tötung der Nebenklägerin sei nicht festzustellen. Ein sol-
cher ergebe sich nicht schon aus dem gemeinsamen Vorhaben, das Tatopfer
notfalls gewaltsam zu sexuellen Handlungen zu veranlassen. Dies gelte insbe-
sondere unter Berücksichtigung der eigenen Vorerfahrungen der Angeklagten
mit sexuellen Übergriffen seitens des Mitangeklagten und ihres Stiefvaters, de-
nen sich in keinem Fall eine weiter gehende Gewaltanwendung angeschlossen
habe.
cc) Aus den vom Mitangeklagten veranlassten Fragestellungen an das
Tatopfer ergäben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte für einen später gefass-
ten gemeinsamen Tatentschluss. Die Angeklagte habe während dieser Befra-
gung bei dem Opfer unwiderlegbar keine Verletzungen bemerkt, die auf einen
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beabsichtigten tödlichen Ausgang des Geschehens hätten schließen lassen;
das Opfer habe auf die Fragen adäquat reagieren können. Selbst die Art der
Fragestellung sei für die Angeklagte kein ausreichender Grund gewesen, der
Ankündigung des Mitangeklagten, er werde das Tatopfer in Kürze gehen las-
sen, zu misstrauen und dessen Tötung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Auch
insoweit seien die Gewalterfahrungen der Angeklagten im Zusammenhang mit
selbst erlittenem sexuellen Missbrauch durch ihren Stiefvater, aber auch durch
den Mitangeklagten zu berücksichtigen. Gegen sie gerichtete direkte Lebens-
bedrohungen, in einem Fall in Gestalt des Vorhaltens einer Pistole, habe der
Mitangeklagte zuvor nie in die Tat umzusetzen versucht.
dd) Nicht zuletzt wegen ihrer selbstunsicher-vermeidenden Persönlich-
keitsstruktur, unter deren Einfluss sie die Augen vor Problemen verschließe und
unangenehme Dinge vollständig ausblende, habe sich ihr eine Gewaltanwen-
dung, die über die bei der Sexualstraftat angewandte Gewalt hinausgehen wer-
de, weder aufgedrängt noch sei eine solche für sie vorhersehbar gewesen.
ee) Dass das Tatopfer während der Tatausführung geschrien und die
Angeklagte dadurch Kenntnis von dem Tötungsgeschehen erlangt habe, habe
sich nicht feststellen lassen.
ff) Darüber hinaus komme auch eine Unterlassungstäterschaft der Ange-
klagten nicht in Betracht, weil sie trotz ihrer Beteiligung an den nicht lebensge-
fährlichen Misshandlungen des Tatopfers im Zusammenhang mit der Sexual-
straftat keine Pflicht zur Abwendung der anschließenden Tötung getroffen habe.
Die bloße Teilnahme an der vorausgehenden sexuellen Misshandlung stelle
keine Bestärkung des Mitangeklagten in Bezug auf eine Tötung des Opfers und
damit auch keine Gefahrerhöhung dar.
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gg) Auch eine Beihilfe der Angeklagten zur Tat des Mitangeklagten
F. sei zu verneinen. Sie habe von der Tötung von L. erst nach der
Tat erfahren und daher nach bereits eingetretenem Taterfolg durch Hilfe bei der
Beseitigung der Leiche keinen diese Tat fördernden Beitrag mehr leisten kön-
nen.
b) Diese Erwägungen beruhen auf einer tragfähigen Grundlage.
aa) Zu Unrecht sieht die Revision der Staatsanwaltschaft einen Erörte-
rungsmangel darin, dass das Landgericht sich nicht näher mit dem Charakter
der von der Angeklagten durch ihren Stiefvater und den Mitangeklagten erlitte-
nen Misshandlungen befasst hat. Die Strafkammer hat die
– über zehn Jahre
zurückliegenden
– Missbrauchshandlungen durch den Stiefvater bei den Fest-
stellungen zur Person der Angeklagten erörtert und sich auch mit der von hoher
Dominanz, Drohungen und körperlichen Übergriffen des Mitangeklagten ge-
prägten Partnerschaftsbeziehung beschäftigt. Dass die Angeklagte vor dem
Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen mit der Gewaltbereitschaft des Mitange-
klagten in der Vergangenheit gleichwohl keinen Anlass hatte anzunehmen, die-
ser werde in der konkreten Situation „zum Äußersten“ gehen und das Opfer im
Anschluss an die Sexualstraftat töten, stellt eine mögliche Schlussfolgerung des
Landgerichts dar. Sie lässt einen Rechtsfehler umso weniger erkennen, als die
Angeklagte nach den Feststellungen auf Grund ihrer Persönlichkeitsstörung die
Augen vor Problemen verschloss und unangenehme Dinge vollständig aus-
blendete. Besondere Umstände, die insoweit eine eingehendere Erörterung
erforderlich gemacht hätten, ergeben sich aus dem angegriffenen Urteil nicht.
Eine Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.
bb) Eine Lücke in der Beweiswürdigung liegt entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch nicht darin, dass das
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Landgericht mit Blick auf einen möglichen, vor Ausführung der Sexualstraftat
gemeinsam mit dem Mitangeklagten gefassten Plan zur anschließenden Tötung
nicht ausdrücklich erörtert hat, dass sich, wie festgestellt, sexuelle Gewalt bis-
lang immer nur innerfamiliär gegen die Angeklagte gerichtet hatte, das Tatopfer
im vorliegenden Fall hingegen eine fremde Person war, weshalb die Angeklagte
schon wegen des erhöhten Entdeckungsrisikos eine Tötung zur Verdeckung
des Sexualdelikts für möglich hielt oder zumindest hätte für möglich halten
müssen. Dieser Einwand verkennt zunächst, dass das Landgericht einen ge-
meinsamen Tatplan nur in Bezug auf das Sexualdelikt festgestellt und dies
– vor allem wegen der erst im Anschluss an diese Tat erfolgten, vom Mitange-
klagten zur Einschätzung des Entdeckungsrisikos initiierten Befragung des Tat-
opfers nach seinen Lebensumständen
– tragfähig begründet hat. Was den
nachfolgenden Tatzeitraum angeht, kommt hinzu, dass das Tatopfer, nachdem
die Angeklagte zum Zweck der Unterstützung des Mitangeklagten bei der Be-
fragung in das erste Obergeschoss zurückgekehrt war, unwiderlegt zu adäqua-
ten Reaktionen in der Lage war, keine sichtbaren Spuren von Gewaltanwen-
dung aufwies und die Angeklagte auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur ein
Problembewusstsein mit Blick auf den möglichen Fortgang des Geschehens
nicht entwickelte.
cc) Soweit sich die Beschwerdeführer dagegen wenden, dass das Land-
gericht aus der Befragung des Tatopfers in Bezug auf die subjektive Tatseite
unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen hat, zeigen sie ebenfalls keinen
Rechtsfehler auf. Dass das Landgericht den Inhalt der Fragen einerseits als
Beleg für den zu diesem Zeitpunkt gefassten Entschluss des Mitangeklagten
herangezogen hat, das Opfer zur Verdeckung des vorausgegangenen Sexu-
aldelikts zu töten, ist für sich genommen eine naheliegende, jedenfalls mögliche
und daher vom Revisionsgericht hinzunehmende Erwägung. Als ebenso tragfä-
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hig erweist sich andererseits aber auch die Erwägung der Strafkammer, die un-
ter dem dominanten Einfluss des Mitangeklagten stehende Angeklagte habe
wegen ihrer dependenten Persönlichkeitsstruktur dessen Äußerung, er werde
das Tatopfer gehen lassen, kritiklos geglaubt, weshalb sie keine Kenntnis von
der Tatbegehung hatte. Die Einwände der Beschwerdeführer erschöpfen sich
insoweit letztlich darin, ihre eigenen Schlussfolgerungen an die Stelle der mög-
lichen Schlüsse der Strafkammer zu setzen. Sie lassen ferner unberücksichtigt,
dass die Einlassung der Angeklagten durch die übrige Beweisaufnahme in eini-
gen Punkten eine Bestätigung gefunden hat. Dies gilt beispielsweise für das
Ergebnis der Auswertung ihres Chat-Verkehrs mit der Zeugin P. , den
Wunsch des Mitangeklagten nach einer weiteren Sexualpartnerin betreffend,
die Aussage der Zeugin H. , die in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der
Auswertung von Videoaufnahmen das Hereinlocken des Tatopfers in das Haus
bekundet hat, sowie die Auswertung des Mobiltelefons der Angeklagten zur
Nutzung der Übersetzungsfunktion für die chinesische Sprache bei der Befra-
gung des Tatopfers.
dd) Angesichts des Fehlens jeglicher objektiver Beweisanzeichen für
eine unmittelbare Tatbeteiligung der Angeklagten hat das Landgericht auch fer-
ner liegende Indizien mit Aussagekraft für die subjektive Tatseite nicht unerör-
tert gelassen. So wird in den Urteilsgründen etwa ausdrücklich erwogen, dass
nach dem Ergebnis der Schallpegelmessung lautes Rufen aus der ersten Etage
im zweiten Obergeschoss des Hauses, in dem sich die Angeklagte nach ihrer
Einlassung während des Tötungsgeschehens aufhielt, hörbar gewesen wäre.
Die Strafkammer hat aber zu möglichen Schreien des Tatopfers während des
Tötungsgeschehens keine Feststellungen zu treffen vermocht.
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ee) Schließlich entnimmt der Senat dem Zusammenhang der Urteils-
gründe auch die erforderliche Gesamtwürdigung aller Indizien unter allen in Be-
tracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.
ff) Da das Landgericht die Kenntnis der Angeklagten von einer Tötung
des Opfers rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, kommt es auf die bei der Prü-
fung eines unechten Unterlassungsdelikts angestellten, für sich genommen be-
denklichen Erwägungen der Strafkammer zu einer möglichen Garantenstellung
der Angeklagten aus Ingerenz (§ 13 Abs. 1 StGB) im Ergebnis nicht an.
gg) Entgegen der Auffassung der Revision der Nebenkläger hat das
Landgericht auch eine mögliche Strafbarkeit der Angeklagten wegen fahrlässi-
ger Tötung im Blick gehabt. Der zusammenfassenden Erwägung, für die Ange-
klagte sei die Anwendung eines Maßes an Gewalt, das über dasjenige zur Be-
gehung der Sexualstraftat hinausging, nicht vorhersehbar gewesen, entnimmt
der Senat unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteils-
gründe, dass sich das Landgericht jedenfalls mit Blick auf deren Persönlich-
keitsstruktur von der subjektiven Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts nicht zu
überzeugen vermocht hat. Entsprechendes gilt für die subjektive Tatseite einer
Strafbarkeit wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 3 StGB (vgl.
dazu SSW-StGB/Momsen, 3. Aufl., § 221 Rn. 14) bzw. sexueller Nötigung mit
Todesfolge im Sinne von § 178 StGB (vgl. SSW-StGB/Wolters, aaO, § 178
Rn. 3, 4).
C.
Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die Rechtsmittel
der Nebenkläger erfolglos geblieben sind, haben die Nebenkläger außer der
Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die
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durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der Angeklagten
hat allein die Staatskasse zu tragen (BGH, Urteile vom 28. Oktober 2010
– 4 StR 285/10; vom 30. November 2005 – 2 StR 402/05, NStZ-RR 2006, 128
[Ls]).
Sost-Scheible
RinBGH Roggenbuck ist im Urlaub
und deshalb gehindert zu unter-
schreiben.
Sost-Scheible
Franke
Quentin
Feilcke