Urteil des BGH vom 24.04.2006
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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 497/05
vom
24. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Verabredung zum Mord u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. April 2006 gemäß
§§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Koblenz vom 1. September 2004 im Strafausspruch da-
hingehend abgeändert, dass die verhängten Einzelstrafen um
jeweils einen Monat und die Gesamtfreiheitsstrafe um vier Mo-
nate auf acht Jahre und zwei Monate herabgesetzt werden.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbe-
zeichnete Urteil wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verabredung zu einem
Verbrechen des Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb einer Schusswaf-
fe und Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine Schusswaffe (Ziffer V. der
Urteilsgründe; Einzelstrafe vier Jahre), wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Ziffer III.6 der Urteilsgründe; Ein-
zelstrafe sechs Jahre und sechs Monate), wegen unerlaubter Ausfuhr in Tat-
einheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Ziffer III.3 der
Urteilsgründe; Einzelstrafe ein Jahr und sechs Monate), vorsätzlichen unerlaub-
tem Erwerbs in Tateinheit mit Führen und mit Überlassen einer halbautomati-
schen Selbstladekurzwaffe an einen Nichtberechtigten (Ziffer IV.1 der Urteils-
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gründe; Einzelstrafe ein Jahr und drei Monate), vorsätzlichen Ausübens der
tatsächlichen Gewalt über eine Schusswaffe (Ziffer IV.2 der Urteilsgründe; Ein-
zelstrafe neun Monate) und wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Mu-
nition sowie eines verbotenen Gegenstands in Tateinheit mit unerlaubtem Füh-
ren einer Schusswaffe und mit Ausüben der tatsächlichen Gewalt über einen
verbotenen Gegenstand (Ziffer III.3 der Urteilsgründe; Einzelstrafe ein Jahr) zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Sei-
ne auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision hat nur in dem
aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie
unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zu den Verfahrensrügen des Verstoßes gegen § 275 Abs. 2 und § 261
StPO ist nur Folgendes auszuführen:
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a) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO ist unbe-
gründet. Soweit der von dem Vorsitzenden der Strafkammer zwei Wochen vor
Ablauf der Frist gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO angebrachte Verhinderungs-
vermerk als Verhinderungsgrund angab, der beisitzende Richter sei "nach Ab-
ordnung an den Bundesgerichtshof ortsabwesend und daher an der Unter-
zeichnung gehindert" (UA S. 66), ergibt sich hieraus entgegen der Ansicht der
Revision gerade nicht, der Vorsitzende habe die Abordnung als rechtlichen Hin-
derungsgrund angesehen.
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Der von der Revision behauptete Verfahrensverstoß ist auch im Übrigen
nicht bewiesen. Aus den auf Anforderung durch den Senat abgegebenen
dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden und des beisitzenden Richters ergibt
sich, dass der Vorsitzende Bemühungen unternommen hat, um eine Unter-
schriftsleistung durch den abgeordneten Beisitzer herbeizuführen. Bei der Fest-
stellung, ob eine Verhinderung im Sinne von § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO gege-
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ben war, stand dem Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum zu, der hier nicht
rechtsfehlerhaft überschritten wurde. Im Hinblick auf die ihm erteilte Auskunft,
der Richter sei entweder krank oder im Erholungsurlaub und der Zeitpunkt sei-
ner voraussichtlichen Rückkehr sei nicht bekannt, war die Feststellung einer
Verhinderung zu diesem Zeitpunkt zwei Wochen vor Ablauf der Urteilsabset-
zungsfrist von hier 37 Wochen vertretbar. In dem Umstand allein, dass konkrete
Vereinbarungen über die Erreichbarkeit des beisitzenden Richters zum Zeit-
punkt seiner Abordnung und über seine Mitwirkung an der Absetzung der Ur-
teilsgründe nicht getroffen wurden, kann entgegen der Ansicht der Revision
nicht schon ohne Weiteres ein Verstoß gegen § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO gese-
hen werden.
b) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO durch Verwertung einer
(teilgeständigen) Einlassung des Angeklagten, die dieser nach dem Vortrag der
Revision nicht abgegeben hat, ist entgegen der Auffassung des Generalbun-
desanwalts zulässig erhoben, aber im Ergebnis unbegründet, da das Urteil auf
einem möglichen Verstoß jedenfalls nicht beruhen könnte. Das Landgericht hat
der Einlassung, die es nur am Rande erwähnt hat, ausdrücklich "geringen Be-
weiswert" beigemessen (UA S. 27 f., 37); die den Angeklagten belastende Ein-
lassung der Mitangeklagten S. hat es auf Grund umfassender Würdigung
als glaubhaft angesehen. Es kann ausgeschlossen werden, dass das Landge-
richt Zweifel an der Schuld des Angeklagten gehabt hätte, wenn es die zusätzli-
che bestätigende Einlassung nicht verwertet hätte. Auf die Frage, ob die Be-
weiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) hier auf Grund der unklaren Formulierun-
gen durchbrochen und das Vorliegen des Verfahrensfehlers im Freibeweisver-
fahren zu prüfen war, kam es daher nicht an.
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c) Auch hinsichtlich eines von der Revision gerügten Verstoßes gegen
§ 261 StPO durch Verwertung des Telefongesprächs vom 9. September 1999
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(UA S. 45) kann jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf einem möglichen Verfah-
rensfehler ausgeschlossen werden. Das genannte Telefongespräch befasste
sich inhaltlich nur mit Nebensächlichkeiten; die Überzeugung von der Täter-
schaft des Angeklagten im Fall V der Urteilsgründe hat das Landgericht wesent-
lich auf den Inhalt anderer, rechtsfehlerfrei eingeführter Gespräche gestützt
(insbesondere Gespräche vom 15. September, 10. und 28. Oktober und 2. No-
vember 1999; UA S. 45 ff.).
2. Die Rüge einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäß Art. 6
Abs. 1 MRK ist begründet, denn das Verfahren ist aus Gründen, die allein den
Strafverfolgungsbehörden zuzurechnen sind, in dem vom Bundesverfassungs-
gericht in seinem Beschluss vom 29. Dezember 2005 - 2 BvR 2057/05 - in die-
ser Sache festgestellten Umfang verzögert worden. Das Landgericht hat die
sehr lange Dauer des Verfahrens nur allgemein bei der Strafzumessung be-
rücksichtigt (UA S. 55, 57); die nach Urteilserlass eingetretenen Verzögerungen
konnte es gar nicht berücksichtigen. Die auf Grund der rechtsstaatswidrigen
Verfahrensverzögerung gebotene Kompensation konnte der Senat hier gemäß
§ 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO durch Herabsetzung der im Übrigen rechtsfehlerfrei
zugemessenen Strafe selbst vornehmen. Die vom Generalbundesanwalt bean-
tragte Herabsetzung der verhängten sechs Einzelstrafen um jeweils einen Mo-
nat sowie der Gesamtfreiheitsstrafe um vier Monate auf acht Jahre und zwei
Monate erscheint in jeder Hinsicht angemessen und geeignet, die auf Grund
der Verfahrensverzögerung entstandene Belastung des Angeklagten auszuglei-
chen. Für die Feststellung eines von der Verteidigung in diesem Zusammen-
hang angenommenen Verfahrenshindernisses fehlt es an jedem Anhaltspunkt.
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3. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der erhobenen Sachrügen hat
im Übrigen weder zum Schuldspruch noch zum Rechtsfolgenausspruch Rechts-
fehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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4. Der im Ergebnis nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt eine
Kostenteilung gemäß § 473 Abs. 4 StPO nicht.
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